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Das Grauen des Krieges


Kotofeij. K. Bajun. Havelsee. Wie sie das nur angestellt haben, die von dem Dorfe Rieder am Harz?

Bist du ein Märker und willst ein wenig Ahnenforschung betreiben, ist im Dreißigjährigen Kriege meist Schluss. Warum? Weil deine Ahnen, wenn Du nicht gerade zu den Hochherrschaftlichen gehörst, nur in denen Kirchbüchern der Städte und Dörfer aufgeführt waren. Just diese Kirchenbücher aber fielen in aller Regel den Bränden zum Opfer, welche eine viehische und völlig enthemmte Soldateska in beinahe jedem Gemeinwesen legte, das sich auf ihrem Wege befand.

Das von Rieder aber scheint die Wirren der Zeit überstanden zu haben, gleichwohl der Dreißigjährige Krieg, die Urkatastrophe der Deutschen, oft seine apokalyptischen Horden durch die Harzgegend trieb und auch dieses Dorf mehrmals völlig vernichtete.

Otto Gotsches tief bewegender Roman
„… und haben nur den Zorn“ berichtet davon in einer Weise, die eine Besprechung des so enorm wichtigen Buches geradezu einfordert.

Über den Krieg selbst sind schon viele hervorragende Sach- und Fachbücher verfasst worden und auch Romane von Format. Man denke da an Ernst Finsters „Wolfsjahre“, dessen Erscheinen im exklusiven Prisma Verlag Rütten & Loening allein schon ein Qualitätsausweis erster Güte war.

Doch wo Finster noch relativ blande mit den unfassbaren Schrecken dieses bestialischen Völkerschlachtens umgeht, da spricht Gotsche Klartext. Doch davon später.

Herr Hübner, eingeborener Märker und Sohn des Zisterzienserklosters Unserer Lieben Frau am See zu Lehnin in der Mark, pflegt zu sagen, er wäre imstande die Spuren des Dreißigjährigen Krieges bis zum heutigen Tage nachzuweisen: in der märkischen Landschaft, in den Bauwerken, vor allem aber in den Seelen der Menschen, der Nachgeborenen.

Landschaft und Bauwerke stellen keine großen Herausforderungen dar. Seien es die Schwedenschanzen nördlich der Chur- und Hauptstadt Brandenburg an der Havel oder die Schwedenlinde in Brielow, sei es die im Mauerwert steckengebliebene Kanonenkugel von Dahme in der Mark oder das wuchtige Wehrgehöft im Hohen Fläming, nördlich von Belzig – das alles lässt sich leicht zeigen.

Schwieriger wird es da schon mit dem dritten Teil dieses Postulats. Aber so schwierig nun auch wieder nicht. Denn die Memes, welche von den Amerikanern nachgewiesen wurden, und welche Traumata des Entsetzens und des Hungers durch die Generationen in den Genen der Mütter und Väter fortschreiben, kann man im kodderigen, verbitterten, unfreundlichen, abgewandten und humorlosen Wesen des gemeinen Märkers ablesen, welches mit Sicherheit nicht allein dem sandigen, trockenen und wenig fruchtfreudigen Boden geschuldet ist.

Gotsche hat ganze Arbeit geleistet. Ein Sohn des Harzes durch und durch. Was Widerstand gegen Terror und Unmenschlichkeit bedeutet, das wusste der Kommunist Gotsche genau. Seine eigene, erfolgreiche Widerstandsbiographie bot ihm Material in Fülle.

Dazu muss sich eine bwundernswerte Fleißarbeit bei der Auswertung zur Verfügung stehender Chroniken und vor allem regionaler Überlieferungen gesellt haben.

Was dabei herauskam, ist ein Buch, das man zart besaiteten Naturen besser nicht zumutet – eine 1:1-Verfilmung würde wahrscheinlich auf dem Index landen. Zu sehr graut es den Nackten Affen, sich selbst mit all seiner Widerlichkeit im Spiegel zu betrachten.

Denn siehe: Die Marodeure, die Gotsche mit all ihren ungeheuren Verbrechen beschreibt, kamen nicht von einem anderen Planeten. Es waren normale Menschen, die von der Leine der Moral, des Anstands und der sozialen Kompatibilität gelassen worden sind. Es waren zumeist Männer, die selbst entwurzelt waren und vergaßen, dass auch andere Söhne Mütter und auch andere Mütter Söhne hatten. Dass viele Frauen diesen Männern in diesen Zeiten um nichts nachstanden, wenn sie Gelegenheit dazu bekamen, versteht sich von selbst.

