Brandenburg an
der Havel und seine Wunden
J.-F.
S. Lemarcou
Am 03 .Dezember 2006 lud das St. Pauli-Kloster zu Brandenburg
an der Havel die Bürger der Stadt und ihre Gäste noch
einmal in seine wieder auferstandenen Mauern. Es ist eine ans
Herz greifende Geschichte: Dort, wo noch vor Jahresfrist der
Dezemberwind durch die kalten Hallen strich, denen der letzte
Krieg so schwere Wunden zugefügt hatte, dort konnte man
nun beinahe die Mäntel abgeben. Alle Fenster waren verglast,
Türen eingesetzt, das Mauerwerk geschlossen, die Dächer
gut und fest gedeckt. Selbst der Turm hatte nach über sechzig
Jahren seine Haube zurückbekommen. Eine Glocke hängt
wieder im Glockenstuhl in luftiger Höhe und kann das Geläut
der Brandenburger Neustadt mit ihrem Klange nunmehr bereichern.
Das alles mitzuerleben ist wahrhaftig ein Wunder und so äußerte
sich denn die Brandenburger Oberbürgermeisterin Dr. Dietlind
Tiemann auch in der Potsdamer regionalen Fachzeitschrift „Bauen
Wohnen Freizeit“, „…eine offene Wunde im Stadtbild
sei geschlossen worden.“ Damit hat sie unbedingt recht.
An anderer Stelle aber zügelt die traurige Realität
die Euphorie des amtierenden Stadtoberhauptes, wenn sie verkündet,
daß „…die Türme der Stadt wieder komplett
und die historische Silhouette der Stadt wieder weithin erkennbar
seien.“
Nee, nee, Frau Oberbürgermeisterin! Gerade Sie als oberste
Repräsentantin der Stadt Brandenburg sollten am besten
wissen, daß dem leider nicht so ist: Wo ist der Turm des
Amtsitzes des Bürgermeisters der Neustadt Brandenburg?
Wo ist das Neustädtische Rathaus selbst? In welcher Schublade
schlummert der Wertkonzept-Entwurf zu dessen Neugestaltung?
Wenn wer behauptet, die Skyline Brandenburgs sei wieder historisch
komplett, dann besehe er sich die alten Stadtansichten: Neben
dem Turm von St. Katharinen erhebt sich der kleinere, aber durchaus
markante Turm des Neustädtischen Rathauses. Neuere Ansichten
fügen dem noch den Turm des Reichspostgeländes in
der St. Annenstraße hinzu, der ebenfalls seit dem letzten
Kriege aus dem Stadtbild verschwunden ist.
Vertikalen machen eine Silhouette erst interessant. Ein alter
Hut! Nichts ist so dröge wie amerikanische Suburbs –
wird eine amerikanische Großstadt vorgestellt, blendet
man in aller Regel zunächst die himmelstürmenden Wolkenkratzer
der Downtown ein. Das geht europäischen Städten mittelalterlicher
Prägung nicht anders. Die Alten bauten – bis auf
die Zisterzienser – ganz bewußt und zielstrebig
Türme über Türme. Wir wollen mal die Freud’sche
Interpretation dieser Bauwerke außen vor lassen, gleichwohl
einiges für sie spricht.
Die Dreistadt Brandenburg bot ihren Besuchern justament von
Südosten her einen imposanten Anblick. Nein, Frau Oberbürgermeisterin,
die Wunden der Stadt sind noch lange nicht verheilt. Und gerade
ist Ihre Verwaltung dabei, neue aufzureißen.
Da Ihnen das Neustädtische Rathaus als Verwaltungssitz
und Amtsgebäude nicht mehr zur Verfügung steht, konzentrierten
Sie die Stadtverwaltung auf das Areal um das Altstädtische
Rathaus herum. Die subalterne Administration soll in Ernst Paul
Lehmanns rekonstruierter Spielwarenfabrik einquartiert werden.
Keine schlechte Idee. Vielleicht gibt das auch der anderen traurigen
Kirchenruine unserer Stadt, der akut einsturzgefährdeten
Franziskaner-Klosterkirche St. Johannis am Salzhof, einen Impuls
zur Sicherung ihrer Mauern und vielleicht sogar zum Wiederaufbau.
Immerhin liegt das verwaiste und doch so markante Sakralgebäude
in Rufweite zum neuen Verwaltungsstandort.
Wo es aber unangenehm wird, ist das Areal vor dem Plauer Tor
der Altstadt: Das Gelände zwischen Vereins- und Magdeburger
Straße ist seit dem Zweiten Weltkrieg ebenfalls beinahe
frei von Bebauung und diente seither mit dem Gertrud Pieter
Platz als kleine grüne Oase im Einfallsbereich der historischen
Altstadt.
