Ein
Sommernachtstraum im BT
Kotofeij
K. Bajun
Eine Welt ohne Theater sei ein Irrtum, heißt es. Und was für
einer! Der letzte Märzabend 2009 bewies es. Er bewies, wofür
die Bühne in Brandenburg an der Havel einst gebaut wurde. Nach Jahren
der Abstinenz kehrte der Sommernachtstraum an diese Bühne zurück,
die Mutter aller neuzeitlichen Verwechselungs- und Liebeskomödien,
die Quelle so vieler geflügelter Worte, das Werk des großen
Stratforders – wer immer er gewesen sein mochte. Da wuselten sie
auf der kargen, aber nichtsdestotrotz raffinierten Bühne umher, die
mal den Athener Stadtwald abgab und mal den Hof des Herzogs Theseus, mal
die Spielstätte für die herrlich-tumbe Aufführung der sechs
Athener Handwerker. Diese – das muss gleich anfangs gesagt werden
– kamen von all ihren begnadeten Kollegen am rundesten, am glaubwürdigsten,
am schauspielerisch perfektesten herüber – ein Ensemble im
Ensemble, beinahe die Haupt- zu Randfiguren umschreibend, sie fast erdrückend
mit unglaublicher mimischer Präsenz. Quirlig-blöde, tapsig und
aufgeregt, sechs Dumme Augusts von solcher Originalität, solcher
unaufdringlichen Komik... Gibt es intelligenten Klamauk? Es gibt ihn.
Wir haben ihn gesehen. Nicht bei Ohnsorgs. Gott bewahre, die wissen gar
nicht, was das sein soll. Hier. Hier in Brandenburg! Hier präsentierte
sich sublimste Psychologie und Menschenkenntnis im Gewand burlesker Schrulligkeit.
Aus der Feder Williams des Größten und dargeboten von wunderbaren
Künstlern: Wie er sich dezent auffällig müht, der Schneider
Schlucker (Matthias Hörnke), sich als Thisbes Mutter einen überdimensionalen
BH anzulegen, ihn unbeholfen über die Ohren stülpt, bis aus
ihm ein rechtschaffener Mond wird. Die Mädchen im Publikum quieken.
Stumpf rezitiert ein grober Bälgenflicker Flaut (Frank Bettinger)
das zärtlichste Liebesgeflüster – das Quieken geht in
ein leises Röcheln über. Die ersten Tränen fließen.
Aufgeregt wie ein HB-Männchen, eine einzige Parodie auf alle halb
dem Wahnsinn verfallenen Regisseure dieser Welt, hüpft ein neurotischer
Zimmermann Squenz (Tobias Rott) über die Bühne und leidet an
der Dummheit seiner Kameraden und ist doch kein Deut besser und kassiert
Getrampel und Gejohle dafür beim Schlussapplaus. Und dann, zum Ende
hin, da singen sie, a capella singen sie, die Clowns, die Hanswurste und
sie singen, dass man ergriffen ist..., was für ein Bass ganz vorne!,
und sie halten ihre Einsätze und es ist so ein Ernst in ihren Stimmen,
kein gejuxtes Tremolieren, urplötzlich wechseln sie scheinbar spielend
das Fach, sie jagen einem Schauer über den Rücken.
Die Wälder um Athen herum, ist das nicht die natürliche Heimat
der attischen Faune, der Söhne Pans? Denen haben die Nymphen Hermia
(Nicoline Schubert), Helena (Caroline Lux) und Hippolyta/ Titania (Anne
Lebinsky) eine besondere Freude gemacht. Da leuchteten Augenpaare! Besonders
bei den beiden Freundinnen Helena und Hermia dominierte so eine laszive
und doch sirenenhafte Unschuld … „und wenn sie verbrennen,
ja dafür kann ich nichts“. Doch, doch meine Damen, dafür
können sie wohl – und das wissen Sie! Anne Lebinsky –
ach wie sich das mit Zetteln räkelt, die pure, die animalische Wollust
– Aphrodite, Frau Lebinsky, hätte nicht sitzen dürfen
im Publikum – die hätte sich das gewiss nicht gefallen lassen,
dass eine Schauspielerin ihr solche Konkurrenz macht. Hatte doch die Göttin
seinerzeit mit Phrynen schon genug Theater, mit Verlaub. Leider fristete
unser Brandenburger Harald Arnold in seiner Rolle als Egeus nur ein von
der Besetzung anbefohlenes Schattendasein. Nun gut, es war eine Aufführung
des Hans-Otto-Theaters – aber Arnold mit all seiner Professionalität
hätte mehr verdient als den Egeus. Als Oberon hätte er sicherlich
auch geglänzt, doch war der Elfenkönig mit Michael Scherff keineswegs
fehlbesetzt. Ganz Puck geisterte eine blickfangende Sabine Scholze durch
die spröde Athener Forst – wirklich pfiffig die Idee, den Verzauberer
des Webers Zettel selbst zu dessen Eselskopf zu machen. Sie ist aber auch
eine Süße, dieser kleine Kugelblitz mit dem ausgewiesenen Talent.
War sie nicht auch die würdige Frau von Briest, und das Fräulein
Andacht bei Kästners Pünktchen und Anton? Das sind Rollen, die
vergisst man nicht. Und jetzt also den Puck dazu, den Robin Goodfellow,
den kleinen schabernackigen Troll. Welche Bandbreite – und wie souverän!
Gleichwohl das Ensemble in moderner Couture einherkam, störte das
nicht. Die Leistung der Mimen machte die Sehnsucht nach einer gediegenen
Kulisse vergessen. Wieder wurde man durch die karge und dennoch dynamische
Bühnenarchitektur auf die Darsteller fixiert, die leider manchmal
etwas weit auseinander agierten. Man wünschte sich zeitweise Komplexaugen
um nichts, keine Regung, keine Geste zu verpassen. Dennoch schien eine
opulente Staffage entbehrlich: Ganz im Gegenteil – gerade das junge
Publikum wurde von der Art des dargebotenen Klassikers ins Stück
hineingezogen, kichernd, lachend, gebannt. Hier ließen die Mimen
lebendig spüren, was die Bühne von der Fernsehröhre so
wohltuend unterscheidet. Wer nach der Glotze süchtig ist, der ist
arm dran – wer aber den Sommernachtstraum des Hans-Otto-Theaters
noch mal und noch mal und am liebsten gleich noch mal sehen würde,
wer nach dem letzten Vorhang mit einem festgefrorenen beseligten Grinsen
ins Foyer und der Garderobe zu entschwebte – der darf sich gewiss
zu den Glücklichen zählen. Zu den Glücklichen, die den
Traum einer attischen Sommernacht mitträumen durften in einer Brandenburger
Theaternacht, begleitet von der schmalen Sichel eines echten, zunehmenden
Frühlingsmondes.
|