Wisch
und Weg
Der gesunde Zugang einer Putzfrau zu schwer verständlicher
Kunst
J. -F. S. Lemarcou
Jüngst kam der Kollege Bajun
in die Redaktion und stellte eine kleine Flasche Sekt auf den Tisch. Die
sei, so erklärte er, die Entschuldigung eines Brandenburger Großmarktes
dafür, dass man ihm einen Kasten Bier mehr berechnet habe, als er
tatsächlich gekauft habe. Nun begann das Gezänk, welches Ereignis
es wohl wert wäre, es mit dem Fläschchen zu begießen.
Ein Gott hatte Erbarmen und sandte uns die Meldung über den Ticker,
dass eine Putzfrau im Dortmunder Ostwall-Museum eine Installation, Skulptur
oder weiß der Teufel was versaut hatte, nachdem sie einige Kalk-Flecken
an dem mit 800.000 Euro versicherten Holzgestell mit Gummibottich von
Martin Kippenberger weggeschrubbt hatte. "Wenn's anfängt, durch
die Decke zu tropfen" hieß das Gerät, das uns an den Versuch
des Nachbaus eines in seiner Funktionsweise unverstandenen Optischen Telegrafen
durch einen Sechsjährigen erinnert. Das Werk sei irreversibel zerstört.
Bei uns knirschen derweil die Dielen, weil wir uns schier vor Lachen auf
ihnen wälzen. Herr Barbagrigia japst etwas von 1988 und Joseph Beuys
und wir erinnern uns der legendären Putzfrau, die seinerzeit einem
Fettfleck akribisch zu Leibe rückte und damit den selbstverliebten
Hutträger samt seiner abgedrehten Jünger zur Verzweiflung trieb.
Vom Himmel her lächelt uns Hans Christian Andersen zu und winkt mit
seinem von uns so oft schon zitierten Märchen vom Kaiser und seinen
neuen Kleidern. Und – berichteten wir nicht erst in unserer Ausgabe
vom 6. September diesen Jahres vom Kölner Beltracchi-Prozess, der
den Narren die Maske vom Gesicht riß und die modernen "Künstler"
sowie die verschmockte Szene um sie herum der Lächerlichkeit preisgab?
Wir sehen uns um in der Redaktion – da hängt das "Bildnis
eines alten Mannes" von Salomon Koninck. Hätte die Putzfrau,
und sei sie ein ungebildetes Bauernmädchen aus Anatolien, dem die
Nase weggewischt? Hätte sie – auch als fromme Tochter Davids
– das Tönniesferkel aus der Meditation des Heiligen Antonius
entfernt, das Hieronymus Bosch so kunstvoll und lieblich gemalt hat? Würde
sie der kleinen schlafenden Holzkatze eines unbekannten Künstlers
die Ohren abraspeln? Oder der Mutter Bastet das Sistrum aus der göttlichen
Hand nehmen, um es im Mülleimer verschwinden lassen? Nein, nein und
wieder nein. Wir können das alles mit der größten Sicherheit
verneinen. Denn die Putzfrau ist ja keine Kunstbanausin, Vandalin oder
mutwillige Zerstörerin. Sie ist eine sehr gründliche, penible
Putzfrau, die ihre Arbeit ernst nimmt und präzise ausführt.
Wir ziehen den Hut vor der Dame. Es ist nicht ihre Schuld, dass ihr sicher
bodenständig gebliebener Geist offenkundigen Unsinn eben nicht anders
interpretieren will, als er sich darstellt: nämlich als offenkundiger
Unsinn! Boshafterweise könnte man mutmaßen, das für das
oben erwähnte Thema: "Wenn's anfängt, durch die Decke zu
tropfen" so mancher Vertreter dieser Art Kunst nur sein eigenes –
nein, nicht lorbeergekröntes – Haupt ausstellen müsste,
um diesen Satz hinreichend zu illustrieren.
Die geschädigten Künstler sollten sich dagegen diesen wiederholten
Anschlag auf ihr Opus zum Anlass nehmen, noch einmal gründlich darüber
nachzudenken, auf welche Art und Weise sie etwas mit ihrer Kunst ausdrücken
wollen. Kunst ist nur dann sinnvoll, wenn sie verstanden wird. Dass man
sie verschieden interpretieren können soll, tut dieser Prämisse
keinen Abbruch.
Wir sind konservative Menschen. Das heißt aber nicht, dass wir Neuem
nicht grundsätzlich offen gegenüber träten, wenn es in
einer Form einher kommt, deren Deutung uns nicht permanent in die Hölle
des Sinnfreien und Interpretationsbedürftigen entführt. In eine
Hölle, in der wir das Gefühl nicht los werden, dass entweder
ein intelligenter Künstler seinen Schabernack mit uns treiben will
oder uns ein Umnachteter mit dem Auswurf seines verworrenen Geistes quält.
Konservativ zu sein schließt Eklektizismus nicht aus. Dieser Profilneurotiker
aber wird man wohl nie Herr werden. Das beste, was uns diesbezüglich
passieren kann, ist eine gewissenhafte Putzfrau, die den Krempel einfach
wegwischt. |