Baaks

zurück zur Stammseite "Persönlichkeiten"

 

Bach, Johann Sebastian

Bosch, Hieronymus

Claudius. Matthias

Dreckbeen

Erzbischof Wichmann von Seeburg, Erzbischof von Magdeburg

Eulenspiegel, Till

Friedrich der Große von Preußen

Friedrich Wilhelm I. von Preußen

Guenther, stud.med. Johann Christian

Gundling, Jacob Paul Freiherr von

Heine, Heinrich Dr. jur.

Hunold, Pfarrer Günther

Issa, Kobayashi Yataro

Iwan der Schreckliche

Katzentraum, Sabine

Kisch, Egon Erwin

Last, Jens Peter, Arzt

Lichtenberg, Georg Christoph

Mazarin, Jules

Münzer, Dr. Thomas

Nkone, Dr. med. Jeshua

Otto der Große

Panizza, Dr. Oskar

Peter der Große

Prophet, Ekkehard

Rattchen

Schischkin Iwan

Spinoza, Baruch

Sprogøe, Ove

Tucholsky, Kurt

Villon, Francois

Vivaldi, Antonio

Peter der Große

K. K. Bajun
Der Einleitungssatz: „es gab wohl keinen Zaren, der…“ ist abgedroschen und daher stillos. Dennoch trifft er den Nagel auf den Kopf. Zumindest, was die überragenden Leistungen betrifft, für die Rußland diesem Manne Dank schuldet. Nicht einmal Iwan Grosnij hat den russischen Bären so von seinem Ofen heruntergeprügelt und dessen dicken Schädel nach Westen gekehrt, wie Peter Romanow.

Es ist schwer für einen in der Kultur des Abendlandes aufgewachsenen Menschen, das Lebenswerk und die Persönlichkeit Peters einzuordnen. Eines vorweg: Rußland ist nicht Westeuropa! Occidentale Wert- und andere Maßstäbe haben in den endlosen Weiten östlich des Bug kaum Bedeutung.

Man muß sich in die russische Seele und Denkweise hineinversetzen, will man zu einer gerechten Beurteilung des oft widersprüchlichen Verhaltens des großen Monarchen gelangen.

Die Meinungen gehen auseinander: Während die einen ihn für einen aufgeklärten, wissensdurstigen und blitzgescheiten Kaiser von ungeheurer Dynamik halten, schätzen die anderen ihn als byzantinischen Despoten von schurkischem Format, als Massenschlächter und Sohnesmörder ein. Er war beides. Und noch viel mehr. Und er mußte es sein!

Das Rußland, in das er hineingeboren wurde, hätte einem Schwächling oder Versager nicht den Hauch einer Chance gelassen. Wie zu Iwan Grosnijs Zeiten, versuchte auch einhundertfünfzig Jahre später eine Oligarchie von raub- und machtgierigen Bojaren und Fürsten, ein Regiment zu eigenem Nutzen zu unterhalten. Diese Bojaren belauerten sich gegenseitig, wie ein Rudel Wölfe. Strauchelte einer, mußte er gewärtig sein, zerrissen zu werden. Und das Väterchen Zar hatte würdevoll über dieser Oligarchie zu thronen und für den Pöbel den sakrosankten Popanz zu geben. So dachten sie sich das. Bestenfalls hätte man dem Zaren und Großfürsten von Moskau die Position eines Primus inter pares zugestanden. Aber eine Autokratie, deren eisernen Willen sie sich bedingungslos zu unterwerfen hätten – dieser Gedanke war ihnen spätestens seit Iwan Grosnij suspekt. Und kampflos würden sich die Bojaren ums Verrecken nicht mit einer solchen Idee arrangieren – das war klar.

Als Peters Vater starb, waren dessen beide Kinder Iwan und Peter noch unmündige, kleine Kinder. Ihre ältere Halbschwester Sofia wurde als Regentin für die jüngeren Brüder eingesetzt. Für die russischen Feudalherren eine ideale Konstellation. Sie glaubten auf absehbare Zeit alle Freiheiten der Welt zu haben, Sofia achtete die Religion und die überkommenen Sitten und Gebräuche, man ließ sich gegenseitig in Ruhe. Die Bojaren etablierten sich.

Aber im Preobraschenskoje-Palast nahe Moskau wuchs ein Wolfswelpe heran, der aus einem anderen Holz geschnitzt war.

