Der Dom zu Roskilde
eine Symphonie in Backstein
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Der Dom zu Roskilde von Nordosten her
Bild: Preußischer Landbote
Kotofeij K. Bajun. Havelsee.
Roskilde! Wenn man sich ein
wenig nur mit der Geschichte unseres Nachbarn im Norden befasst, dann
kommt man an diesem Namen nicht vorbei. Kopenhagen – die Hauptstadt –
natürlich. Odense – Hans Christian Andersen … Aber Roskilde, das ist noch
mal eine andere Hausnummer.
Das ist eine Dimension
für sich. Wer jemals in Versuchung geriet, das Inselkönigreich zwischen
Nord- und Ostsee zu unterschätzen – der komme, so wie wir, an einem dunklen
Winterabend auf den Platz for dem gewaltigen Westwerk des Domes von Roskilde
– ein Name, unter den europäischen Kirchenbauten dieselbe Mystik teilend,
wie Chartres, Beauvais,Reims, Speyer, Worms, Magdeburg … und ja, auch
Köln.
Köln … die Silhouette,
dieses Sandsteingebirge … es macht sprachlos, es taugt zum Wahrzeichen,
das ist schiere Größe. Ist das noch ein Gotteshaus? Oder loben sich die
Baumeister am Ende selbst.
Chartres – herrlichste
französische Hochgotik, das Blau der Fenster, das Labyrinth, das Triforium,
die himmelhohen Gaden … überwältigend. Und da wären ja auch noch die englischen
Kathedralen dieser Zeit, Canterbury, Lincoln, Hereford. Großes Kino, keine
Frage.
Aber Roskilde … da standen
wir also an diesem Abend vor diesem Wunderwerk nordischer Backsteingotik
und strichen mit den Händen über ihre himmelhoch aufgetürmten Steine.
Dieses Bauwerk ist atemberaubend. Wuchtig, und doch auf eine besondere
Art grazil. An diesem Abend war das Gotteshaus bereits geschlossen. Es
blieb uns nichts übrig, als es auf der Rückfahrt noch einmal zu versuchen.
Und siehe da – sie war geöffnet.
Was der äußere Eindruck
bereits andeutete – die das Innere übertraf kühnsten Erwartungen. Jede
Kathedrale verströmt etwas Eigenes, Einzigartiges. Bei Roskilde war der
erste Gedanke der an eine perfekte, an eine überirdische Harmonie des
Gesamtbauwerks.
Nun ist eine Kathedrale
in aller Regel nur dem Namen nach ein Gotteshaus. Die Bauherren und ihre
Nachfolger feiern sich in diesen Wunderwerken menschlichen Schaffens und
betonen damit den Anspruch, Gottes Wort verkünden und deuten zu dürfen.
Kathedralen sind Machtdemonstrationen, unverhohlen und ostentativ. Auf
dem höchsten Platz der Umgebung gebaut, Gott zu Ehren. Aber der ist überall
in seiner Schöpfung anzutreffen. Dem ist ein kleines Tal, eine kleine
Hütte ebenso lieb und teuer, denn es ist SEIN Werk.
Nein, Menschen wollen
sich über ihresgleichen erheben. Kathedralen bieten dafür eine ideale,
geistlich unterfütterte Bühne. Doch abseits dieser Ketzerei wollen wir
uns dem Bauwerk des Domes von Roskilde widmen.
Der erste Wikinger-Dom
im Norden, der komplett aus Backstein aufgeführt wurde. Ja, man hätte
auch Bornholmer Granit verwenden können, aber das wäre selbst Absalon
von Lund zu teuer geworden. Absalon, der die Ruganer und eines der drei
Oder-Elbe-slawischen Hauptheiligtümer von Swantewit auf Arkona niedergerungen
hat. Absalon war eine Größe im nordeuropäischen Politikgetriebe.
Also kurz und gut – für
Backstein hat es gereicht. Für ein paar tüchtige Baumeister ebenfalls.
1189 ging es los. Was da entstand, dass muss für den mittelalterlichen
Besucher ebenso beeindruckend gewesen sein, wie die Skyline von New York
für den armen jiddischen Auswanderer aus dem Stetl. Man denke sich nur
Lehmhütten und ein paar niedrige Steinhäuser ringsumher – und dann dieser
Koloss in der Mitte.
Donar (Thor), Wotan (Odin)
und unsere geliebte Freya hatten nichts dergleichen und auch König Hrotgars
Halle Heorot hätte keinem Vergleich standgehalten. An diesem Bauwerk hätte
Grendel sich die Zähne ausgebissen und vor den Ger-Dänen Respekt gelernt.
