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MAZ ab die Märkische Allgemeine kämpft gegen Ihren schleichenden Tod Michael L. Hübner Ihrer Aufforderung, sich getrost an sie zu wenden, folgte der Journalist und ehemalige Chefredakteur des Teltower Stadtblatt-Verlages, Michael L. Hübner, mit einem Brief:
Liebe Frau
Suppa,
gestern hörte ich aus der ersten Reihe Ihres Auditoriums heraus Ihren Vortrag, gehalten im Potsdamer Dorint-Hotel. Ihrer Aufforderung, man solle sich getrost an Sie wenden, komme ich gerne nach, zumal ich einen durchaus sympathischen Eindruck von Ihnen gewann. Eben weil ich einst Ihr Gewerbe teilte und auch auf meiner Visitenkarte der Schriftzug "Chefredakteur" zu lesen war, werde ich den Teufel tun, anmaßende Ratschläge zu erteilen. Nicht zuletzt deswegen, weil Ratschläge nun einmal auch Schläge sind – und: Wer möchte schon gern geschlagen werden! Ihr Referat war für mich – der ich ein alter Kyniker bin – durchaus erhellend. Um die Misere der Märkischen Allgemeinen wusste ich seit langem. Nunmehr liegen auch für mich die Gründe klar zu Tage. Wenn es für Sie von Nutzen sein sollte, teile ich gerne einige meiner Eindrücke und Schlussfolgerungen mit Ihnen, auch wenn sich darunter einige möglicherweise schmerzhafte Thesen verbergen. Denn, von der Bedeutung des Wortes her ist der Kyniker, ähnlich wie der Chirurg, derjenige, welcher verletzt um zu heilen, nicht um zu schaden. Ob ich mit dem, was ich Ihnen nunmehr auf den Tisch packe, richtig liege, weiß ich letzten Endes auch nicht. Möglicherweise ist die Zeit bereits über mich hinweg gegangen und der von Ihnen referierten Attitüde gehört tatsächlich die Zukunft. Ich kann es mir nur nicht vorstellen. Zur Sache: Hätten die Vorträge von Ihnen und Ihrem Geschäftsführer nicht einen so hohen analytischen Wert gehabt, hätte ich gewiss nach dem dritten Satz den Saal verlassen. Sie haben zwar erwähnt, dass Sie aus dem Niedersächsischen stammen, einem Teil Westdeutschlands, in dem man immer noch kritiklos den Amerikanern hinterherhechelt, gleichwohl für das amerikanische Imperium mittlerweile alle dem Historiker verfügbaren Zeichen auf Untergang deuten. Die Zeit der USA ist vorüber. Aus diesem Grunde ist der extensive Gebrauch des Dinglischen und das ausgiebige Zitieren alles Amerikanischen zunehmend auf Befremden stößt. Möglicherweise ist es Ihnen nicht präsent, aber hier, wo sie jetzt arbeiten, betete man einst im selben Maß alles an, was aus der Sowjetunion kam. Diese Erfahrungen sensibilisieren die Menschen in Ostdeutschland in einem besonderen Maße. Vorträge, wie sie also in Westdeutschland in den Neunzigern noch als „hip“ gelten konnten, bekommen, der nicht zu bremsenden Entwicklungsdynamik geschuldet, mittlerweile einen antiquierten und Aversionen erzeugenden Anstrich. Und Sie wissen als Dame sicherlich, welche Figur Sie abgegeben hätten, wenn Sie sich entschlossen hätten in rokokoesker Manier mit Turmfrisur und Reifrock ans Podium zu treten. Das passt vielleicht zum gegenwärtigen edlen Karneval von Venedig, in Preußen jedoch sind die Uhren für diese Mode abgelaufen. Zweitens: Deutlich arbeiteten Sie immer wieder aus, dass es Ihnen primär darum geht, mit Ihrem Journalismus den Bedürfnissen der Masse zu entsprechen. Auch hier rebelliert der Historiker in mir, der genau weiß, wie die Masse funktioniert, welcher vergleichsweise niedrige Intelligenzgrad ihr im Gegensatz