Der
Henker mit der Schlinge um den Hals
zur Hinrichtung Saddam Husseins
Don Miquele Barbagrigia
Am vorletzten Tage des christlichen
Jahres 2006 wurde zu Bagdad einem 69jährigen Greis eine Schlinge
um den Hals gelegt. Unter den Füßen des alten Mannes
öffnete sich eine Falltür, der Körper des Alten
stürzte hinab, wurde durch den unnachgiebigen Strick ruckartig
in seinem Fall gebremst, das Genick brach – und ein blitzschneller
Tod beendete die irdische Existenz eines Menschen, der zu seinen
Lebzeiten viel getan hatte, um sich in die Liste der größten
Verbrecher einzureihen, die je das Schicksal von Völkern
bestimmten.
Saddam Hussein hieß der Mann. Er selbst, einst Führer
des Irak, dieses sonnen- und erdölverwöhnten Staates
zwischen den beiden Strömen Euphrat und Tigris, dieser einen
Wiege der neuzeitlichen Zivilisationen, sah sich selbst als eine
Reinkarnation Sultan Saladins – des großen Muselmannes
zu Zeiten der Kreuzzüge.
Das war Saddam ganz gewiß nicht. Er hatte nicht einmal das
Format des Lahmen Timurs. Al-Tikriti, wie sich der Strolch nach
seinem Herkunftsort nennen ließ, war ein billiger, extrem
bauernschlauer und machtorientierter, orientalischer Dutzenddespot,
der außer seiner Grausamkeit und Unbarmherzigkeit keine
weiteren Eigenschaften mit den vorgenannten Staatslenkern gemein
hatte. Am ehesten ließe sich Hussein noch mit einer Miniaturausgabe
Josef Stalins vergleiche – zu mehr langte es nicht.
Nun hat also diesen üblen Zeitgenossen das bereits in den
Sprüchen Salomos beschworene Schicksal des Ungerechten ereilt,
das er vordem so vielen seiner Mitmenschen zugedachte.
Es ist kein schöner Anlaß, mit dem wir die heurigen
Jahresbeiträge des Preußischen Landboten zu Politik,
Wirtschaft und Kultur beschließen. Nein, es widert den Philosophen
an, die Feder ins Faß zu tunken um sich mit der Hinrichtung
eines Menschen zu befassen, so abartig und bösartig dieser
auch gewesen sein mag.
Doch wir kommen nicht drum herum. Zu wichtig ist das, was sich
in Mesopotamien aus dem Erbe dieses Halunken und dem Stabbruch
über seinem Haupte für die ganze Welt ergeben mag.
Wie gesagt – Hussein war nur ein Dutzendtyrann, wie es derer
Tausende gibt, nennten sie sich nun Präsidenten, „geliebte“
Führer oder einfach nur Warlords. Sein Ende stellt nicht
einmal die von Salomo verheißene Regel, sondern eher eine
Ausnahme dar, die sich nur aus dem Umstand herleitet, daß
dieser Verbrecher dem amerikanischen Ölleitungen zu nahe
kam, was im Übrigen für seine grenzenlose Dummheit und
weltfremde Ignoranz spricht.
Als die Amerikaner jedoch ihre Energieinteressen in Mesopotamien
durch den Einmarsch ihrer Truppen deutlich zum Ausdruck brachten,
da schien es, als sei der gesamte Irak plötzlich ein einziges,
leicht entflammbares Ölfaß. Nun, die oben zitierte,
einstige Wiege der abendländischen Hochkulturen, deren Hexagesimalsystem
zum Beispiel noch immer, nach Vier-, bald Fünftausend Jahren
in beinahe jedem heutigen Erdenbürger präsent ist, beginnt
mit dem Sturz Husseins dem Leichentuch der modernen Zivilisationen
das apokalyptische Muster einzuweben. Der Irak – die düstere
Kristallkugel der Welt – welch eine Ironie der Geschichte!
Und fast scheint es, der am Galgen Verblichene wäre über
die Zeit seiner mörderischen Herrschaft hinweg der einzige
Garant der mesopotamischen Stabilität gewesen. Doch soll
man sich von solch oberflächlichem Trugbild nicht täuschen
lassen: Auch die brüderlichen Völker der Sowjetunion
haben – selbst unter der blutigen Knute Zar Jossips des
Schrecklichen – nie ihren Haß aufeinander begraben.
Sobald die Möglichkeit bestand, fielen sie übereinander
her, wie zu allen Zeiten, und sprachen einander das Leben und
die Existenzberechtigung ab.
Welchen Problemen sich auch Hussein in seinem Lande gegenüber
sah, bezeugen die Giftgasmassaker an den Kurden und die Bombardierung
der Schiiten hinlänglich.
Dennoch – die Raserei, die seit seinem Sturze zwischen Euphrat
und Tigris tobt, war bis dato unbekannt.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob es vernünftig
war, den Irren vom Tigris an den lichten Galgen zu hängen.
