Traumfresserchens
Abgesang
Brandenburger Theater führte vorläufig
letztes Traumfresserchen auf
Kotofeij K. Bajun
Traumfänger sind ja seit einiger
Zeit im Schwange. Sie sollen nach indianischer Überzeugung vor bösen
Träumen schützen. Na, wer's glaubt... In Michael Endes Kinder-Theaterstück
bedarf man dieser Staubfänger nicht. Hier erledigt das Traumfresserchen
den Job, ernährt sich von bösen Träumen, lebt zurückgezogen
im Keller des Königsschlosses von Schlummerland. Eine naseweise und
bornierte Prinzessin verjagt es aus seinem Domizil – und erhält
dafür postwendend die Quittung: Ab jetzt sind Albträume an der
Tages- oder besser Nachtordnung. Es ist nicht leicht, das segensreiche
Traumfresserchen zur Rückkehr an seinen einstigen Stammsitz zu bewegen
– der König schafft es letztendlich – was wäre er
sonst für ein König! Die Geschichte ist allerliebst –
sie ist ein kleines Juwel der Puppenbühne.
Ob die Kinder mitbekamen, welch ungeheuer fein abgestimmtes Räderwerk
hinter der 16. und dabei leider vorläufig letzten Aufführung
von Michael Endes „Traumfresserchen“ steckte? Welchen Aufwand
das Brandenburger Theater betrieb, um den kleinen Rangen einen schönen
Abend zu gestalten. So weh es dem Landboten tut einen Abgesang auf dieses
wunderbare Stück singen zu müssen, so gerne hätte er die
paar Gören in Traumfresserchens Kessel expediert, die da ununterbrochen
quengelten: „Mama, wann is'n det endlich zu Ende?“ Das ist
die „Generation Playstation, die Generation „Fernsehverblödung“,
die „Hyperaktiven“, in die man schon mit fünf Jahren
täglich sedierende Chemie hineinstopfen muss, um sie für ihre
Mitwelt erträglich zu halten und an die jegliche Ende'sche Kunst
verschwendet ist. Denn was das Theater dort meisterhaft, entzückend
und verzaubernd umsetzte, war hohe und höchste Bühnenkunst,
war eine Einladung an kindliche Phantasie, war ein Märchen, gehaltvoll
und unterhaltend zugleich. Aus Michael Endes Feder stammt es. Das ist
der leider viel zu früh verstorbene Mann, dessen Einfallsreichtum
beinahe unerschöpflich war und der ein um das andere Mal ein Hohelied
auf die Phantasie anstimmte. Ohne sie könnten wir die Dinge nicht
nutzen, die unsere Sinne nicht erfassen vermögen und die doch aus
unserem Leben nicht mehr wegzudenken sind – seien es die Radiowellen
oder der elektrische Strom. Phantasie, die vom täglich aus der Glotze
herausrieselnden, geistlosen Privatsender-Programm und den Computerspielen
planmäßig abgetötet wird, wie man in erschreckender Weise
bei dem jungen Publikum bemerkte. Selbst Herrn GMD Helmraths Dirigat hätte
es wohl nicht mehr gerissen, so wenig wie die lieblichen Stimmen von Esther
Puzak oder Elisabeth Umierski – die kräftig-mannhaften Sangesbeiträge
von Klaus Uhlemann, Hausschauspieler Harald Arnold und Maximilian von
Mayenburg. Die kleinen Rangen haben dafür keine Ohren mehr. Ihre
Welt ist voller nervtötendem Geballer, sinnlosem Machtgehabe von
Fernseh-Monstern, die den armen Wichten für ein paar Momente eine
Identifikationsmöglichkeit bieten und damit deren Ohnmachtserleben
samt den damit unweigerlich gepaarten Minderwertigkeitskomplexen kompensieren.
Was soll ihnen eine Prinzessin, was König und Königin –
was ein wundervolles, zum Verlieben schönes Traumfresserchen? Es
ist ihnen fremd. Der am Ende verabschiedete Wolfgang Rudolph, die beiden
Kusiors und Katha Seyffert kamen, wie es im Parkett aussah, trotz hervorragender
Spielleistung nicht gegen die gezüchtete Leere in manchen kindlichen
Köpfen ihres Publikums an. Es war und ist trotz alledem ein großartiges
Kunstmärchen, es war eine großartige Vorstellung – begleitet
von einem phantastischen Orchester – den brandenburgischen Symphonikern.
Kinder brauchen Märchen? Mag sein. Zumindest dachten wir das immer.
Die aber, welche das Ende dieses Stückes herbeisehnten, die brauchen
eine Playsi, eine Wii, geistlose Ballerspiele. Bei denen ist Hopfen und
Malz verloren. Es ist so schade! Deutschland hätte Grund zur Hoffnung,
wenn alle anwesenden Kinder dem Stück so atemlos gefolgt wären,
wie das Stück es verdient hätte. Aber noch ist Polen nicht verloren:
Oben, vom Rang aus, da sah man auch andere Kinder – Kinder deren
Augen noch leuchteten, die mitgingen, die sich in das Stück hineinziehen
ließen, selbst vierzehnjährige Mädchen darunter. Doch,
doch – es gab sie und der Applaus am Schluss hat uns wieder versöhnt.
Besonders die Verabschiedung von Wolfgang Rudolph, dem Wendeaktivisten,
fiel mit stürmischer Heftigkeit aus und bewies die Wertschätzung
eines Mannes, der zu den Besonderen zählt, zu denen, die mit einem
großen Herzen begabt sind. So wie Michael Ende – der Autor,
der einem schönen Traumfresserchen das Theaterleben schenkte, für
Kinder, die Augen haben, diese Schönheit zu sehen. |