Ein wenig erinnert uns
die Roskilder Kathedrale, von Südwesten kommend, also vom Markte her,
an das Doberaner Münster. Die Kubatur ist sicherlich vergleichbar. Auch
der Dachreiter, in der zisterziensischen Tradition die verbotenen Glockentürmen
ersetzend – weckt Erinnerungen.
Überhaupt sind wohl die nächsten Verwandten die gewaltigen Kaufmannskirchen
der Hanse im südlichen Ostseeraum. Sankt Marien in Lübeck, Rostock, Danzig
… Sankt Nicolai in Stralsund, welche – ähnlich gewaltig – weithin sichtbar
mit ihrem Außenskelett von Strebebögen geschmückt, dabei jedoch auf das
Querschiff verzichtend.
Im Innenraum der Roskilder
Kathedrale begegnen uns weiß gekalkte Wände, unterbrochen von steinsichtigen
Lisenen der Pfeiler, Ein umlaufender Chor durchbricht die Strenge der
aufstrebenden Mauern, die jedoch nicht soweit in die Höhe ragen, dass
sie der kostspieligen Strebepfeiler bedurft hätten.
Innen herrscht die pure
Gotik mit ihren Kreuzrippengewölben und den spitzen Bögen. Vielfach längs
gestufte Pfeiler tun ein Übriges, um das gewaltige Kirchenschiff filigran
erscheinen zu lassen. Die strenge Düsternis der Romanik ist hier überwunden.
Was soll’s auch – in Lindisfarne haben die meterdicken Mauern den Mönchen
wenig Schutz geboten.
Und dann das Interieur:
Die obligatorische überdimensionale Uhr, nicht ganz so pompös wie ihre
astronomischen Schwestern in Danzig oder Rostock, aber doch immerhin.
Der unsagbar prachtvolle,
dreiflügelige Altar mit dem gesamten Bildprogramm der Heilsgeschichte
und hinter ihm das Grabmal einer großen Frau, Dänemarks Königin Margarete.
Das ist die Frau, die das Nordland einte, die Tochter Waldemar Atterdags,
die auf Augenhöhe mit der mächtigen Hanse und dem ebenso mächtigen Deutschen
Orden verhandelte. Dass sie einen armen Teufel, der als politische Schachfigur
als Falscher Olav installiert wurde, in Falsterbro auf dem Scheiterhaufen
verbrennen ließ, trübt ihr Andenken. Das wäre sicherlich nicht nötig gewesen.
Aber die Zeiten waren andere. Das darf man nicht vergessen.
Das Grab eines anderen
Wikingerkönigs lässt uns salutieren: Christian X. Er leistete den Nazis
erbitterten Widerstand und wurde zum Symbol der Unbezwingbarkeit der Dänen.
Was die Nazis auch immer über die Überlegenheit der nordischen Rassen
zusammenfaselten – Christian und seine Dänen gaben ihnen in diesem Punkte
ungewollt Recht. Die waren nicht in die Knie zu zwingen! Der Danebrog
zeigt, was es heißt, Nationalstolz zu besitzen ohne großmäulig zu sein,
ohne auf andere herabblicken zu müssen.
Mag die Kalmarer Union
auch wieder zerfallen sein und drei Kronen im Nordland herrschen, mag
das Reich der Ger-Dänen auf einen Bruchteil seiner einstigen Größe zusammengeschrumpft
sein – auch die Dänen hätten es aus Ausgleich für erlittene Pein und Besetzung
verdient ihre nach 1864 verlorenen Besitzungen in Holstein zurückzuerhalten
– ihre Herzen aber blieben weit und so groß, wie es ihr Reich einst war.
Dieses Naturell taugt
zur Vorbildfunktion für die ganze Welt. Wenn der deutsche Kaiser Willi
der Letzte einst schwadronierte, am deutschen Wesen solle die Welt genesen
– nein, daran würde sie unheilbar erkranken – dann taugt das dänische
Wesen sicherlich zu einer guten Medizin.
So richtig bewusst wird
einem dies in diesem über die Jahrhunderte hinweg wirkenden, gewaltigen
und wunderschönen Kirchenbau in Roskilde. Kunstvoll, groß, und doch bescheiden
und verspielt.
Es lohnt sich,
diesen Dom zu besuchen und es lohnt sich tausendmal, zuzuhören, was seine
Mauern zu berichten haben. Denn sie berichten die Geschichte eines großen
Volkes, das umso größer wurde, je mehr sich sein Staatsgebiet verkleinerte.
Die wichtigste Lehre der kunstvollen Mauern der Kathedrale von Roskilde
lautet: Demut und Bescheidenheit sind keine Schwächen – sie zählen zu
den größten Stärken, die ein Mensch, ein Volk erwerben kann.
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