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Dunkle
Kluft
der dritte Bornholm-Krimi aus der Feder von Pernille Boelskov David M. Katz. Havelsee. „Katz, nun machen Sie sich doch wenigstens die Mühe und tun Sie so, als wären Sie anwesend!“ Die raue Stimme mit dem russischen Akzent des stellvertretenden Chefredakteurs und Chefs des Kulturressorts dröhnt durch die Redaktionssitzung. „Könnten Sie uns eventuell und freundlicherweise sagen, was den Trump reitet, der dänischen Krone Grönland klauen zu wollen?“ Ich stammele etwas von Bodenschätzen und geostrategischer Lage, aber verdammt! Gerade jetzt, wo die kriminalisierende Pfarrerin von Rønne mit ihrem stummen Schützling zu der Exilpolin unterwegs ist – ausgerechnet jetzt muss der Vize unterbrechen und mich aus den Zeilen des dritten Bornholm-Krimis von Pernille Boelskov reißen! „Dunkle Kluft“ heißt er und exakt dort, zwischen meinen Oberschenkeln unter der Tischplatte habe ich ihn versteckt, um ihn während der Redaktionskonferenz weiterlesen zu können. Das ist eine von diesen Autorinnen, die schreiben so, dass du partout weiterlesen musst und musst und musst. So etwas gibt es wirklich nicht oft. „Nu holen Sie Ihr Buch schon unterm Tisch vor, Menschenskind!“ Gerade der kulturaffine Russe müsste doch verstehen … Immerhin hatte er die letzte Rezension zu einem Boelskov-Krimi verfasst. Der weiß ganz genau, dass diese Zeilen Suchtfaktor haben. „Nu lassen Sie ihn mal, Kotofeij Kryisowitsch …,“ brummt der Alte begütigend an seiner Pfeife paffend, „ich habe ihm gesagt, ich will’s noch in der Samstagsausgabe haben! 8. März, Internationaler Frauentag. Autorin …, Protagonistin …, Sie verstehen! Unser kleines Bukett! Da muss er sich schon ein bisschen sputen!“ „Was? Noch ein Bornholm-Krimi von Frau Boelskov?“, blökt der Russe wie ein irritierter Hammel, „das hatten wir doch gerade! Seit wann besprechen wir denn einen Autoren zweimal und dann noch innerhalb von vier Wochen?!“ Der Alte: „Nach Ihrem Sirenengesang war mir wichtig, dass noch mal eine andere Perspektive zum Tragen kommt! Erzählen Sie mal, Katz, was schießt Ihnen da so durch den Kopf? Hübner, nehmen Sie’s auf Tonband auf, was der Kollege Katz erzählt! Vielleicht braucht er es dann bloß noch abzuschreiben, und dann haben wir unseren Kulturbeitrag für den Frauentag fertig.“ Niemand soll sagen, der Alte sei nicht effizient. Seine kleinen grün-blauen Augen ruhen erwartungsvoll auf mir. Sie erinnern mich ein bisschen an das Eis Grönlands … Fräulein Smillas Gespür für … Die Gedanken schweifen einen Moment lang ab. Ich bin nicht bei der Sache. Ob mich der Teufel reitet? Es sprudelt aus mir heraus, was ich mal von unserem alten Rabbi gehört habe: „Herrgott, ich danke dir, dass du mich nicht als Frau geschaffen hast …“ „Sind Sie denn verrückt geworden, Mensch? So eine Sottise zum Frauentag! Das grenzt ja an Blasphemie!“ „Nee, Sie verstehen nicht! Der Rabbi war kein Macho, kein Frauenverächter. Im Gegenteil: Er hat verstanden, dass das breitere Becken des angeblich schwachen Geschlechts in aller Regel mehr Lebenslast zu tragen hat, als die muskelbepackten, starken, breiten Schultern des Mannes und dass wir das wohl keine fünf Minuten aushalten würden, was viele Frauen im Alltag zu stemmen haben. Und er sagte, dass, wenn dir eine Frau die Möglichkeit gäbe, einen Blick auf die Welt durch ihre Augen zu werfen, du diese Möglichkeit niemals ungenutzt verstreichen lassen solltest! Mit ihrem Krimi „Dunkle Kluft“ offeriert Frau Boelskov uns Kerlen genau diese Chance!“ „Sie meinen so einen Kontrast wie zwischen Conan-Doyle und Agatha Christie? Sherlock Holmes und Miss Marple? So habe ich das noch gar nicht gesehen“, lässt sich Monsieur Lemarcou vernehmen, „… und unser Russe wahrscheinlich auch nicht. Jedenfalls habe ich das aus seinem Aufsatz nicht herausgelesen.