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Thomas Müntzer, Allstedter


"...so ich das sage, muss ich aufrürisch seyn – Wol hyn!"


B. St. Fjøllfross

Cato sagte einst, es wäre ihm lieber, die Leute fragten nach seinem Tode, warum man ihm kein Denkmal errichtet habe, als dass sie sich erkundigten, warum man ihm ein Monument gesetzt habe. Die Denkmäler Thomas Müntzers sind seit der deutschen Wiedervereinigung weitestgehend verschwunden. Im Preußischen Landboten steht noch eines. Das führte zu Irritationen.

"Es ist für eine bürgerlich-demokratische Gesellschaft provozierend, wenn Sie auf Ihrem Titel den Bauernführer Thomas Müntzer kanonisieren," wurde jüngst der Chef des Landboten angesprochen. "Müntzer war ein Aufrührer, ein blutiger Rebell, ein Radikalinski, einer, der den Tod und das Verderben über diejenigen gebracht hätte, die ihn letztendlich zu Mühlhausen fassten und umbrachten."

Das mag alles sein. Nur – er hatte nicht die Gelegenheit, sich als der zu erweisen, auf den diese bürgerliche Interpretation zuträfe. Zu früh endete sein Leben. Reale und nachhaltige Macht hatte er nie besessen und konnte daher nicht unter Beweis stellen, ob er sich denn von ihr hätte korrumpieren lassen, oder, was noch schlimmer gewesen wäre, ob er sich als deutscher Savonarola erwiesen hätte. Die Ermordung Müntzers lässt diese Frage für alle Zeiten offen.

Was aber veranlasst den Landboten, sich zu dieser Lichtgestalt der deutschen Revolutionsgeschichte zu bekennen?

Müntzer, so radikal er in seinen Ansichten und Predigten gewesen sein mochte, vertrat die Sache derer, denen man jede Stimme genommen hatte. Es waren die an den Bettelstab gebrachten Bauern und kleinen Handwerker, deren einzige Existenzberechtigung darin bestand, Fürsten und deren Brut zu ungeheurem Wohlstand zu verhelfen, wofür sie mir unedlichem Leid bezahlten. Diesem System mangelte es vollständig an irdischer Gerechtigkeit. Es hatte das Maß verloren, das Maß dessen, was dem Tüchtigeren ein besseres Leben zugesteht als dem Faulen. Der gesellschaftliche Konsens war verlorengegangen und just dieser Verlust wurde bereits seit Jahrhunderten mit theologischem Unfug verbrämt und kompensiert. Die Kirche, die Anwalt der Armen und Entrechteten hätte sein sollen, schlug sich auf die Seite der Blutsauger. Müntzer, Sohn der Kirche, stand dagegen auf. Wortgewaltig stand er auf, die deutsche Sprache formte er zu einer furchtbaren Streitaxt, geschliffen und Angst einflößend. War Müntzer ein Demagoge? Wäre er der Protagonist eines faschistoiden Gottesstaates geworden, wie Zwingli ihn in Zürich schon teilweise wetterleuchten ließ? Beides ist möglich.

Man kann Müntzer demagogische Tendenzen nicht absprechen – es lag viel Verführung in seinen Worten. Diffamiert man ihn aber mit diesem Begriff, so soll man gerechterweise Alternativen aufzeigen! Was hat denn Luther vollbracht, das "sanft lebende Fleisch zu Wittenberg"? Die Bauern, in deren Herzen er Hoffnung gesenkt hatte, verriet er, forderte gar, man möge die räuberischen und mörderischen Haufen der Bauern zerschmeißen. Hatte ihm das sein Herr Jesus auf seine Meinung befohlen? Was haben Calvin, Oekolampad, Melanchthon und die anderen Reformatoren für die staatstragenden Bauern getan? Gar nichts. Ihnen ging es um die Befreiung des Mittelstandes vom wahnsinnig werdenden, selbstherrlichen Adel. Die Entrechteten waren ihnen nach wie vor völlig egal.

Bigott die Logik, der Lohn für die Duldsamkeit des Proletariats werde dermaleinst in einem ominösen Himmelreich ausbezahlt. Einen fauleren Wechsel auf die Zukunft kennt die Geschichte nicht! Müntzer machte Nägel mit Köpfen. Wie Wat Tyler zeigte er einen konkreten Weg, wenn dieser sich auch im Nachhinein als nicht gangbar erwies und mangels Erfahrung nicht bis ins Letzte durchdacht war. Das aber war die französische Revolution auch nicht, und wie sehr heulen die Franzosen Marat, Saint-Just, Danton und Robbespiere hinterher!

Wir bewundern Thomas Müntzer seiner gewaltigen Rhetorik und seines in diese Sprachmächtigkeit gebetteten ehrlichen Herzens wegen. Er hat aufrecht einer Sache das Wort geredet, die als Korrektiv einer überholten Gesellschaftsform überfällig war – und er gab, was ein Mensch nur geben kann – das eigene Leben. Vielleicht würden wir anders über diesen Mann reden, wenn er denn mit seinen Ideen durchgekommen wäre und einen Gottestaat des Bundschuhs errichtet hätte. Aber das ist und bleibt Spekulation und daher nicht unser Thema.

Müntzer wählte den Weg der Gewalt, als die Ergebnisse der Fürstenpredigt zeigten, dass eine Einflußnahme auf das Gewissen der Angesprochenen keinen Erfolg mehr verspräche. Er zog das Schwert und kam durch das Schwert um. Aber er zog es nicht aus Mutwillen. Die Arroganz und Ignoranz derer, die an den überkommenen Verhältnissen partout festzuhalten trachteten, ließen ihm keine andere Wahl. Hatten sich Luther, Zwingli, Calvin und Oekolampad für einen besseren Weg entschieden, weil sie viele Entscheidungsträger für sich gewinnen konnten – Luther gar den Kurfürsten von Sachsen? Nein. Alle diese Reformatoren ließen sich instrumentalisieren ohne dessen je gewahr geworden zu sein. Sie fanden eine Sprache, die den Interessen derer diente, die sich ihrerseits von Rom und/oder wahlweise adliger Bevormundung emanzipieren wollten, damit das Geld bei ihnen bleibe. Nichts anderes wollten die Bauern. Auch sie lehnten sich lediglich gegen unzumutbare Fron und den überzogenen Zehnten auf. Doch: die kleinen Dieb man henken tut, vor großen lupft man ab den Hut. Wehrt sich ein Bauer mit der Sichel in der Hand vor Mühlhausen gegen ein fürstliches Heer, so muss er Teil einer räuberischen und mörderischen Rotte sein. Wehrt sich ein Fürst mit seinen Soldaten vor Schmalkalden gegen seine päpstlichen Parasiten, so ist es eine heroische Tat im Geiste der Reformation. Alles nur eine Auslegungsfrage, oder – um präziser zu sein – eine Frage des Standpunktes. Um klar zu sehen, genügt oft, so lehrte uns Antoine de Saint-Exupéry, ein Wechsel der Blickrichtung.

Wir behalten uns vor, genau diese für die bürgerliche Geschichtsschreibung ungewöhnliche Position zu vertreten. Wir werden Müntzern weiterhin die Treue halten und ihm die Ehre erweisen, die ihm in unserem Weltgebäude gebührt.


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© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2006

04.05.2011