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Der Einleitungssatz: „es
gab wohl keinen Zaren, der…“ ist abgedroschen und daher
stillos. Dennoch trifft er den Nagel auf den Kopf. Zumindest, was die
überragenden Leistungen betrifft, für die Rußland diesem
Manne Dank schuldet. Nicht einmal Iwan Grosnij
hat den russischen Bären so von seinem Ofen heruntergeprügelt
und dessen dicken Schädel nach Westen gekehrt, wie Peter Romanow.
Es ist schwer für einen in der Kultur des Abendlandes aufgewachsenen
Menschen, das Lebenswerk und die Persönlichkeit Peters einzuordnen.
Eines vorweg: Rußland ist nicht Westeuropa! Occidentale Wert-
und andere Maßstäbe haben in den endlosen Weiten östlich
des Bug kaum Bedeutung.
Man muß sich in die russische Seele und Denkweise hineinversetzen,
will man zu einer gerechten Beurteilung des oft widersprüchlichen
Verhaltens des großen Monarchen gelangen.
Die Meinungen gehen auseinander: Während die einen ihn für
einen aufgeklärten, wissensdurstigen und blitzgescheiten Kaiser
von ungeheurer Dynamik halten, schätzen die anderen ihn als byzantinischen
Despoten von schurkischem Format, als Massenschlächter und Sohnesmörder
ein. Er war beides. Und noch viel mehr. Und er mußte es sein!
Das Rußland, in das er hineingeboren wurde, hätte einem Schwächling
oder Versager nicht den Hauch einer Chance gelassen. Wie zu Iwan
Grosnijs Zeiten, versuchte auch einhundertfünfzig Jahre später
eine Oligarchie von raub- und machtgierigen Bojaren und Fürsten,
ein Regiment zu eigenem Nutzen zu unterhalten. Diese Bojaren belauerten
sich gegenseitig, wie ein Rudel Wölfe. Strauchelte einer, mußte
er gewärtig sein, zerrissen zu werden. Und das Väterchen Zar
hatte würdevoll über dieser Oligarchie zu thronen und für
den Pöbel den sakrosankten Popanz zu geben. So dachten sie sich
das. Bestenfalls hätte man dem Zaren und Großfürsten
von Moskau die Position eines Primus inter pares zugestanden. Aber eine
Autokratie, deren eisernen Willen sie sich bedingungslos zu unterwerfen
hätten – dieser Gedanke war ihnen spätestens seit Iwan
Grosnij suspekt. Und kampflos würden sich die Bojaren ums Verrecken
nicht mit einer solchen Idee arrangieren – das war klar.
Als Peters Vater starb, waren dessen beide Kinder Iwan und Peter noch
unmündige, kleine Kinder. Ihre ältere Halbschwester Sofia
wurde als Regentin für die jüngeren Brüder eingesetzt.
Für die russischen Feudalherren eine ideale Konstellation. Sie
glaubten auf absehbare Zeit alle Freiheiten der Welt zu haben, Sofia
achtete die Religion und die überkommenen Sitten und Gebräuche,
man ließ sich gegenseitig in Ruhe. Die Bojaren etablierten sich.
Aber im Preobraschenskoje-Palast nahe Moskau wuchs ein Wolfswelpe heran,
der aus einem anderen Holz geschnitzt war.
Das Bürschlein hatte einen so ganz anderen Charakter, als man ihn
gemeinhin bei Heranwachsenden, zumal aus solch elitären Kreisen
stammenden, vermutet. Er besaß einen hellwachen Verstand, war
neugierig und früh auf den Beinen. Die traumatischen Erfahrungen
seiner Kindheit und frühen Jugend, die er mit seinem großen
Amtsvorgänger auf dem Zarenthron, Iwan Grosnij,
teilte, hatten ihm zwar einerseits eine permanente Todesangst eingeflößt,
ihn aber hinwiderum mit einer stets paraten Wachsamkeit, einem alerten
Geist und einem sehr sensiblen Gespür für drohende Gefahren
ausgestattet. Diese Instinkte sollten ihm später mehr als einmal
Kopf und Kragen retten.
Zudem entwickelte Peter ein beinahe untrügliches Gespür für
Menschen. Natürlich blieben auch ihm enttäuschende Erfahrungen
nicht erspart, wie sie beispielsweise ein anderer großer Kaiser,
unser Friedrich II. von Hohenstaufen zur Genüge machen mußte.