zum Individuum zuzusprechen ist. Was auf den Journalistenschulen nunmehr gelehrt wird, entzieht sich meiner Kenntnis. Wenn aber nicht die Grundregel vermittelt wird, dass der Journalismus neben der Informationsvermittlung eine weitere, nämlich eine edukative Hauptaufgabe zu erfüllen hat, dann sind die Diplome, welche von diesen Schulen ausgereicht werden, keinen Pfifferling wert. Ein Journalismus, der dem Umsatz, den Inserenten und den Abonnenten zu Kreuze kriecht, tendiert zur Hofberichterstattung und ist nicht das, wovon Karl Marx einst träumte, als er sagte: Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein. Der Journalist zählt zu den Lehrern, NICHT Schulmeistern oder Pädagogen, der Gesellschaft. Er setzt sprachliche und ethische Standards. Er ist ein Leuchtturm. Und Leuchttürme, die am Strand den Schiffen am Horizont hinterherlaufen, haben ihre Funktion nicht verstanden und nutzen weder sich noch den Seeleuten, welche Gefahren umschiffen wollen oder die sichere Einfahrt zum Hafen suchen! Der gute Journalist ist sich dessen bewusst, dass er nicht nur Ereignisse wiedergibt, sonder dass er – gewollt oder nicht – Meinungsbildner ist! Wenn Sie diese Erkenntnis aus genügendem Abstand durchdenken, dann wird Ihnen eventuell schlagartig völlig klar, worin die Ursachen für den dramatischen Untergang der Märkischen Allgemeinen begründet liegen. Daran können auch keine dinglischen Schönfärbereien etwas ändern, keine „Charts“ und keine dritten Monitore. Das Volk, das wissen wir seit Fernau, hat einen feines, unbewusstes Empfinden bezüglich der Qualität der ihm angebotenen Dienstleistung. Demzufolge stimmt es am Kiosk ab oder bei den Abonnements. Und dieses Volk schätzt keine Presse wert, die ihm hinterherrennt. Das Volk starrt immer unbewusst nach einem Leithammel – und DARIN liegt Ihre Chance. Diese oder sie haben keine mehr. Beliebigkeit, freiwillige Gleichschaltung mit dem von Ihnen verorteten Lesergeschmack und gestaltlose, ja amöboide Homogenität werden zum Kollaps des von Ihnen verantworteten Presseorgans führen. Die Alten waren nicht doof, als sie im Jahre 1890 die Gazette „Märkische Volksstimme“ nannten und die Kommunisten waren es auch nicht, als sie diesen Namen – im Gegensatz zum volksfernen, parteitreuen Inhalt – beibehielten. Die Dummheit wurde begangen, als man der Zeitung dann den Namen Märkische Allgemeine verpasste, obwohl man mit diesem Namen die zukünftige Programmatik wahrscheinlich ungewollt überdeutlich erfasste. „Allgemein“ ist nicht sehr weit entfernt von „Beliebig“. Darauf, „des Volkes Stimme zu sein“, ohne diesem Volke nach dem Munde zu reden – darauf wurde großzügig verzichtet. Damit waren die Zeichen auf Untergang gestellt. Möglicherweise werden die neu erschlossenen Geschäftsfelder Ihr Verlagshaus retten. Ihre Zeitung aber wird meiner Ansicht nach keine Rolle mehr als gewinnträchtiger Aktivposten spielen, wenn es an dieser Stelle zu keinem fundamentalen und wahrhaft revolutionären Umdenken kommt. Alles andere wirkt wie ein hilfloses Herumstochern im Märkischen Sand nach neuen Ressourcen, die vielleicht noch die Rettung und die Wende bringen. Wenn Ihnen das Dargelegte zum Nutzen ausschlagen sollte, so würde mir das eine große Freude bereiten. Ihr sehr ergebener Hübner |
25.
Volumen |
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B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009 11.07.2017 |