Nun braucht also die Verwaltung Parkplätze und dafür
wird ausgerechnet dieser Park buchstäblich plattgewalzt
und versiegelt. Argument: es gäbe noch genügend innerstädtische
Grünflächen und man müsse die Automobile ja schließlich
irgendwo lassen.
Das ist das grundsätzlich falsche Signal. Es ist nicht
nur falsch – es ist schreiend anachronistisch. Wieso wird
in der heutigen Zeit der steigenden Energiepreise und der Umweltverschmutzung
ein Stadtbediensteter eingeladen, mit dem Automobil zu seiner
Arbeit zu fahren? Das ist eine Degradierung der öffentlichen
Verkehrsmittel, ein Eingeständnis von deren Insuffizienz,
eine Egalitätserklärung der Stadtführung dieser
wichtigen urbanen Institution gegenüber. Warum parken die
Stadtbediensteten und die Besucher, wenn sie denn schon mit
ihren eigenen Karossen anreisen müssen, ihre Benzinkutschen
nicht auf der Brache der Artilleriekaserne und fahren zwei Stationen
mit der Bimmelbahn „2“? Deren Taktung ließe
sich mit erhöhtem Fahrgastaufkommen doch verkürzen,
die Attraktivität dieses Verkehrsmittels steigern, oder?
Und wenn schon eine Parkfläche auf diesem Gelände,
weil den Beamten und Angestellten der Stadt ein Verzicht auf
ihre eigenen Vehikel nicht zuzumuten ist, warum dann keine mehrgeschossige
Tiefgarage mit Oberflächenbegrünung und potentieller
Vervielfachung des Stellangebotes? Ganz nebenbei ließen
sich die unschönen Zustände des zugeparkten Johannis-Winkels
nachhaltig beseitigen, die Bäume und ihre Wurzeln schonen.
Antwort: Weil die Stadt pleite ist! Weil es nur zu einer versiegelnden
Asphaltierung reicht und nicht zu zukunftsweisenden und Stadtbild-verträglichen
Konzepten.
Bleiben die, welche nicht anders können, als mit dem Taxi
oder dem eigenen Wagen anzureisen: Die Versehrten, Behinderten,
Invaliden.
Für diese Gäste und Besucher der Stadtverwaltung sollten
sich ausreichend Plätze auf den Lehmann-Höfen finden
lassen.
Der Besucheranstrom zumindest könnte als Argument in der
Folgezeit an Bedeutung verlieren, wenn die Stadtregierung den
Ausbau einer „Online-Verwaltung“ nur konsequent
verfolgt.
Bei den letzten Debatten um diese neuerliche Wunde im Stadtbild
soll das Schreckensbild von Vertragsstrafen gemalt worden sein,
die im Falle des Verzichts an die Ausführungsfirmen fällig
gewesen wären. Das wirft die Frage auf, wer so souverän
und ohne Rücksprache mit der Stadtverordnetenversammlung
halten zu müssen, solche gewichtigen Vorhaben auf den Weg
bringen kann!
Im Süden der Stadt ist eine Wunde geschlossen worden, in
ihrer westlichen Mitte wird eine neue aufgerissen. Das eine
ist lobenswert – das andere fatal. Das eine macht uns
glücklich und beschert der Stadt eine neue Attraktion.
Das andere macht uns trübsinnig und drischt den Besuchern
der Stadt von Westen her zur Begrüßung erst einmal
eine visuelle Keule vor den Kopf: parkende Blechschüsseln
statt freundlichen Grüns – doller Anblick!
Das Resümee legt uns die Frage vor, ob für den urbanen
Organismus Brandenburg an der Havel überhaupt ein ganzheitliches
Konzept vorliegt, das die Weichen für eine prosperierende
Entwicklung für die nächsten Jahrzehnte zu stellen
in der Lage ist, oder ob Flickschusterei allenthalben die Parole
ist. Der Eindruck hilflosen Hangelns von Strohhalm zu Strohhalm
läßt sich nicht vom Tisch wischen.
Apropos Wunden im Stadtbild: Wenn die Stadtverwaltung sich nicht
bald kümmert, hat sie – ganz zentral gelegen –
bald einen neuen potentiellen Parkplatzbereich. Sie muß
nur abwarten, bis das ehrwürdige, traditionsreiche Hotel
„Zum Bären“ an der Brandenburger Steinstraße
in sich zusammenstürzt. Trümmerberäumung, Asphaltdecke
drüber – fertig! Na ja, zumindest in der Skyline
würde es ja nicht weiter auffallen…