Aber alles in allem gelang es ihm doch einen Kader von Freunden und
Weggefährten um sich zu scharen, auf die er sich vor allem in Notsituationen
unbedingt verlassen konnte. Und wie fast immer in solchen Zeiten des
Umbruchs wurden Männer und Frauen aus den ärmeren Schichten
der Bevölkerung aufgrund ihrer Fähigkeiten, Talente und besonderen
Verdienste an die bedeutendsten Positionen des Staates gespült,
an die Schaltstellen der Macht, an denen sie selbstredend den Versuchungen
der Korruption besonders exponiert ausgesetzt waren. Nur wenige widerstanden.
Wer solche Schwächen allzu deutlich zeigte, bzw. diese nicht durch
entsprechende Leistungen im Sinne des Staates zu relativieren vermochte,
der lernte ganz schnell die andere, die dunkle Seiten des Menschen Peter
Romanow kennen.
Kostproben seines uns grausam anmutenden orientalischen Despotismus,
gekoppelt mit seinem beinahe untrüglichen politischen Spürsinn
gab er schon früh nach seinem Machtantritt ab, als er die Strelitzen,
(eine zaristische Elitetruppe und Garde, die meinte, kraft ihrer Bewaffnung
und Stärke bei der Zarenwahl und der Ausgestaltung der Politik
ein Wörtchen mitreden zu müssen,) an Haupt und Gliedern in
einem schrecklichen Blutgericht zu Moskau Maß nahm. Der Strelitzenaufstand
wurde im großen und ganzen von seiner machtgierigen Halbschwester
Sofia initiiert. Peters Rache war fürchterlich! Wenn der Rote Platz
bis dahin noch nicht so geheißen hätte, ab diesem Tage hätte
er wohl keinen anderen Namen mehr tragen können. Bei den Massenhinrichtungen,
bei denen Peter selbst das Beil führte, zwang er auch die Bojaren
und teilweise sogar die ausländischen Gesandten zur Teilung der
Verantwortung – er ließ sie bei den Hinrichtungen mit Hand
anlegen. Was das für die Opfer bedeutete, entzieht sich wahrscheinlich
jeder Vorstellung. Ungeübte und kraftlose Hände, mit dem Henkershandwerk
gänzlich unvertraut, fügten den Delinquenten entsetzlichste
Qualen zu, bevor diese endlich von ihrem gnädigen Tod erlöst
wurden.
Der Schock saß tief im russischen Volk. Aber die Botschaft war
angekommen: Dieser Zar meinte, was er sagte und es war niemandem zu
empfehlen, sich seinem Willen entgegenzustemmen. Und dieser Zar wollte
sein Volk aus dessen unsagbarem Elend und Dreck und Schmutz und seiner
Lethargie erwecken. Es sollte den Wohlstand und die Prosperität
erfahren dürfen, wie er sie bei seiner großen Reise durch
Westeuropa, die ihn durch Deutschland und Holland bis nach England führte,
gesehen hatte. Das ließ sich nur durch eine gewaltige Reform der
gesamten Gesellschaft erreichen. Die frühfeudalen Strukturen, die
dieses gewaltige Land beherrschten, mußten vollständig durch
moderne Formen der Staatsführung ersetzt werden.
Verwaltungsbeamte
mußten aufgrund von Qualifikation und Eignung benannt werden und
nicht, wie üblich, den Job vermittels ihrer Herkunft aus noblem
Hause übertragen bekommen. Der erbitterte Wiederstand des Adels
war vorprogrammiert. Doch das entscheidende Moment, was die Reformresistenz
Rußlands ausmachte, war die enorme Größe und Ausdehnung
des Landes: Rußland ist groß und der Zar ist weit! In diesem
russischen Sprichwort ist alles gesagt. Es umschreibt präzise die
Schwierigkeiten, mit denen sich sogar noch die Zaren der Gegenwart,
trotz modernster Kommunikationsmittel konfrontiert sehen.
Veränderung und Fortschritt waren keine alternativen Diskussionspunkte.
