Wollhandkrabbe und Eurotunnel
Thomas Schulz eröffnet Akustik-Ausstellung
in der Brennabor-Kunsthalle
Michael L. Hübner
Was ist eine akustische Skulptur?
Wer das herausbekommen möchte, dem öffnen sich seit Freitag
die Brennabor-Kunsthallen zu einer ungewöhnlichen Exposition. Thomas
Schulz, international renommierter Tonkünstler, stellte auf seiner
Vernissage Skulpturen und Installationen vor, die auf den ersten Blick
verwirren. Schon der Untertitel: "Das organisierte Versprechen in
den Stimmen der Seezunge" mutet kryptisch an. Dann aber ergibt es
peu a peu ein Sinn: Alles dreht sich irgendwie ums Wasser, dem Element,
dem wir entstammen und das wir nach all den Milliarden Jahren der Evolution
noch immer vorzugsweise in uns tragen. Es ist gleichsam eine Werkschau,
wie einer der Laudatoren, Dr. Christoph Metzger bemerkte. Eine Werkschau
aus dem über 25jährigen Schaffen eines Künstlers, der bereits
den Eurotunnel unter dem Ärmelkanal akustisch auslotete und das Jahrhundertbauwerk
in seiner Entstehungsphase bespielte. Relikte dieses Schaffens finden
sich in einer s-förmigen, verschraubten Pipeline, aus deren unergründlicher
Tiefe die Baugeräusche vom Tunnel empor quellen. Ebenfalls auf den
Tunnel nimmt ein weiteres Stück Bezug, eine Art Wandgemälde:
Ein riesiger ausrangierter Bohrkopf leuchtet dem Betrachter aus einer
Glaskugel entgegen, die einst das Grab eines Friedhofes schmückte.
Über den gelangten die Bauarbeiter damals zur Baustelle...
Dann aber durchziehen Drähte den Raum. Thomas Schulz, ein Urenkel
Rainer Maria Rilkes übrigens, dem die lange, hagere Gestalt des berühmten
Ahnen und dessen Liebe zur Sprache auf Schritt und Tritt anzumerken sind,
greift einen Cello-Bogen und bespielt diese langen, kabelähnlichen
Strings. Der Raum beginnt sich mit beinahe mystischen Klängen zu
füllen. Im Hintergrund laufen drei riesige Videoinstallationen zum
Thema Landschaft, Mannschaft und Kreatur. Und alle haben sie mit dem Wasser
zu tun: Die Landschaften wurden dem Gülper und dem Hohennauener See
sowie der Elbe entlehnt, man sieht Schulzes Freund, den Strodehner Fischer
Wolfgang Schröder bei der schweren Arbeit, man sieht die Fische und
die Wollhandkrabben, die als Wildimport über den Hamburger Hafen
aus Asien eingewandert sind und die als gefischter Nahrungsmittelexport
ihren Weg zurück nach Asien antreten. Schulz besingt die Natur und
er lässt die Natur sich selbst besingen. Doch sein eigentliches Material
ist die Sprache. Aus seiner Zeit als akkreditierter Assistent am Straßburger
Europaparlament stammt eine Sprachinstallation, die das polyglotte, das
nahezu babylonische Stimmengewirr des täglichen Parlamentsbetriebes
reflektiert. Die Kunst des 57jährigen Schulz, der schon mal als akustischer
Bildhauer charakterisiert wird und bereits in New York, Dresden, Donaueschingen,
Berlin, Montreal, Antwerpen, Aachen, Frankfurt am Main, Hamburg, Paris
und Kassel ausstellte, hätte wahrscheinlich die Ausstellungshallen
des Big Apple zum Überborden gebracht. Brandenburg an der Havel ist
zwar nicht New York am Hudson, wer aber dennoch auf metropolitane „neuropäische“
Kunst neugierige ist, kann sich noch bis zum 27. 2. in den Brennabor-Hallen
inspirieren lassen. |