Mit dem Fernglas in die Vergangenheit
Dr. von Schnurbein und Pfarrer Radeke boten
ungewöhnliche Perspektiven am Dom
Kotofeij K. Bajun
Dass man das bauliche Erbe sprichwörtlich
unter die Lupe nimmt, das ist ein alter Hut. Es jedoch mit dem Feldstecher
zu begutachten – diese ungewöhnliche Idee hat Charme. Freiherr
Dr. Rüdiger von Schnurbein, Direktor des Dommuseums, bot jüngst
just eine solche extravagante Führung an. Denn sein Dom zählt
zu den Wolkenkratzern des Mittelalters, deren himmelstürmende Architektur
in der Epoche eingeschossiger Lehmhütten als Propagandainstrument
des Christentums par excellence konzipiert waren. Nun setzen jedoch
größere Entfernungen dem menschlichen Auge enge Grenzen.
Viele staunenswerte Details des Gesamtkunstwerks „Dom“ gehen
somit der allgemeinen Wahrnehmung verloren. Betritt man beispielsweise
den Dom von Westen, so laufen wohl die allermeisten Besucher am Epitaph
für Adam von Königsmarck vorbei, welches doch so prominent
an der Nordwand des Langhauses hängt, ...nur eben ein bisschen
zu hoch! Die Kanzel, der Lehniner Altar, die Grabplatte Bischof Stephans,
der Eingang zur Krypta – das alles fesselt die Aufmerksamkeit.
Der Drei-Giebelschrein, das Sakramentenhäuschen, die hunderte Jahre
alten Hinterlassenschaften früherer Schmierfinken auf dem Chorgestühl
von Meister Hieronymus und Meister Hans dem Schnitzer... das alles bedarf
keiner optischen Vergrößerung und wird daher vom Dombesucher
bestaunt. Die dramatischen Szenen von Königsmarcks Epitaph aber,
in denen der berühmte Bildhauer Christoph Dehne die Weissagungen
aus Kapitel 37 des donnernden Propheten Ezechiel in ein ebenso filigranes
wie aussagenstarkes Bildprogramm übersetzt – die bleiben
meist unbeachtet. Ob dem Magdeburger Dehne beim Bearbeiten des Alabasters
und des Marmors die Gräuel der Zerstörung seiner Heimatstadt
vor Augen standen, als er dieses Kunstwerk 1632 zum Andenken an den
adligen, zehn Jahre früher verstorbenen Dechanten schuf, oder ob
dieses barocke Meisterwerk eine Kampfansage an die aufkommenden Zweifel
der Epoche der Aufklärung ist, wie Pfarrer Christian Radeke mutmaßt,
wird sich nicht eindeutig klären lassen. Mit Opernglas und Feldstecher
aber lässt sich das Epitaph erst in seiner ganzen Pracht erkennen.
Desgleichen vor dem Portal des Gotteshauses. Der Fuchs, der im Tympanon
den Gänsen predigt und der Schach spielende Affe, fallen sofort
ins Auge. Auch die Wetterfahne auf der Turmspitze ist allenthalben noch
gut zu sehen. Aber wie steht es mit dem goldenen Orden über ihr?
Das Recht ihn an prominenter Stelle zu präsentieren, erkaufte sich
das Domkapitel einst mit 500 Talern vom Landesherren. Zum Vergleich:
einer der Bach-Söhne erhielt als Hofmusiker ein Jahresgehalt von
etwa 800 Talern und ein gewöhnliches Haus in der Spandauer Vorstadt
zu Berlin wurde schon mal mit 5.000 Talern veranschlagt. Repräsentation
ließ man sich etwas kosten. Optisch näher brachten von Schnurbein
und Radeke ihren Gästen das gewaltige Hexagramm am Westgiebel,
das aus der Zeit Bischof Stephans stammt, dessen Bedeutung umstritten
ist und welches Schinkel verschämt zu verstecken suchte. Schließlich
sollte es 1934 in ein gigantisches Hakenkreuz umgearbeitet werden. Dazu
kam es glücklicherweise nicht und so können die Gäste
des Doms noch heute mutmaßen, ob der Davidstern den Weg des Heils
von der Synagoge hin zum Messias kennzeichnen oder nur ganz profan böse
Geister bannen soll. Kleine, runde Ziegelmarken als Abrechnungseinheiten
der mittelalterlichen Baugewerke, mit dem Siegel des Doms verzierte
Gaubenluken, oder die Details der mächtigen Kanoniker-Wappen an
der Westfront des Turms – all das ließ sich besser erkennen,
wenn man ein gutes Fernglas zur Hand hatte. Beeindruckend auch die große
Tafel unter der Turmuhr: Die Jahreszahl 1671 zeigend, fungiert sie wie
eine Zeitmaschine: Vier Jahre nach diesem Datum nämlich jagte der
Große Kurfürst – Förderer des Doms – die
Schweden unter Waldemar von Wrangel bei Fehrbellin aus der Mark. Nur
23 Jahre nach dem Ende des Großen Krieges hatte sich das schwer
geprüfte Brandenburg also so weit von Freund und Feind erholt,
dass es nicht nur seinen Dom instandzusetzen vermochte, sondern darüber
hinaus die nordischen Großmachtträume endgültig in den
Staub schicken konnte. Somit ist erwiesen, dass ein gutes Prismenglas
nicht nur räumlich entfernte Dinge heran holen kann – es
lässt sich ebenfalls gut für eine Lektion in Heimatgeschichte
gebrauchen.