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Antonio Vivaldi
das Lächeln Gottes
Il Prete Rosso
Antonio Vivaldi 1675? - 1741
K. K. Bajun
Wenn einer die müßige Frage aufwürfe, wer denn der Größte
unter den Söhnen der Serenissima sei, ob der Doge Enrico Dandolo,
ob der Weltreisende Marco Polo oder gar der Tausendsassa und Frauenliebhaber
Giacomo Casanova, so bedarf es in unserer Redaktionsstube nur eines kurzen
Blickes auf das Portrait an der Wand über dem Schreibtisch unseres
Alten, und wir wissen sofort: Natürlich Antonio Vivaldi!
Das Lächeln Gottes aus der Lagunenstadt, SEINE Stimme südlich
der Alpen. Vivaldi ist neben Johann Sebastian Bach der andere, den der
Vater aller Dinge über die abendländische Musik gesetzt hat.
Ist der eine das Alpha, so ist der andere untrennbar das Omega all dessen,
was sich nach okzidentaler Manier in Noten ausdrücken läßt.
Der Meister (J.S.Bach) verehrte Vivaldi sehr und lernte viel von ihm.
Einige große Instrumentalkonzerte von Vivaldi wurden von Bach für
Orgel umgeschrieben und diese „Koproduktion“ entführt
den Hörer, der sich ein Gefühl für das Schöne bewahrt
hat, geradewegs in die Traumzeit.
Der Zwölftondämon Igor Strawinsky hingegen nannte den Meister
vom Canale Grande einen „langweiligen Menschen, der nicht sechshundert
Konzerte geschrieben hätte, sondern ein Konzert sechshundert mal.“
Wir erwähnen diesen unerträglichen Blödsinn, um zu zeigen,
daß der Dualismus dieser Welt uns zwar immer auch bis an die Grenzen
des Erträglichen zu führen vermag, gleichzeitig aber auch ein
positives Element in sich birgt: Wo dunkle Schatten wabern, da lernt man
bald des Lichtes zu genießen! Wer glaubt, die unbeschreibliche Schönheit
der Musik Vivaldis nicht erfassen zu können, der peinige seine Ohren
mit der Kakophonie Strawinskys. Und wir wollen sehen, ob er nicht alsbald
und inbrünstig am Altar des Roten Priesters opfere! (Es sei erwähnt,
daß Antonio Vivaldi den Beinahmen „Prete Rosso – Roter
Priester“ nicht etwa der Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei
Italiens verdankte – auf den Trichter wäre er nicht gekommen!)
Er war katholischer Priester. Mit einem roten Haarschopf. Das wäre
in Irland nicht weiter aufgefallen. In Venedig hingegen stach es schon
ab.
Also Priester war er. Auch wenn die Karnevalsmetropole am Nordufer der
Adria diesen Job nicht ganz so verbissen sah, wie vielleicht Restitalien
oder gar Spanien, und seine Pfarrer an der relativ langen Leine hielt,
Vivaldis Verhältnis zu seiner Profession war noch unverkrampfter.
Das Brimborium und der Hokuspokus um die tagtäglichen Messen waren
ihm zuviel. Seine angekratzte gesundheitliche Konstitution und seine mangelnde
rhetorische Gabe waren dem Gottesamt eh nicht förderlich. Und so
kam es schon mal, daß er während Messe und Predigt die verdutzte
Gemeinde sich selbst überließ, spornstreichs in die Sakristei
rannte und eiligst das Papier mit Noten zu füllen begann. Das war
selbst dem liberalen Klerus Venedigs zuviel. Vor einen Kardinal der Inquisition
zitiert und zu diesem Sakrileg befragt, meinte Vivaldi recht trocken,
er habe eine Eingebung betreffs eines neuen Musikstückes gehabt,
die er vor dem Vergessen retten mußte. Und so, wie diese Eingebung
beschaffen gewesen sei, hätte sie wohl nur von Gott – dem er
ja gerade sowieso am Altar zu dienen gehabt hätte – kommen
können. Gottes Stimme aber gehe in jedem Falle vor den eigenen Singsang
– also habe er das Hochamt kurzfristig unterbrechen müssen.
Der Kardinal beschloß die Sache zu prüfen, hörte sich
an, was Vivaldi da geschrieben hatte und befand: ja, das stimmt, das ist
die liebliche Stimme des Herrn! Vivaldi wurde vom Vorwurf blasphemischen
Treibens freigesprochen, jedoch mit der Auflage versehen, fortan keine
Messen mehr zu halten – man könne ja nie wissen, wann Gott
das nächste Mal mit seinem musikalischen Knecht Antonio zu sprechen
gedenke. Und sowohl Gott als Vivaldi hätten sich für ihre Unterredungen
gefälligst an die Zeiten und die ritualisierten Umgangsformen der
Heiligen Mutter Kirche zu halten, sonst fliegen sie raus! Wo käme
man denn sonst hin…?
Nun ja, dem Laissez-faire – Priester Vivaldi konnte es nur recht
sein. Endlich ungestört komponieren können! Das war es, was
er wollte. Ein Segen! Ein Segen nicht zu letzt für uns – die
Nachgeborenen.
