Winter’s
Bone
Großes Kino aus den USA
Jules-Francois S. Lemarcou. Havelsee.
Dass der Preußische Landbote alles
bejubelt, was über den Großen Teich nach Europa schwappt, dessen sollte
er unverdächtig sein. Im Gegenteil. In der Redaktion des Landboten ist
man mehrheitlich der Ansicht, dass 90 Prozent von dem, was die USA darstellen
und abliefern, Müll ist. Aber die verbleibenden zehn Prozent – da sind
die Yankees unübertroffen. Da macht ihnen niemand etwas vor!
Automobilbau – na gut, auch bei den Yankees hat sich mittlerweile herumgesprochen,
dass die Ölvorräte endlich und diejenigen von Texas und Alaska mittlerweile
erschöpft sind. Das ging erheblich zu Lasten der exorbitant schönen
Straßenkreuzer, für welche die USA in der Welt berühmt waren.
Der Landbote weiß, wovon er spricht. Schließlich zierte ein 1978er Sieben-Liter-V8-motorisierter
Cadillac Sedan de Ville einst seinen Fuhrpark. Das war Ingenieurskunst
aus Warren/Michigan auf höchstem Niveau.
Mit der Filmkunst ist das ähnlich. Wenn diese Nation dermaleinst am
Doomsday kollektiv zu Hölle fährt, dann nicht zuletzt wegen der gotteslästerlichen
Verschwendung von zehntausenden Tonnen Zelluloid für einen aberwitzigen
cineastischen Dreck. Ballerei, Räuber und Gendarm, Wer-kriegt-die-Prinzessin-und-die-Kohle,
unschuldiges Opfer schwingt sich zum Helden auf … damit überzog diese
Nation den Planeten, wie mit einer stinkenden Schimmelschicht – und
das internationale Prekariat fraß und frisst ihnen diesen verdorbenen
Mist dankbar hechelnd aus der Hand.
Wie das funktioniert? Nun, die Amerikaner sind nicht reihenweise auf
den Kopf gefallen. In manchen Dingen sind sie – wie gesagt – sehr gut!
Zum Beispiel beobachten sie präzise das Verhaltens- und Sehnsuchtsrepertoir
des Nackten Affen und setzen dies in Hollywood um.
Darin liegt ja seit jeher ihre große Kunst: Bedarfe zu erkennen und
umgehend punktgenau zu bedienen, wenn’s ihnen denn einen Dollar bringt.
Das fängt bereits bei den geistlosen und hohlen Kinderfilmen wie Tom
und Jerry, Schweinchen Dick etc. an, die nichts anderes als die geistig
degenerierte amerikanische Erwachsenenwelt mit ihrem Hang zur Raffgier
auf Kosten des Nächsten spiegeln.
Doch abseits davon wetterleuchtet immer mal wieder so eine Preziose
durch die giftigen Wolken filmischen Abfalls.
Winter’s Bone …
das ist so ein Meisterwerk. Es ist brutal bis zum Abwinken – aber es
spiegelt unverblümt die Realität des verkommenen amerikanischen Hinterlands
und des in ihm ansässigen „White Trash“, wie deren degeneriertes Prekariat
von den eigenen Leuten abfällig genannt wird.
Der Plot ist simpel aber glaubwürdig: Ein Familienvater seilt sich von
seiner depressiven und paralysierten Frau mit den drei Kindern ab, um
Crystal Meth zu kochen.
Wir Teutonen kennen dieses Teufelszeug: Die Nazis verteilten das an
ihre Soldaten unter dem euphemistischen Begriff „Panzerschokolade“ oder
„Pervitin“. Letzterer Begriff charakterisiert diese hochtoxische Droge
treffend. Über einen längeren Zeitraum eingenommen, verwandelt sie Menschen
in Monster, die sich ohne aufwändige Maske für jeden amerikanischen
Zombie-Movie casten lassen. Bei der Wehrmacht war das an sich kein Problem.
Die Konsumenten, die sich durch das Pervitin in schmerzunempfindliche
und schlafresistente Berserker verwandeln sollten, lebten in aller Regel
nicht lange genug für die obligatorische Metamorphose in einen widerwärtigen
Hohn auf Gottes Schöpfung.
Allerdings verstehen wir, dass man in der Hölle des Rusty Belts und
des Bible Belts wahrscheinlich einen erhöhten Bedarf für dieses nervtötende
Gift hat, weil dessen Realität nicht anders auszuhalten ist.
