Die
Russen sind da
Klaus Büstrin und Hans-Jochen Röhrig
lasen aus Tagebuchaufzeichnungen
Hans-Jochen Röhrig und Klaus Büstrin
im Brandenburger Theater an der Grabenpromenade
Michael L. Hübner
Das Sujet ging unter die Haut.
Was Klaus Büstrin und Hans-Jochen Röhrig im Rahmen der Märkischen
Leselust am Sonntag, dem 10.11. vortrugen, rief sicher bei manchen der
zwanzig Besucher am Theaterpark unangenehme Erinnerungen an die letzten
Tage des Krieges wach. Nur 20? Auf der benachbarten Studiobühne war
das Kabarett Obelisk Potsdam zeitgleich mit seinem Programm "Filmriss"
unterwegs und saugte offensichtlich den Klassikern die Zuhörer ab.
Schade war's, denn was die beiden Koryphäen Büstrin und Röhrig
vortrugen, das hätte vor dem Hintergrund der aktuellen rechtsextremistischen
Gewalttaten mehr Publikum verdient, vor allem Vertreter jüngerer
Generationen. "Die Russen sind da, Kriegsalltag und Neubeginn 1945
in Tagebüchern aus Brandenburg" heißt ein Buch das Peter
Böthig und Peter Walther im Berliner Lukas Verlag vor einem Jahr
herausbrachten. Es enthält Tagebuchaufzeichnungen von deutschen Augenzeugen,
aus denen die beiden Stars der brandenburgischen Kulturszene mit gewohnter
Professionalität vortrugen. Mag man sich an Filmaufzeichnungen aus
dieser Epoche übergesehen haben – die Berichte einfacher Leute
führen erschreckend nah an das damalige Zeitgeschehen, welches das
Unterste zu oberst kehrte. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Die Zwangsarbeiter,
die Polen, die siegreichen Russen... all jene, die von den braunen Herrenmenschen
zwölf Jahre lang als Ungeziefer diffamiert worden waren, hatten nun
das Sagen. Und sie machten Gebrauch von ihrer neuen Macht. Sie zahlten
heim. Die Weltkriegsverlierer mussten kuschen. Doch nicht die NSDAP-Bonzen,
die SS, die Gestapo oder die Einsatzgruppen zahlten mehrheitlich den Preis
ihrer Verbrechen, sondern die Leute von der Straße. Massenselbstmorde,
willkürliche Erschießungen deutscher Männer selbst nach
der Kapitulation, grauenhafte Vergewaltigungsorgien besoffener und hasserfüllt
aufgeputschter Rotarmisten an deutschen Mädchen und Frauen, angsterfüllte
Nächte in Hauskellern, während die Rote Armee in der Guten Stube
Kasatschok tanzte und die Reste des noch nicht geplünderten Hausstands
zertrümmerte, all das mussten die ausbaden, deren Schuld noch am
geringsten gewesen war. Die Täter waren längst auf der Rattenlinie
unterwegs nach Südamerika. Büstrin und Röhrig deklamierten
die Tagebucheintragungen so lebendig, dass der Schrecken der ersten Maitage
des Jahres 1945, aufgezeichnet von normalen Menschen in brillantem und
bildungsbürgerlichem Deutsch, Gestalt annahm. Dezente und feinfühlige
Begleitung erfuhren sie durch den Pianisten Christian Deichstetter, der
die sechsundsechzig Jahre alten Aufzeichnungen musikalisch übersetzte. |