Q 10
– eine dystopische Satire feiert im Fontane-Klub
Premiere
Regina von Dönitz (Maggy Domschke)
hat General a. D. Franz von Hatten (Hank Teufer) bereits fest am Haken
Kotofeij K. Bajun
Es ist fürwahr eine bitterböse
Groteske, die das event-theater in seiner Premiere am Samstag im Fontane-Klub
dem Brandenburger Publikum vorstellte. Doch was tat dieses Stück,
“Q 10 – eine Oldie Horror Picture Show “ anderes, als
einen Blick in die Zukunft zu wagen, eine Zukunft, die gar nicht so weit
entfernt ist? Autorin Susanne Boetsch legte einfach das Lineal an die
demographische Gegenwart und verlängerte den Strich ins Jahr 2097.
Die Deutschen werden im Durchschnitt 125 Jahre alt und die Senioren stellen
die Majorität des deutschen Volkes. Junge Menschen gibt es kaum noch,
und die wenigen haben das Leben der unendlich vielen Pensionäre zu
stemmen. Das geht natürlich nicht auf Dauer gut. Die Regierung denkt
nach und reagiert mit der “Regenerationsstufe 4”. Wer also
über weniger Pensionsansprüche verfügt als ein ziemlich
hoch angesetztes Minimum, sich auch selbst noch kaum behelfen kann, der
verfällt dieser Regelung, die ihn während eines kollektiven
Abendmahls im Sauber- und Sattbereich eines Regenerationszentrums auf
die Non-Vivale-Phase vorbereitet. Ach – es hagelt, den heutigen
Polit-Kauderwelsch perfekt aufgreifend, Euphemismen der übelsten
Art. Regenerationsstufe 4 heißt – ab durch die Mitte! Die
Urne ruft!. Der Mensch ist nicht mehr finanzierbar. Das war's. Ob für
den ehemaligen Leiter einer Postdienststelle Wiedemann (ein unbezahlbarer
Hank Teufer, der in diesem Stück wirklich alle Register seines schauspielerischen
Könnens zog), oder für die furios-lebenslustige, medeenhafte
Greisin Regina von Dönitz (Maggy Domschke, die einige Textunsicherheiten
mit einer Mimik und Gestik ausglich, die sie nachgerade auf die Komische
Alte verpflichtet – Frau Domschke: das hatte was von Monty Python,
das war Komik der Oberklasse, dieses Spiel der Augen war einfach nur umwerfend)
– für alle Alte heißt es: entweder der Zaster reicht
zum Leben – oder der Ofen ist aus.
Mit aller Raffinesse und gnadenlosem Impetus lockt die Schwarze Witwe
von Dönitz betuchte Männer in ihr Netz, deren baldiges Ableben
sie forciert um dann die ihr daraus zuwachsene Witwenrente zu kassieren.
Hier unterlief der Autorin ein kleiner Fehler, denn wer sich schon heute
als Witwe neu verheiratet, verliert alle Ansprüche aus der vorigen
Ehe. Aber das nur am Rande...
von Dönitz jedoch, selbst pensionierte Mathematik-Gymnasiallehrerin
mit zuletzt noch gerade mal drei Schülern, brachte es so schon neben
ihren mickrigen Altersbezügen von € 700,- auf satte €2700,-,
was ihr die Gesellschaft einer Hausdame (eine herrlich nervös-quirlige
Sonja Pfeil) und das Leben in einer Suite ermöglicht. Doch dieser
Standard will gehalten werden – und so schaut sich die mörderische
alte Dame von 92 Jahren nach ihrem nächsten Opfer um.
Man möchte das Stück, das unter der Regie von Sylvia Kuckhoff
aufgeführt wurde, als eine einzige Tragikomödie mit absolut
realem Hintergrund bezeichnen, einen bitterbösen und zugleich saukomischen
Warnruf, in jedem Falle aber tief unter die Haut gehend, nachdenklich
stimmend. Eigentlich hätten sich alle Mimen, darunter auch ein brillanter,
chamäleonhafter Nico Will, der – und das will was heißen
– in der Truppe um John Cleese auch eine gute Figur gemacht hätte
– einen Platz auf der Prämienliste der Riester-Renten-Protagonisten
verdient. Aber, wie das immer so ist, die armen Mimen placken sich auf
der Bühne ab und die anderen – kassieren.
Lässt man das ganze Stück noch einmal Revue passieren, so möchte
man ihm am liebsten das Mäntelchen des tapferen Markgrafen Rüdiger
von Bechlarn umhängen, einsam den Ruf einer im Untergang begriffenen
– oder einer sich eventuell über diese Aussaat neu formierenden
Brandenburger Theaterlandschaft(?) verteidigend. Während drüben
in der Grabenpromenade die Grabenkämpfe toben, wird hier im Maßstab
des Hinterhoftheaters auf kleiner, aber so was von witziger Bühne
hohe Schauspielkunst zelebriert, keine Posse, kein Klamauk, kein nervtötender
und zeitraubender Nonsens – sondern das, wofür gutes Theater
stehen sollte: gesellschaftsrelevante Themata aufgreifen, verständlich
und unterhaltsam umsetzen, Freude bereiten, zum Nachdenken anregen.
Brandenburg begriff das durchaus und so fand sich zur ausverkauften Premiere
auch ein hochkarätiges Publikum: Die ganze Familie Tiemann, Hofschauspieler
und Urgestein Harald Arnold, Birgit Fischer... Dass am Schluss die Standing
Ovations ausblieben, mochte daran gelegen haben, dass die Aussage des
Stückes dem zuschauenden Volk in die Knochen gefahren war. Zumindest
hörte man in der Pause und nach dem letzten Vorhang über nichts
anderes reden. DAS macht ein gutes Stück aus! Deshalb an dieser Stelle
noch einmal Applaus, Applaus für die Helden von den Brettern, welche
die Welt bedeuten. Sie haben ganze Arbeit geleistet und wenn Brandenburg
etwas an seiner Theaterlandschaft liegt, dann kann es das hier beweisen,
an der Abendkasse im Fontane-Klub nämlich, wenn die nächsten
Aufführungen am 20./27. März und am 3./10./17. April, jeweils
um 20 Uhr angesetzt sind. Näher hinschauen lohnt sich.
Auch Poststellenleiter Ernst-Ulrich Wiedemann
(Hank Teufer) befindet sich schon im Netz der schwarzen Witwe.
Fotos: Kotofeij. K. Bajun
|