Das Bürschlein hatte einen so ganz anderen Charakter, als man ihn gemeinhin bei Heranwachsenden, zumal aus solch elitären Kreisen stammenden, vermutet. Er besaß einen hellwachen Verstand, war neugierig und früh auf den Beinen. Die traumatischen Erfahrungen seiner Kindheit und frühen Jugend, die er mit seinem großen Amtsvorgänger auf dem Zarenthron, Iwan Grosnij, teilte, hatten ihm zwar einerseits eine permanente Todesangst eingeflößt, ihn aber hinwiderum mit einer stets paraten Wachsamkeit, einem alerten Geist und einem sehr sensiblen Gespür für drohende Gefahren ausgestattet. Diese Instinkte sollten ihm später mehr als einmal Kopf und Kragen retten.

Zudem entwickelte Peter ein beinahe untrügliches Gespür für Menschen. Natürlich blieben auch ihm enttäuschende Erfahrungen nicht erspart, wie sie beispielsweise ein anderer großer Kaiser, unser Friedrich II. von Hohenstaufen zur Genüge machen mußte. Aber alles in allem gelang es ihm doch einen Kader von Freunden und Weggefährten um sich zu scharen, auf die er sich vor allem in Notsituationen unbedingt verlassen konnte. Und wie fast immer in solchen Zeiten des Umbruchs wurden Männer und Frauen aus den ärmeren Schichten der Bevölkerung aufgrund ihrer Fähigkeiten, Talente und besonderen Verdienste an die bedeutendsten Positionen des Staates gespült, an die Schaltstellen der Macht, an denen sie selbstredend den Versuchungen der Korruption besonders exponiert ausgesetzt waren. Nur wenige widerstanden. Wer solche Schwächen allzu deutlich zeigte, bzw. diese nicht durch entsprechende Leistungen im Sinne des Staates zu relativieren vermochte, der lernte ganz schnell die andere, die dunkle Seiten des Menschen Peter Romanow kennen.

Kostproben seines uns grausam anmutenden orientalischen Despotismus, gekoppelt mit seinem beinahe untrüglichen politischen Spürsinn gab er schon früh nach seinem Machtantritt ab, als er die Strelitzen, (eine zaristische Elitetruppe und Garde, die meinte, kraft ihrer Bewaffnung und Stärke bei der Zarenwahl und der Ausgestaltung der Politik ein Wörtchen mitreden zu müssen,) an Haupt und Gliedern in einem schrecklichen Blutgericht zu Moskau Maß nahm. Der Strelitzenaufstand wurde im großen und ganzen von seiner machtgierigen Halbschwester Sofia initiiert. Peters Rache war fürchterlich! Wenn der Rote Platz bis dahin noch nicht so geheißen hätte, ab diesem Tage hätte er wohl keinen anderen Namen mehr tragen können. Bei den Massenhinrichtungen, bei denen Peter selbst das Beil führte, zwang er auch die Bojaren und teilweise sogar die ausländischen Gesandten zur Teilung der Verantwortung – er ließ sie bei den Hinrichtungen mit Hand anlegen. Was das für die Opfer bedeutete, entzieht sich wahrscheinlich jeder Vorstellung. Ungeübte und kraftlose Hände, mit dem Henkershandwerk gänzlich unvertraut, fügten den Delinquenten entsetzlichste Qualen zu, bevor diese endlich von ihrem gnädigen Tod erlöst wurden.

Der Schock saß tief im russischen Volk. Aber die Botschaft war angekommen: Dieser Zar meinte, was er sagte und es war niemandem zu empfehlen, sich seinem Willen entgegenzustemmen. Und dieser Zar wollte sein Volk aus dessen unsagbarem Elend und Dreck und Schmutz und seiner Lethargie erwecken. Es sollte den Wohlstand und die Prosperität erfahren dürfen, wie er sie bei seiner großen Reise durch Westeuropa, die ihn durch Deutschland und Holland bis nach England führte, gesehen hatte. Das ließ sich nur durch eine gewaltige Reform der gesamten Gesellschaft erreichen. Die frühfeudalen Strukturen, die dieses gewaltige Land beherrschten, mußten vollständig durch moderne Formen der Staatsführung ersetzt werden.

