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Tiefe See
ein beachtenswerter Krimi von Pernille Boelskov Kotofeij K. Bajun. Gudhjem. 432 Seiten in nicht einmal 24 Stunden … In der Besprechung eines anderen Bornholm-Krimis erwähnten wir dieses Phänomen schon einmal. Es ist für sich genommen noch kein Qualitätsausweis – aber bereits ein starkes Indiz. „Tiefe See“ von Frau Pernille Boelskov hat uns diesmal unseren Bornholm-Aufenthalt, man ist versucht zu sagen – „unzulässig“ verkürzt. Da kaufste dir das fette Taschenbüchlein bei Williams Boeghandel auf dem Store Torv in Rønne für 100 Kronen, also umgerechnet dreizehn Euro, und dann biste ‘n Tag später damit durch. Das sollte für ein paar Tage halten, Menschenskind … Also, warum besprechen wir das Buch? Erste Antwort: Weil es eine Besprechung wert ist. Zweite Antwort: Weil wir unbedingt auf einige Dinge eingehen müssen, welche die Autorin beim Schnitzen ihres Krimis meisterhaft herausziseliert hat, die zwischen den Zeilen geschrieben stehen und die weit über den Inhalt des Buches hinausreichen. Ist es ein Meisterwerk? Nun wollen wir mal vorsichtig mit diesem großen Begriff umgehen. Wenn es aber für die schreibende Zunft eine Handwerkskammer gäbe, so wäre „Tiefe See“ unserer Auffassung nach durchaus geeignet, es für die Erlangung des Meister-Titels einzureichen. Der Personenkreis ist – da isses wieder, unser Lieblingswort- „authentisch“ gezeichnet, ungeschminkt und lebensnah. Er ist komplex, aber nicht unübersichtlich und in seiner Vernetzung vor allen Dingen nicht unglaubwürdig. Da kommt nichts überzogen daher, Kommissar Zufall wird nicht über Gebühr strapaziert. Die Handlungsstränge folgen durchgehend einer nachvollziehbaren Logik. Sie verlieren sich nicht in verworrenen Chronologien. Das alles ist solide Handwerkskunst. Vor der überwältigenden Recherchearbeit im Vorfeld ziehen wir unseren Dreispitz und salutieren mit einem dreifachen "Chapeau, Madame!" Wenn’s jedoch nur das wäre! Dann wär’s ein Gesellenstück, nicht mehr. Das faszinierende aber ist etwas anderes. Pernille Boelskov gelingt ein philosophischer Weitwurf, der an die von uns bereits so oft von unserem geistigen Herrn Vater Dr. Kurt Tucholsky zitierte Geschichte anknüpft, in welcher der deutsche König Heinrich I. dem Abt eines Klosters in Süddeutschland klagend bedeutet, dieser lebe im Paradies und wie gerne würde er, der König, für immer bei ihm verweilen, statt wieder nach Norden ins raue, brutale Slawenland zu müssen. Des Abtes legendäre Ein-Wort-Replik schimmert zwischen den Zeilen von „Tiefe See“ erbarmungslos hindurch, wie die Unterwasserklippen vor der Küste der Sonneninsel Bornholm. „Transiuntibus“ erwiderte der weise Geistliche seinem König: „Den Vorübergehenden“. Ja, darauf musst du erst mal kommen! Du, der du besoffen vor Liebe zu dieser Insel bist, die deinem Herzen alles bedeutet, dasselbe zumindest, was dem Muselmann Mekka und dem Juden Jeruscholaim ist. Liebe macht blind! Pernille Boelskov aber öffnet selbst die verliebtesten Augen dafür, dass es zwei Inseln des Namens Bornholm gibt, die sich die geographischen Koordinaten teilen: Ein Bornholm für die Touristen und ein Bornholm für die Einheimischen, die Insulaner. Möglicherweise unterteilen sich diese beiden Inseln noch einmal in zwei weitere Eilande: Eines für die Eingeborenen, die Uransässigen auf der einen Seite und für die Zugezogenen auf der anderen. Die Einwohner-Insel aber ist eine grundsätzlich andere als das Bornholm der Touristen. Diese schlendern durch die pittoresken Städtchen, besuchen die Burgen und Rundkirchen, geben Geld aus und aalen sich am Strand. Sie füllen keine Steuererklärung aus, sie schlagen sich nicht mit dem Gewerbeaufsichtsamt herum, nicht mit den Nachbarn, nicht mit dem Kampf ums tägliche Überleben. Genau das aber tun die Bewohner. Plötzlich begreifen wir, dass Bornholm gewisse Parallelen zum lieblichen Kampanien aufweist: Auf der Oberfläche lieblich – aber darunter brodelt es, darunter lauert der Tod. Pernille Boelskov malt nicht in Pastellfarben. Hier überleben am Ende die Bösewichte, wenn auch in Handschellen, die Unschuldigen aber werden dahingerafft wie die Fliegen. Als ob das nicht schon reichen würde – so richtig strapaziert die Autorin unser Nervenkostüm, wenn sie zwei kleinen Kindern die Mutter nimmt und ein unschuldiger dreijähriger Knirps zum grausamen Tode verurteilt wird, weil sein Vater nicht mehr das Geld für eine erfolgreiche Behandlung zusammenbekommt. Just an dieser Stelle vergeben wir das nächste Prädikat „Ausgezeichnet“ für Pernille Boelskov. Sie entwirft keine Illusionen, sondern sie konterfeit das Leben in all seiner hemmungslosen und sinnlosen Brutalität. Sie stellt die philosophische Frage nach dem Abwägen zwischen der möglicherweise letalen Erkrankung vieler gegen den sicheren, grausamen Tod eines Kleinkindes. Allein dieses Kopfkino scheucht einen Stephen „Horror“ King als uninspirierten Dilettanten vom Hof. Das ist Horror pur, verpackt in eine knochentrockene, nüchterne Erzählweise, schnörkellos und überhaupt nicht auf Effekthascherei versessen. Der obligatorische Wermutstropfen? Den servieren wir zum Nachtisch: Wir wissen, dass die Bornholmer nicht vergessen haben, dass Zar Peter die Halbinsel Hammeren haben wollte und die Rote Armee im Zuge des zu Ende gehenden Krieges auf Bornholm gehaust hat, obwohl ja die Dänen zu den Allierten gehörten und selbst Opfer deutschen Irrsinns waren. Doch um Himmels Willen, Dänen, Nachbarn: Nu lasst doch die Russen endlich auch mal wieder Menschen sein! Wir kennen sie. Die sind auf andere Art auch nicht anders als ihr oder wir. Da gibt es Verbrecher und herzensgute Menschen - wie überall auf der Welt. Also sollte langsam Schluss damit sein, aus den Russen ein Volk von Gaunern und Halunken zu machen. Der Hof von Großväterchen und Großmütterchen aus Jersowka südlich von Perm an den Ufern von Mütterchen Kama war das lebendige Ebenbild des Brekkukot von Halldor Laxness - "Das Fischkonzert", ihr erinnert euch? Das sind nicht alles Schweinehunde. Bitte! Unser Resümee: Dieses Buch bereichert die Kriminalabteilung der Bibliothek des Preußischen Landboten und wird nicht den Weg in die Verbannung antreten, in die ausgelagerten Bestände im Gartenhaus, in der Garage oder gar in der Bücherzelle. Es freut uns, diesem Buch unsere besondere Empfehlung aussprechen zu dürfen. Tiefe
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© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2012
17.02.2025