Der Film verdeutlicht das auf eine unglaublich packende und glaubwürdige
Art und Weise. Er zeichnet mit bedrückender Trostlosigkeit die Landschaft,
die den Indianern vom technologisch überlegenen Abschaum Europas gestohlen
und in eine einzige Müllhalde verwandelt wurde.
Die vielgeschmähte sowjetische Provinz machte allenthalben einen millionenfach
aufgeräumteren und ansehnlicheren Eindruck als diese Elendsregion inmitten
der Hügel Missouris.
Dort also schließen sich verrohte Naturen, die mit der Krone von Gottes
Schöpfung nicht mehr allzuviel gemein haben, zu kriminellen Banden zusammen
um Methamphetamin herzustellen, welches dem dort bereits allseits verbreiteten
Drogenkonsum noch die Spitze aufsetzt.
Der Vater der beschriebenen kleinen Familie ist Teil dieser verkommenen
und kulturfernen Gangster, verstößt gegen deren Omertà und verschwindet.
Wie wir später sehen werden – endgültig.
Übrig bleiben ein 17jähriges Mädchen, welches aufgrund der depressiven
Erkrankung der Mama selbst die Mutterrolle an ihren beiden kleinen Geschwistern
übernehmen muss.
Dass der Vater als Beschuldigter zu einen Gerichtstermin geladen und
bis zu diesem auf Kaution freigelassen wurde, verursacht dem Mädchen,
die noch immer emotional an ihrem Verbrechervater hängt, existentielle
Probleme. Denn der Alte hat das Häuschen und den dazugehörigen Wald
als Kaution angeboten. Der Wert dieser Immobilie reichte jedoch vorn
und hinten nicht und zunächst nicht näher erkennbare anonyme Spender
hinterlegten den Rest.
Taucht der Vater bei der Verhandlung nicht auf, wird die Kaution fällig
und das Mädchen verliert auch noch die letzte Habe für sich und ihre
kleine Familie – das Haus mit den dazu gehörigen Liegenschaften nämlich.
Sie muss sich also auf die Suche nach ihrem Alten machen und wird dabei
üblen Situationen ausgesetzt. Es schält sich heraus, dass der Alte Angst
hatte, erneut für zehn Jahre einfahren zu müssen und deshalb beim Sheriff
gesungen hatte wie eine Nachtigall.
Es waren also seine ehemaligen Spießgesellen, die ihn aus dem Untersuchungsgefängnis
holten.
Sie brachten ihn um und versenkten ihn in einem nahen Sumpf. Solcherart
an seiner Mobilität gehindert, war es ihm nicht möglich vor Gericht
zu erscheinen.
Der professionelle Kautionsagent, der das Häuschen und den Wald als
Sicherheit entgegennahm und dann die Kaution in bar erlegte, erscheint
zur Konfiskation auf der Bildfläche. Es wird ernst.
Im letzten Moment gelingt es dem Mädchen den Tod des Vaters zu beweisen,
indem dessen Leiche noch einmal kurzzeitig an die Oberfläche des Sumpfes
geholt wird, um dieser mit einer Kettensäge die Hände abzutrennen. Wir
sind ja der Auffassung, man hätte sich des Kopfes bedienen sollen. Ohne
Hände lässt es sich notfalls leben – ohne Kopf wird das schon schwieriger,
auch wenn die Mehrheit des amerikanischen Volkskörpers das Gegenteil
zu beweisen scheint.
Wie dem auch sei. Die Jurisdiktion akzeptiert die abgetrennten Hände
als Beweis, die hinterlegte Kaution wird an den Agenten zurückgezahlt
und dieser – hochanständig – übergibt den Kautions-Ergänzungsbetrag,
den die mörderischen Spießgesellen beitrugen, an das Mädchen, das sich
angesichts der Konstellation eher keine Sorgen machen muss, dass diese
das Geld zurückfordern werden. Täten sie das, wäre es der rudimentär
vorhandenen Exekutive ein Leichtes die Spur zu den Mördern zurückzuverfolgen
und diese dingfest zu machen.
Folgerichtig sagt das Mädchen auch beim Sheriff aus, man hätte ihr die
abgetrennten Hände auf die Veranda gelegt. Mit wem gemeinsam sie diese
Hände besorgte, verschweigt sie wohlweislich, dabei in Kauf nehmend,
dass der Mord an dem geliebten Vater ungesühnt und diesem ein christliches
Begräbnis verwehrt bleibt. Der Sheriff kauft ihr die Sache kurzerhand
ab – die Akte wird geschlossen.
Happy End ohne Papa!