Verwaltungsbeamte mußten aufgrund von Qualifikation und Eignung benannt werden und nicht, wie üblich, den Job vermittels ihrer Herkunft aus noblem Hause übertragen bekommen. Der erbitterte Wiederstand des Adels war vorprogrammiert. Doch das entscheidende Moment, was die Reformresistenz Rußlands ausmachte, war die enorme Größe und Ausdehnung des Landes: Rußland ist groß und der Zar ist weit! In diesem russischen Sprichwort ist alles gesagt. Es umschreibt präzise die Schwierigkeiten, mit denen sich sogar noch die Zaren der Gegenwart, trotz modernster Kommunikationsmittel konfrontiert sehen.

Veränderung und Fortschritt waren keine alternativen Diskussionspunkte. Sie waren überlebenswichtige Notwendigkeiten in einem überalterten Land, das den Anschluß an den Rest der zivilisierten Welt schon verloren hatte. Peter wußte das und er nahm die Herausforderung an. Wenn es je eine realistische Entsprechung zu den antiken Augirasställen gab, deren Ausmistung sich Herkules zu widmen hatte, dann war es Rußland zur Zeit Peters.
Und dabei muß man im Auge behalten, daß der „Beruf“ des Zaren exponiert lebensgefährlich war. Wenn Despotenleben im allgemeinen schon nicht allzu lange währten und des öfteren ein gewaltsames Ende fanden, so trifft das für die Herrscher unter der Krone Monomachs ganz besonders zu. Denn in Rußland galt ein Menschenleben von jeher nicht viel. Diese Auffassung machte vor der geheiligten Person des Zaren nur pro forma halt.

Für das einfache Volk gründete sie übrigens in der Überzeugung, daß das irdische Dasein nur eine mit göttlichen Prüfungen belegte Durchgangsstation auf dem Wege zum Ewigen Leben sei. Je härter diese Prüfungen ausfallen, desto verheißungsvoller würden sich die paradiesischen Anwartschaften ausnehmen. In diesem Glauben liegt unter anderem die Ursache für die enorme Leidensfähigkeit des russischen Volkes und seine enorme Opferbereitschaft. Die Kehrseite der Medaille ist der extreme Konservatismus, das heißt, die sture Beharrung auf dem Althergebrachten.

Diese beiden Punkte machten Peter die Umsetzung seiner titanischen Vorhaben sauer.

Natürlich verneigten sich die Untertanen vor dem Väterchen Zar. Das aber traf noch lange keine Aussage über die Vorstellungen hinter ihren Stirnen. Genau dahin aber muß ein Herrscher mit seinen Reformgedanken gelangen, wenn er auf Dauer erfolgreich sein will. Denn alleine, ohne Unterstützung vieler seiner ebenfalls reformwilligen Untertanen, stünde er auf verlorenem Posten.

Die Zähigkeit, mit der das russische Volk am Glauben und an den Gebräuchen seiner Väter festhielt, findet in der Weltgeschichte kaum eine Entsprechung, wenn man das orthodoxe Judentum außen vor zu lassen gewillt ist. Die Bevölkerung war weder Wort noch Knute zugänglich und ganz im Gegenteil – rückte man diesen Menschen auf den Pelz, um sie von ihren Öfen herunterzuprügeln – so sahen sie im Handumdrehen ihren gottgegebenen Zaren als Antichristen und Gesandten des Teufels und ihre Widerspenstigkeit als gottgefälliges Martyrium. Bestärkt wurden sie in dieser Attitüde durch den Umstand, daß der Zar in jungen Jahren im Rahmen der Großen Delegation eine Bildungsreise ins ketzerische Abendland, vornehmlich ins protestantische Holland unternahm (was ein unerhörtes Novum in der russischen Geschichte darstellte – hatte doch nie zuvor ein Zar Mütterchen Rußland auch nur ansatzweise den Rücken gekehrt) und von dort auch noch zu allem Überfluß ketzerische Spezialisten mit zurück ins Land brachte, wie zum Beispiel seinen langjährigen Busenfreund und Intimus Franz Lefort.

All das rief den erbitterten Widerstand der russischen Magnaten sowie breitester Schichten der Bevölkerung hervor, den nur ein eiserner Wille zu brechen vermochte.

Notwendigkeiten für grundlegende Veränderungen wurden auf diesen Ebenen absolut nicht empfunden. Wozu auch? Man lebte wie die Väter und deren Väter. Und hatten die nicht auch ein gottgefälliges Leben auch ohne Neuerungen und Reformen zu leben vermocht. Warum also etwas ändern?