Sie waren überlebenswichtige Notwendigkeiten in einem überalterten
Land, das den Anschluß an den Rest der zivilisierten Welt schon
verloren hatte. Peter wußte das und er nahm die Herausforderung
an. Wenn es je eine realistische Entsprechung zu den antiken Augirasställen
gab, deren Ausmistung sich Herkules zu widmen hatte, dann war es Rußland
zur Zeit Peters.
Und dabei muß man im Auge behalten, daß der „Beruf“
des Zaren exponiert lebensgefährlich war. Wenn Despotenleben im
allgemeinen schon nicht allzu lange währten und des öfteren
ein gewaltsames Ende fanden, so trifft das für die Herrscher unter
der Krone Monomachs ganz besonders zu. Denn in Rußland galt ein
Menschenleben von jeher nicht viel. Diese Auffassung machte vor der
geheiligten Person des Zaren nur pro forma halt.
Für das
einfache Volk gründete sie übrigens in der Überzeugung,
daß das irdische Dasein nur eine mit göttlichen Prüfungen
belegte Durchgangsstation auf dem Wege zum Ewigen Leben sei. Je härter
diese Prüfungen ausfallen, desto verheißungsvoller würden
sich die paradiesischen Anwartschaften ausnehmen. In diesem Glauben
liegt unter anderem die Ursache für die enorme Leidensfähigkeit
des russischen Volkes und seine enorme Opferbereitschaft. Die Kehrseite
der Medaille ist der extreme Konservatismus, das heißt, die sture
Beharrung auf dem Althergebrachten.
Diese beiden Punkte machten Peter die Umsetzung seiner titanischen Vorhaben
sauer.
Natürlich verneigten sich die Untertanen vor dem Väterchen
Zar. Das aber traf noch lange keine Aussage über die Vorstellungen
hinter ihren Stirnen. Genau dahin aber muß ein Herrscher mit seinen
Reformgedanken gelangen, wenn er auf Dauer erfolgreich sein will. Denn
alleine, ohne Unterstützung vieler seiner ebenfalls reformwilligen
Untertanen, stünde er auf verlorenem Posten.
Die Zähigkeit, mit der das russische Volk am Glauben und an den
Gebräuchen seiner Väter festhielt, findet in der Weltgeschichte
kaum eine Entsprechung, wenn man das orthodoxe Judentum außen
vor zu lassen gewillt ist. Die Bevölkerung war weder Wort noch
Knute zugänglich und ganz im Gegenteil – rückte man
diesen Menschen auf den Pelz, um sie von ihren Öfen herunterzuprügeln
– so sahen sie im Handumdrehen ihren gottgegebenen Zaren als Antichristen
und Gesandten des Teufels und ihre Widerspenstigkeit als gottgefälliges
Martyrium. Bestärkt wurden sie in dieser Attitüde durch den
Umstand, daß der Zar in jungen Jahren im Rahmen der Großen
Delegation eine Bildungsreise ins ketzerische Abendland, vornehmlich
ins protestantische Holland unternahm (was ein unerhörtes Novum
in der russischen Geschichte darstellte – hatte doch nie zuvor
ein Zar Mütterchen Rußland auch nur ansatzweise den Rücken
gekehrt) und von dort auch noch zu allem Überfluß ketzerische
Spezialisten mit zurück ins Land brachte, wie zum Beispiel seinen
langjährigen Busenfreund und Intimus Franz Lefort.
All das rief den erbitterten Widerstand der russischen Magnaten sowie
breitester Schichten der Bevölkerung hervor, den nur ein eiserner
Wille zu brechen vermochte.
Notwendigkeiten für grundlegende Veränderungen wurden auf
diesen Ebenen absolut nicht empfunden. Wozu auch? Man lebte wie die
Väter und deren Väter. Und hatten die nicht auch ein gottgefälliges
Leben auch ohne Neuerungen und Reformen zu leben vermocht. Warum also
etwas ändern?
Nun, Peter sah weiter: Wenn es Rußland nicht stehenden Fußes
gelingen würde, den Anschluß an den Okzident wiederherzustellen,
würde sich dieser über kurz oder lang der unermeßlichen
Ressourcen des Landes bemächtigen und dieses gnadenlos kolonisieren
und ausbeuten. Die lange Isolation, die seit der „Schlacht“
auf dem Peipussee (nach heutigen Erkenntnissen handelte es sich bei
diesem Treffen zwischen Rittern des litauischen Schwertbruderordens
und russischen Kriegern unter Alexander Newskij im Jahre 5. April 1242
entgegen der Propaganda der modernen russischen Historiker eher um ein
kleines Scharmützel zwischen ein paar Dutzend Bewaffneten), immer
mehr verschärft wurde, hatte dem Land einen tiefen Winterschlaf
beschert.
