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Der Krieg bekommt ein Gesicht Kotofeij K. Bajun Es ist nicht zu verfehlen – man frage nach der weltberühmten Himmelsscheibe von Nebra – die liegt auch in diesem Hause verwahrt. Richard-Wagner-Straße 9 übrigens, für alle, die sich nach der Lektüre dieses Aufsatzes für einen Besuch der Stadt erwärmen mögen, die sich in den letzten beiden Jahrzehnten buchstäblich vom hässlichen Entlein in eine der schönsten und liebenswertesten Metropolen Mitteldeutschlands mauserte. Die Archäologen thematisieren also den Krieg, den unheilvollsten Begleiter des Menschengeschlechts von Anbeginn. Das kommt nicht von ungefähr. Fand man doch auf dem Schlachtfeld von Lützen bei Leipzig, also nahebei, ein Massengrab, gefüllt mit Skeletten von Söldnern des Dreißigjährigen Krieges. Für die Söldner schlecht, für die sächsisch-anhaltinischen Archäologen ein Glücksfall in mehrerer Hinsicht. Zum einen sind solche Massengräber selten. Zuletzt bekam Brandenburg in Wittstock den unverhofften Zuschlag, über solch ein Massengrab zu stolpern und konzipierte um die brillante Wünsdorfer Archäologin Frau Dr. Sabine Eickhoff und die ebenfalls begnadete Anthropologin und gebürtige Mailänderin Dr. Bettina Jungklaus eine wirklich sehenswerte Exposition mit dem Titel "1636 – ihre letzte Schlacht". Nun fand man zwar zu Wittstock 125 tote Soldaten, also mithin 78 Gefallene mehr als in Lützen, die um die Wittstocker Schlacht herumgestrickte Ausstellung jedoch fokussierte auf das eigentliche Kampfgeschehen und dessen zeitliche, wie größtenteils räumliche Umgebung. Dabei beleuchtete sie zwar alle Aspekte dieses blutigen Treffens vorbildlich – die Hallenser aber schlagen den ganz großen Bogen. Auch arrangierten sie ihr Massengrab nicht in der Weise, wie das Thomas Bartel kunstvoll in der Chur-und Hauptstadt Brandenburg an der Havel tat. Die Salzstädter stachen das gesamte Fund-Feld mit etwa drei mal vier Meter fuffzich aus, fixierten es, klappten es in die Vertikale und – postierten es öffentlichkeitswirksam gleich erst mal in die Mitte, dem Eingang des Museums gegenüber. Und siehe da, die Knochen ziehen. Für jeden, der mal ein paar Semester Medizin abgerissen hat, ist das Exponat schon mal doppelt spannend und Frau Dr. Jungklaus würde aus dem Erläutern gar nicht mehr rauskommen. Sie läse in den sterblichen Überresten der erschlagenen Söldner wie in einem Buch. Doch der eigentliche Clou kommt erst hinter der aufwändigen Kulisse. Insofern unterscheiden sich die Hallenser von den Brandenburgern diametral, welch Letztere ja zielgerichtet auf das künstlerisch nachgestellte Grabfeld zuarbeiteten. Zu Halle/Saale kommt, quasi in den Nebengelassen, gleich einmal als Erstes ein echter Kracher zur Aussage. Sicher, das Dargebotene riecht nicht unbedingt nach Sensation – für den Kundigen aber ist es genau das! Es handelt sich um eine Videosequenz, die Jane Goodall einst aus dem afrikanischen Urwald mitbrachte. Da bestreifen unsere nächsten Vettern, die Schimpansen, ihr Revier und gnade Gott, dem armen Kollegen, der dessen Grenze unbewusst und ungewollt überschritten hat. Die Affen fragen nichts nach Pass und Visa – sie bringen den Artgenossen brutal um. Aber manchmal kommen ganze Clans und wissen ganz genau, dass sie gerade in so ein abgestecktes Revier eindringen und dann haben wir ihn – den Krieg. Revierkämpfe um Nahrungs- und andere Ressourcen sind beileibe kein Privileg der Primaten. Aber dennoch – diese sublimieren diese Form der Auseinandersetzung! Schon die Affen! Nicht erst Kain! Der Schädel von dessen Bruder Abel ist übrigens auch Teil der Ausstellung. 400 Tausend Jahre alt, gewaltsam trepaniert mit einem Faustkeil oder dergleichen, mit letalen Folgen. Na gut, die modernen Bibel-Exegeten meinen ja in dem alttestamentarischen Bruderkonflikt eine Kontroverse zwischen der überkommenen Form der Jäger und Sammler und den sich neu herausbildenden Ackerbaugesellschaften zu erblicken, denen die umherstreifenden Nomaden des Jagens und Sammelns des Öfteren ungebeten beim Ernten halfen. Das wäre dann in die Zeit Urs und Uruks, Maris und Kischs, Jerichows, Harappas, Mohendjo Daros oder vielleicht sogar Catal Hüyüks zurückzudatieren, in biblische und knapp vorbiblische Epochen eben – also Äonen nach dem ältesten bisher identifizierten Mordopfer. Das ist alles sehr bemerkenswert und stringent dargelegt, schlüssig und überzeugend. Und damit der Besucher bei Laune bleibt, offerieren die Hallenser dann die Sensationen, die das breite Publikum erwartet: Die Schlacht im Tollensetal zum Beispiel! Hat doch bis vor Kurzem kein Aas geglaubt, dass unsere Väter zu der Zeit, als sich Hellenen und Trojaner in Kleinasien mit hochwertigen Bronzeschwertern und Lanzen keilten und dabei schon eine respektable Organisation und Logistik vorhielten, zu vergleichbaren Leistungen befähigt gewesen wären. Krieg bedeutet immer Organisation von Leuten und Befehlsketten und eben auch Logistik! Große Heerhaufen verlangen nach ausgefeilten Strategien und Taktiken, Geländewahl und Ausspähung des Gegners. Und das bei uns? Im rauen Norden? Zu einer Zeit, von der die Archäologen noch im letzten Jahrtausend glaubten, unsere Ahnen hätten hier in Erdlöchern und auf Bäumen gehaust? Gut, das ist jetzt übertrieben. Aber was sich da vor dreieinhalb Jahrtausenden beidseits der Tollense abspielte, das haute denn doch selbst Fachleute vom Hocker. In Halle/Saale wurde es hochprofessionell und didaktisch durchdacht in Szene gesetzt. Desgleichen die Schlacht von Eulau und einige andere Gemetzel. Und auch Schliemanns Fans kommen nicht zu kurz. Wie erfindungsreich doch die Menschen zu allen Zeiten waren, wenn es galt, dem Nachbarn die Rübe einzudreschen um ihm zu nehmen, Weib, Knecht, Vieh und alles, was Sein ist. Und wie der Nachbar dagegen rüstet ... bis hin zur ultimativen Waffe, der Atombombe. Die Archäologen
zu Halle/Saale sind privilegiert. Sie dürfen aufzeigen und interpretieren
ohne Lösungen offerieren zu müssen, die es offensichtlich
auch gar nicht gibt. Was ihres Amtes war, dessen obwalteten sie im Archäologischen
Landesmuseum Sachsen-Anhalt hervorragend. Was wir hiermit getan haben wollen. |
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2012
10.04.2016