“ Gott sei Dank ist der gerade im Nachbarraum mit dem Samowar zu Gange. Der Franzose spielt mit unser aller Wohlbefinden, wenn er den alten Bären ärgert. „Sublimer“, antworte ich und „feiner gezeichnet. Wir erleben das Geschehen aus den Augen und der Gefühlswelt einer Frau heraus. Unaufdringlich, geschmeidig aber eingängig. … und doch auf eine Art kraftvoll, verbissen, kämpferisch. Wie nimmt sie die Dinge wahr? Wie wirken Geschehnisse auf sie? Wie erlebt sie ihre Umwelt und die Menschen in ihrer Umgebung? Wie anders verarbeitet sie diese Eindrücke? Das ist für uns jedenfalls sehr wertvoll. Das hat etwas von einem genial zwischen den Zeilen verfassten Wörterbuch Mann-Frau. Das ist eine konstruktivistische Brücke ersten Ranges. Frau Boelskov schreibt vergleichbar, wie die Mädels von Turbine Potsdam Fußball spielen: spannend und beispielgebend, geschlossene Komposition des Spiels, lebhaft, nicht holzend und polternd, … sie saugt den Leser ins Geschehen, sie macht ihn zu einem Teil der Handlung, zu einem Zuschauer … nicht von der Tribüne aus, sondern mitten im Feld. Vielleicht ist das der Grund, warum man diese Bücher nicht aus der Hand bekommt. Schrieben Sie nicht selbst, Herr Bajun, … – der ist mittlerweile mit seinem einen halben Liter fassenden Kameradenbetrüger voller Kümmel-Fenchel-Anis-Tee plus Honig und Ingwer zurück – „ ...dass Sie die über 400 Seiten in einem Tag ausgelesen hatten, dass Sie das Buch regelrecht auffraßen, wie ein ausgehungertes Trüffelschwein? Ja, das ist ein Phänomen. Und es ist eine ebenso originelle wie lebensnahe Hommage an Frau Boelskovs Geschlechtsgenossinnen. Ihre Figuren sind keine Originale in dem Sinne eines Holmes oder Poirot oder einer Miss Marple, schrullig, verschroben, mit einem Schuss Karikatur behaftet. Es sind stattdessen diese originalen Menschen, die, welche uns auf der Straße und im Alltag begegnen. Ihre Pfarrerin mit so einem Drall von Jeanne d’Arc, diesem Zwang und dieser Motivation irgendetwas kompensatorisch und beinahe fanatisch erreichen zu müssen und dabei bei sich selbst zu bleiben – egal, was es am Ende kostet. Also das, was eine echte Frau ausmacht. Wir glauben all diese Figuren zu kennen, die Frau Boelskov vor unseren Augen auf die Bühne ihres Krimis schickt!“ „Herr im Himmel, Katz, Sie hat’s aber erwischt! Langen Sie’s doch mal rüber, ihr Buch. Ich glaube, jetzt muss ich auch mal einen Blick reinwerfen.“ „Besser nicht,“ stöhnt der Russe. „Wer macht denn den ganzen Chefkram, wenn Sie den Krimi jetzt auch noch lesen?“ Doch der Alte ist nicht umsonst der Alte. Auf den Kopf gefallen ist er nicht: „Erstens, mein lieber Kotofeij Kryisowitsch – wofür habe ich einen Stellvertretenden – also Sie – und zweitens: Haben Sie nicht selbst geschrieben, die Boelskov-Krimis hätte man in vierundzwanzig Stunden durch, weil man sie nicht aus der Hand legen könne, wenn man einmal angefangen hat? Na sehen Sie – und den einen Tag werden Sie das Ruder ja wohl übernehmen können, ohne dass unser kleiner Kahn gleich absäuft! Katz, wie weit sind Sie? Egal! Gehen Sie an Ihren Schreibtisch und schreiben Sie auf, was Herr Hübner da auf Tonband aufgenommen hat. … und jetzt geben Sie mir endlich das Buch unter ihrem Tisch! Los jetzt!“ Na ja, er ist mein Brötchengeber. Aber ein Klick auf meinem Rechner und übermorgen habe ich mein eigenes Exemplar. Dann wollen wir mal sehen, wie’s mit der Detektiv-Pfarrerin und dem stummen Vater des kleinen Mädchens Rose bei der Exilpolin weitergeht! Ist ja nicht auszuhalten! Im nächsten Leben werde ich Häuptling! Aus ist es mit dem braven Indianer! Und dann weht ein anderer Wind, meine Herren! Und beim nächsten Betriebsausflug kippe ich dir Salz in dein Carlsberg, Chef! Den Krimi hast du mir jetzt nicht umsonst aus der Hand gerissen. Da lernst du meine Rachsucht kennen. Also, tippen wir mal ein: Pernille Boelskov |
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2012
08.03.2025