Nun, Peter sah weiter: Wenn es Rußland nicht stehenden Fußes gelingen würde, den Anschluß an den Okzident wiederherzustellen, würde sich dieser über kurz oder lang der unermeßlichen Ressourcen des Landes bemächtigen und dieses gnadenlos kolonisieren und ausbeuten. Die lange Isolation, die seit der „Schlacht“ auf dem Peipussee (nach heutigen Erkenntnissen handelte es sich bei diesem Treffen zwischen Rittern des litauischen Schwertbruderordens und russischen Kriegern unter Alexander Newskij im Jahre 5. April 1242 entgegen der Propaganda der modernen russischen Historiker eher um ein kleines Scharmützel zwischen ein paar Dutzend Bewaffneten), immer mehr verschärft wurde, hatte dem Land einen tiefen Winterschlaf beschert.

Ähnlich, wie mit Japan und China später wirklich geschehen, wäre dieser schlafende Riese ausländischen Invasionstruppen unweigerlich in die Hände gefallen, wie eine reife Frucht. Peter war erfahren und klug genug, diesen Fakt zu erkennen. Das Zeitalter, in dem er lebte, machte in aller Regel noch weniger Federlesens mit schwachen aber ökonomisch lukrativen Ländern als heute. Potentaten waren machiavellistisch orientiert und handelten nach der Maxime: „Nehme ich es nicht heute, holt es sich morgen ein anderer!“ (Siehe zweite Teilung Polens).

Daß derartige Ambitionen permanent bestanden, hatte Rußland im Laufe seiner Geschichte häufig genug bitter erfahren müssen. Seien es die Mongolenstürme des Mittelalters, seien es die begehrlichen Expansionsbestrebungen der Deutschen Hanse (Peterhof in Nowgorod am Ilmensee) oder des katholischen Polens oder des alten Erzfeindes Litauen, daß damals weitaus gewaltigere Ausmaße hatte, als der heutige Staat gleichen Namens). Man denke ferner an die ständigen Übergriffe des osmanischen Reiches im Süden (Krim und Asow) und die immensen Tributzahlungen, die die Russen jahrhundertelang den tatarischen Khanaten im Osten in der Gegend um Kasan an der Wolga zu leisten hatte.

Wie es endet, wenn technisch und organisatorisch überlegene Invasoren den Lebensraum eines unterlegenen Volkes besiedeln – auch dafür hielt die europäische Geschichte entsprechende Exempel parat: Während dieser Artikel zum Teil in einem Zugabteil der Deutschen Reichsbahn entsteht, rollt der Autor durch die Gaue der slawischen Spreewanen und Heveller? Erzbischof Wichmann, seine Würdigung findet sich ebenfalls in der Sammlung „Persönlichkeiten“ des „Landboten“, leistete Pionierarbeit: vierhundert Jahre nach Beginn seiner Kolonisationspolitik in diesen Wendengauen starb der letzte Wende, der noch muttersprachlich slawisch sprach. Ein Volk hatte aufgehört zu existieren!

Das war die unmißverständliche Drohung am Horizont über den unendlichen Weiten russischen Landes.

Peter hatte nur eben keine Zeit, diese Fakten propagandistisch mundgerecht aufzuarbeiten und seine Russen behutsam damit zu füttern. Ein späterer „Zar“, Michail Gorbatschow, formulierte den Jahrhundertsatz: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“ Peter hatte nur eines und das wollte er nutzen! Die Russen hatten zu spuren, sonst kam Peter über sie!

Warum nun wurden die russischen Verhältnisse so langwierig erklärt? Weil sich Peters Raserei und grauenhaftes Wüten unter seinen Leuten, so sie denn nicht nach seiner Pfeife tanzen wollten, nicht anders relativieren läßt.

Ein Vater lockt seinen widerspenstigen, desertierten Sohn unter falschen Versprechungen und Sicherheitszusagen zurück nach Rußland und prügelt ihn dann eigenhändig und meineidig zu Tode. Schrecklich nicht wahr? Was muß dieser Vater für ein Ungeheuer sein? Das Ungeheuer war Zar Peter. Und die Staatsraison verlangte nach einer solchen Maßnahme, man mag heutigen Datums moralisch getroffen aufheulen oder nicht. Besser der eigene, mißratene Sohn wurde geopfert als das Lebenswerk und mit ihm die Zukunft des russischen Volkes.

