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Egon Erwin Kisch


(Ja, du kriegst deine Besprechung-!) (Tucholsky an Kisch)*

B. St. Fjøllfross
Unser geliebter Dom zu Brandenburg an der Havel trägt den Namen St. Peter und Paul. Es ist schön, wenn Häuser Namen haben; war im Mittelalter, vor der Erfindung der Hausnummern, gang und gäbe. „Zur Sonne“, „Zum Hoppelpferdchen“, Zum Rasenden Reporter“ – das hat doch was!
Die Gotteshäuser bekamen zumeist die Namen ihrer Schutzheiligen übergeholfen.
Der Preußische Landbote will sich dieser bemerkenswerten Tradition nicht verschließen.
Also haben wir zu unseren Schutzheiligen St. Kurt und Egon Erwin erwählt. Oder – da sich die Patrone der jüngeren Vergangenheit der Segnungen eines Familiennamens erfreuen dürfen: St. Tucholsky und Kisch.
Welches Verhältnis wir zu Tucholsky haben, das ist an anderer Stelle schon lang und breit besprochen worden. Wer aber ist Kisch?
Die kurze Antwort: Er ist der Einzige im Bereiche unserer Kenntnisse, der Reportagen verfassen konnte, die so bravourös, so kämpferisch und standfest, so voll hintergründigen Humors und Sarkasmus, so brillant, so auf den Punkt gestochen und so souverän einher kamen, daß man sie bedenkenlos auch für Werke Tucholskys halten könnte, wenn denn nicht der Name Kisch darunter stünde.
Am 29. April 1885 ist er in der Goldenen Stadt geboren. Prag, damals noch K. u. K, böhmisch sprach er und deutsch. Den Gebrauch letzterer Sprache können wir beurteilen und ziehen den Hut: Er beherrschte sie bis zur Perfektion.
Kisch war noch ein junger Mann, gerade 21 Jahre alt, als er nach Berlin kam. In der quirligen Reichshauptstadt entwickelte sich der klarsichtige Journalist mit dem linken Herzen zu einem scharfen Beobachter. Tucholsky war in der Berliner Lübecker Straße geboren. Er sog das typisch Berlinische mit der Muttermilch auf. Um wieviel mehr gehört dazu, dieses sonderliche Wesen zu erfassen, wenn man einem ganz anders gearteten Umfeld entstammt!
Was diesen Meilenstein des deutschen Journalismus heutigen Tages im sogenannten bürgerlichen Lager in einem unpopulären Lichte erscheinen läßt, ist sein bekennender Kommunismus. Während Tucholsky den Erfahrungen seiner Kriegsjahre folgend, als einzige Waffe die Schreibmaschine akzeptierte, wurde Kisch sogar Kommandant der Wiener Roten Garde. 1919 Eintritt in die Kommunistische Partei. Mit den Erfahrungen, die den Nachgeborenen zu Gebote stehen, erscheint diese Aktivität, dieses Bekenntnis belastend. Doch damals?
Kisch schlug sich auf die Seite der Ausgebeuteten, der Leidenden – und das ist ehrenwert! Die junge Sowjetunion, in welcher die marxistische Erlösungstheorie der Unterdrückten erstmals körperliche Gestalt annehmen sollte, war die einzige real bestehende Alternative zu der bisherigen schrankenlosen Herrschaft des mörderisch wütenden Kapitals. War es nicht allzu natürlich, nach diesem Strohalm zu greifen?
Der Rasende Reporter war ein anständiger Mann. Davon sind wir zutiefst überzeugt.
Dafür ist er dann auch nach dem Brande des Reichstages von den Unanständigen, von den geistlosen Verbrechern verhaftet worden. Wer unter Lebensgefahr seiner Überzeugung treu bleibt, der ist echt!
