|
Haithabu Attraktion und Mahnung zugleich Zugeignet Herrn J.-P. L., der eine hilfreiche Unterkunft gewährte, Frau Karen K., welche für diese Exkursion heroischen Verzicht auf eine angenehme Promenade leistete und Frau Nancy F., welche ihrem Lehensmann die angenehmen Seiten einer Verbannung vom Hofe erkennen ließ.
Kotofeij K. Bajun Haithabu. Sic transiet gloria mundi – so vergeht der Ruhm der Welt! Haithabu – du Blühende, wo nur bist du geblieben? Noch immer ragt der mächtige Ringwall mit einem Radius von über einem halben Kilometer auf, der dich einst gegen potentielle Feinde schützte. Der Wall ist gut 1,7 Kilometer lang und umschließt eine Siedlungsfläche von beinahe 100.000 Quadratmetern. Für die Zeit vor eintausend Jahren und den europäischen Norden geradezu phänomenal. Was müssen die Leute mit primitivsten Mitteln und ungeheurem Einsatz geschuftet haben, um dieses gewaltige Erdmonument aufzuschütten! Es ist immer wieder fatal, es ist immer wieder dasselbe: Was hätten die Menschen in derselben Zeit Produktives leisten können, wie hätten sie vielleicht doch wenigstens ihr oft erbärmlich hartes, brutales und kurzes Leben genießen können. Und am Ende hat alles nichts geholfen. Am Ende kamen kriegerische Nordmänner. Auf schnellen Kielen von Osten kamen sie über die See gesegelt. Sie kamen stets und zuverlässig, denn wenn einer etwas reicher ist als sein Nachbar, dann weckt das in aller Regel Begehrlichkeiten. In den Zeiten, als das bürgerliche Gesetzbuch kaum bis keine Geltung und vor allem niemanden hatte, der ihm hätte Geltung verschaffen können, galt nur: Komm und nimm, was du kriegen kannst!
König Harald Hardraade, genannt Harald der Harte von Norwegen, kam mit seinen Wikingern, denn es stank ihm, dass Sven Estridsson von Dänemark mit Haithabu einen der reichsten und mächtigsten Handelsorte des Dänenlandes geerbt hatte. Haithabu war für die dänische Krone gleichbedeutend mit einer beinahe unerschöpflichen Geldquelle. Im Jahre 808 fiel der Handelsort Reric bei Wismar dem Dänenkönig zum Opfer. Ein Vierteljahrtausend später ereilte Haithabu dasselbe Schicksal. Nordleute, Angeln, Sachsen, Franken, Juden, Oströmer, Slawen – viele Völkerschaften tummelten sich in Haithabu. Sie trieben Handel miteinander, lernten voneinander, tauschten sich aus – bereicherten ihr Wissen und oft natürlich in erster Linie sich selbst. Aber das ist ja das natürlichste Privileg aller Handelsleute. Keinem Araber wäre es in den Sinn gekommen, einen Slawen einen Untermenschen zu nennen; keine Chronik vermeldet Ausschreitungen von Nordleuten gegen Juden. Sie waren allzumal Händler und verhandelten Pelze, Metalle, Waffen, Schmuck, Bernstein, Geräte, Waren des täglichen Bedarfs, Salz, Gewürze ... Auf ideologischen Bockmist hätte man dort mit absoluter Verständnislosigkeit reagiert.
Fand der Fremde oder der Einheimische dann doch mal in den Abendstunden einen Dolch zwischen seinen Rippen, dann gewiß nicht, weil dem xenophobes Gedankengut unterlag. Man hatte in seinem Gelbeutel blöderweise halt ein paar Brakteaten, Dirhams, Solidi oder andere Wärhungen zuviel ... nun ja – wie im Großen, so im Kleinen.
Über den größten Teil der wallumkränzten Fläche streicht nun heute der Wind, der von der Schlei herüberweht. Veträumt wiegen sich Gras und Schilf. Einige Galloway-Rinder käuen seelenruhig wider. Gerade mal sieben Häuser wurden rekonstruiert. Sieben von ehemals einigen hundert. Insofern kann das Freilichtmuseum sicher nicht mit ähnlichen Anlagen wie Groß Raden, Brandenburg an der Havel oder Düppel konkurrieren, die in der Zeit ihrer Besiedlung nicht mal annähernd die Bedeutng Haithabus besaßen. Wer eine wuchtige Burg mit entsprechenden Befestigungsanlagen sucht, wird sie am Haddebyer Noor nicht mehr finden.
