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35 Jahre verlorene Einheit


B. St. Fjøllfross. Havelsee. Der Landbote tut sich sehr schwer mit einem Beitrag zum 35. Jahrestag der deutschen Einheit. Warum? Weil es unserer Ansicht nicht viel zu feiern gibt.

Einiges sicher schon. Die mörderische Demarkationslinie zwischen den beiden deutschen Staaten ist verschwunden. Niemand wird mehr schikaniert oder gar verhaftet, weil er von Leipzig nach Flensburg ziehen will. Westdeutsche brauchen sich bei den Transitübergangstellen der Demarkationslinie nicht mehr vor den Grenzkontrollorganen der DDR in die Hosen zu scheißen, um hinterher in der Sicherheit ihrer Heimat dann am Stammtisch zu prahlen, wie sie’s den „Vopos“ gezeigt hatten!

Sie brauchen ihr Westgeld nicht mehr in wertlose Aluchips umtauschen. Sie brauchen nicht mehr stundenlang im Stau zu stehen, um endlich den holperigen Transitbereich mit maximal 100 km/h befahren zu dürfen, um dann doch von den Genossen der Volkspolizei willkürlich abkassiert zu werden – und zwar in harten Valuta!

Aus keinen Menschen wird mehr geschossen, weil er das Brockenplateau erklimmen oder den Teltowkanal durchschwimmen möchte.

Die Infrastruktur im deutschen Osten hat sich signifikant verbessert, viele historische Innenstädte wurden davor bewahrt, endgültig radikal ausradiert oder dem Verfall überlassen zu werden. Statt dessen erstrahlten sie in vorher nie gekannter Schönheit. Die Umwelt hat sich größtenteils erholt, die Saale kann man wieder einen Fluss nennen.

Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR darf, ja muss man sogar eine Wahlkabine betreten, ohne Gefahr zu laufen, notiert und hinterher drangsaliert zu werden. Niemand wird mehr gezwungen an dämlichen Maidemonstrationen teil zu nehmen, um irgendwelchen vor sinnfreien Parolen postierten Bonzen zuzuwinken und sich dann hinterher über den verlorenen Vormittag zu ärgern.

Das alles steht zweifelsohne auf der Habenseite der deutschen Einheit.

Doch dies wäre nicht der Preußische Landbote, würde er nicht unbarmherzig die Schattenseiten dieser Einheit beleuchten.

Doch zunächst eine Vorbemerkung, die uns für die folgenden Ausführungen essentiell erscheint:

Wir brauchen wohl nicht explizit betonen, dass wir KEIN Sprachorgan des Kreml sind, keine Zuwendungen oder Vergünstigungen in welcher Form auch immer von russisch gesteuerten Kräften erhalten und auch derzeit überhaupt keinen Kontakt nach Russland und zu den russischen Menschen haben, was Letzteres wir übrigens von Herzen bedauern.

Denn unsere Loyalität und Dankbarkeit den Völkern der Sowjetunion gegenüber braucht von diesen nicht erkauft zu werden.

Dieser Preis ist bereits in Hekatomben von Blut der Rotarmisten bezahlt worden, die uns die faschistische Boa constricta vom Halse schafften, die wir uns selbst 1933 umgelegt hatten und die dabei war, nicht nur die Völker Europas zu vernichten, sondern letzten Endes auch innerhalb des Deutschen Reiches mit unbarmherziger Grausamkeit wütete.

Der Preis ist bereits bezahlt, als die Sowjetunion 1990 bei den bilateralen Gesprächen im Kaukasus zwischen Helmut Kohl und Michail Gorbatschow den Weg für die Wiedervereinigung frei gab.

Hätte sich die Sowjetunion nämlich dagegen gesperrt ihr Faustpfand DDR aus den Händen zu geben und die Rotarmisten abzuziehen, die dieses Land unter unsäglichen Qualen und Mühen eroberten, dann hätten die USA allein nichts ausrichten können. Die westfränkischen Vettern und Briten-Maggie waren nämlich stur gegen die Wiedervereinigung gewesen.

