Baaks

zurück zum Landboten

 

Kipppunkte


Deutschland unaufhaltsamer Abstieg


Kotofeij K. Bajun. Havelsee. Die Bolschewisten reklamierten für sich, auf der Grundlage der Arbeiten von Karl Marx und Friedrich Engels die Lehre von gesellschaftlichen Entwicklungen auf ein naturwissenschaftliches Niveau angehoben zu haben.


Wissenschaft beweist oder widerlegt sich im Allgemeinen anhand der Prognostizierbarkeit von Ereignissen aufgrund vorangegangener Erkenntnisse, Experimente und der daraus gewonnenen Schlussfolgerungen. Diese mögen empirischer Natur sein oder sich durch mathematische Berechnungen verifizieren oder eben falsifizieren lassen.

Gesellschaftliche Dynamiken sind so eine Sache, weil sie Prozesse innerhalb eines biologischen Superorganismus beschreiben, die in ihrer Komplexität unberechenbarer scheinen als die Ausschlagbewegungen eines dreigelenkigen Pendels.

Dem ist aber nicht ganz so. Betrachtet man induktiv die Zielstellung der kleinsten biologischen Einheiten, der Gene, die einzig und allein in der erfolgreichen Reproduktion der in ihnen hinterlegten Informationen besteht, dann kann man sich durchaus an diesem Ariadnefaden durch das breitgefächerte Spektrum menschlich-gesellschaftlicher Verhaltensweisen hangeln und gewisse Vorhersehbarkeiten benennen.

Die Bolschewisten machten in ihrer fulminanten und wirklich exzellenten Analyse ausbeuterisch angelegter Gesellschaftssysteme deutlich, dass immanente innergesellschaftliche Spannungen und Widersprüche wie an einem Kristallisationskern bis zu einem Kipppunkt aufkumulieren, an welchem sich dann schlagartig revolutionäre Umgestaltungen initiieren.

Wir erinnern uns: Im Gegensatz zur Evolution, welche ihre Reaktivität schrittweise an sich verändernde Umweltbedingungen anpasst, erfolgen radikale Umbrüche während revolutionärer Phasen sehr rasch und meist sehr konsequent, um sich dann in aller Regel peu a peu wieder in althergebrachten Geleisen zu verlaufen. Dann redet man von altem Wein in neuen Schläuchen.


·


Was bedeutet das nun für die jetzige innen- wie außenpolitische Lage in der Bundesrepublik Deutschland?

Das ist offensichtlich. Gehen wir zunächst einen Schritt zurück in die DDR, um an dieser historischen Präzedenz das Lineal für unsere Parallelverschiebung anzulegen.

Die großen Gesellschaftstheoretiker des Marxismus-Leninismus, welche der Weisheit letzten Schluss für sich gepachtet zu haben glaubten, bekamen jedoch in dem Moment kalte Füße, als ihnen zu dämmern begann, dass die von ihnen formulierten Gesetze gesellschaftlicher Entwicklungen blöderweise auch für sie selbst galten.

Eben das verhieß nichts Gutes – und so beschäftigten die Kommunisten eine Unzahl heller Köpfe damit, mit aberwitzigem Abrakadabra nachzuweisen, dass der Kommunismus eine widerspruchsfreie Gesellschaftsordnung darstelle, die dann den Endpunkt menschlicher Entwicklung bedeute und damit die Notwenigkeit und die Existenz von zumindest gesellschaftlichen Revolutionen ein für alle mal aufhebe. Ab diesem Punkte könne es nur noch technische Revolutionen geben. Amen.

Doch das Perpetuum Mobile lässt sich nun mal nicht herbei theoretisieren. Dem stehen die eisernen Grundgesetze der Thermodynamik unerschütterlich im Wege.

