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1917
Kotofeij K. Bajun. Havelsee. Wie die Jahreszahl – so heißt dieser Film von Sam Mendes aus England. Ein Kriegsfilm, dessen Handlung anderthalb Jahre vor dem Ende des Ersten Weltkrieges angesiedelt ist, sollte eigentlich nicht sonderlich von allen anderen Vertretern seines Genres hervorstechen. Genau das tut er aber. Ja, auch andere Meisterwerke klagen das Grauen des Krieges an. Wir denken da an die cineastische Umsetzung von Herrn Remarques epochalem Buch „Im Westen nichts Neues“. Auch die Amerikaner taten sich mit einigen passablen Streifen hervor. „Full Metal Jacket“, „Good Morning, Vietnam“,um nur einige zu nennen. Wenngleich die Yankees mit diesen Filmen hauptsächlich ihre vietnamesischen Wunden lecken, so kann man sie dennoch in die großen epischen Anklagen gegen die Barbarei, die Stumpfsinnigkeit und die Nichtgewinnbarkeit von Kriegen einordnen. Der große Rest besteht in den üblichen Adressierungen an die Rednecks und das übrige, verblödete und stumpfsinnige, amerikanische Prekatiat, aufgeladen mit Blut und Action und jeder Menge Inhaltslosigkeit. Was also macht „1917“ so besonders? Was hebt ihn ab? Was gesteht ihm das Prädikat „wertvoll“ zumindest des Preußischen Landbote zu, obgleich wir mit einem deutschen Pass in der Tasche wieder einmal klischeehaft als die ehrlosen Hunnen, Meuchelmörder und hinterlistigen Kujone herhalten müssen, die sogar den edlen Feind abstechen, während er versucht, einem von den Unsrigen das Leben zu retten? Nun, als erstes lautet wohl die wichtigste Erkenntnis aus den endlosen Gräberreihen von Verdun, dass sich solche albernen Fragen wie jene nach einer Nationalität im Angesicht dieses unendlichen Schreckens egalisieren. Sie überantworten sich selbst absurder, sinnloser Blödsinnigkeit. Im Kriege geht es nicht um Religionen oder Nationalitäten – es geht um die Einflussmöglichkeiten der jeweiligen Eliten, um deren Zugriffsmöglichkeiten auf Ressourcen und um gar nichts anderes. Agamemnon ist nicht nach Troja gezogen, um seine hübsche Schwägerin Helena nach Hause zu holen, sondern um einen ökonomischen Konkurrenten der Oberliga auszuschalten und Mykenes Einfluss auf die Handelsrouten hoch zum Bosporus und hinein nach Kleinasien und in die Levante zu sichern. Nein, Entschuldigung – richtig! Sie haben gut aufgepasst; Chapeau! Natürlich ging es Agamemnon nicht um Mykenes Einfluss, sondern um SEINEN höchst persönlichen Einfluss und den der an ihn gebundenen Eliten. Die mykenischen Bettler hatten gar nichts davon, insofern es ihnen nicht gelang an dem Feldzug zu partizipieren und mit heiler Haut und ein wenig Beute davonzukommen. Der gesteigerte Grad an „Zivilisation“ macht sich zwischen dem Völkerringen der Bronzezeit und dem der Moderne lediglich darin bemerkbar, dass die jeweiligen Chefs ihrer Heeresverbände in der Antike keinen Augenblick zögerten, den unterlegenen Staats- und Truppenführer umzubringen. Im Eisenbahnwaggon von Compiegne behandelte man im November 1918 die Spitzenvertreter des unterlegenen Feindes zwar mit kalter Geringschätzung und Verachtung, ließ sie darüber hinaus aber am Leben. Der arme Matthias Erzberger wurde dann folgerichtig auch erst zuhause von der einheimischen Feme ermordet. Was hingegen gleich geblieben ist: Im Kriege sind es meistens die jungen Männer, die das Leben noch vor sich haben und einander gar nicht kennen, welche sich aber auf Geheiß und Betreiben alter Männer gegenseitig mörderisch abschlachten und verstümmeln, während jene Banditen in Frack und Zylinder, welche sie auf den Weg zur Schlacht geschickt haben, in aller Regel im Hintergrund verharren und den Ausgang des Tötens abwarten, um danach in ihren Hauptbüchern Bilanz zu ziehen. Genau auf diese jungen Männer wirft der Film einen dezidierten Blick. Zwei junge Burschen werden auf ein Himmelfahrtskommando geschickt, weil Aufklärer und ein zum Denken befähigter britischer General bemerkten, dass sich der deutsche Gegner taktisch zurückgezogen und dabei mehreren Bataillonen der Engländer eine tödliche Falle gestellt hatte. Die Verbindung zu den bedrohten britischen