Erst der dezente Hinweis, dass Briten und Franzosen beim Sieg über das Dritte Reich lediglich marginale Rollen spielten, vor allem die Franzosen, konnte den beiden Suballiierten eine zähneknirschende Zustimmung abringen.

Uncle Sam war weniger an der Wiedervereinigung der Deutschen interessiert, die ihm – wie alle anderen Völker dieser Erde auch – herzlich scheißegal waren und sind. Die Westverschiebung der NATO-Grenzen lag in amerikanischem Interesse, was nämlich gleichbedeutend ist mit der Westverschiebung amerikanischen Einflussbereichs.

Daher zogen die Russen, Engländer und Franzosen auch ab und die Yankees blieben und dachten nicht einmal im Traum daran sich aus Deutschland zu verabschieden. Es ist ihnen schon hoch anzurechnen, dass sie nicht die Unverfrorenheit besaßen, ihre Truppenpräsenz in die ostdeutschen Bereiche auszudehnen, die sie nach Cecilienhof für die Russen räumten, bzw. sogar noch darüber hinaus, bis an die Oder.

Dafür hocken sie jetzt in Polen, bei den Balten und ukrainische Stützpunkte stehen auf der Wunschliste. Was brauchen sie da noch Ostelbien?

Doch genug dieser historischen Betrachtung!

Diese wurde nur hinzugefügt, um zu erläutern, warum wir uns in unserem weiteren Diskurs auf Frau Sacharowa beziehen, der Sprecherin des Außenministeriums der Russischen Föderation.

Frau Sacharowa legte nämlich mit der Präzision, mit der Herr Kowaljow einst den Sputnik, Oberst Gagarin und Frau Oberst Tereschkowa ins All schickte, den Finger auf den entscheidenden Punkt, warum diese Einheit noch weit davon entfernt ist als vollendet zu gelten.

Jede Entwicklung – das lehrt uns die lebendige Natur – ist determiniert durch den Punkt ihres Beginns. Steckt in diesem bereits der Wurm, kann nichts Geradliniges, nichts Zukunftsfähiges daraus erwachsen. Die Sache muss früher oder später scheitern – und das mit tödlicher Sicherheit. Das war bereits mit der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution so, in deren Kinderschuhen bereits die Lüge steckte, wie es durch George Orwells „Farm der Tiere“ so eindrucksvoll beschrieben wurde.

Diese Lüge wurde auch bei der Grundsteinlegung zur Deutschen Einheit einzementiert. Das war keine Wiedervereinigung! Frau Sacharowa nannte es beim Namen: Es war eine feindliche Übernahme nach imperialistisch-kolonialem Strickmuster. Die fünf dazugekommenen Bundesländer wurden von der Bundesrepublik nie anders behandelt als eine Kolonie.

Ihre Bürger waren Bürger zweiter Klasse mit entsprechend geminderten Aufstiegschancen. Bis auf wenige Feigenblätter wurden ihre keine primären Produktionsstandorte zugestanden, die großen Waren- und Finanzströme flossen nach wie vor über die Rheinschiene, mochte die Bundesregierung hinziehen, wo sie wollte.

Die Gesetze kamen alle aus der Bundesrepublik. Was den DDR-Bürgern belassen wurde, war der Grüne Pfeil und das Sandmännchen und ein paar wenige ostalgische Konsumprodukte.

Doch wir wollen uns hier nicht in den üblichen Jammerossi-Elegien verlieren.

Betrachtet man die Sache nüchtern vom Verhaltensrepertoire des Nackten Affen aus, dann ist das alles sehr durchschaubar und verständlich:

Die DDR-Bürger wollten ihre Bananen und das Westgeld und den Luxus der westdeutschen Verwandtschaft und das alles buchstäblich über Nacht und quasi geschenkt.

Sicher, soviel konnten sie nicht dafür, dass ihr System kläglich versagte, insofern sie dieses System nicht selbst aktiv am Stolpern hielten.

Die Westdeutschen aber stellten sich zu Recht die Frage, warum sie nun von ihrem sauer erworbenen Wohlstand abgeben sollten. Warum sollten sie DDR-Gesetze und -regelungen übernehmen? Warum? Nicht sie hatten den Wettlauf der Systeme verloren! Nicht sie waren gescheitert, sondern die DDR!