Nun stellt sich die Frage, warum diese cineastische Orgie des Grauens,
die wahrlich nichts für schwache Nerven ist, vom Landboten eine Eloge
gewidmet bekommt.
Sehen Sie – nichts an diesem Film ist auf einen reißerischen Effekt
angelegt. Dieser Film lügt nicht. Er will nicht manipulieren, er will
nicht einlullen. In der Banalität seiner Handlung ist er auf eine eindringliche
Weise brutaler, weil offener und authentischer, als jeder Horrorschinken
aus Hollywood.
Er zeigt ein krankes Land – ist es das kranke Land aus der Gralslegende,
vergiftet von den primitiven, kranken Seelen seiner Bewohner?
Es zeigt Menschen, denen man bis auf wenige Ausnahmen nur noch ein Minimum
an Menschenwürde zuzugestehen bereit ist. Es zeigt den White Trash –
das Pendant zu den ethnischen Gangs der großen amerikanischen Städte.
Er zeigt die Segregation einer in sich zerstörten Gesellschaft, die
eine Hochkultur bestenfalls in den WASP-Staaten der Ostküste, mithin
in deren Metropolen und vielleicht noch ein wenig in Kalifornien vorhält.
Rund um die Universitäten und in den abgeschotteten Villenvierteln mag
man diese Hochkultur noch antreffen – der Rest ist der Müllhaufen, zu
welchem die amerikanische Utopie bereits herabgesackt ist.
Die unwiderlegbare Aussage besteht in dem knochentrockenen Hinweis,
dass jedweder menschliche Traum von einem Paradies auf Erden zwangsläufig
in der Hölle landen muss. Der Nackte Affe ist für ein konfliktarmes
Zusammenleben auf hohem kulturellen Niveau nicht geschaffen. … und in
den USA schon mal gleich gar nicht.
Den kreationistischen Idioten aus dem Bible Belt haut Mütterchen Evolution
hiermit einen klatschenden Beweis ihrer Existenz in die ewiggestrigen,
ignoranten und wissenschaftsfeindlichen Visagen: Denn die Dynamik menschlichen
Verhaltens und die Unmöglichkeit der tiefgründigen Abwendung von diesen
destruktiven Mustern wird von ihr geschrieben – nicht von welchen „Heiligen“
Schriften auch immer.
Die Utopie von der besseren Gesellschaft, errichtet durch freie Menschen,
verkommt regelmäßig zu einem jedes lebenswerte Leben erstickenden Albtraum.
Sobald der Mensch sich daran macht, das himmlische Paradies, aus dem
die Voreltern angeblich vertrieben wurden, auf Erden nachzugestalten
– verwandelt es sich regelmäßig in kürzester Zeit in eine sehr irdische
Hölle.
„Winter’s Bone“ zeigt das Volk, über welches Trump gebietet. Er zeigt
warnend für uns Europäer, in wessen Enddarm die europäisch- „transatlantischen“
Eliten ihre Völker zu führen versuchen.
Nicht, dass wir Russland für eine brauchbare Alternative hielten! Bewahre!
Dort leben keine besseren Menschen als in den USA! Auch dort herrscht
die pure Gewalt, herrschen mafiöse Strukturen, Abschottung der Eliten
vom abstürzenden Prekariat, Drogensumpf, Mord und Prostitution.
Auch dort wurde von einer fanatischen orthodoxen Kirche dem Volk über
Jahrhunderte eingetrichtert, dass das irdische Leben nichts zählt. Wenn
doch, dann bestenfalls dazu, sich durch hiesiges Leiden einen Platz
zur Rechten Gottes zu erwerben: Je qualvoller auf Erden, desto näher
an der himmlischen Poleposition.
Die Alternative heißt Europa. Hier gibt es noch eine tragfähige Grundsubstanz
als lebenswerte und entwicklungsfähige Heimat, die noch über tiefe Wurzeln
verfügt.
Der Schimmelpilz der vertierten Gewalt und der völligen Gotteslästerlichkeit
– nirgends so essentiell anzutreffen wie bei den amerikanischen Evangelikalen
– beginnt sein Myzel bereits über der Alten Welt auszubreiten. Dessen
sollte sich die europäische Bevölkerung wohl bewusst sein, wenn sie
bei den nächsten Gelegenheiten an die Wahlurnen tritt.
Am besten vor
dem Gang ins Wahllokal noch mal „Winter’s Bone“ schauen, damit klar
wird, wohin der Dampfer mit Kurs Amerika unweigerlich steuert!