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Nosferatu - Phantom der Nacht

und Werner Herzog – ein Achttausender deutschen Filmschaffens

Kotofeij K. Bajun. Havelsee. Pünktlich zu Allerseelen passen sich die Fernsehsender an und strahlen in den Äther, was sie für gruselig halten. Da darf natürlich Werner Herzogs legendäre Hommage an seines großen Vorgängers, Murnaus, Nosferatu nicht fehlen.

46 Jahre ist das Werk nunmehr alt – viele seiner Protagonisten bereits tot und begraben, wie auch der Hauptdarsteller Klaus Kinski. Man mag über den Zoppoter Psychopathen denken wie man will – als Schauspieler war der in jeder Hinsicht ungezügelte Halunke Weltklasse. Doch dazu später.

Herzog gelang es weitere Größen zu verpflichten. Den ewig unvergessenen und damals hervorragendsten deutschen Schauspieler und Träger des Iffland-Ringes Bruno Ganz als Harker, die bezaubernde, internationale Diva Isabella Adjani als Lucy, Walter Ladengast als van Helsing und den brillanten Roland Topor als den durchgeknalllten Renfield, den ausdrucksstarken Jaques Dufilho als Kapitän – Herzog hatte ein Händchen für die Besetzung, das seinesgleichen sucht. Charaktere so feinfühlig auszusuchen und dann agieren zu lassen – auch das macht einen Spitzenregisseur aus.

Keinesfalls aber zu vergessen sind die großartigen Nebendarsteller, die Wirtin und der Wirt in den Karpaten, die Bauern, die Zigeuner, der kleine Attila Árpa, der in diesem Meisterwerk wohl seinen ersten Filmauftritt hatte, als er auf Burg Pernstein in Mähren seine Fidel dissonant – und gerade deshalb so genial malträtierte. Diese Leute hatten nur kurze Auftritte und werden nirgends namentlich genannt, was wir für ein großes Versäumnis und Unrecht halten – denn diese Leute spielten nichts – sie waren sie selbst und sie waren phantastisch, authentisch, glaubwürdig, exzellent.

Doch was wäre ein Film ohne seine Bildsprache? An dieser Stelle wächst Herzog wirklich über sich und das absolute Gros seiner Kollegen hinaus. Das ist kitschlose Poesie von der ersten Minute bis zur allerletzten, als der neue Nosferatu, der in einen Vampir transformierte Harker auf dem verschneiten Feld in die Ferne hinausreitet, um das Böse in der Welt zu verbreiten. Doch auch auf diese Szene müssen wir später noch einmal Bezug nehmen.

Wir hassen es, von Filmen manipuliert zu werden, die Sicht des Regisseurs auf die Dinge vorgeschrieben zu bekommen und dieser wie hirnlose Lemminge zu folgen.

Herzog aber manipuliert nicht. Er ist ein Fremdenführer in die Abgründe der Seele, ein klassischer Psychopompus. Er zeigt, wie sehr Schönheit und Verfall miteinander verbunden sein können, nein, verbunden sind, untrennbar, ehern. Er verzichtet auf eine kompromisslose Schwarz-Weiß-Zeichnung von Gut und Böse, wie es Murnau noch tat.

Er öffnet den Zugang in die Psyche des absolut Bösen, des Raubtieres, das dennoch nicht instinktgesteuert handelt, sondern sich seines eigenen Fluches sehr wohl bewusst ist und unter diesem in nicht minder hohem Maße zu leiden scheint, wie seine Opfer. Herzog gewährt die Barmherzigkeit des verstehen Könnens.

Die ganze Handlung bettet er ein in eine überwältigende Bildsprache, welche es unmöglich macht, sich dem durchgehend stillen Zauber der Herzog’schen Magie zu entziehen, wie sie auch im „Aguirre“ – einem durch und durch gewalttätigen Thema zur Geltung kommt.