Ähnlich,
wie mit Japan und China später wirklich geschehen, wäre dieser
schlafende Riese ausländischen Invasionstruppen unweigerlich in
die Hände gefallen, wie eine reife Frucht. Peter war erfahren und
klug genug, diesen Fakt zu erkennen. Das Zeitalter, in dem er lebte,
machte in aller Regel noch weniger Federlesens mit schwachen aber ökonomisch
lukrativen Ländern als heute. Potentaten waren machiavellistisch
orientiert und handelten nach der Maxime: „Nehme ich es nicht
heute, holt es sich morgen ein anderer!“ (Siehe zweite Teilung
Polens).
Daß derartige Ambitionen permanent bestanden, hatte Rußland
im Laufe seiner Geschichte häufig genug bitter erfahren müssen.
Seien es die Mongolenstürme des Mittelalters, seien es die begehrlichen
Expansionsbestrebungen der Deutschen Hanse (Peterhof in Nowgorod am
Ilmensee) oder des katholischen Polens oder des alten Erzfeindes Litauen,
daß damals weitaus gewaltigere Ausmaße hatte, als der heutige
Staat gleichen Namens). Man denke ferner an die ständigen Übergriffe
des osmanischen Reiches im Süden (Krim und Asow) und die immensen
Tributzahlungen, die die Russen jahrhundertelang den tatarischen Khanaten
im Osten in der Gegend um Kasan an der Wolga zu leisten hatte.
Wie es endet, wenn technisch und organisatorisch überlegene Invasoren
den Lebensraum eines unterlegenen Volkes besiedeln – auch dafür
hielt die europäische Geschichte entsprechende Exempel parat: Während
dieser Artikel zum Teil in einem Zugabteil der Deutschen Reichsbahn
entsteht, rollt der Autor durch die Gaue der slawischen Spreewanen und
Heveller? Erzbischof Wichmann,
seine Würdigung findet sich ebenfalls in der Sammlung „Persönlichkeiten“
des „Landboten“, leistete Pionierarbeit: vierhundert Jahre
nach Beginn seiner Kolonisationspolitik in diesen Wendengauen starb
der letzte Wende, der noch muttersprachlich slawisch sprach. Ein Volk
hatte aufgehört zu existieren!
Das war die unmißverständliche Drohung am Horizont über
den unendlichen Weiten russischen Landes.
Peter hatte nur eben keine Zeit, diese Fakten propagandistisch mundgerecht
aufzuarbeiten und seine Russen behutsam damit zu füttern. Ein späterer
„Zar“, Michail Gorbatschow, formulierte den Jahrhundertsatz:
„Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“ Peter
hatte nur eines und das wollte er nutzen! Die Russen hatten zu spuren,
sonst kam Peter über sie!
Warum nun wurden die russischen Verhältnisse so langwierig erklärt?
Weil sich Peters Raserei und grauenhaftes Wüten unter seinen Leuten,
so sie denn nicht nach seiner Pfeife tanzen wollten, nicht anders relativieren
läßt.
Ein Vater lockt seinen widerspenstigen, desertierten Sohn unter falschen
Versprechungen und Sicherheitszusagen zurück nach Rußland
und prügelt ihn dann eigenhändig und meineidig zu Tode. Schrecklich
nicht wahr? Was muß dieser Vater für ein Ungeheuer sein?
Das Ungeheuer war Zar Peter. Und die Staatsraison verlangte nach einer
solchen Maßnahme, man mag heutigen Datums moralisch getroffen
aufheulen oder nicht. Besser der eigene, mißratene Sohn wurde
geopfert als das Lebenswerk und mit ihm die Zukunft des russischen Volkes.
