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Bosch, Hieronymus Erzbischof Wichmann von Seeburg, Erzbischof von Magdeburg Friedrich der Große von Preußen Friedrich Wilhelm I. von Preußen Guenther, stud.med. Johann Christian Gundling, Jacob Paul Freiherr von
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Iwan der Schreckliche Zar des Russischen Reiches, Großfürst von Moskau *1530 +1584 Der erste und einer der ganz großen Zaren von Rußland war Iwan der IV. Grosznyi. Böswillig von dem deutschen Abenteurer Heinrich von Staden, einem Opritschnik, übersetzt mit "der Schreckliche". Diese Übersetzung ist falsch. Korrekterweise hieße es "der Drohende". Die sensationslüsternen Westeuropäer griffen die falsche Bezeichnung mit wohlig-gruseligem Schauer auf und behielten sie bei. Sie paßte so recht zu den wildromantischen Vorstellungen, die man sich an gutgeheizten, abendländischen Kaminen vom Dritten Rom machte, diesem ewig drohenden Vorposten Asiens. Es soll hiermit keineswegs gesagt werden, daß Iwan ein sonderlich zartfühlender Mensch gewesen sei, der keiner Fliege 'was zu leide tun konnte. Ganz im Gegenteil. Nur muß man diesen Punkt, will man objektiv bleiben, in den Kontext der Zeit stellen. Der Umgang der Menschen miteinander war nun einmal drakonischer Natur und wenn es um die Macht geht, war niemand zimperlich. Ein Leben zählte wenig und das geringste Zeichen von Schwäche hätte oft einen tödlichen Verlust an Achtung und Respekt bedeutet. Zu allen Zeiten wollte Kain die Macht über seinen Bruder Abel haben. Hatte der keine Lust, beherrscht zu werden, oder gar eigene Ambitionen, so wurde er maßgenommen mit allem, was greifbar war. Das ist heute prinzipiell genauso. Da hat sich nichts geändert. Nur heute werden in den Wohlstandsgesellschaften die Methoden der Machterlangung und -ausübung etwas verfeinert und sublimiert. Wenn man mal vom Rotlicht- und Drogenmilieu absieht. In solch brutale Verhältnisse nun wurde Iwan 1530 als Sohn des regierenden Großfürsten von Moskau, Wassilij und dessen Frau Helene hineingeboren. Der Vater starb, als Iwan noch jung war und konnte ihm kein Halt mehr sein. Die Mutter, eine ausgesprochen fähige und resolute Dame versuchte nach Kräften, das Werk ihres verstorbenen Mannes fortzusetzen. Unterstützt wurde sie dabei von ihrem Onkel Michail Glinskij und ihrem Berater und wahrscheinlich auch Liebhaber Obolenskij... Der überwiegende Rest der Fürsten und Bojaren jedoch war keineswegs an einer starken Zentralgewalt interessiert und wünschte Jelena (Helene) zu allen Teufeln. Wohin man sie auch bald sandte. Vermittels eines vergifteten Essens, wie das in den regierenden Kreisen nicht unüblich war. Als Jelena tot war, ging der junge Iwan seines letzten Schutzes verlustig. Obolenskij, der ihm wohl eine Art väterlicher Freund und Schutz gewesen war, wurde verhaftet und in ein entferntes Gefängnis gebracht, in dem man ihn verhungern ließ. Iwans Amme Agrafena ........... wurde in ein ebenfalls entferntes Kloster gebracht und verlor damit ebenfalls jede Möglichkeit, zu Gunsten ihres Schützlings zu intervenieren oder auch nur im Entferntesten tätig zu werden. Iwan war allein! Die Schuijskijs, eine alte Bojarenfamilie, hatten zu jener Zeit zwei besonders niederträchtige Halunken hervorgebracht: Andreij und Iwan Schuiskij. Diese begannen sofort nach dem Ableben Jelenas die Macht gründlich an sich zu reißen. Ihre einzige Konkurrenz sahen sie nicht etwa in dem jungen Thronerben von Moskau, Iwan, sondern vielmehr in dem ebenfalls machthungrigen Fürsten Belskij. Während dieser Kämpfe und Wirren führte der junge Iwan in den dunklen Mauern des Moskauer Granit-Palastes ein einsames und verlorenes Leben, daß man sich ganz ähnlich vorstellen kann, wie das des heranwachsenden Friedrich