Nicht sie hatten den Beitritt zur Geltungsbereich der Verfassung der DDR erklärt, sondern umgekehrt.

Wären weniger Arroganz, Selbstsucht, Gier und Blödigkeit präsent gewesen – und zwar auf beiden Seiten der Elbe, Saale und Werra, hätte eine kluge, von staatsmännischer Weitsicht getragene, respektvolle und blande Vereinigungspolitik die Oberhand gewonnen – das Projekt „Wiedervereinigung“ hätte eventuell gelingen können.

Dazu aber ist der Nackte Affe nicht in der Lage. Solche langfristigen Projekte überfordern seinen Horizont. Derselbe Nackte Affe, der fähig ist, eine Mondmission zu planen und umzusetzen, kann sicherlich vereinzelt auch solche gesellschaftlichen Mammutaufgaben theoretisch durchdenken und deklinieren – die entsprechenden Erkenntnisse liegen alle seit Langem vor.

Massen aber in dieser Weise zu steuern – das sprengt die Grenzen des Möglichen. Da siegt stets die kollektive Dummheit über die Intelligenz des Einzelnen.

Auf welchem moralischen Tiefpunkt das vereinigte Deutschland am 35. Jahrestag seiner Einheit angekommen ist, beweist der Umstand, dass zur offiziellen Feier in Saarbrücken nicht nur kein Vertreter des deutschen Ostens in der ersten Reihe stand – wenn überhaupt nur eine Frau oder ein Mann aus Ostelbien anwesend war – sondern, dass im Zustand einer ungeheuren Geschichtslosigkeit, einem fanatischem Russenhass, wie er jedem Faschisten zu Schmuck und Zier gereichen würde, diejenigen ausgeladen wurden, welche die deutsche Wiedervereinigung überhaupt erst ermöglichten.

Insofern beklagt Frau Sacharowa zurecht, dass die russischen Hoffnungen, Deutschland hätte Lehren aus seiner Vergangenheit gezogen, völlig desillusioniert wurden.

Mit der Wiedervereinigung haben tatsächlich, wie die Sprecherin des Außenministeriums richtig bemerkt, beide vormals souveräne deutsche Staaten just diese Souveränität zugunsten eines kriecherischen Vasallentums Uncle Sam gegenüber das Klo hinuntergespült.

Von jenseits des großen Teiches bekommen sie nun die verdienten Tritte, mit denen man einen Hofköter bedenkt, welcher zu mehr nicht taugt, als eben den Hof zu bewachen. Die Trump’schen Zölle sind solche Tritte.

Gleichzeitig müssen sich die westdeutschen Hofschranzen nun auch entsprechende, zutiefst demütigende Belehrungen von den Yankees gefallen lassen, so zum Beispiel, wenn Vizepräsident Vance seine Worte an Deutschland richtet.

Irre vor Desorientierung sucht nun die so lange vom Yankeetum eingewickelte westdeutsche Bevölkerung nach Halt in ihrer ziellos gewordenen Hammelherde und blökt nach alter Manier wieder hirn- und kritiklos jeder wohlfeilen Yankee-Parole hinterher, die noch irgendwie eine mentale, nostalgische Brücke zur guten alten Zeit der ehemals so geliebten deutsch-amerikanischen „Freundschaft“ schlägt.

Derweil steht der deutsche Osten auf und stärkt die AfD als sein empfundenes Sprachrohr für und für, so dass deren Wahlergebnisse mittlerweile durch die Decke schießen.

Das ist also die Einheit – die es zu feiern gilt? Sehr zu Recht wurden die Einheitsfeierlichkeiten zu diesem denkwürdigen Jubiläum daher von offizieller Seite bemerkenswert zurückhaltend begangen.

Ein Rest von politischem Instinkt scheint in den Köpfen der augenscheinlich anenzephalen Entscheidungsträger der Gegenwart ja doch noch ein geisterhaftes Schattendasein zu führen.

Vielleicht ist das ein Momentum, was es zu feiern lohnt.

32. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2003
05.10.2025