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Geistreiches
Spiel mit dem Feuer
Tom Wolf legt dritten Hansekrimi „ Feuersetzen“
vor
Kotofeij K. Bajun
Er liebt Brandenburg und kann es
nicht verhehlen. Auch wenn sein dritter Hansekrimi zum wiederholten Male
in Goslar spielt, der reichen Bergbau- und alten Kaiserstadt im Harz.
Wir können jedoch die wenigen verstreuten Hinweise auf die Chur-
und Hauptstadt der Mark erkennen, so wie wir bei jedem neuen Preußenkrimi,
bei jedem neuen Hansekrimi die immer mehr an Fahrt gewinnende Genialität,
diese immense Universalität des Tom Wolf erkennen. Tsunamis an Mittelalterschund,
Legionen von Wanderhuren, Chrirurginnen, Päpstinnen und dergleichen
früheuropäische EmanzInnen überspülen gleich einer
Ölpest die Strände des deutschen Literaturmarktes. Dieser eine
aber, dieser Tom Wolf, der ist die Perle unter den Autoren, die ihre Handlungsstränge
in die Zeit vergangener Jahrhunderte verlegen. Das ist einer, der sich
nicht einfach darauf beschränkt, modernen Problemen ein mittelalterlich
anmutendes Gewand überzuhelfen, wie das auf denen Volksfesten landauf,
landab so Mode geworden ist. Und – Hand aufs Herz – was sieht
alberner aus, als ein Schultheiß mit breitkrempigem Hute, unter
dem die Rabane-Brille hervorglitzert? Der hier ist echt. Der gibt die
Maße in seinem Buche in Lachtern und Linien, in Klafter und Malter
an, nicht in Meter und Liter, wie es in der Vergangenheit so mancher Dutzendschreiber
tat. Nur ab und zu blitzt ein wenig schalkhafte Prophetie hervor. Überhaupt
– seine Krimis sind unterhaltende Kompendien – man lernt unglaublich
viel über Dinge, deren Existenz man vorher noch nicht einmal ahnte.
Was man dem Text nicht entnahm, das steht dann in dem traditionellen Anhang
zu lesen, der die historischen Stichworte detailversessen erläutert
– eine einzige Referenz an des Autors Akribie beim Recherchieren,
an sein ungeheures Wissen und seine Lust am geistreichen Fabulieren.
Dennoch, wir schrieben das unseren geschätzten Lesern schon bei unseren
vorigen Kritiken zu den Preußenkrimis ins Stammbuch: Wer einen Wolf
liest, der genießt einen 45 Jahre alten Château Mouton - Rothschild,
keinen Dornfelder vom Supermarkt um die Ecke. Ein Wolf ist etwas für
Kenner, für die Edlen der Leserzunft, für die letzten Vertreter
des deutschen Bildungsbürgertums, denen seichte Unterhaltung ein
Graus ist. Hier muß beim Lesen der eigene Brägen fleißig
umgerührt werden und auch Wolfs Protagonisten beweisen durch die
Bank weg, das sie keine Proleten sind.
Muss denn doch mal eine oder eine den Mund aufmachen, wie die Magd der
Sibylle Herbst in dem uns vorliegenden kleinen Büchlein „Feuersetzen“,
dann kommt der Feingeist Wolf ins Schwitzen. Einem Humanisten ein Renaissance-Gedicht
aus der Feder fließen lassen – kein Problem. Einer Vertreterin
des Analphabetismus ein paar Sätze nur zuzuweisen – lieber
Wolf, das ist ein rechtes Fegefeuer für Sie, gelt?
Was treiben seine literarischen Kinder nun in den den vierzehn Tagen des
Frühsommers 1552 in Goslar? Zunächst sehen sie zu, dass sie
sich nicht die Pfoten verbrennen, denn es ist ein im wahrsten Sinne des
Wortes heißer Sommer. Ein Feuerteufel geht um und brennt und mordet,
was das Zeug hält. Ein rechter Tummelplatz für den italienischen
Gelehrten Pietro Paolo Volpi und seinen kleinwüchsigen Freund Gerhard
Bartholdi, seines Zeichens Ratsarchivar Goslars. Ja, dachten Sie denn,
Wolf überließe irgendeinem Handwerker oder Bauernlümmel
die Ermittlungsarbeit? Selbst seinen Detektiv aus dem letzten Goslarkrimi,
den Patrizier Jobst, schickt er in den ermittlungstechnischen Ruhestand.
