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Winterträume in Sachsen
Aschenputtel-Ausstellung auf Schloss Moritzburg


Die Moritzburg in Sachsen

Kotofeij K. Bajun
Eines der schönsten und berühmtesten Schlösser Sachsens sieht sich im schneekalten Winter 2009/2010 einem Besucheransturm vorher sicher unbekannten Ausmaßes gegenüber. Die Moritzburg wird in diesen Tagen das Herz ihrer Direktion höher schlagen lassen. Stundenlange Wartezeiten, ein deutsch-böhmisches Stimmengewirr, ein ungeheures Gedränge in den weiträumigen Hallen und Treppenhäusern des großartigen Jagdschlosses der sächsischen Kurfürsten und Könige dokumentieren hinlänglich, dass die alten Mauern etwas sehr, sehr Attraktives beherbergen müssen. Den Jagdsaal mit den Hirschgeweihen? Das Meißner, die Gemälde, den Monströsitätensaal? Das Gesamtensemble? Nein, es ist ein Film, der unter anderem hier vor sage und schreibe 37 Jahren gedreht wurde. Die Moritzburg gab die Schlosskulisse für die böhmische Version des Aschenputtel-Themas aus der Feder von Božena Nemcová. „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ heißt das Jahrhundertwerk der böhmisch-deutschen Filmcrew, das sich als Wintermärchen in die Herzen beider Nationen spielte und eine der überflüssigsten Grenzen Europas, die zwischen Sachsen und Böhmen nämlich, schon im Jahre 1973 komplett aufhob und beiden Völkern einen gemeinsamen kulturellen Schatz bescherte.


in der Ausstellung

Welche Bedeutung dieser cineastischen Preziose noch heute zugemessen wird, darüber können wohl die Kassen der Moritzburg beredt Auskunft geben. Aber werden die Besucherströme durch ein harmloses Märchen, ein paar hübsche Kostüme oder das liebliche Gesicht der Libuše Šafránková in den Bann gezogen? Oberflächlich gesehen könnte man dieser Deutung folgen. Doch schaut man genauer hin, so spiegelt sich in den Minen der Leute ein anderes Phänomen: ihre eigene Sehnsucht! Die unstillbare Sehnsucht nach einer Idylle, die selbst noch das Elend, die Armut und das Verstoßensein romantisch verklärt und anheimelnd erscheinen lässt, zog die Leute in die Moritzburg. Es ist diese alltägliche Erfahrung mit der Bosheit und Missgunst Nahestehender, die bei den Meisten zwar auch ein Charakteristikum der eigenen Seele ist, aber dennoch nur beim Gegenüber als störend empfunden wird, die dann aber bei den bösen Anderen ebenso realitätsfern wie glorreich zugunsten des Schönen und scheinbar Unterlegenen überwunden wird, welche die Leute aus dem Häuschen bringt. Wenn dann noch die Verpackung stimmt, dann gibt es kein Halten mehr. Und die Verpackung stimmte! Der Film war wirklich ein ins Herz treffendes Gesamtkunstwerk, der den Nerv der Leute berührte. Jede Einstellung, jedes Kostüm, jede Geste, jede Landschaft ein einziger Traum, der Barbie ins Reich der Banalitäten schickte. Da nimmt das Volk bei Schnee und Frost lange Wartezeiten in Kauf. Das wollen sie sehen. Dem wollen sie nahe sein. Möge ein Hauch davon an ihnen haften bleiben. Nicht länger ist das Jagdschloss ein Museum der staatlich-sächsischen Kultusbehörde – für die Dauer der Filmausstellung, die Requisiten und Kulissen der damaligen Aufnahmen zeigt, ist dieses Schloss eine Wallfahrtsstätte, ein kleines Lourdes, eine Wilsnack, ein Mini-Mekka. Und es ist schade. Denn viele erstehen wirklich nur das Entree für die Filmausstellung. Hat dieses Schloss nicht unendlich viel mehr zu bieten? Was ist mit dem sensationellen und einmaligen Federkabinett, was ist mit dem schönen alten Billardtisch, umrahmt von Imari-Vasen – eine schöner als die andere? Was ist mit den Gemälden, den handwerklich meisterhaft gefertigten Möbeln und Sekretären? Lohnen die keinen Blick? Anscheinend für viele nicht. Altes Gerümpel für die, welche nur ihren Tagträumen und Illusionen hinterherhecheln. Man kann es bedauern. Aber es ist die Welt, in der wir leben. Und wenn die Traumjäger helfen, mit ihren Billets ein Paradeschloss zu erhalten, wenn sie mit ihren Berichten zu Hause helfen, die Popularität der Moritzburg zu steigern, dann heiligt der Zweck allemal die Mittel. In diesem Falle tragen die „Mittel“ sogar die bezaubernden Züge einer ebenso klugen wie schönen böhmischen Jungschauspielerin und eines Märchenfilms von Format. Kein Grund also, sich zu verstecken. Im Gegenteil - es ist dem Preußischen Landboten eine Freude, seine bescheidenen Möglichkeiten demselben Ziel anheimzustellen. Die Moritzburg ist immer eine Reise wert.


der verlorene Schuh

 
B
8. Volumen

© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
06.01.2010