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Vom Ich zum Wir
Und wer dazu gehörte, bekam das Privileg in die Wiege gelegt, sich zu einem gleichgeschalteten, in der Masse aufgehenden, stumpf-glücklichen-Kleingartensparten-Stimmvieh entwickeln zu dürfen, das, wenn es sich gesellschaftlich besonders hervortat, auch mal bis zum Jubelkomparsen in einer Jasagerbude namens "Volkskammer" avancieren durfte. Welch ein erhebender Augenblick: Fähnchen schwenken, den Genossen vom Politbüro zuwinken, Kampfliedchen aus der Frühzeit der Arbeiterbewegung schmettern und dann begeistert im heimischen Arbeits- oder Feierabendkollektiv von diesen aufregenden Begebenheiten berichten! So oder so ähnlich schwebte es der Genossin Volksbildungsministerin zumindest vor. Wem das alles nicht so sehr gefiel, der bekam ihre und die Wut des Staatsapparates zu spüren. Denn der Jugendfreund Renitenzler oder der Genosse Querulant stellten sich ja in völliger Verkennung der naturgesetzlichen gesellschaftlichen Entwicklung dem Fortschritt hin zu einer leuchtenden Zukunft entgegen. Das endete für Kinder und Jugendliche im Allgemeinen in Jugendwerkhöfen und – wenn sie es dann immer noch nicht gerafft hatten – in Torgau. Dort fanden sie sich dann in der wenig erquicklichen Gesellschaft von kriminellen Altersgenossen wieder, welche ihnen in stillschweigender Kooperation mit den "Erziehern" das letzte bisschen Lebensfreude austrieben. Der Westen hingegen mühte sich in der Zeit des Kalten Krieges redlich, mit der sozialen Marktwirtschaft einen lebenswerten Gegenentwurf zu zeichnen. Dort wurde dann naturgemäß die Individualität betont, welche den Vertretern des "real existierenden Sozialismus" so suspekt und abhold war. Hier plakatierte man den freien Menschen, der sich gegen die Herrschaft von wem auch immer eine offen-kritische Haltung bewahrt. So weit auch hier die Theorie. Als die Mauer fiel, da fiel auch die Maske vom freien Westen. Der Konkurrenzdruck war verschwunden und damit die Notwendigkeit, eine solche teure Kulisse aufrecht zu erhalten. Fortan exerzierte der Westen die Edukation hin zu homogen strukturierten Arbeits- und Konsumentenentitäten in einem Ausmaß, dass Margot Honecker schier besoffen gewesen wäre vor lauter Glück, wäre ihr nur annähernd Vergleichbares gelungen. Dabei geschieht dies ganz ohne Propaganda und äußeren Druck! Das ist schlichtweg genial. "Was, Du pfeifst auf die Dir abgeforderte Anpassung? Klar doch. Hoffentlich kannst Du Dir das leisten! Einstiegssumme ist ein einkommensunabhängiges Jahresbrutto von, sagen wir € 30.000 nach Steuer. Das solltest Du schon zur freien Verfügung haben – oder Dein ist die Tafel! Aber nur, wenn Du im Stadtpark Unrat aufpieken gehst!" So wird das gemacht! So und nicht anders. Auf diese Weise produziert man – gleichsinnig zu den obligatorischen Schokoladenfiguren wie Osterhasen oder Weihnachtsmännern – biochemisch-humanoide Hohlkörper: smart und gefällig anzusehen, mit einem feststehenden Repertoire an abzuspulenden, nichtssagenden Verbalfloskeln und dazu ein unverbindliches Lächeln. Alles in allem wird eine Kulisse der Politischen Korrektheit und des höflichen Miteinanders aufrecht erhalten – und gerade diese offensichtliche Kulisse zeichnet das Bild der dahinter regierenden kalten und zutiefst gleichgültigen Menschenverachtung deutlich wie ein gestochen scharfes Röntgenbild. Das Individuum ist austauschbar geworden – sein Lebensweg so festgeschrieben, wie man es der DDR unseligen Angedenkens immer vorgeworfen hat: von der Wiege bis zu Bahre. Das Individuum wurde zu einer Nummer degradiert, vergleichbar der Personenkennzahl der DDR. War der DDR-Bürger ohne sein Personalausweis ein Nonens, so ist es der Bundesdeutsche ohne seine in der Regel durch Anpassung erkaufte gesellschaftliche Arrivierung. Der Bundesdeutsche darf, wenn er sich ausreichend einfügt und über ein Mindestmaß an Talenten verfügt, eine Erwerbsbiographie aufbauen, im Rahmen des ihm Zugestandenen auch ein bisschen konsumieren und sich sogar den noch ärmeren Teufeln auf dieser Welt überlegen fühlen. Es darf sogar die Illusion von Demokratie verjubeln, für die sich seine Väter und Mütter den Buckel haben grün und blau dreschen lassen. Das ist den prägenden Kräften dieser Gesellschaft sogar ganz recht – denn Entscheidungswege in demokratischen Systemen sind langwierig, teuer und leider Gottes auch mitunter ergebnisoffen. Wer die "prägenden Kräfte" sind? Oh bitte – Sie glauben doch nicht, der Preußische Landbote wäre ein Organ der Verschwörungstheoretiker und Aluhut-Träger! Nein, hier ist kein ominöses Politbüro am Werk, kein Konsortium von Illuminaten oder Schurken, welche die Weltherrschaft anstreben – sie haben sie längst. Die Rede ist von den Vertretern des seelenlosen Kapitals, dem das Einzelschicksal – selbst das seiner größten Protagonisten – scheißegal ist. Aus diesem Grunde spiegelt es die Vorgaben von hunderten Millionen Jahren Evolution am besten wieder und lässt – und das ist nun wirklich naturgesetzlich zu verstehen – jede Utopie früher oder später im Rumpelkeller der Geschichte verschwinden. Das Kapital bedarf keiner Agitatoren. Es braucht nur Erfüllungsgehilfen auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Darüber hinaus wirkt es aus sich selbst. Es handelt absolut wertfrei – und darin liegt sein Riesenvorteil gegenüber jeder gesellschaftlichen Traumtänzerei. Es homogenisiert alle, die von seiner Wertschöpfungskette in irgendeiner Weise abhängig sind – "... ein Ring, sie zu knechten ..." - und wenn einige wenige aufbegehren, nun, dann ist die Masse stark genug, diese Leute zu absorbieren. "Eene, meene, muh – und raus bist Du!" Du kannst Dir den Ausstieg finanziell leisten? Schön für Dich. Du kannst nicht? Pech für Dich! Aber in jedem Falle: uns scheißegal. Villa am Wannsee durch Lottogewinn oder Erbschaft – gut! Schlafplatz unter der Brücke – auch gut! Den überwiegenden Rest aber macht das Kapital in einem Maße gleich – nicht vor dem Gesetz, Gott bewahre – aber doch zumindest vor dem generellen Lebensentwurf – dass alle Regisseure von Zombie-Filmchen vor Neid blasser werden dürften, als ihre Hauptdarsteller. Nur die dumme Margot aus Halle an der Saale verschied im fernen Chile, bevor der Gott, an den sie sich zu glauben weigerte, ihr den nötigen Verstand einblasen konnte, dessen es zur Erkenntnis ihres generellen Versagens bedurft hätte. Eine weiß Gott unverdiente Gnade. Wir aber wenden Aldous Huxley's "Schöne neue Welt" in unseren Händen hin und her und staunen über soviel prophetische Weitsicht! |
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B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009 04.05.2017 |