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Es
steht ein Haus in Hohenstücken
dem leidenschaftlichen Engagement von T. H. und
N. S. gewidmet
Kotofeij K. Bajun
Skeptiker nennen das Bürgerhaus
Hohenstücken der Stadt Brandenburg an der Havel eine europäische
Geldvernichtungsmaschine. Ein hartes Urteil. Das mit einem Aufwand von
über fünf Millionen Euro umgestaltete Schulgebäude im Zentrum
des Neubaugebietes wurde 2007 einem Stadtteil übergeben, der einst,
in den Zeiten der DDR, zu den begehrtesten Wohnvierteln der Havelstadt
zählte. Nach der Wende aber zogen die Leistungsträger der DDR-Gesellschaft,
die sich dazumal in Hohenstücken einmieten konnten, fluchtartig in
die neu entstehenden Eigenheimsiedlungen an der Brandenburger Peripherie
oder in die sanierten Innenstadtwohnungen. Zurück blieben einige
Lokalpatrioten, die sozial Schwachen und die Zuzügler aus den Tiefen
der Sowjetunion. Für die sollte und musste etwas getan werden, wollte
man nicht zulassen, dass der Neubaubezirk zu einer Art Bronx degenerierte.
Erste Anzeichen waren unverkennbar.
Die Idee bestand nun darin, dem sterbenden Quartier einen kulturellen
Mittelpunkt angedeihen zu lassen, der während des Entstehens des
Stadtbezirks zwar angedacht, aber aus Kostengründen nie realisiert
wurde.
In diesem Zentrum sollten sich sowohl Strukturen und Ansprechpartner der
Stadtverwaltung finden, als auch das vielfältige Vereinsleben der
Stadt und des Problembezirks gebündelt repräsentiert werden.
Die damalige Linken-Sozialbeigeordnete Birgit Hübner war der unbestrittene
Motor dieses Vorhabens, das sie mit ungeheurem Elan gegen viele konservative
Widerstände aus der Stadt durchsetzte, die dem Projekt zwar nicht
den Sinn, wohl aber die Effizienz absprachen.
Ein großer Teil der Argumentation dieser Kritiker fußte auf
der Tatsache, dass jenes Bürgerhaus eine Kopfgeburt der Beigeordneten
und ihres engsten Stabes gewesen war und sich eben weder aus basisbeheimateten
Initiativen der betroffenen Bevölkerung herleitete noch von diesen
gespeist wurde. Das Angebot wurde den Menschen quasi übergestülpt
und man konnte sich nun nolens volens mit ihm arrangieren, wenn man es
denn wahrnahm.
Dem Fachbereich der Beigeordneten unterstellte Abteilungen der städtischen
Verwaltung, wie die Streetworker und die Jugendgerichtshilfe, bekamen
Räumlichkeiten im Hause zugewiesen. Eine mitunter besetzte Polizeipräsenz
wurde eingemietet, die regelmäßig dann bemerkt wurde, wenn
sie ihr Polizeiauto gesetzeswidrig in der Feuerwehrzufahrt parkte und
mit den Revier-Politessen schäkerte. Darüber hinaus nahmen 12
Vereine Quartier im Hause. Letztere berichteten, dass diese neue Adressierung
mitunter, sagen wir mal, nicht ohne einen gewissen diplomatischen Druck
vonstatten ging, indem den Vereinen in Aussicht gestellt wurde, bei Bezug
ihres neuen, von der Beigeordneten „angeregten“ Quartiers
auch weiterhin von der städtisch-finanziellen Unterstützung
profitieren zu können...