II. Roger von Hohenstauffen, des Enkels Barbarossas in Palermo. Wie dieser war auch Iwan von einer überragenden Intelligenz und Auffassungsgabe. Wie dieser konnte Iwan sich glücklich schätzen, wenn man ihn nicht behelligte oder ihm gar nach dem Leben trachtete. Dieses Leben war wie das zu Palermo dreihundert Jahre früher nur mehr ein Faustpfand in den Händen der herrschenden Cliquen. Die normannischen und deutschen Barone auf Sizilien höhnten den jungen Friedrich einen Ragazzo, ein Zaunköniglein, während Schuiskij somit offen dessen Machtlosigkeit bloßstellte. Beide Herrscher, Friedrich und Iwan, wurden durch diese Kindheitstraumata nachhaltig geprägt. Ihr späterer mißtrauischer Charakter, ihre Sehnsucht nach einem Freund, dem sie rückhaltlos vertrauen durften, und ihr rasender und ungebändigter Zorn, wenn sie diese Vertrauen verraten glaubten, stammen wohl aus dieser Ecke ihrer Biographie. In einem Punkte irrten die Schuijskis gewaltig. Wenn sie je geglaubt hatten, Iwan in ihrem Sinne beeinflussen zu können, so waren sie allein mit ihrem vulgären, pöbelhaften, grausamen und proletenhaften Verhalten bei einem hochgebildeten Feingeist wie Iwan, auf dem Holzweg. Da nützte es auch nichts, einen willfährigen Metropoliten von Moskau einzusetzen, der die Erziehung des jungen Großfürsten übernehmen sollte. Die geistlichen Oberhäupter der russischorthodoxen Kirche waren dem Heranwachsenden mehr oder minder heimlich gewogen. Das Verhalten der Shuijskijs machte sie zu den meistgehaßten Menschen Rußlands und nicht einmal die Metropoliten, die ihre Stellung diesen Verbrechern zu danken hatten, konnten Sympathien für ihre Förderer entwickeln. Als Iwan 13 Jahre alt war, machte er dem Spuk abrupt ein Ende, indem er den Fürsten Iwan Schuijskij von seiner Leibwache verhaften ließ. Die Bodyguards setzten den Befehl zum Erstaunen aller nicht nur sofort in die Tat um, sie gingen noch einen entscheiden Schritt weiter: Anstatt Iwan Schuijskij nur zu verhaften und einzukerkern, wie es ihnen aufgetragen war, brachten sie ihn bestialisch um und verhinderten somit, daß er noch einmal in Freiheit kam um sein verbrecherisches Treiben fortzusetzen. Man hatte schon entsprechende Erfahrungen mit der Schlangenbrut gemacht. Trotzdem bleibt diese Aktion bis heute ein Wunder der Weltgeschichte. Wenn man sich nur ein wenig auskennt mit der Dynamik machtpolitischer Vorgänge, kann man nur anerkennen, daß Gottes Arm bei der Verhaftung des Oberverbrechers anwesend war. Ein Atheist mag es immerhin unverschämtes Glück nennen. Aber Glück gehört nun einmal dazu. Auch seinem großen Nachfolger Peter dem Großen, auf den an entsprechender Stelle noch eingegangen werden wird, hätte seine enorme Tüchtigkeit und sein großes Herrscher- und Managertalent nicht viel genützt ohne das entsprechende Quentchen Glück. Iwan hatte es. Das russische Volk atmete erst einmal tief durch. Um die außenpolitische Situation Rußlands zu verstehen, in die Iwan hineingeboren wurde, machen wir uns klar, daß dieses große Land seit zweihundert bis dreihundert Jahren von den Nachfolgern Dschingis-Chans bedrängt wurde, die sich in den Gebieten von Kasan und Astrachan entlang der Wolga, sowie auf der Krim niedergelassen hatten und in dem türkisch-muslimischen Sultanat vom Bosporus einen mächtigen Verbündeten hatten. Im Westen stand den Interessen Rußlands ein ebenso mächtiger, römisch-katholischer Block in Gestalt Polens und Litauens gegenüber, der zu diesem Zeitpunkt sämtliche Ostseehäfen wie Reval und Narva, Riga und Dorpat beherrschte. Litauen darf man sich nicht als den baltischen Zwergstaat vorstellen, der heutigen Tages um Einlaß in die Europäische Union nachsucht. Polen und Litauen, damals geführt in Personalunion vom König Sigismund umfaßte ein