Truppenteilen wurde vorsorglich gekappt. Über 1.600 britische Soldaten sind in akuter Gefahr der völligen Vernichtung. Den einen der beiden Burschen schickte der General los, weil dessen Bruder als Offizier in dem Regiment diente, welches im Begriffe stand in den sicheren Tod zu rennen. So konnte er sich berechtigte Hoffnungen machen, dass dieser Junge alles geben würde, um die Botschaft zu überbringen. Der Spießrutenlauf konnte beginnen: Die eigenen Gräben, das Niemandsland, die deutsche Grabenanlage, das deutsche Hinterland, die völlig zerwichste französische Ortschaft Écoust-Saint-Mein, der gnadenlose Hass der jungen Leute auf den „Feind“, über den sie nichts anderes wissen, als dass er sich einer ihnen unverständlichen Sprache bedient und eine andere Uniform trägt. An dem Film zu loben ist seine trotz der schauderhaften Szenerie, die mit bestechender und für uns Laien überzeugender Brillanz zur Darstellung kam, unaufgeregte, ja beinahe stille Erzählweise. Die Handlung ist konsistent, wenn sie auch über weite Strecken anmutet wie ein Computerspiel. Doch wir wissen nicht, wie wir es hätten besser machen sollen. So wird es auch gewesen sein. Das Ankommen an seinem Tagesziel war wohl für jeden Frontsoldaten zu jedem Zeitpunkt ein Glücksspiel, wie man es in den Casinos von Monaco oder Las Vegas nicht übler hätte ersinnen können. Es ist bemerkenswert, mit welcher Gleichgültigkeit der erfahrenere der beiden Soldaten seine Medaille gegen eine Flasche Wein eingetauscht und damit zum Ausdruck gebracht hat, welcher Sache er welchen wahren Wert beimisst. Unbestreitbar einer der Höhepunkte des Films. Das elende Sterben seinen Freundes … Kein „Halt durch!“, „Komm schon!“ …, sondern ein: „Sterbe ich jetzt?“ „Ja.“ Da gibt es keine Hoffnung und keine Beschönigung mehr. Borniertheit, Dummheit, Ignoranz, Verblendung, Hass … alles sehr gut dargestellt. Was uns stört, ist diese verdammte Einseitigkeit, die natürlich an die Kinobesucher im Heimatland von „1917“ adressiert. Auch die Franzosen wird es nicht amüsiert haben, dass sie nur in Gestalt einer jungen, hilfsbedürftigen Frau und ihres Kleinkindes zum Zuge kommen, welche dann auch noch der Ritterlichkeit des edlen Engländers bedarf und ihn am Ende anfleht, bei ihr zu bleiben. Wer die Geschichte der beiden Völker seit dem Hundertjährigen Kriege kennt, der wird ahnen, dass unsere westfränkischen Vettern mehr als eine Pulle Schampus gebraucht haben werden, um ihren Ärger über eine solche Szene hinunterzuspülen. Was uns „Hunnen“ betrifft, wir sagten es schon. Das ist das große Manko des Films! Nicht, weil wir einhundertundacht Jahre nach diesen Geschehnissen aufgrund unseres deutschen, sprich „hunnischen“ Passes angefressen wären. Das ist albern. Nein, hier wird die Propaganda von damals nahtlos fortgeschrieben. Das aber ist zutiefst anachronistisch! Das ist aus der Zeit gefallen. Das hat in einem modernen Europa nichts mehr verloren. Dass diese Brutalitäten und Gemeinheiten so stattgefunden haben – ja, natürlich! Aber sie fanden auf beiden Seiten statt. Wer glaubt, die Inseljungs wären allesamt Gentlemen vom Lande gewesen, der ist schon gehörig naiv. Auch die waren von einem gnadenlosen und undifferenzierten Hass beseelt, der den „Hunnen“ jede Menschlichkeit absprach. Bei jener wunderbaren Weihnachtsverbrüderung 1914 zwischen Mesen und Nieuwkapelle gab es für einige wenige die Möglichkeit der Erfahrung, dass der andere auch ein Mensch ist. Oft wird auch das Bild beschworen, dass Soldaten die Uniform eines gefallenen Feindes öffnen, um sich dessen Habseligkeiten zu versichern und dabei ein Foto von dessen Eltern, Ehefrau, Kindern … zu Tage fördern, das ihnen schlagartig klarmacht, dass der dort eben kein mordlüsternes Monster von einem anderen Planeten war, sondern ebenfalls ein Junge wie sie selbst, der eben in diesem Augenblick Pech gehabt hatte. Der hatte eine Mutter und einen Vater – beide würden weinen. Die Verlobte oder Ehefrau konnte nach dem Krieg mit einem glücklicheren Überlebenden weitermachen, aber weder die Eltern noch die Kinder des Gefallenen bekamen ihren Sohn, ihren Vater je wieder