Musik! Musik! Sein rothaariger Kopf gebar Noten, wie sie zuvor noch nie
gehört wurden! Was Gott der Herr an Schönem geschaffen hatte,
Vivaldi malte es in Noten. Er brauchte keinen Pinsel und keine Farben,
keine Leinwand und keine Staffelei. Ein paar Bögen Papier, eine Feder
und ein Fäßchen Tinte – und los ging’s: Der Wind,
der von der Adria kommend die Wellen türmte und sie auf die Lagunenstadt
zurollen ließ. Hört ihr, wie die Gondeln an den Stegen schaukeln?
Wie er drüben auf dem Festland durch die Espen und die Pinien rauscht
– hört ihr’s? Das Gezwitscher der Vögel in den Bäumen,
das herannahende Gewitter, ja selbst den Winter mit seinem krachenden
und berstenden Frost, seiner ungestümen Gewalt – all das malten
Vivaldis Noten!
Der Oberarzt H. aus Brandenburg an der Havel sagte mal, es sei eine Herausforderung,
einem Blinden die Farbe „Grün“ zu vermitteln. Vivaldi
wäre der rechte Mann dazu gewesen!
Denn er war das Lebendige Lächeln Gottes! Er war der Botschafter
des Schönen in diesem irdischen Jammertal, das zu überwinden
seine orthodoxeren Berufskollegen unentwegt predigten. Er war der Vertreter
des Irdischen, der Contrapunkt der jenseitig orientierten Theologie. Gott
hatte die Wellen gekräuselt, die Blüten lieblich gemalt, die
Vögel zwitschern lassen, damit wir hier, in dieser Welt, Freude daran
empfänden. Zum Teufel mit der blutleeren Askese! Gott wollte hier
gefunden werden – drüben zeigt er sich entweder von ganz alleine
oder gar nicht. Was dann auch egal ist.
Vorerst aber unterrichtete er keine Blinden oder Glaubensmucker. Er nahm
sich der elternlosen, jungen Mädchen an. Der Schlingel, der? Nein,
nicht was Sie vielleicht denken! Mädchen waren in Venedig kein sehr
kostbares Gut. Eher das Gegenteil. Erst mußte man sie jahrelang
durchfüttern, dann eine gute Partie für sie suchen und schlußendlich
– hatte man eine solche arrangiert – einen Haufen Mitgift
bezahlen. Und so kam es, daß viele Mädchen im Säuglingsalter
auf den Stufen der Klöster und Kirchen ausgesetzt wurden. Der Obhut
mildtätiger Menschen überlassen, verbrachte man die Kinder dann
im Allgemeinen in das Ospedale della Pieta (Barmherzigkeitshospital).
Dort versuchte man ihnen eine gute Erziehung und Ausbildung mitzugeben,
um sie doch noch fit und überlebensfähig zu machen. Was sollten
sie lernen? Schuster, Pilot, Stahlwerker? Ging nicht, gab’s noch
nicht – gab’s auch noch nicht. (Letzteres wäre auch zu
schwer gewesen!) Also bildete man sie in den Feinen Künsten aus:
Nähen, Stricken, Häkeln, Musik. Ja, auch Musik! Und das tat
unter anderem der geschaßte Pater Antonio.
Er ließ die jungen Engel aus ihren goldenen Kehlen trällern,
was das Zeug hielt und lehrte sie, die Laute zu schlagen, Violinen kunstvoll
mit dem Bogen zu streichen und das Cembalo zu traktieren. Alles, was man
eben für ein erfülltes Liebes-, Ehe- oder eben nur das blanke
Überleben so braucht. Alles, was dazu angetan ist, ein kultiviertes
Versorgerherz zu rühren und den Mädchen, ihrer verzweifelten
sozialen Situation zum Trotz, ein Auskommen zu ermöglichen.
Wir wissen wenig von seiner Persönlichkeit. Ob er ein Grantel war
oder ein liebevoll – geduldiger Lehrer, entzieht sich unserer Kenntnis.
Kühn vom Werk auf den Schöpfer zu schließen, würde
schon bei Jean-Philipp Rameau scheitern, bei Mozart und bei Satie. Man
darf nie die Umstände außer Acht lassen, unter denen solche
Künstler leben. Denn diese prägen ganz entscheidend das Auftreten.
Denken wir doch nur an den Genius van Beethoven! Wie hat der leiden müssen
unter der Dummheit seiner Mitmenschen, unter ihrem dämlichen Vorurteil,
ihrer Selbstsucht und ihrem Wankelmut. Oder denken wir an den Meister,
Johann Sebastian Bach, auf den das im gleichen Maße zutrifft.
Nur eine vage Karikatur und ein unsicheres Gemälde sind uns überliefert
von einem der beiden größten Tonkünstler, deren das Abendland
sich je hatte rühmen dürfen. Das ist einerseits schade. Doch
selbst wenn wir ein ganzes Photoalbum von ihm hätten, was würde
das ändern? Vivaldi ist tot. Bettelarm ist er in Wien gestorben.
Das aber, was von ihm blieb, was kluge Menschen anfangs des 20. Jahrhunderts
der Vergessenheit entrissen, ist seine unsterbliche Musik: Die Allegorie
des unendlich Schönen und der perfekten, der absoluten Harmonie.
Wo immer wir einen See erblicken, über den der Wind launige Wellen
treibt, wo immer Blätter über unseren Köpfen zärtlich
rascheln, da erklingt in uns seine Musik, sehen wir der Gottheit ins lächelnde
Antlitz.
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