Was dieser Zar in erster Linie brauchte, waren verständige und bedingungslos loyale Gefolgsleute, wie zum Beispiel sein lebenslanger Favorit Alexaschka Danilowitsch Menschikow. Ein korrupter Günstling von überragendem organisatorischem Format, beherzt und mutig bis zur Selbstaufgabe und seinem Zaren bis in die Knochen ergeben. Dem Vernehmen nach soll er eine brutale, also für einen Straßenbengel Moskaus normale Kindheit gehabt haben, in der er sich mit dem Verkauf von Pasteten über die Runden brachte. Moskauer Straßen können einen Mann vom spritzigen Geist Menschikows enorm schulen. Diese Erfahrungen machten diesen Mann für Peter unentbehrlich. Doch solche Leute waren dünn gesät. Die große Mehrheit der Russen hatte nicht vor, aus der dumpfen Lethargie auszubrechen, die seit Jahrhunderten über dem Land lag.

Schon aus diesem Grunde konnte der rebellierende Zarewitsch (Kronprinz) auf eine breite Unterstützung aller Schichten der Bevölkerung rechnen. Worauf er jedoch besser keine Kopeke hätte wetten sollen, war die Hoffnung, sein Vater könnte sich von solchen Umtrieben beeindrucken lassen.Denn dessen Kopf war helle und auf der Hut. Und ebenso verstand er es, wie am Beispiel Menschikows gezeigt, fähige Leute nicht nur an sich zu binden, sondern sie mehr noch – an sich zu ketten! Denn diese Männer waren nichts ohne ihn. Im Augenblick, da seine Hand sie nicht mehr zu schützen konnte, mußten sie gewärtig sein, zerrissen zu werden. Menschikow überlebte zwar den Tod seines Herren und Meisters, wurde jedoch von seinen Gegnern weit weg vom Moskauer und Petersburger Hof in den hohen sibirischen Norden verbannt. Eine für russische Verhältnisse ungewöhnlich milde Maßnahme. Und dessen waren sich diese Männer wohl bewußt. Sie standen und fielen mit Peter. Schon seine Maßnahme, selbst seine etwas gemäßigteren Gegner an den Strelitzenhinrichtungen aktiv zu beteiligen, zeugt von seiner Vorsicht, sie im Falle seines Scheiterns an sein Schicksal zu binden und sie somit zu zwingen, sich seinen Bestrebungen unterzuordnen oder besser noch – sich selbst zu eigen zu machen.

Alles in allem kann man zusammenfassen, daß Peter für seine Russen der rettende Glücksfall war, der sogar das Fundament legte für den späteren Aufstieg der Sowjetunion zur Supermacht. Nicht alle Vorstellungen konnte er bis zu seinem relativ frühen Tod verwirklichen. Einer der strategischen Hauptbestrebungen, Rußland einen ganzjährig eisfreien Zugang zu den Weltmeeren zu verschaffen, kam er mit seiner Stadtgründung St.Petersburg im sumpfigen Mündungsgebiet der Newa sicherlich etwas näher. Dieser Teilsieg aber wurde durch einen enormen Blutzoll erkauft. Die Schinderei, mit der diese Stadt aus dem frostigen Morast heraus erbaut wurde, dürfte biblische Dimensionen haben.

Vor Narva, Reval und Dorpat jedoch scheiterte auch Peter. Ganz zu schweigen von Königsberg in Preußen oder der Bornholmer Halbinsel Hammeren. Letztere versucht er auf diplomatischem Wege dem Dänenkönig abzuschwatzen, um eine russische Kriegsmarine an diesem baltischen Schlüsselpunkt etablieren zu können.

Wie dem auch sei. Mit seinem Tode war Rußland nicht mehr dasselbe, das er mit seiner Machtübernahme angetroffen hatte. Im Reigen der europäischen Mächte sollte das Riesenreich hinfort eine gewichtige Rolle spielen. Es war nicht mehr der verschlafene, etwas exotisch anmutende Bär aus der fernen Steppe jenseits der Zivilisation. Und wer immer in den folgenden Jahrhunderten im alten Europa Politik zu machen trachtete, er tat gut daran, auf die Meinung St. Petersburgs und Moskaus Rücksicht zu nehmen.

Mithin taten die Russen Recht daran, daß sie das Andenken ihres größten Zaren auch in Ehren hielten, als die sieben Jahrzehnte währende bolschewistische Herrschaft sämtliche Relikte des alten Feudalsystems zu vaporisieren trachtete. Sie erhielten sich damit das Fundament ihrer nationalen Größe.

P 1. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2003