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Das
Märchen vom Goldenen Westen
Kotofeij K. Bajun Ja, die Armen schielten in Größenordnungen durch den Zaun und über die Mauer – meistens mit Hilfe der Television – und, schauten gläubig auf den Goldenen Westen und dessen übervolle Kaufhallen und Märkte. Und sie glotzten fasziniert dem Werbefernsehen zu und dessen Verheißungen, nicht ahnend, dass das allermeiste, was über den Äther angepriesen wird, völlig überbezahlter Schrott ist, Tinnef, der nichts taugt und von dem jedermann die Pfoten lassen sollte, der wenigstens eine halbe Hirnwindung besitzt als ein Pantoffeltierchen. Dann aber triefte den Armen der Sabber dermaßen aus dem Munde, dass davon Zaun und Mauer aufgeweicht wurden und sie sich von dem reichen Nachbarn inhalieren ließen. Jetzt begann ein lustig Anstürmen auf die vielen Kaufhallen, deren Namen aus dem Werbefernsehen so geläufig waren. Und es wurde gekauft, was Begrüßungsgeld und Arbeitslosenstütze hergaben. Irgendwann aber, etwa nach einem halben Jahrhundert,begannen sich die Dinge grundlegend zu wandeln. Fragte man einen Artikel nach, der nicht so ganz im sogenannten Mainstream enthalten war, so war der kaum zu bekommen. Doch, die Händler bemühten sich, ihn aufzutreiben. Da war der große Unterschied zum untergegangenen Ostland: Da hieß es mit gelangweilter Mine, erbost über die Unverschämtheit des Kunden, den Verkäufer in seiner seligen Ruhe zu stören, schon nach der Ansprache: „Ha'm Se vielleicht …?“, ad hoc und mit Force: „Ha'm wa nich!“ Der gepeinigte Ostler war also mit diesen Phrasen bestens vertraut. Allerdings konnte man an der Kurbel drehen, insofern einem der Genosse Liebe Gott spendable Westverwandtschaft beschert hatte. Das stand dem Ossi in die Stirn geschrieben und der Handwerker oder Ladenverkäufer fragte dienstbeflissen: „Forum geht’s denn?“, oder „Wes(t)wegen sind Se'n hier“. Das Wort „Forum“ ersetzte süffisant das Fragewort „Worum“ vor dem Hintergrund, dass es im Ostland sogenannte Forumschecks gab, in die man das Geld aus dem reichen Westen eintauschen musste, insofern man es besaß, wenn man denn in speziellen Läden, genannt Intershops, Waren aus dem gelobten Lande erwerben wollte. Wenn man diese Fragen positiv beantwortete, dass meint, dass man zu erkennen gab, über die begehrte Währung zu verfügen, dann konnte man beinahe jede Dienstleistung und fast alle Waren problemlos erwerben. Im Westen zog das aber nun gar nicht. Mit einer wertvolleren Währung, als die, welche hier im Umlauf war, konnte beinahe niemand aufwarten. Wenn es hier hieß: „Ha'm wa nich“, dann hatte das einen Anstrich von Finalität. Und just das hieß es eben immer öfter. „Ha'm wa nich“... Das verdross nun die Leute gar sehre, und sie begannen, ihren Kram im Internet zu bestellen. Das war eine feine Erfindung … einerseits. Andererseits verödeten die Innenstädte, weil die Handelsleute scharenweise Konkurs gingen. Gut, ganz leerten sich die Straße natürlich nicht. Ab und an hurtelten die Boten der Reichspost vorüber, die Pakete in Größenordnungen zu den Leuten trugen, bzw. wieder entgegen nahmen. Gemäß dem Sprichwort „Watt dem eenen sin Uul, is dem annern sin Nachtigall“, freute sich die Reichspost wie blöde und verdiente sich an der Paketschlepperei ihrer Lohnsklaven dumm und dämlich. Natürlich waren die Verkäufer weitaus bemühter als ihre Vorfahren im Ostlande selig. Immerhin ging es für sie darum, ob sie auch morgen noch verkaufen durften, oder ob sie stattdessen stempeln gehen und damit auch keine Waren mehr einkaufen konnten, die es ohnehin nicht mehr gab. Jedenfalls nicht im Laden. Doch das ganze Engagement nutzte ihnen herzlich wenig. Fuhr nämlich ein Enthusiast aus Mitleid mit dem Einzelhandel glatte zwei preußische Meilen weit, nur um die bekannte Phrase „Ha'm wa nich“, dann aber die Worte „Könn' wa Ihnen aber bestellen!“, dann lag die Antwort nicht ferne: „ Nee, lassen Se mal! Bestellen kann ick mir det ooch alleene!“ Und dann wird der Kram auch noch ins Haus geliefert. Hallelujah! Nur dem Einzelhandel ist wieder einmal ein Geschäft entgangen. Und noch eins und noch eins und noch eins und noch eins … Das sind aber auch ein paar arme Teufel. Natürlich können die sich Lager und Verkaufsraum nicht zupacken. Sie müssen sich an die gängigste Ware halten. Und die Wirtschaft, sich in einem wahnwitzigen Konkurrenzkampf obsoleszenzartig drehend, kann nicht anders, als permanent neuen Mist auf den Markt zu werfen, der sich von den Vorgängermodellen nur dadurch unterscheidet, dass kein einziges Ersatzteil mehr passt. Damit steigt die Zahl der Waren, Ersatzteile und Geräte, die benötigt, aber durch den Händler vor Ort nicht mehr vorrätig und verfügbar gehalten können, ins schier unermessliche. Natürlich ist es unbefriedigend, seine Ware nicht mehr aus dem Geschäft mit nach Hause nehmen zu können, sondern im ungünstigsten Falle immer weitere Wege bis zur nächsten Postfiliale in Kauf nehmen zu müssen. Aber heij – was soll's. Man gewöhnt sich an alles. Außer der Handelsmann: Der kann sich nur begrenzte Zeit an stetig sinkende Umsätze und Kundenzahlen gewöhnen. Dann steht es irgendwann mit ihm Matthäi zum Letzten. Am nächsten Tage bekommt wieder die Post ein bisschen mehr zu tun. Und so beißt sich die Katze in den Schwanz. Selig konstatierend, dass sein verarmtes und beschwerliches Ostland durch die Hintertür wieder zu ihm zurückgekehrt ist, zieht sich indes der Ostler seine Zipfelmütze über die Augen und entschnarcht mit einem zufriedenen „Ha'm wa nicht“ der schnöden Welt des nicht eingelösten Kommerz-Versprechens. Und wenn er nicht gestorben ist, dann schnarcht er noch heut' und immerdar, nur ab und an gestört durch die Klingel, die ertönt, wenn der Postmann läutet. |
25.
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B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009 31.12.2016 |