Heute wissen wir also – und viele von uns wussten es damals auch schon –, dass das nur ausgemachter Blödsinn sein konnte, weil das bereits oben schon erwähnte Diktat der individuellen Gene nun mal eine essentielle Variable darstellt, welche jedwede Prognose sofort zum Scheitern verurteilt, sobald man sie aus der Rechnung zu eliminieren oder wenigstens einzuhausen sucht.

Die Kommunisten meinten, das Sein bestimme das Bewusstsein und würde auf diesem Wege den Genpool des Individuums so transformieren, dass fürderhin der Einzelne seine Bedürfnisse dem Gemeinwohl unterordne oder am Besten gleich ganz auf eigene Bedürfnisse verzichte.

Also schwebte ihnen eine Gesellschaft vor, die sich am Vorbild staatenbildender Insekten orientiert, in denen das einzelne Individuum nichts, die Gemeinschaft aber alles zählt.

Daran sind schon die Nazis krachend gescheitert. Warum? Weil die Führungseliten noch nie in der Geschichte längerfristig bereit waren, mit gutem Beispiel voranzugehen und einen ebensolchen Verzicht auf individuelle Bedürfnisse zu leisten.

Im Gegenteil – hat man ein Volk ganz gut gleichgeschaltet – dann geht das Gerangel an der Spitze los: Jeder möchte Ameisen- oder Bienenkönigin sein und Macht haben – exakt der Kondensationstrigger des späteren Kollaps’ der Gesellschaft, welcher staatenbildenden Insekten völlig fremd ist.

Denn dort ist die Königin auch nur ein integraler Teil des Ganzen, nur eben mit speziellen Aufgaben. Macht, über das Leben der anderen zu entscheiden, den Daumen zu heben oder zu senken, haben diese Tiere nicht. Das ist der entscheidende Unterschied.

Daher leben diese tierischen Staaten widerspruchsfrei. Echter Kommunismus eben. … doch auch eben ein wenig langweilig, weil sich der einzige Zweck auf den Erhalt und das Fortkommen des eigenen Volkes beschränkt und damit die Entwicklung einer Kultur ausschließt.

Die Kultur aber ist es letzten Endes, die einer menschlichen Gemeinschaft Farbe verleiht und einen höheren Zweck als die gemeine Proliferation in Aussicht stellt.


·

Nun aber zurück zu unserer Gegenwart.

Die Widersprüche in der überalterten Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland treten mehr und mehr zu Tage, verschärfen sich, kristallisieren an den Rändern der Gesellschaft mit zunehmender Tendenz in Richtung der Mitte aus und erhöhen die tagtäglichen Spannungen mit Verve.

Der historische Faden, der zu dieser Entwicklung führte, ist leicht nachzuvollziehen.

In einer von unendlicher Schuld belasteten Abkehr von den grauenhaften Resultaten einer faschistisch-autoritären Diktatur schlug das Pendel ins andere Extrem um und Deutschland verschwendete sich in einem aberwitzigen und völlig selbstvergessenen Altruismus an die notleidende Welt, dabei den eigenen mühsam erworbenen Reichtum mit vollen Händen aus dem Fenster werfend.

Eine Art staatlicher Timon von Athen, der nie die Erkenntnis eines seiner größten Söhne aus dem Bereich der Medizin und Naturphilosophie begriffen hatte: Theophrast Bombast von Hohenheim, der Paracelsus nämlich, formulierte die legendären Worte: DOSIS FACIT VENENUM.

Das bedeutet: Auch des Guten zuviel ist zwangsläufig Gift!

Der Bogen ist überspannt und die Paste lässt sich nicht mehr in die Tube zurück drücken. Oder wie es Erwin Strittmatters Großvater, der alte wendische Kito sagte: „Gekauft ist schnell, verkauft ist langsam.“ In unserem Sinne: Ins Land geholt, ging von allein. Rausschmeißen zumindest der inkompatiblen und integrationsunwilligen Elemente ist ein zähes Verfahren.