Abgesehen von unserer Ansicht, die es generell verneint, von menschlicher
Hand ein Leben auszulöschen, halten wir das Todesurteil an
Hussein in mehrerlei Hinsicht für verfehlt – so menschlich
nachvollziehbar es auch immer sein mag.
Todesurteile schaffen Märtyrer – das ist der Hauptpunkt
unserer Kritik! Und was könnten die seit Husseins Sturz entmachteten
Sunniten dringender gebrauchen, als einen „Blutzeugen“,
der sich nie besser weißwaschen ließe, als nach seinem
Tode. Doch diese Gefahr ist nicht einmal die schlimmste: Der tote
Hussein hat das Zeug, über die irakischen Landesgrenzen hinaus
bim fanatischen, unreflektierten und dem Westen feindselig begegnenden,
panarabischen Mob zum einigenden Helden zu avancieren. Da zählen
dann erfahrungsgemäß nicht mehr seine Untaten, auch
und gerade begangen an arabischen und muslimischen Brüdern
und Schwester – da zählt nur seine plakative Juden
und Amerikaner hassende Lebensattitüde. Na bravo! Das wäre
dann der größte Rohrkrepierer, den sich der talfahrende
Okzident noch leisten konnte. Vielleicht sogar der finale…
Wir per alliiertem Dekret aufgelösten Preußen, die
wir 1947 den Sack mimen mußten anstelle des nicht mehr zu
erreichenden oder aber zu schonenden nazibraunen Esels, wir hatten
einst einen König, der im Angesicht eines religiös-fanatischen
Kapitalverbrechers das zur Gegenzeichnung vorgelegte Todesurteil
mit den weisen Worten zerriß: „Galgen und Rad bessern
solche Narren nicht. Man soll ihn in ein Irrenhaus geben und dort
vernünftig und menschlich behandeln.“
Ja – das wäre nach unserer Meinung das Beste gewesen:
Ein Mann in Zwangsjacke läßt sich schwerlich zum Mahdi
und Märtyrer aufbauen – beim besten Willen nicht. Der
verkauft sich so schlecht wie fauler Fisch! Man hätte sich
die eigenen Hände nicht mit Blut besudelt und damit auf eine
Stufe mit dem Verbrecher begeben, man hätte keine weitere
Lunte an das gigantische Pulverfaß unter dem Schriftzug
des Propheten gelegt.
Statt dessen immer mal ein paar Psychopharmaka verabreicht, alle
halbe Jahre den immer wirrer werdenden Greis dem Volke vorgeführt,
ihn seine Tollheiten sabbern lassen und dann sagen: „Seht
– das ist die böse Vogelscheuche, der ihr einst in
blöder Begeisterung und aberwitziger Angst nachgerannt seid
– stets bereit, den eigenen Nachbarn ans Messer zu liefern,
nur um den Erhalt dieses Gauners willen. Aber wir, wir sind nicht
so, wie dieses Monstrum von einst. Wir haben Allahs Barmherzigkeit
gepachtet und erhalten diesen Lumpen am Leben. Auf Sparflamme
sicherlich – doch ohne Quälereien.“ Das hätte
noch was bringen können. Wer hätte es gewagt, sich zu
einem offensichtlich Geistesgestörten zu bekennen, ohne sich
dabei selbst in den Ruch mangelnder Zurechnungsfähigkeit
zu bringen!
Doch die Nackten Affen sind anders gestrickt. Das Leitmotto des
Landboten: QVID QVID AGIS PRVDENTER AGAS ET RESPICE FINEM –
was immer du tust, tue es mit Bedacht und bedenke das Ende! –
das gilt nur wenigen. Deren Handeln es jedoch am meisten zugrunde
liegen sollte, den Spitzenpolitikern und -juristen, den scheint
es am Häufigsten völlig unbekannt zu sein.
Tot ist Hussein, der Kurdenschlächter. Doch schon die alte
hellenistische Sage von der Drachensaat sollte bei uns keinen
Zweifel darüber aufkommen lassen, welches Erbe unser dieser
Erzbösewicht aufgezwungen hat – gut verzinst von seinen
ihm feindlichen Helfern, den Amerikanern und ihren irakischen
Kollaborateuren. Das Dumme ist: wir nicht einmal blökende,
stupide mitlaufende Hammelherde, spärlich geweidet vom amerikanischen
Monopolkapital habe keine Möglichkeit, dieses Erbe auszuschlagen…
Vom amerikanischen Raubzug im nahen Osten haben wir nicht viel
– aber an der Zeche werden wir noch sattsam beteiligt werden.
Unsere deutsche Tradition des Schnauzehaltens und Mitlaufens,
sei es hinter dem Brauen oder hinter dem Weißen Haus, wird
uns sehr bald schon einen enormen Preis abverlangen – zu
dem der Strick um den Hals des Henkers Hussein auch einen erklecklichen
Batzen draufschlagen wird.
Was bleibt, ist die Erkenntnis, daß für jeden Dummkopf,
den man henkt, Hunderte um den Galgen herumstehen. Na dann –
auf ein gesundes und glückliches 2007!
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