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EVET am Bosporus
Nichts anderes war zu erwarten

Don M. Barbagrigia
Würden Wahlen etwas ändern, wären sie längst verboten. [Emma Goldman]

In der Türkei herrscht Meinungsfreiheit. Dort kann jedermann sagen, was der Sultan will.

Nun liegen die Abstimmungsergebnisse vor. Die Anhänger des Sultans jubeln. Es sind diejenigen, die in der Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs vom Sultan profitierten, und jene, die noch zu profitieren glauben. Was diese Narren nicht mitbekommen, ist, dass das Einzige, was in der Türkei noch wächst, der Einfluss ihres machtgierigen Despoten ist.

In aberwitzigem Wahn verkündet dieser Irre, in Deutschland und – was seinen Wahnsinn noch übler ausufern lässt – in Holland herrsche wieder der Nationalsozialismus, bzw. dessen Methoden.

Die Jubeltürken, die ihm diese Blasphemien von den Lippen ablesen, sind wahrscheinlich derart dämlich und ungebildet, dass sie nicht einmal ansatzweise begreifen, wie sehr die Zustände in der Türkei dieser Tage bereits denen des deutschen Jahres 1933 gleichen. Der Sultan ist es, der sich mittlerweile gebärdet wie seinerzeit der demagogische Anstreicher aus Braunau am Inn.

Die Schwachköpfe haben nie Orwells „1984“ gelesen, nie verstanden, wie Lew Trotzki, der Vater der Roten Armee, als Erzfeind instrumentalisiert wurde. Sonst würden sie die Rolle Fethullah Gülens* besser verstanden haben. Die Berührungspunkte sind ja dermaßen augenfällig, dass man eine Hirnwindung weniger als eine Amöbe haben muss, um nicht darauf zu stoßen.

Die Osmanen haben in ihrer Blödheit ebenfalls nicht realisiert, dass sie mit ihrem Evet, was verdeutscht "Ja" bedeutet, wie die Schafe einem Ermächtigungsgesetz zugestimmt haben, dass zwar nicht dem wirtschaftlichen Abschwung und der Isolation der Türkei Einhalt gebietet, wohl aber dem Wolf von Konstantinopel gestattet, Atatürks Republik mitsamt ihren demokratischen und laizistischen Errungenschaften im Bosporus zu versenken.

Idioten bezahlen in aller Regel einen hohen Preis für ihre Idiotie. Mit der Demokratie ist es wie mit dem Geld – verjubelt ist es schnell – zurückgeholt dagegen sehr, sehr schwer. Doch Achtung! Selbst der Sultan weiß, dass das Ergebnis, wenn es nicht sogar "getürkt" wurde, nur eine hauchdünne Mehrheit aufweist. Das bedeutet zwangsläufig eine tiefe Spaltung und Polarisierung der türkischen Gesellschaft. Also ein Unruheherd mehr im Lande, das derer schon zu viele hat.

Die Türkei hat eine historische Chance verpasst: die Chance, die ihr Kemal Atatürk gab, als sie nur noch der Kranke Mann am Bosporus war. Die Chance, eine wesentliche Brücke zwischen Europa und Asien zu bilden, die Chance, die Strahlkraft des gesellschaftlichen Fortschritts und der Zukunft in die arabisch-sunnitisch-schiitische Steinzeit zu entfalten und sich als vorderasiatische Großmacht zu positionieren.

Nur mit einem großen Maul und militärischen Muskelspiel wird man keine Großmacht. Zumal, wenn sich die Türken wegen ihrer jahrelangen verfehlten Kurdenpolitik in diesem Dauerkonflikt verschleißen. Da gehen sie dann dahin – ihre Ressourcen! Und wenn ihnen Europa eine Nase dreht, weil man in Brüssel naturgemäß nichts mit protofaschistischen Diktatoren am Hut hat – nicht, weil man im Herzen Europas die Moral für sich gepachtet hätte, sondern weil man kapiert hat, dass Diktatoren ohne natürliche Ölreserve auf Dauer teure Zuschussgeschäfte sind, dann werden die ersten langsam wach. Das sollten sie aber besser sein lassen – denn Leute, die in Diktaturen aufwachen, pflegen dies im Allgemeinen in Foltergefängnissen und Konzentrationslagern zu tun.

Doch cave! - wie der Grieche zu sagen pflegt, wenn er Latein parliert: Kann der Sultan die Erwartungen derer, die ihm heute auf gut Osmanisch "Hosiannah" entgegenrufen, nicht erfüllen, verstärkt sich der wirtschaftliche Abschwung weiter, schägt beispielsweise das überfällige und längst erwartete Erdbeben in Konstaniopel zu und die Türkei wäre gezwungen, viele Milliarden Dollars zu mobilisieren, dann ... ja dann blättere man ein wenig in den Geschichtsbüchern um die Zukunft zu antizipieren. Dann wird es plötzlich vielen Türken auffallen, in welchem prächtigen Palast ihr Sultan residiert, wie viele Millarden der Parvenue im Ausland gehortet hat, als sein aufhaltsamer Aufstieg hin zum Thron der Hohen Pforte begann. Dann wird das Volk murren und sich des Nachbarn unseligen Angedenkens Saddam Hussein von der Baath-Partei erinnern. Und das werden keine angenehmen Parallelen für den Sultan, die sein Volk dann zieht. Das Gemurr kann man zugegebenermaßen auch eine Weile niederknüppeln, wie seinerzeit am Taksim-Platz - aber auch die Janitscharen verlangt es nach ihrem Sold. Wir wissen aus der Geschichte, wie schnell selbst die kaiserlichen Palastgarden die Spieße umdrehen, wenn die allgemeine Stimmung kippt und sie befürchten müssen, dass sie auf die Verliererseite geraten.

Was die politische Kristallkugel aber darüber hinaus verkündet und das Orakel zu Delphi im benachbarten, verfeindeten Griechenland mit Freuden verkünden würde, ist die geläufige Dynamik, die solchen politischen Prozessen immanent ist: Sind die Reserven erschöpft und das politische Kapital verbraucht, dann muss man beim Nachbarn klauen gehen – ob der das will oder nicht. Meistens will er nicht. Und wie das dann in aller Regel ausgeht, das wissen wir – auch ohne Orakel!

* In der Beurteilung der Person Fetullah Gülens allerdings bestehen einige der wenigen Übereinstimmungen zwischen der Hohen Pforte und dem Preußischen Landboten. Dass der Mann ein anmaßender Erzhalunke ist, welcher der laizistischen Türkei nach dem Vorbild des Ayatollahs unseligen Angedenkens den gottesstaatlichen Rest gäbe, wenn er denn könnte, steht für uns außer Frage.

25. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
17.04.2017