Doch die sieben Häuser geben einen tiefen Einblick in das Leben seiner einstigen Bewohner. Die Gebäude wurden nach archäologischen Erkenntnissen wieder aufgebaut und eingerichtet. Verwendet wurden nur Techniken, die den Alten bekannt war – eine wahre Kärrnerarbeit!
Klein waren die Hütten, strohgedeckt, zugig. Die spärlichen Fensterluken konnten notdürftig außen verrammelt werden. In den Hütten selbst riecht es sehr rauchig. Kamine waren in diesen einfachen Behausungen noch nicht bekannt. Man entzündete das Feuer in den Häusern – der Qualm mochte abziehen, wie er wollte. Wieviel Rauchgasvergiftungen es gegeben haben mag, das wissen die Götter allein. Man schlief auf Lattenrosten, die nur mit einigen Fellen bedeckt waren. Die Belästigung durch Ungeziefer im Sommer, die Kälte im Winter, der Gestank, das alles ist für die, welche heute in der Umgebung Haithabus leben, schier unvorstellbar. Vielleicht helfen die Slums von Sao Paulo, Nairobi und Manila der Phantasie des Wohlstandseuropäers etwas auf die Sprünge. Die Hauptwege sind als echte Knüppeldämme und Bohlenwege wieder zu erlaufen. Die Häuser selbst standen dicht an dicht. Unwahrscheinlich, dass selbst kleine Personen in diesen engen Zwischenräumen aneinander vorbeigekommen wären. Die wiederaufgebauten Häuser repräsentieren einen Querschnitt der damals ansässigen Bevölkerung. Kleine Handwerkerhäuser, wie das des Kammmachers und des Holzhandwerkers, die Fischerhütte, etwas gediegenere Bauten wie das Händler- oder das Versammlungshaus unterscheiden sich nach Größe, Art und Ausstattung. Für heutige Verhältnisse unendlich spartanisch sind sie alle.
Findig waren die Alten! Natürlich gewachsene Baumstämmchen mit ihren Astabgängen dienten als Haken, um Sachen aufzuhängen, Joppen vielleicht, aber auch Esswaren, die vor interessierten Tieren geschützt werden mussten. Über den kleinen Bach, der den Ort durchzieht, führen einigen Bohlenbrücken. Gott sei's gepriesen und getrommelt, dass es damals noch keine abnahmeberechtigte Baubehörde gab. Die Bohlen laden zum Stolpern ein, Geländer sind überflüssiger Luxus. Zähle einer, wieviel Leute nach einem zünftigen Gelage bei Neumond, leicht angesoffen, in diesem Bach gelandet seien mögen.
Den Weg zum Wikingermuseum oberhalb der Wälle haben Schafe gründlich vermint. Das Wikingermuseum selbst ist schon ein Hingucker. Eine pfiffige Architektur lässt es wie eine kleine Nordmännerarmada in der Landschaft liegen. Die Gestaltung der Ausstellung braucht sich nicht zu verstecken. Die Vielzahl der Exponate wird hervorragend präsentiert. Da waren Könner am Werk – mit viel Liebe zum Detail, ohne sich in selbigem zu verlieren.
Zu tadeln ist die wirklich sehr mangelhafte Ausschilderung, welche die Suche nach Haithabu für den Ortsfremden zu einer Odyssee werden lässt. Wehe dem, der kein mobiles Internet oder Kartenmaterial bei sich hat! Navigatorisches Talent, wie es die Wikinger besaßen, ist nicht jedem gegeben. Wenn Schleswig-Holstein schon über so einen Touristenmagneten verfügt, sollte es doch nicht an Ambitionen mangeln, diesen für die Öffentlichkeit leichter zugänglich zu gestalten. Eine geschlossene Kette von Wegweisern spätestens ab der Autobahnabfahrt wäre schon mal ein Anfang. Die Wikinger sagten: Wenn Odin will, finden wir unseren Weg nach Hause! Um aber hinzufinden, braucht man wohl das Wohlwollen des gesamten Pantheons, das einst in Haithabu vertreten war. Unser Herr Kaiser Otto der Große war einst in Haithabu zu Besuch. Er wird es wohl etwas leichter gehabt haben dort hinzugelangen. Tja – Kaiser müsste man sein!
|
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2012
28.09.2015