Was besonders aufregte, war der Umstand, dass normale Abläufe regelrecht
auf den Kopf gestellt wurden: Mehr als einmal konstatierten ungläubige
Beobachter, dass da nicht etwa einer rief: „Ich habe ein Projekt
und brauche für dessen Umsetzung Geld!“, sondern, dass die
Beigeordnete verkündete: „Wir müssen bis zu einem bestimmten
Datum das Geld umgesetzt haben – liefern Sie uns Projekte!“
Das Geld aber kam aus dem Europäischen Bund-Länder-Kommunen
Fonds „Die Soziale Stadt“, der eben zu dem Zweck aufgelegt
worden war, das Abgleiten solcher Problembezirke wie Hohenstücken
in die soziale Randständigkeit zu vermeiden. Die Zustände erinnerten
mehr und mehr an die Planwirtschaft der untergegangenen DDR: Projektnehmer
lieferten Berichte über ihre Arbeit, welche diese in so schöner
Beleuchtung erstrahlen ließen, wie das Fleisch an der Metzger-Theke
im Supermarkt. Es musste die Trommel gerührt, Fotos geknipst und
die Presse herbeizitiert werden, um deren Reportagen in die Berichterstattung
einfließen lassen zu können. Teure Gutachten, die das Erreichte
fernab von jedem Realitätsbezug bejubelten und eine Resonanz in der
Bevölkerung reklamierten, die so nie existierte, untermauerten das
Potjemkinsche Treiben.
Die, an die sich das gutgemeinte Vorhaben richtete, die sozial Abgerutschten,
die Behinderten, die Ausländer, die Immigranten, die allzu jungen
Mütter und deren ausbildungsfreie und damit erwerbsunfähige
Galane brachten den an sie gerichteten Angeboten gegenüber mehrheitlich
bestenfalls Unverständnis auf. Für sie und die alkoholisierten
Penner auf dem Markt, dem Bürgerhause vis a vis, zählte lediglich
Bares oder konkrete Angebote, wie sie beispielsweise die Jugendgerichtshilfe
oder die Streetworker parat hielten, wenn kriminelle Aktivitäten
wieder einmal staatliche Sanktionen nach sich zogen. Engagement in den
ortsansässigen Vereinen? Zusammenkunft von Menschen unterschiedlichen
Alters, sozialer und nationaler Herkunft, Behinderten und Nichtbehinderten
bei der Umsetzung gemeinsamer Ideen?
Die von Birgit Hübner immer wieder beschworene Vernetzung der ansässigen
Vereine erwies sich im erwünschten Maße als nicht durchsetzbar.
Der Gedanke war gut: Kompetenzen sollten gebündelt, Ressourcen gemeinsam
und kostenschonend genutzt werden.
Das alles blieb im Großen und Ganzen ein frommer und unrealistischer
Traum, für den Europa, der Bund, das Land und die Stadt eine Menge
Geld bezahlte. Die Donatoren bezahlten auch Gutachten, die von der Berliner
Werkstatt für Fortbildung, Praxisbegleitung und Forschung im sozialen
Bereich gGmbH Camino erstellt wurden und eine bemerkenswerte Akzeptanz
des Bürgerhauses im Stadtteil konstatierten, während zeitgleich
intellektuell nicht ganz so besattelte Hohenstückener das bunte Haus
mit fluchendem Blöken verließen, weil sie dessen gewahr wurden,
dass das Bürgerhaus eben keinen Gang ins innerstädtisch gelegene
Rathaus ersetzt. Was im Hause wirklich angeboten wurde, war ihnen mehrheitlich
vollkommen egal.
All die Feste, die Birgit Hübner bei jeder sich bietenden Gelegenheit
für das Hohenstückener Zielpublikum organisieren ließ,
widerspiegelten die Misere deutlich: Nicht die Bürger organisierten
aus eigenem Antrieb den Allotria, er wurde „von oben“ administriert.
So etwas kann auf Dauer nicht gut gehen, weil sich Initiativen von „oben“
ohne Verinnerlichung von „unten“ eben nun mal in aller Regel
nicht tragen. Der Impetus, dass die Platzierung und die Reihenfolge von
Logos der Donatoren auf Geschäftspapieren und Darstellungen der Projekte
einen höheren Stellenwert einzunehmen begannen als die Projekte selbst,
wirkte sich lähmend auf den Gesamtablauf der Dinge aus.