Jeder meteorologische Beitrag zu seinen Szenen ist so exakt und nicht austauschbar platziert wie eine Note in Mozarts Partituren. Alles vermittelt Stimmungen, alles multipliziert sie, alles nimmt den Zuschauer gefangen, schlägt ihn in einem Maße in seinen Bann, wie es nicht einmal dem Grafen Dracula mit seinem Opfer Harker gelang.

Herzog kann sich so sehr auf die Macht seiner phantastischen Bilder verlassen, die sein legendärer Königs-Wusterhausener Kameramann Jörg Schmidt-Reitwein für ihn einfing, dass die offensichtlichen Fehler scheißegal sind: Das sind die Regenrinnen aus PVC an den Speichergebäuden in Lübeck, das sind die Fernseh-Dachantennen auf den Gebäuden von Delft, das ist das hochmoderne Innen-Zusatzschloss an der Haustür von Harkers Wismarer Wohnung, das ist die Betonüberbrückung in der Wildwasserschlucht der Partnachklamm.

Kaum jemand wird die rationale Frage stellen, warum, wenn Harker zu Nosferatu Nummer 2 wurde, es den Kapitän und seine Mannschaft oder Fräulein Mina nicht ebenfalls in Geschöpfe der Nacht verwandelt hat – ganz zu schweigen von der sich opfernden Lucy. Wie überlebt Nosferatu II bei seinem Ritt in der letzten Szene das Tageslicht, welches ihn ja bereits in Wismar so zu schmerzen begann, dass man die Vorhänge um seinetwillen zuzog, um ihn abzuschirmen. Ja gut, das war nun gerade kein karibischer Sonnenschein – aber immerhin – Tageslicht.

In diesem Zusammenhang ist übrigens den beiden Lichtspezialisten Martin Gerbl und Anton Urban zu danken, die auf ihrem Gebiete dem Regisseur Beleuchtungseffekte zuarbeiteten, die jede einzelne Einstellung zu einer atemberaubenden Komposition machen. Herrn Gerbl wurde dann auch verdientermaßen ein kleiner Auftritt an der Tafel der Pesterkrankten auf dem Marktplatz zu Delft zugestanden.

Musik von Popol Vuh, Florian Fricke, den wir aus seiner 1972er Zeit mit Tangerine Dream kennen, von Charles Gounod, von dem antisemitischen Bayreuther Schweinehund, aber leider Gottes dennoch überragenden Musiker Richard Wagner – das alles fügt sich zu einer Gesamtkomposition, die sich einen Platz in der allerersten Reihe der Ruhmeshalle deutschen Filmschaffens erobert hat.

Es gibt wenige Filme in der internationalen Welt des Zelluloids, von denen man sagen kann, da stimmt jede Szene, jede Einstellung, da stimmt die Dramaturgie, da stimmt … einfach alles.

„Der Tod eines Teemeisters“ von Herrn Kumai oder die Werke Akiras des Großen, Akira Kurosawas, die Bornholm-Dokumentation von Jürgen Lodemann, welche dieser 1993 für den Südwestdeutschen Rundfunk und dessen Reihe „Inseln“ schuf, obschon diese ein anderes Genre bedient, Egon Günthers „Ursula“, … das sind Beispiele überragender Filmkunst, die sich einen Ewigkeitswert erwarben. Das ist die Liga, in welcher der Nosferatu Herzogs mitspielt.

Der Vampir wurde zum Ende des Films durch die aufgehende Sonne denaturiert, das Ungeheuer vernichtet.

Als aber Bruno Ganz zu den Klängen der Cecilien-Messe über das schneesturmgepeitschte Feld ritt, da trug er – bei rechtem Lichte betrachtet – doch etwas ganz anderes in die Welt hinaus, als das Böse:

Er verbreitete den Ruf eines der größten Filmemacher, welche Deutschland je hervorbrachte und dessen Ruhm nach menschlichem Ermessen weitaus unsterblicher ist, als die untote Existenz des blutsaugenden Grafen hinter dem Borgo-Pass.

 
B
14. Volumen

© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2012

02.11.2025