zurück. Denen, die das Foto und den letzten Brief des Feindes betrachteten, wurde dann in aller Regel die Bedeutung des lateinischen Sprichworts: „Hodie mihi, cras tibi“ klar, welches bedeutete, dass sie genauso daliegen würden, bevor sie noch ein nächstes Mal die Gelegenheit bekamen ihre Henkelmänner an der Gulaschkanone auffüllen zu lassen. Warum also ist uns der Film „1917“ so wichtig? Weil er brandaktuell ist. Weil dieser Erste Weltkrieg zwar in Compiegne beendet wurde, die Mechanismen und Dynamiken aber, die zu seiner Entstehung führten, nicht einmal im Mindesten und auch nur ansatzweise mitbeendet wurden. Nach dem Ersten Weltkrieg und vor allem nach dem Zweiten hob ein großes Analysieren an, wie es so weit kommen konnte. Psychologen, Soziologen, Soziopsychologen, Soziodynamiker und wie das ganze Volk sich so nennen mag, stürzten sich auf das Individuum – das tonangebende und die Gezwungenen, die freiwilligen Mitläufer, die das Heldentum Suchenden und sie tomografierten deren Seelen und schrieben schlaue Traktate. Es nutzt alles nichts. Rheinmetall will seine Profite, die Yankees wollen ihren Zugriff auf die ukrainischen Rohstoffe – der Black-Rock-Fritze verspricht den korrupten Schurken von Kiew Taurus-Raketen, die von kriegsbesoffener Propaganda weichgekochten Deutschen schlendern durch ihre seelenlos wiederaufgebauten Städte wie Köln, Schweinfurt, Hamburg, Dresden, Magdeburg und in Berlin an der Ruine der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche vorbei und echauffieren sich über die „russischen Untermenschen“. Sie sehen keine Mahnung mehr vor dem nächsten Krieg. Es ging ihnen zu lange zu gut! Diesmal muss der Böse Zar den Adolf machen und – Gott sei’s gepfiffen und getrommelt – diesmal ist der doofe Michel auf der richtigen Seite, er darf auf der Seite der Guten mitspielen, hurra! Die gewinnen doch immer! So wurde es ihm wenigstens seit achtzig Jahren von Hollywood eingebläut. Das glaubt er auch. Nicht umsonst ist er ja der doofe deutsche Michel – und überhaupt sind die Russen alle Bestien. Wissen wir doch seit Nemmersdorf und den sich daran anschließenden Massenvergewaltigungen deutscher Frauen und Mädchen. Deshalb ist der Film so wichtig – und deshalb muss er jetzt gezeigt werden. Dem Gedächtnis des doofen deutschen Michels muss mal wieder ein bisschen auf die Sprünge geholfen werden, damit er sich klar macht, was Krieg buchstäblich vor der Haustür bedeutet. Krieg buchstäblich vor der Haustür ist nicht das aus Gründen der "Pietät" nicht gezeigte, viehische Sterben der Anderen in fernen Ländern, diskret angedeutet auf den deutschen Fernsehbildschirmen. Schließlich kann man ja dem doofen deutschen Michel solche schrecklichen Bilder nicht zumuten … und wenn das die armen deutschen Wohlstandsblagen aus Versehen zu Gesicht bekämen – nicht auszudenken, die zarten Gemüter! Nein, wenn der Krieg wieder vor der eigenen Haustür angekommen ist, ist es das eigene bestialische Verrecken, das eigene Haus mit dem ganzen bisschen Hab und Gut, was die Bombe kurz und klein drischt – es sind die Augen der eigenen Kinder, die einen mit gebrochenem Blick aus den abgetrennten Köpfchen anstarren. Ihre Händchen liegen zwanzig Meter weiter, gleich neben den Darm- und Eingeweidefetzen, um welche bereits die Fliegen surren und die Krähen hacken.. Keine Angst, diese Kinderaugen werden sich nie wieder vor irgendetwas erschrecken. Reden mit dem Zaren? Wir doch nicht! Seit wann lernen wir den wirklich etwas aus den furchtbaren Fehlern der Vergangenheit? Es reicht doch, wenn wir darüber schlaue Bücher verfassen. Brecht schrieb: „Das große Karthago führte drei Kriege. Es war noch mächtig nach dem ersten, noch bewohnbar nach dem zweiten. Es war nicht mehr auffindbar nach dem dritten.“ Schaut euch diesen Film an und versteht, dass euch da kein Historiendrama zu eurer Unterhaltung im Fernsehsessel bei Bier und Popcorn aufgetischt wird. Das, was Regisseur Sam Mendes auf Zelluloid bannte, ist eure gottverdammte Zukunft, ihr Narren! Jedenfalls das bisschen Zukunft, das euch dann noch bleibt. |
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2012
25.04.2025