Daher setzte sich auch bald die Ansicht durch, dass sich der vermeintliche
Selbstläufer „Bürgerhaus“ mit dem Abgang seines
spiritus rector, der Beigeordneten Hübner, in absehbarer Zeit selbst
erledigt haben wird. Die Beigeordnete verließ zuerst ihre Partei
und dann den Sozialminister-Sessel der Stadtverwaltung. Ihr Ressort wurde
vom Stadtkämmerer, Bürgermeister und CDU-Mann Steffen Scheller
übernommen. Die CDU und ihre Protagonisten gehörten seit jeher
zu den eingangs erwähnten Skeptikern – die ersten Risse im
Gemäuer ließen nicht lange auf sich warten. Fort waren die
städtischen Streetworker. Das kleine Restaurant, das bereits vor
einiger Zeit geschlossen hatte, verkündete Leerstand. Projekte für
Langzeitarbeitslose von Seiten des Arbeitsamtes wurden ausgedünnt.
Die Projekte betreuenden, hauptamtlich arbeitenden Mitarbeiter von Träger-Vereinen
wurden in die Arbeitslosigkeit entlassen. Der zu Silvester 2010/2011 gesprengte
Hausbriefkasten kündet als trauriges Monument vom beginnenden Verfall
sowohl des Hauses als auch seiner Funktion. Schon fehlt eine Plakette,
mit der das Haus gleich eingangs auf seine Verdienste hinwies. Mitunter
meint man in die melancholische, beinahe barocke Stimmung hinein Ruthenisches
Salzkraut, das auch als Steppenroller oder Tumbleweed bekannt ist, über
die trostlose Szene kullern zu sehen. Sic transit gloria mundi; o vanitas
vanitatum, ubi sunt laurae triumphales?
Das ist insofern tragisch, als dass das Gesamtprojekt Bürgerhaus
durchaus das Potential hat, die Trostlosigkeit eines als Arbeiterschlafregal
konzipierten Wohnviertels ohne nennenswertem kulturellem Angebot aufzubrechen.
Sinnvolle Offerten zur Lebens- und Freizeitgestaltung für diejenigen,
die sonst kaum noch Anschluss an die Gesellschaft finden, sind nötig.
Denn die Zukunft einer Gesellschaft bemisst sich an ihrem Umgang mit denen,
die nicht in der Lage sind, der Zeit ihr Gepräge aufzudrücken.
Der Umgang mit den Kindern, die mangels finanzieller Möglichkeiten
ihrer Eltern sonst nichts erleben können als Tristesse, bestimmt
deren zukünftige Verhaltenstendenz. Die Wertschätzung der Alten,
die ihren Teil dazu beigetragen haben, dass die Erwerbsgeneration in Wohlstand
und Luxus lebt, garantiert dieser ein würdevolles Leben, wenn sie
selbst nicht mehr schaffen können. Die Integration von Neubürgern,
Behinderten oder sozial Schwachen ist unabdingbar für eine Demokratie,
die sich vom Auslesegedanken faschistoider Herrschaftsformen distanzieren
will, welche sich seit den Tagen Spartas noch nie als dauerhaft überlebensfähig
erwiesen haben. Daher zieht der Preußische Landbote seinen Dreispitz
in aller erster Linie nicht vor denen, die das Haus einst mit Gewalt „beatmeten“
– der Ausdruck fiel wirklich und beschreibt den Vitalstatus der
Einrichtung mit beeindruckender Brutalität – sondern er erweist
denen seine Referenz, die das Haus mit Herzblut und Engagement belebten,
die mehr als einmal auf verlorenem Posten standen und dennoch für
diejenigen kämpften, derer sich sonst kaum jemand annahm. Wenn die
Idee Bürgerhaus einen Fortbestand hat, dann ist es Leuten zu danken,
die es von innen her mit Leben erfüllen, wie unter anderem jener
Manager des Hauses Herr H., der zum Beispiel am 24. Februar 2011 gemeinsam
mit der Brandenburger Wohnungsbaugenossenschaft und dem Arbeiter-Samariter-Bund
ein Skatturnier organisierte. Die Preise stammten nicht vom Kurfürstendamm
– der Autor des Beitrags landete auf dem vorletzten Platz –
aber das alles war nebensächlich. Entscheidend war: eine Veranstaltung
wie diese atmete den Geist, den ein Bürgerhaus atmen sollte ohne
intubiert werden zu müssen. Hinsichtlich dessen wünscht der
Preußische Landbote dem Bürgerhaus Hohenstücken, dass
es den Platz im Herzen der Hohenstückener einnehmen möge, den
es rein topographisch gesehen bereits hat – in der Mitte. |