Seine Berliner Reportagen sprechen uns aus dem vollen Herzen. Wie er beobachtet, wie er analysiert, wie er gedankliche Querverbindungen aufzeigt! Er hat Mitleid mit dem Proletariat – nicht mit dessen stumpfer Dummheit.
Sein Bericht über das 10. Berliner Sechstagerennen hat ewige Gültigkeit, von den römischen Gladiatorenkämpfen bis zu den „Sport-Events“ der Neuzeit.
Ein sicherer Fingerzeig in die Zukunft ist erlaubt. Und das sind die Größten unter den Propheten, die das zu leisten vermögen.
Er nimmt sie bei der Vivisektion dieses populären Berliner Sportereignisses alle auseinander, all die Opfer einiger gerissener Geschäftemacher. Da sind die ausgebeuteten Sportler, dort sind die armen Tröpfe, die am Rande stehen und jubeln, um den Alltagssorgen wenigstens für Einhundertvierundvierzig Stunden zu entfliehen. Und da sind jene, die mit der Dummheit ihrer Mitmenschen den Reibach machen. Leute, warum lest ihr nicht Kisch!?
Warum laßt ihr zu, daß eure Lebenszeit gestohlen wird, daß ihr gelebt werdet – und das um nichts weniger als euer Geld! Warum lest ihr nicht statt dessen Kisch!
Egon Erwin Kisch – das steht für Intelligenz, Lauterkeit, Anstand und Kultiviertheit. Kisch – das steht für die erstrebenswerte Seite der kommunistischen Idee.
1948, den 31. März, ist er in Prag gestorben. In seiner Heimatstadt schloß sich der Kreis des deutsch-tschechischen-jüdischen Weltenbummlers und Weltbürgers Egon Erwin Kisch.
Vielleicht – so zynisch das klingen mag – rechtzeitig genug, daß er nicht erleben mußte, von denen mißbraucht und vereinnahmt zu werden, für die er einst unter anderen Aspekten angetreten war – die Gefahr für Leib und Leben tapfer verachtend.
In der Bundesrepublik Deutschland gab es einmal bis zum Jahre 2005 einen Egon-Erwin-Kisch-Preis. Gestiftet wurde er von Stern-Gründer Henry Nannen. Nun ist dieser Preis im Henry-Nannen-Preis „aufgegangen“. Nein, der Name Kisch ist verschwunden! Das ist gegen die Intentionen Nannens. Das geschah im Geiste derer, denen der Name Kisch lästig ist wie ein Kieselstein im Schuh.
„Schreib das auf, Kisch!“ Er kann nicht mehr schreiben. Aber wir! Wir können noch. Und wir werden es tun. Und wenn wir nicht mehr können, dann werden es andere fortsetzen.
Ein Stein, ins Wasser geworfen, schlägt Wellen, lange noch, nachdem der Stein längst den Grund des Gewässers erreicht hat. Diese Wellen sind an das Ufer gelangt, an dem der Preußische Landbote mit seinen bescheidenen Mitteln und Fähigkeiten versucht, der Spur zu folgen, die so hervorragende Köpfe wie Tucholsky und Kisch einst prägten. So tiefe Impressionen zu hinterlassen, übersteigt unser Vermögen. Aber den Weg genauso tapfer, aufrecht und anständig weiterzugehen – das sei uns Vermächtnis und Verpflichtung.
Lieber Kisch! 1926 schrieben Sie in Ihrem Beitrag „Dies ist das Haus der Opfer“ den letzten Satz: „... – noch am Grabe pflanzt man die Hoffnung auf.“
An Ihrem Grabe wollen wir das tun. Ganz gewiß!

Unter Verwendung
• des Buches „Egon Erwin Kisch, Razzia auf der Spree, Berliner Reportagen“, Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 1. Auflage 1988
• der Internetseite http://www.judentum.at/hagalil/austria/gemeinde/kisch.htm
• * Kurt Tucholsky Gesammelte Werke 4 1925-1926 rororo, 70. – 119. Tausend April 1985, S. 48 (Der rasende Reporter)


P 1. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2004