Herrschaftsgebiet, das von der Ostsee bis hinunter ans Schwarze Meer reichte. Klein- und Weißrußland, sowie die Ukraine wurden nicht von Moskau aus regiert. Im Gegenteil: Sie machten Moskau das Leben schwer. Der Kreml befand sich sozusagen in einem permanenten Zweifrontenkrieg. Die Khanate forderten exorbitante Tribute, die Litauer forderten für großrussische Handelsmetropolen wie Nowgorod am Ilmensee gewaltige Zölle. Alle von den russischen und speziell von den Moskauer Großfürsten unternommenen Befreiungsschläge verliefen bis dato mehr oder weniger im Sande. Das russische Volk verkam in bettelnder Armut. Die ungeheure Leidensfähigkeit und Gottergebenheit dieser Menschen wurde wahrscheinlich zu dieser Zeit entscheidend geprägt. Iwan begriff sich nicht nur als Gottgesalbter, sondern sah sein Herrschaftsamt durchaus als Auftrag. Die Weisung seines Gottes, der ihn zu diesem Amte durch Geburt berufen hatte, lautete eindeutig, die Belange und Interessen des russischen Volkes zu schützen und die Lebensumstände der Menschen zu bessern. Dazu waren Reformen in Politik und Verwaltung überfällig, eine strengere Kontrolle der Macht unabdingbar. Daß derlei Bestrebungen den Bojaren und Fürsten nicht gelegen sein konnten, konterkarierten sie doch deren ständige Versuche, eine starke Partikulargewalt zu etablieren und die Moskauer Großfürsten auf den Rang eines "primus inter pares" zu degradieren, versteht sich von selbst. Und wie eingangs erwähnt, gingen beide Seiten bei der Durchsetzung ihrer jeweiligen Ideen nicht sehr fein miteinander um. Es waren ja beliebe nicht nur die feudalen Machthaber, die Iwan zusetzten und immer mal aufs Neue wider den Stachel löckten. Auch die mächtigen Städte, allen voran das altehrwürdige Groß-Nowgorod am Ilmensee (nicht zu verwechseln mit Nischnij-Nowgorod östlich von Moskau), forderten Iwan immer wieder heraus, indem sie seine Souveränität manchmal passiv, manchmal aktiv zu untergraben suchten. "Rußland ist groß und der Zar ist weit!" Dachten sie. Aber sie dachten falsch. Der Zar war näher, als ihnen lieb war. Und über Nowgorod kam er wie das Jüngste Gericht. Was sich dort über Wochen für Greuel abspielten, ist nicht nur westeuropäische Ohren unbeschreiblich. Die Nemesis, die über die reiche Handelsstadt hereinbrach, machte selbst vor den höchsten weltlichen und (nota bene!) geistigen Würdenträgern der Stadt nicht halt. Der Rest der Bevölkerung wurde in einer Art Kollektivhaftung niedergemetzelt und die Leichen der Gemarterten in den Wolchow-Fluß("ch" gesprochen wie Woche, betont auf der zweiten Silbe) geworfen, der noch nach Tagen rot vom Blut der Getöteten war. In der Stadt wird man selbst heute noch widerspruchslos die Übersetzung Heinrich von Stadens "der Schreckliche" akzeptieren. Um so wunderbarer mutet es an, daß das russische Volk diesen Zaren bedingungslos geliebt hat. Um das zu verstehen, muß man sich tief in die russische Seele hineindenken, in deren Verhältnis zu sich selbst, zu ihrem Gott und ihrem Zaren. Wer das nicht vermag, für den wird das alles ein ewiges Rätsel bleiben. Um seine Zentralgewalt zu stärken, verfiel Iwan auf die Idee, eine Art Vorläuferorganisation der SS zu schaffen - die Opritschnina. Das Wort bedeutet: Die außerhalb der alten Rangordnung Stehenden. In dieser Eliteeinheit konnten sich leistungsfähige und kluge Köpfe aus der Unterschicht profilieren, die bei entsprechender Eignung mit Gütern des alten Adels belehnt wurden, die diesem vorher entzogen wurden. Damit war den alten Geschlechtern buchstäblich der Boden unter den Füßen weggezogen worden. Sie waren entmachtet. Leider begannen auch die Opritschniki das alte Spiel von Machtmißbrauch und Gewalt. Die schwarzgewandeten Reiter, denen schon die Güter des alten Adels übereignet worden