Liebe gegeben – den Tod geerntet
Im Kreuzgang gelesen stellte Kleist's „Findling“
vor
Marion Wiegmann und Mr Edin Burgh
Kotofeij
K. Bajun
Kleist, Kleist! Warum nur hast du dich erschossen! Was hätte dieser
Titan der deutschen Sprache seinem Volke noch zu geben vermocht! Der zerbrochene
Krug, das Käthchen von Heilbronn, die Marquise von O. ..., all die
unsterblichen Werke künden von der erzählerischen Wucht, dem
sprachlich - gestalterischen Genie des Frankfurter Musensohns. Und es
wird klar, was das Deutsche eingebüßt hat, seit es im Informationszeitalter
auf SMS-Größe verkrüppelt wurde.
Am Abend des 11. November trug Marion Wiegmann Kleists Geschichte "Der
Findling" im warmen Halbdunkel des Dominikaner-Kreuzgangs zu St.
Pauli vor. Begleitet wurde sie von dem hervorragenden Violinisten Mr.
Edin Burgh, der – kein Kalauer – aus der gleichnamigen Hauptstadt
Schottlands stammt. Ach, Frau Wiegmann... Wer bislang glaubte, lesen zu
können, der muss Marion Wiegmann hören. Sie kann lesen. Der
Rest buchstabiert. All die Höhen und Tiefen der dramatischen Erzählung
bringt sie als Eine-Frau-Ensemble auf die Bühne. Sie gestikuliert
mit Stimme und Händen. Der Strang der Handlung wird von der Tonalität
von Frau Wigmanns Stimme getragen. Kleists Sprache ist eine Orgel? Frau
Wiegmann ist die Organistin. Und sie traktiert dieses Instrument im Duett,
da sie ihre eigene Stimme zu einem ebensolchen Instrument gestaltet.
Kleist malt Psychogramme – seine Interpretin Marion Wiegmann malt
die dazugehörigen Bilder. Und ein von Grund auf sympathischer Musiker
mit dem Blut der Lowlands in den Adern, streichelt seine Violine dazu.
Es quietscht nicht, es kratzt nicht...es geht ins Herz. Ein paar Themata
aus dem Don Giovanni von Mozart hat Mr Burgh selbst variiert und in den
Fluss der Erzählung eingepasst. Voller Harmonien noch schmeicheln
sich die holden Töne in die Ohren, zum Anfang, als sich alles glücklich
zu fügen scheint. Dann aber: mehr und mehr angereichert mit Dissonanzen,
als die Persönlichkeit des Protagonisten tiefer und tiefer in die
Schatten menschlicher Abgründe gleitet. Als Kleist schrieb, war Freud
noch nicht geboren – doch die Werke Kleists nahmen die Erkenntnisse
des Wiener Psychologen vorweg. Beide, Frau Wiegmann und Mr Burgh setzten
diesen nicht eben leicht zu transportierenden Inhalt mit einem wahrhaft
untrüglichen Instinkt und großen Können um, und mit etwas,
das sich vielleicht mit "zarter Verve" beschreiben lässt.
Dem Stück selbst ist kein glücklicher Ausgang beschieden. Zu
genau kannte Kleist die Menschen, an denen er letzten Endes scheiterte.
Güte wird mit brutalem Undank und verdorbenem Eigennutz vergolten.
Elende Ränke, gegoren aus kleinlichem Hass...- und der Tod bringt
vielfache Ernte ein. Der Geist des Schauderns weht durch die alten Gewölbe
des Kreuzgangs. Doch das Brandenburger Theater, schmal budgetiert, hat
sich mit seiner kleinen, quasi Kabinettreihe "Im Kreuzgang gelesen"
ein eigenes Format von Format geschaffen, ein Stück "Haute Culture"
sozusagen, einen Festschmaus für das intellektuelle Brandenburg.
Danke Frau Wiegmann and Thanks a lot, Mr Burgh. |