Gotsche lässt nichts aus. Es ist diese beinahe banale Beiläufigkeit, mit der er inmitten der Beschreibung der Formierung der Widerstandsgruppe „Harzschützen“ all die Bestialitäten einflicht, mit der die zumeist arme Landbevölkerung über drei Jahrzehnte hinweg kujoniert wurde.

Hatte sie das Pech, im Marschgebiet der großen Heeresverbände zu liegen, bedeutete dies für sie beinahe zwangsläufig den Verlust von allem, was sie sich mühsam erarbeitet hatten. Darüber hinaus forderte eine Einquartierung oder ein Durchzug durch eine solche Ortschaft noch das Leben der meisten Dorfbewohner. Die Anzahl der im Dreißigjährigen Kriege wüst gefallenen Weiler dürfte in die hunderte gehen. Ein markantes Beispiel ist das Dorf Goldberg bei Lödderitz in Sachsen Anhalt. Ausgelöscht und nie wieder besiedelt.

Vergewaltigungsorgien, sinnloses Abschlachten von Menschen wie im Blutrausch, die Bestialität, die so vielen Nackten Affen innewohnt – wenn nicht sogar den meisten – mitleidlose Vernichtung und das Hinterlassen verbrannter Erde. Diese Lust am Zerstören. Das reine Böse, wie Konrad Lorenz es so treffend analysierte. Wir ahnen, wo die Geleise nach Auschwitz ihren Anfang nahmen.

Dabei waren diese Orgien der Vernichtung ausgesprochen dämlich. Denn, wie Wallenstein bereits postulierte: Der Krieg muss den Krieg ernähren. Ein toter Bauer aber, ein zerstörtes Ackerwerkzeug, ein verwildertes Anbauland können niemanden mehr verköstigen.

Ein weiterer Aspekt gesellt sich hinzu. Shakespeare beschrieb in seinem „Heinrich V.“ die Exekution des Leutnants Bardolph, eines einstigen Weggefährten und Freundes des Ritters Falstaff aus der engeren Umgebung des jungen Königs. Dieser hatte in einer französischen Kirche, also im Feindesland, eine Monstranz mitgehen lassen. Im Vergleich zu den Beutezügen des Dreißigjährigen Krieges eine Petitesse.

Doch der englische König wusste, was er tat, als er Bardolph hängen ließ. Ein marodierender, stehlender Heerhaufen hinterlässt bei den Menschen Wut und Hass und den Willen Widerstand zu leisten. Er hinterlässt die Saat für ein Partisanenwesen – und nichts anderes waren die Harzschützen zumeist.

Deshalb auch setzten so viele Protestanten ihre Hoffnungen auf den Löwen aus Mitternacht, dessen schwedische Armee als sehr diszipliniert galt. Wie sehr sollten sie in der Folge enttäuscht werden! Noch nach vierhundert Jahren ist der Begriff des Schwedentrunks in der Mark durchaus gängig und bekannt. Wenn Mütter ihre ungezogenen Blagen in der Jungendzeit des Autors zur Räson bringen wollten, so hörte man nicht selten die Drohung: „Wart, dass der Schwede kommt!“

Gotsches erschütternder Roman ist nicht auf reißerische Effekte aus. Es ist diese Nüchternheit, mit der er das unfassbare Grauen in den Alltag seiner Protagonisten einbindet, die den herrschenden Irrsinn erst so richtig erfassbar macht.

Das Christentum, welches alle Kriegsparteien so plakativ im Panier trugen, wurde auf die entsetzlichste Weise konterkariert. Wie viel Selbsttäuschung mussten die Marodeure vom Landsknecht bis zum Befehlshaber in sich tragen, um noch immer zu glauben, dass ihnen aufgrund eines sich selbst unterstellten gottgefälligen Treibens das Himmelreich offen stehe! Mehr heidnisch verblendeter Götzendienst geht gar nicht.

Vielen hingegen wird es egal gewesen sein. Die diesseitige Hölle, die jenseitige … wo war der Unterschied?

Warum zog es auch so viele junge Menschen in diesen Krieg oder in sein Umfeld? Wer ein warmes Zuhause hat, wer genug auf dem Tisch und sich ein wenig Wohlstand erarbeitet hat, verdingt sich nur in Ausnahmefällen – und dann wohl eher aus dummer Abenteuerlust – als Landsknecht, Raureiter oder Landplage. Die Marodeure waren also in der Regel auch arme Hunde.