waren, verlegten sich teilweise sogar auf profanen Straßenraub, Erpressung und Plünderung. Da sie außerhalb der allgemeinen Gesetze standen und nur dem Zaren unterstanden, konnte man sie für diese Taten nicht zur Rechenschaft ziehen. Es hätte sich auch niemand gewagt, denn lange Zeit hielt Iwan seiner Einsatztruppe bedingungslose Treue. Das jedoch erwartete er auch von seiner Elitetruppe. Nicht mal zu Unrecht: Das Leben der Opritschnikis hing unmittelbar vom Leben des Zaren ab - zu schlimm waren diese Bluthunde unter das russische Volk gefahren. Die Enttäuschung folgte auf dem Fuße. In den großen Feldzügen gegen die Khanate versagte die Truppe, die sich bei Gewalttaten gegen die wehrlose Zivilbevölkerung so profiliert hatte, kläglich. In seinen alten Tagen hatte Iwan dann die Nase voll und löste die Truppe auf. Ihren Zweck, die alten renitenten Bojarengeschlechter zu erschrecken, hatte sie mit Bravour erfüllt. Trotz all dieser Brutalität war Iwan ein hochgebildeter und kultivierter Mann. Das Bemerkenswerteste an ihm scheint mir jedoch zu sein, daß er ein echtes Verantwortungsgefühl für seine Taten besaß und nicht aus unumschränkter Machtvollkommenheit handelte. Wenn er sich gezwungen sah, das dennoch zu tun, so scheute er sich nicht, seine ehrlich gefühlte Reue öffentlich zu bekunden. Das für solche sentimentalen Situationen sehr empfängliche russische Volk liebte seinen Zaren dafür um so mehr und verzieh ihm regelmäßig. Die Selbsteinschätzung Iwans wurzelte sehr wahrscheinlich in seiner tiefen Religiosität. Er sah sich natürlich als Gottgesalbter, aber gleichzeitig erwuchs nach seinem Verständnis dieser Stellung eine ungeheure Verantwortung, der er sich mit demselben Eifer und derselben Demut zu stellen suchte, wie zwei Jahrhunderte später der preußische Soldatenkönig Friedrich Wilhelm II. Wie schon oben erwähnt, erstaunt dieser Umstand um so mehr, wenn man der für heutige Maßstäbe schier unvorstellbaren Exzesse und Grausamkeiten gedenkt, zu denen es unter Iwans Rigide kam. Doch sei noch einmal betont, daß die Bojaren, Fürsten und lokalen Machthaber teils reißende Wölfe waren, die auch vor der Person des Großfürsten, respektive des Zaren keineswegs Halt machten. Iwan mußte diese furchtbare Erfahrung mehrmals am eigenen Leibe machen. Als Kind verlor er seine Mutter Jelena, die nur ein paar Stunden nach einem Diner unter Krämpfen zusammenbrach und nach kurzer Zeit verstarb. Sie wurde sang und klanglos in einer der Kathedralen Moskaus verscharrt, was ihre Unbeliebtheit unter dem russischen Adel deutlich unterstrich. (Anlaß genug für tödlichen Haß hatte sie mit ihren, auch von Obolenskij mitinitiierten Reformen geliefert.) Schon dieser Umstand ließ Iwans und seines Bruders Georgijs junges Leben unter keinem guten Stern erscheinen. Daß man beide in den Mauern des Kremls "nur" ignorierte, erscheint unter diesen Bedingungen fast als Glücksfall. Iwan jedoch war sich der latenten Gefahr durchaus bewußt. Man vermutet wohl zu recht, daß sein teilweise pathologisches Mißtrauen auf diese Zeit zurückzuführen ist. Später jedoch konnte es sich Iwan trotz all dieser Gewaltexzesse leisten, mit seinem Rücktritt zu drohen. Allein seine Abwesenheit aus Moskau, verbunden mit der Ankündigung, sich aus dem Regierungsgeschäft zurückzuziehen, wirkte auf die russische Bevölkerung quer durch alle Schichten wie eine Sonnenfinsternis. Panik machte sich breit. Die Menschen brachen auf von Pflug und Herd und pilgerten in großen Bittprozessionen ihrem Zaren nach um ihn zur Umkehr zu bewegen. Gottes Hammer jedoch traf ihn als jungen Mann. Seine geliebte Ehefrau Anastasia, ein wunderschönes, sehr kluges und herzensgutes Mädchen aus niederem Adel. Sie war seine Stütze, sein Halt, seine Chef-Beraterin, seine Zuflucht, seine ganz