|
Cinderella Kotofeij K. Bajun Wenn Kinder zum Schreien und Quasseln ihren Atem benötigen, so kann die Stille der bis auf den letzten Notsitz besetzten Studiobühne nur bedeuten, dass das Kasmet-Ballett sein Publikum in die Atemlosigkeit entführt hat. Und fürwahr – was sich da vor den berauschten Augen der Zuschauer von 4 bis 80 darbot, das hatte 'was von Vergiss-die Met-wir-haben-Kasmet! Mario Ivanow – ein märkischer Nurejew, der Mann tanzte wie Farinelli sang, in den höchsten Tönen sozusagen. Die Leichtigkeit, mit der dieser Mann sich bewegt, ist schon beinahe unerträglich – nach dem Genuss seines Tanzes fühlt man sich auf dem Nachhauseweg selbst in erdbehafteter Schwere über das Pavement stolpern, ungelenkig an Geist und Gliedern. Was für ein Gesichtsausdruck, was für eine Mimik! Kinder, nein, also – ehrlich – selbst Gret Palucca wäre wohl baff gewesen und der große Lully hätte sich seinen Dirigentenstab ein zweites Mal durch den Fuß gestoßen, weil er die Augen von diesem Manne nicht wegbekommen hätte. Das Privileg des Hahnes im Korbe musste sich der begnadete Ivanow allerdings mit seinem Sohne teilen, der ganz zum Schluss als Hofnarr die Szene abräumte. Hofnarr? Das war der kleine Louis XIV., der kleinen Sonnenkönig – Attention Mesdames et Messieurs: Der König tanzt! So klein und schon solch eine Präsenz. Muss er wohl auch von der Frau Mama haben. Inga, ach Inga, gab es ein fühlend männlich Wesen im Saal, des' Augen nicht an Ihnen hängen bleiben mussten, gleichsam ertrinkend in ihren zierlichen Sprüngen und Pirouetten. Die Gute Fee gab sie unter anderem. Und wäre sie uns im Theaterpark begegnet, die obligaten drei Wünsche feilbietend – wir hätten auf zweie verzichtet, wir hätten nur einen gehabt: Dich, Inga Lehr-Ivanow noch einmal tanzen zu sehen, Du Sinnbild der Verführung auf zwei Beinen! Die Stieftöchter, Bianca Behrend und Astrid Leth, versuchten in Prokofiews Stück, den Prinzen vergeblich zu umgarnen. Inga Lehr-Iwanovs Choreographie schrieb ihnen und sich selbst – sie gab in einer Doppelbesetzung auch die böse Stiefmutter – ein paar staaksige Einlagen auf die wohlgeformten Erscheinungen, die so herrlich kontrastierten zu der überlangen Nase und den übergroßen Ohren. „Guck mal, Mutti, die können gar nicht richtig tanzen“, ließ sich das naseweise Kind aus der sechsten Reihe vernehmen. Oh doch, mein unwissender Knabe, oh doch! Und wie die tanzen können. Gerade die! Mach das mal nach! Tanz mal so ungelenk und doch so ausdrucksstark, dass es echt aussieht und burlesk und Bände spricht, um gleich im nächsten Augenblick wieder in unübertrefflicher Eleganz die Bühne zu vereinnahmen. Kein einziges Wort Trotzdem weiß selbst das gebannt die Szene verfolgende Vorschulkind, was gerade passiert. Es kann die Charaktere zielsicher zuordnen. Kein überladenes Bühnenbild lenkt ab.
Als sich dann die Tore des Theaters öffneten, das Publikum nach Hause zu entlassen, da hatten viele Erwachsene so ein weiches Lächeln im Gesicht und schienen nicht zu bemerken, dass ihren Kindern und Enkeln eine normale, gehende Fortbewegung nicht mehr möglich war. Das drehte sich, das hüpfte, das ruderte mit den Armen in der Luft. Das hatte die Tanzwut. Das war soeben geimpft worden, ach was, infiziert, von einer Balletttruppe, die das Brandenburger Theater nicht von der Leine lassen sollte, die sie bewachen sollte, wie einst der Drache Fafner den Nibelungenschatz – weil, das war die Hohe Kunst des erzählenden Tanzes. Das war einfach nur – atemberaubend. |
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
01.12.2009