Gerade mal, daß er die neue Leuchte am Kriminalistenhimmel, Volpi,
in seinem vornehmen Hause beherbergen darf. Und so streifen wir mit unseren
Helden durch die farbenreiche Welt des Universalgelehrten Wolf, all die
Gärten, die zwitschernde Vogelwelt und das Reich der Bogenmacher
und -schützen. Wir schleichen mit ihm durch die drangvolle Enge von
Bergwerksstollen, tief unter Tage. Und wenn wir es nicht schon wüssten,
so erahnten wir spätestens jetzt, wo die Hobbys eines der brillantesten
deutschen Historien-Krimi-Gegenwartsautoren zu verorten sind. Ohne dem
Anhang eine Karte des alten Goslar beizufügen, entwirft Wolf vor
unseren Augen ein brillantes Bild dieser vermögenden und doch so
menschlich beengten Stadt an der Schwelle zur Neuzeit. Er ist ein Meister
der Sprache, dieser Tom Wolf. Seine Beziehungsgeflechte entwickeln sich
mitunter etwas behäbig und sind teilweise verwinkelt wie die Straßen
des alten Goslar. Man braucht eben Grips..., nun, wir sagten es schon.
Und mitunter braucht es etwas Geduld, ja, das müssen wir zugeben,
die Abenteuer des Sherlock Holmes lesen sich etwas flüssiger, gefälliger.
Entlohnt aber wird man durch ein farbenprächtiges Bild, ein Gemälde,
ein Diorama aus Meisterhand, untauglich als Beigabe für ein Sprengelschokoladen-Sammelalbum.
Entlohnt wird man durch einen enormen Wissenzuwachs, auch wenn es sich
um scheinbare Marginalien aus der deutschen Geschichtsschreibung handelt.
Nein, das sind sie gewiss nicht. Stattdessen sind es Zahnräder im
großen Getriebe der deutschen Historie, die zu hinterfragen es sich
lohnt und über deren Beschaffenheit man nirgends so unterhaltsam
unterrichtet wird, wie bei Tom Wolf. „Feuersetzen“, so heißt
dieser jüngste Krimi aus der Feder des Wahl-Berliners Wolf. Und wer
noch nicht zum Stammlesepublikum dieses Apologeten der geistreich verbrachten
Muße zählt, der kann bei der Lektüre dieses 266 Seiten
starken Büchleins im Quartformat durchaus Feuer fangen und so –
wie wir auch seit Jahren – lichterloh brennen, für ein Literaturformat
voller intelligenter Anspielungen, zierlicher Tänze von Worten und
Doppeldeutigkeiten, subtilem Humor und der schieren Lust an Bildung, Bildung,
Bildung. Mit seinem „Feuersetzen“ hat Tom Wolf ein weiteres
Mal ein Fanal entzündet, ein Leuchtfeuer, das weit hinausleuchtet
auf den grisen Ozean des Schwundes und hirnlosen Schreibmülls. Und
wenn sie wissen wollen, wie wir darauf kommen, dass Wolf seinen Homburger
gen Brandenburg an der Havel lupfte: Lesen Sie, wie der Chef der Feuerspeier-
und Gauklertruppe heißt! Glauben Sie an reine Zufälligkeiten
in der Namensähnlichkeit zwischen diesem Herren und einem Brandenburger
Original, der vor etwa sechshundert Jahren auf der alten Heerstraße
von Magdeburg illegalen Wegezoll erhob und dafür von einem erzürnten
Fiskus am Brandenburger Büttelhandfaßgraben aufs Rad geflochten
wurde? Und die Johanniter-Ballei der zweiten Geldübergabe. Zu wem
gehörte die doch gleich...?
Ach, und – Herr Wolf, sagen Sie, die Frage juckt uns schon lange
unter den Nägeln: War der 1552er Geburtstag unseres verehrten Herrn
Chefredakteurs wirklich ein Samstag, und wenn ja, war es ein julianischer
oder ein gregorianischer Samstag und wenn ja – verdammt noch mal,
wo treiben Sie eigentlich immer diese sagenhaft alten Kalender auf? |