große Liebe. Iwans Rache war fürchterlich, ja infernalisch. Das große Morden begann mit einem Rundumschlag, der fast jeden zum Verdächtigen machte und jeden Verdächtigen konnte Iwans Zorn treffen. Verhaftungen, Folter, Tod und Verbannung vernichteten ganze Geschlechter. Denn Sippenhaft war nicht erst eine Erfindung der deutschen Nationalsozialisten. Vom Greis bis zum Knaben - der Haß des Zaren machte vor niemandem halt. Diejenigen, die das junge und blühende Leben Anastasias auf dem Gewissen hatten, hatten sich gründlich verrechnet. Sie begingen mit ihrem Anschlag, wie sich später herausstellte, eine Art grauenhaften Selbstmord. Denn sie löschten den Menschen aus, der vorher noch Öl auf die Wellen von Iwans Temperamentausbrüchen gegossen hatte, der beschwichtigend und besänftigend auf den mißtrauischen, jungen Mann eingewirkt hatte, der einzig in der Lage war, Iwans ungestüme Gefühle zu zügeln. Jetzt waren alle Dämme gebrochen, jetzt gab es kein Halten mehr. Iwan hatte danach noch einige Frauen und Beziehungen. Keine hat jemals wieder das Format, den Liebreiz und die menschliche Größe Anastasias erreicht. Er hat ihren Tod nie verwunden. Viele menschliche Schicksalsschläge hatte der Zar zu verkraften. Verrat und Niedertracht umgaben ihn auf Schritt und Tritt. Und trotzdem korrespondierte er noch mit solchen Lumpen, die sich vor seiner Verfolgung ins Ausland abgesetzt hatten und dort für schlechte Presse sorgten. Unter diesen Leuten sei an erster Stelle Fürst Kurbskij genannt. In wahrhaft rührender Weise rechtfertigte Iwan sein Tun vor dieser Canaille, beschwor deren Mitgefühl und appellierte an menschliches Verständnis. Er säte auf dornigem Boden. Aber diese Korrespondenz, die auf uns gekommen ist, gibt einen tiefen Einblick in Iwans verwundete Seele, die sich nach Wärme, Mitgefühl und Verständnis sehnte. Dinge, die ihm nach Anastasias Tod für immer vom Leben vorenthalten werden sollten. Die nächste Katastrophe traf Iwan, als er seinen Sohn Dimitrij, wahrscheinlich, versehentlich erschlug. Man erzählt, Dimitrijs junge Frau hätte ihren Schwiegervater durch ziemlich laszives Verhalten provoziert, weswegen es zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung kam. Dimitrij wollte wohl dazwischengehen, als ihn ein Stockhieb des Vaters am Kopf traf. Spätere Untersuchungen ergaben, daß sich die Fontanellen von Dimitrijs Schädel seit Geburt nicht richtig verschlossen hatten. Der an sich nicht mit sonderlicher Gewalt geführte Schlag zog somit fast zwangsläufig den Tod des Thronfolgers nach sich. Iwan brach innerlich zusammen. Wie er nach Anastasias Tod einen Wesenswandel hin zu einem gewaltbereiten, jähzornigen und mißtrauischen Manne erfahren hatte, so beschreiben ihn zeitgenössische Chronisten nach Dimitrijs Tod als einen in sich gekehrten, ja gebrochenen, zur Verzeihung bereiten und gütigen Zaren. Iwan hatte mit der politischen Welt in seinem Herzen abgeschlossen. Ich glaube, daß seine wahren Charaktereigenschaften nach dieser Tragödie wieder in ihm Platz greifen konnten. Er war wieder er selbst. Nicht zu unrecht wohl zählt man den ersten wirklichen Zaren zusammen mit seinem großen Nachfolger im Geschlecht und auf dem Zarenthron, Peter I. den Großen, zu den bedeutendsten Herrscherpersönlichkeiten, die je über die Geschicke des russischen Landes befanden. Iwans Leistungen sind gewaltig, seine Anstrengungen noch gewaltiger. Seine Ziele sind über jeden Zweifel erhaben. Trotz des unschuldigen Blutes, daß Iwan in Strömen vergossen hatte, gebührt ihm einer der ersten Plätze im Herzen Mütterchen Rußlands und des Restes der zivilisierten Welt. Sein Andenken möge man ehren! |
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© B.St.Ff.Esq.,
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