Was dieser Zar in erster Linie brauchte, waren verständige und
bedingungslos loyale Gefolgsleute, wie zum Beispiel sein lebenslanger
Favorit Alexaschka Danilowitsch Menschikow. Ein korrupter Günstling
von überragendem organisatorischem Format, beherzt und mutig bis
zur Selbstaufgabe und seinem Zaren bis in die Knochen ergeben. Dem Vernehmen
nach soll er eine brutale, also für einen Straßenbengel Moskaus
normale Kindheit gehabt haben, in der er sich mit dem Verkauf von Pasteten
über die Runden brachte. Moskauer Straßen können einen
Mann vom spritzigen Geist Menschikows enorm schulen. Diese Erfahrungen
machten diesen Mann für Peter unentbehrlich. Doch solche Leute
waren dünn gesät. Die große Mehrheit der Russen hatte
nicht vor, aus der dumpfen Lethargie auszubrechen, die seit Jahrhunderten
über dem Land lag.
Schon aus diesem
Grunde konnte der rebellierende Zarewitsch (Kronprinz) auf eine breite
Unterstützung aller Schichten der Bevölkerung rechnen. Worauf
er jedoch besser keine Kopeke hätte wetten sollen, war die Hoffnung,
sein Vater könnte sich von solchen Umtrieben beeindrucken lassen.Denn
dessen Kopf war helle und auf der Hut. Und ebenso verstand er es, wie
am Beispiel Menschikows gezeigt, fähige Leute nicht nur an sich
zu binden, sondern sie mehr noch – an sich zu ketten! Denn diese
Männer waren nichts ohne ihn. Im Augenblick, da seine Hand sie
nicht mehr zu schützen konnte, mußten sie gewärtig sein,
zerrissen zu werden. Menschikow überlebte zwar den Tod seines Herren
und Meisters, wurde jedoch von seinen Gegnern weit weg vom Moskauer
und Petersburger Hof in den hohen sibirischen Norden verbannt. Eine
für russische Verhältnisse ungewöhnlich milde Maßnahme.
Und dessen waren sich diese Männer wohl bewußt. Sie standen
und fielen mit Peter. Schon seine Maßnahme, selbst seine etwas
gemäßigteren Gegner an den Strelitzenhinrichtungen aktiv
zu beteiligen, zeugt von seiner Vorsicht, sie im Falle seines Scheiterns
an sein Schicksal zu binden und sie somit zu zwingen, sich seinen Bestrebungen
unterzuordnen oder besser noch – sich selbst zu eigen zu machen.
Alles in allem kann man zusammenfassen, daß Peter für seine
Russen der rettende Glücksfall war, der sogar das Fundament legte
für den späteren Aufstieg der Sowjetunion zur Supermacht.
Nicht alle Vorstellungen konnte er bis zu seinem relativ frühen
Tod verwirklichen. Einer der strategischen Hauptbestrebungen, Rußland
einen ganzjährig eisfreien Zugang zu den Weltmeeren zu verschaffen,
kam er mit seiner Stadtgründung St.Petersburg im sumpfigen Mündungsgebiet
der Newa sicherlich etwas näher. Dieser Teilsieg aber wurde durch
einen enormen Blutzoll erkauft. Die Schinderei, mit der diese Stadt
aus dem frostigen Morast heraus erbaut wurde, dürfte biblische
Dimensionen haben.
Vor Narva, Reval und Dorpat jedoch scheiterte auch Peter. Ganz zu schweigen
von Königsberg in Preußen oder der Bornholmer Halbinsel Hammeren.
Letztere versucht er auf diplomatischem Wege dem Dänenkönig
abzuschwatzen, um eine russische Kriegsmarine an diesem baltischen Schlüsselpunkt
etablieren zu können.
Wie dem auch sei. Mit seinem Tode war Rußland nicht mehr dasselbe,
das er mit seiner Machtübernahme angetroffen hatte. Im Reigen der
europäischen Mächte sollte das Riesenreich hinfort eine gewichtige
Rolle spielen. Es war nicht mehr der verschlafene, etwas exotisch anmutende
Bär aus der fernen Steppe jenseits der Zivilisation. Und wer immer
in den folgenden Jahrhunderten im alten Europa Politik zu machen trachtete,
er tat gut daran, auf die Meinung St. Petersburgs und Moskaus Rücksicht
zu nehmen.
Mithin taten die Russen Recht daran, daß sie das Andenken ihres
größten Zaren auch in Ehren hielten, als die sieben Jahrzehnte
währende bolschewistische Herrschaft sämtliche Relikte des
alten Feudalsystems zu vaporisieren trachtete. Sie erhielten sich damit
das Fundament ihrer nationalen Größe.
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