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Ein großer Detektiv nimmt Abschied
Tom Wolf legt mit „Kristallklar“ den letzten ermittelnden Langustier vor

Kotofeij K. Bajun
So spricht der Herr: Bösewicht des friderizianischen Preußen – meide die Begegnung mit dem Zweiten Hofküchenmeister seiner Majestät, Honoré Langustier. Denn der dicke Franzose bringt deine Taten an den lichten Tag. Du aber, Verleger des postmodernen Preußen, ärgere nicht mit zweitrangigen Küchenmeistern und ebensolchen Historikern deinen genialsten Autoren, den geistigen Vater eben jenes besagten Langustier – denn, mag ICH, dein Gott, ihn auch an das kürzere Ende der finanziellen Leine gelegt haben, ich gab ihm dafür den Verstand zu tintenblauer Rache. Ach, wäre es denn das Volk Israel, hätten sie denn je die Gebote des Herren befolgt? Nein, die Mordbuben streichen weiter durch die preußische Provinz Brandenburg, lichtscheue Taten verübend und der ein oder andere Verleger lässt schon mal Recht über seinen gebeutelten Autor sprechen, wie man es im Verlagshause versteht und eine gewisse Advokatin vorträgt, mit der man nötigenfalls den Teufel wegen Eigenbedarfs aus der Hölle klagen könnte. Und nun schreibt der Autor ein Buch, verpflichtet von der blinden Dame mit der Waage und dem Schwert und er schreibt und schreibt – und der Kundige lässt vor diebischem Vergnügen einen Korken nach dem anderen knallen. Für ihn, den Wissenden, liegen die Dinge kristallklar, gerade so wie der Titel des jüngsten Preußenkrimis aus der Feder des congenialen Tom Wolf es verheißt. Unser aller Herr Papa Dr. Tucholsky hatte unseres Wissens letztmalig auf so charmante, witzige und doch messerscharfe Weise mittels seiner vielfach gelesenen Zeilen seinem Verleger, dem Herrn Ernst Rowohlt korrespondiert. Und eigentlich sprach Tucholsky der Große zu allen Verlegern dieser Welt und was er sprach, das hat seither an Wert und Wahrheit nichts eingebüßt. Und nun dies. Eine Gentleman-Affaire auf höchstem, auf sublimstem Niveau. Dem Sujet durchaus angemessen. Es macht Spaß zu lesen, ach was, geben wir es zu, wir fraßen die Seiten wie ein Brueghel'scher Bauer seinen Festtagsbraten.
Langustier ist also hochbetagt in kriminologischer Mission wieder unterwegs, accompaniert dieses Mal von seiner 26jährigen (sic!) Urenkelin Gerardine. Blitzgescheit das Mädel und noch dazu wunderschön. Also lieber Herr Wolf, das gibt’s doch ausschließlich, geben Sie es nur zu, im Feenreich der literarischen Phantasie, nicht wahr? Das ist doch im wahrsten Sinne des Wortes zu schön um wahr zu sein. Und Zeile um Zeile knisternde Erotik um diese junge Frau, die darob nicht mal ihre Glace-Handschuhe ablegen muß, geschweige denn sich entblättert, keine Sottisen, nicht die geringste schlüpfrige Bemerkung – und doch! Man begehrt dieses Vollweib über die Jahrhunderte hinweg, die Agile, die Hosentragende, die Schöne mit dem scharfen Verstand und der urpreußischen Courage. Sie und ihr Uropa werden zu einem Fall delegiert, in den dieses Mal Prinz Heinrich inflektiert ist, dem von Friedrich dem Großen sehr einseitig geliebten jüngeren Bruder, an dem sich die Tragödie zwischen Fritz und dem Soldaten-Vater noch einmal wiederholte – nur diesmal beinahe bis zum bitteren Ende. Ist es ein Wunder, dass sich der Schöngeist Henri nach anderen Gefilden sehnt als nach den preußischen Schlachtfeldern, die ihm sein ungeliebter Bruder ein um das andere Mal aufobtruierte und auf denen er sich desungeachtet so exorbitant glänzend bewährte. Ihm sagt der Autor eine vielleicht nicht ganz unbegründete Ambition auf den amerikanischen Thron nach. Zumindest wird ihm von gewissen Cincinnati-Bruderschafts-Amerikanern eine entsprechende Offerte unterbreitet. Seinen Bruder, den großen Friedrich, würde das unsagbar gefuchst haben – und so sehen wir schon den ersten Anlass, das Geschehen in den Nebel der Buckower Schweiz zu verlegen, wo sich alles einer vorzeitigen Offensichtlichkeit entzieht. Und wieder wird der Wolf'sche Krimi zu einer Melange aus hochintelligenter Unterhaltung, universalem Lehrbuch und Historienabriss mit ausführlichem Glossar. Wiederum feiert sich eine Virtuosität im Gebrauch der deutschen Sprache. Wolf zieht längst eingerostet geglaubte Register dieser gewaltigen Orgel namens Muttersprache, die doch sonst so eklatant auf dem Rückzug ist, dass sich nicht einmal mehr geschulte Fernsehmoderatoren sauber zu artikulieren wissen. Der Haken daran: Wiederum darf sich nur ein Publikum angesprochen fühlen, dessen Bildungshorizont erheblich über dem einer Bockwurst liegt – und diese Zeitgenossen werden in deutschen Landen Tag um Tag geringer an der Zahl. Das mindert die Einnahmen des Autors, seine Bekanntheit und den wohlverdienten Lorbeer. Nichtsdestotrotz, der möglicherweise begnadetste Krimiautor der preußischen Gegenwart wird über kurz über lang zu den verdienten Ehren gelangen. Es kann doch nicht ewig dunkel sein über den Häuptern der Deutschen, irgendwann, wenn sie ihre Nachkriegs-Arroganz abgewirtschaftet haben, wird ihren tumben Schädeln wieder dämmern, was ein geistreiches Buch bedeutet. Und dann bekommt der Name Wolf wieder einen Klang – dessen sind wir uns sicher. Der Name Wolf und die Reihe der Preußenkrimis werden sich erheben wie Wolfs Lalandiere, ein Heißluftballon der ersten Generation, in den der Autor sogar den größten der preußischen Könige kurz vor seinem Tode noch einmal eine bescheidene Luftfahrt unternehmen lässt. Der König hätte gewiss nicht nein gesagt, hätte sein malader Gesundheitszustand dies gestattet. Diese Fiktion verträgt er spielend – wie ganz sicher auch die geneigte, wenn auch handverlesene Leserschaft der Wolf'schen Bücher. Tom Wolf jedenfalls ist wieder ein ganz großer Wurf gelungen, den wir unseren Lesern wärmstens zu empfehlen die Ehre haben.

 
B
8. Volumen

© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
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