Die grünen und pseudoroten Gutmenschen lügen sich über die wahren Verhältnisse selbst in die Tasche, wie einst die Greise von Wandlitz und begreifen nicht, dass sie mittlerweile selbst zu den Karikaturen und Abziehbildern derer geworden sind, über welche sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit medial spotten und herziehen, da sie sich ja noch immer als die Sieger der Geschichte fühlen.

Damit rast der Zug der Gesellschaft erneut auf einen spannungsinduzierten Kipppunkt zu, der sich durch immer stärker werdende Konfrontationen in allen gesellschaftlichen Bereichen manifestiert.

Diejenigen, die einst als Experten für die Wirtschaft und innerpolitische Dynamiken das Land mit blander Hand zum Erfolg führten, sind verknöcherten, sturen, rechthaberischen, dogmatischen und unter dem moralinsauren Banner der besseren Zukunft humorlos kämpfenden und um sich beißenden Utopisten gewichen, welche ihr Fantasialand mit allem Fanatismus verteidigen, der ihnen noch zu Gebote steht.

Das sind zumeist recht junge Leute, die bereits innerlich alle Zeichen einer vorzeitigen Vergreisung des Verstandes in sich tragen: sture, verbissene und intolerante Bilderstürmer, prüde Savonarolisten, erbärmliche Jacobiner, den Taliban, der Mao-Jugend und den Revolutionsgarden der Mullahs sehr ähnlich – nur eben mit anderem Farbanstrich.

Dabei werden sie noch gestützt von einem Heer an staatlich alimentierten Funktionsträgern. Erst, wenn es denen an die Existenz geht, dann bricht der Laden krachend zusammen.

Der Neuanfang, der zweifelsohne stattfinden wird, hat dann wenig Ähnlichkeit mit der „Auferstehung aus Ruinen“ nach dem letzten Weltkrieg. Dazu fehlt es der jetzigen Generation an Biss, Willen, Rückgrat und Scham.

Nein, das wird dann eher so aussehen, wie man es auf den Gemälden der Alten Meister in den großen Galerien dieser Welt bewundern kann: Die barocken Stadtansichten der Ruinen von Rom … Versonnen treiben Schäfer ihre Tiere über das Forum Romanum, einst prächtiges Zentrum einer Weltmacht – nunmehr ein Sammelsurium von halb eingestürzten Säulen und Mauerresten.

An den Jupiter-Tempel schmiegen sich einige jämmerliche Katen, diesen die einst marmorweißen, mächtigen Wände wenigstens zu einer Seite der Hütten hin leihend. Der Titusbogen kündet derweil in verwitternden Reliefs von einstiger Macht und Größe.


·


Der jetzige Kanzler Merz ist ein Verwalter des Untergangs und auch diejenigen, die da vollmundig tönen, sie würden das Ruder herumreißen, können nur noch scheitern. Warum? Weil keine Substanz mehr da ist, auf die sich aufbauen ließe. Nicht in der Infrastruktur des Landes – nicht in den Seelen der Menschen. Das ist alles verfallen und ausgebrannt.

Wir erinnern uns des usbekischen Märchens von Chodscha Faulpelz, der so dekadent und faul war, dass er – als sein Haus in Flammen stand, zu träge war, es zu verlassen. Als dann die Flammen bereits an seinem Rocke leckten, wollte er endlich aufstehen, um sich zu retten. Aber da war es bereits zu spät.

Deutschland brennt schon an allen Ecken und Enden. Noch aber sehen die wenigsten Deutschen die Notwenigkeit zu einem radikalen Umschwung mit allen Härten, die jener mit sich bringt. Der Leidensdruck ist noch nicht hoch genug.

Diejenigen die ihn sehen, suchen ihr Heil bei denen, welche die Missstände ganz offiziell beim Namen nennen, aber auch schon längst nicht mehr die Mittel haben, den Prozess des freien Falls umzukehren. Es ist schade drum. Es war ein schönes Land.

32. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2003
29.10.2025