Warum waren sie das? Richtig! Weil sich der gesellschaftliche Reichtum in den Händen weniger befand, die nicht einmal im Traum daran dachten, diese Besitztümer gerecht mit denen zu teilen, die nicht wussten, ob sie am nächsten Tag mehr als Gras zwischen die Zähne bekommen würden.

Zu loben ist auch, dass Gotsche kristallklar herausarbeitet, dass es in diesem Kriege nicht einmal ansatzweise um die Religion ging. Alles drehte sich um Besitzrechte, Zugriffsmöglichkeiten auf Ressourcen, Land – denn Grund und Boden sind Produktionsmittel, wie es die Kommunisten in ihrem System der politischen Ökonomie unwiderlegbar bewiesen hatten.

Gotsche zwingt uns mit der Nase in jede Ungeheuerlichkeit, welche wir versuchen, durch unsere rosaroten Brillen des Wohlstands und der vermeintlichen Zivilisation auszublenden. Er lässt vierzehn- und fünfzehnjährige Kinder beinahe bewusstlose Frauen vergewaltigen und malträtieren, während sie gleichzeitig deren kleine Kinder kurzerhand ermorden. Er lässt sie damit prahlen.

Er beschreibt, wie Kinder desselben Alters bereits fest in die Kampf- und Widerstandsaktivitäten eingebunden und dafür – vom Feinde gefasst – grausam hingerichtet werden. Er zeigt, dass diese Trossbuben bereits völlig in die Strukturen ihrer vertierten Soldateska eingebunden waren und ihre pubertären Machtfantasien an den Unterlegenen austobten, dafür aber auch gnadenlos von diesen mit ihren Landsknechten gemeinsam am nächsten Baum aufgehängt wurden, wenn sich das Blatt wendete. Kurzer Prozess. Keine Fragen, kurze Stricke. Ende!

Bambischutz – Fehlanzeige! Der Hass auf beiden Seiten sprengte die Grenzen des Vorstellbaren.

Was aus Gotsches Roman zu lernen ist? Vor allem, dass der Nackte Affe ein Raubtier ist, dessen atomare Zerstörungswut jederzeit eruptieren kann, sobald die Bedingungen dafür gegen sind.

Dieser Niedergang der Zivilisation, wenn es an die Existenz des Einzelnen und der Masse geht, weckt den Drachen in der Mehrheit der Bevölkerung. Das glauben Sie nicht? Nein? Ist der Balkankrieg aus den Neunzigern schon wieder so lange her, dass Sie tatsächlich vergessen haben sollten, was sich dort abspielte?

Wir wissen nicht, ob Gotsches Buch bei Rütten & Loening jemals zur Disposition stand. Der Mitteldeutsche Verlag Halle (Saale) nahm sich des Werkes an. Als das Buch 1975 herauskam, war Gotsche schon ein mächtiger Mann innerhalb des SED-Parteiapparates.

Vielleicht war den Ästheten vom Prisma Verlag die Sache doch zu grob und ungeschliffen. Es entzieht sich, wie gesagt, unserer Kenntnis. Wie dem auch sei: Wer das Buch antiquarisch zu erwerben in der Lage und über Gotsches frühkommunistische und sozialrevolutionäre Tendenzen hinwegzulesen bereit ist, welche der Autor seinem Haupthelden Valten Weddingen in den Kopf platziert, der erfährt viel über Soziodynamik in Ausnahmezeiten und darüber, was sich hinter der Stirn seines Nachbarn abspielt und höchstwahrscheinlich ausbricht, sobald sich dieser von den durchsetzungsfähigen Normen gesellschaftlichen Zusammenlebens befreit fühlt.

Die einen bauen Bunker und lagern Lebensmittel darin ein, für den Fall, dass es wieder los geht und die anderen lesen Gotsches Buch und wissen, dass der Bunkerbau vergebene Mühe und eine einzige Verschwendung von Material und Zeit ist. Gegen die Bestie Mensch, gegen soviel unsagbare Bosheit und Lust am Quälen und Zerstören ist kein Kraut gewachsen, ist keine Bunkerwand dick genug. Die mächtigste biogene Kraft im Universum ist nicht die Liebe – es ist die Mikrobe der Menschlichen Dummheit.

Gotsches Buch ist kein Horrorroman – es ist klarster, brutalster Realismus, der sich jeder Übertreibung entschlägt. Es ist eine dringende Empfehlung des Preußischen Landbote wert.


Otto Gotsche
… und haben nur den Zorn
Mitteldeutscher Verlag Halle (Saale), 1975

 
B
14. Volumen

© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2012

26.02.2025