Baaks

zurück zum Landboten

 

 

Tod oder Taufe

Zum bevorstehenden 18,25. Jahrestag des Untergangs der größten DDR der ganzen Welt

Don M. Barbagrigia
„Tod oder Taufe!“ brüllten die siegreichen sächsischen Horden vor Tausend Jahren der verängstigten wendischen Bevölkerung entgegen. Die martialische Aufforderung etwas abmildernd, hielten die sich hinter den breiten Rücken der bewaffneten Schlagetots hervorlugenden Missionare ein paar Leinenkittel parat, die sie den Taufwilligen nach erfolgter Taufe als Taufgeschenk zu überreichen dachten. Bei einigen Pragmatikern unter den Heiden führte das dazu, daß sie sich gleich mehrmals zum Beitritt zur christlichen Religionsgemeinschaft einfanden. Doch das nur nebenbei...
„Tod oder Taufe“ brüllte der Natschalnik K., als er das Büro des Herrn Pfarrers E. stürmte. Es war die revolutionäre Nachwendezeit. Die Zeiten standen auf Veränderung. Für Johannes, den Neffen des Herrn Pfarrers, der seinem Oheim viele Jahre lang als Ministrant fleißig bei den Gottesdiensten half, sich weigerte der FDJ beizutreten, als Spatensoldat eine unendliche Reihe an Demütigungen hinzunehmen hatte, sein angestrebtes Studium der Biologie trotz exzellenten Abiturs an der – was sonst? – Abendschule in den Wind schreiben konnte, kamen diese Veränderungen leider etwas zu spät. Er war nun Ende Zwanzig, hatte eine Stelle als Waldarbeiter auf dem Kirchengut erhalten und konnte sich nicht dazu entschließen, in dieser Zeit allgemeinen Wegbruchs von Arbeitsstellen den Broterwerb zu Gunsten des nun möglichen Studiums aufzukündigen. Die Familie brauchte das tägliche Brot, die Einschulung des Jüngsten stand bevor und soviel verdiente seine Frau als Altenpflegerin im Diakonissen-Stift auch nicht, daß sie die Kinder und einen Studenten hätte durchbringen können.
Das mit dem Abitur auf der Erweiterten Oberschule hatte ihm der Natschalnik und Kreisleiter der SED K. versalzen. Selbst zu einer Berufsausbildung mit Abitur führte kein Weg.
Den Kreisleiter sah der Neffe des Pfarrers E. während seiner Tätigkeit in den Forsten des Öfteren, wenn dieser als Hundertschaftskommandeur seine Kampfgruppen der Arbeiterklasse zur Übung führte.
Auch auf dem Wehrkreiskommando hatte K. an der Seite der Musterungsoffiziere gesessen, als sie dem Jungen einheizten und die Christen Volksverräter und Fünfte Kolonne des Feindes nannten. Ewig Gestrige seien sie. Und wäre die Blutspur, die das Christentum über die Welt und alle unterdrückten Völker gezogen hatte, nicht lang genug. Den Frieden wolle er? Er, der das Zeichen „Schwerter zu Pflugscharen“ auf seinem Parka aufgenäht hätte und sich permanent weigerte am Wehrkundeunterricht teilzunehmen. Daß sie nicht lachten! Wer sei es denn schließlich gewesen, der die gegen den Erbfeind ziehenden Heere im ersten Weltkrieg im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, in Wirklichkeit aber im Namen der Kriegführenden Imperialisten und Ausbeuter gesegnet hätte? Hä? Ein Lump sei er, nicht würdig all der Segnungen, die der Arbeiter- und Bauernstaat über ihm ausgeschüttet hätte: kostenloser Schulbesuch, kostenfreies Gesundheitswesen, niedrige Mieten, niedrige Preise für Grundnahrungsmittel etc. Die besten Söhne der Arbeiterklasse hätten nicht ihr Leben und ihre Gesundheit gelassen, um solche Maden wie ihn durchzufüttern. Aber er solle nur hin zu den Spatensoldaten. Da würde man ihm schon beibringen, was die fortschrittliche Gesellschaft von Canaillen wie ihm hielte. Auf den Misthaufen der Geschichte würden solche Lumpen wie er gehören. Das alles brüllte der Natschalnik K., als er sich so richtig in Fahrt geschwafelt hatte. Au, das machte Eindruck auf die anwesenden Genossen Offiziere. Ein Teufelskerl, der K.! Und wie felsenfest der die Sache der Arbeiterklasse verteidigt. Donner und Doria!
„Tod oder Taufe!“ Nein, es ist nicht wahr. Der Natschalnik K. hat den Herrn Pfarrer E. ein knappes Jahr später, als es aus war mit dem ersten Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden, nicht angebrüllt, noch hat er sein Büro gestürmt. Ganz bescheiden und ruhig kam er daher. Wir leben ja schließlich nicht mehr im 10. Jahrhundert. Das ging alles ganz sinnig vonstatten. Na klar wurde K. getauft. Der Pfarrer war ja nicht so.
K. war eine bullige und stämmige Führernatur. Der konnte was bewegen, egal wo man ihn hinsteckte. Mit dem richtigen Parteibuch in der Tasche steckte man ihn in eine Behörde des Wirtschaftsministeriums. Dort wurde er Abteilungsleiter. Nebenbei brachte er es zum Abgeordneten des lokalen Parlamentes.
Sein Sohn, der sich seinen Studienplatz in der DDR hatte aussuchen dürfen, war nun Diplomökonom und konnte Dank Papas Protektion die Stelle des Personalleiters in dem Forstbetrieb antreten, der ehemals Kirchengut gewesen und kurz nach der Wende an einen privaten Investor verkauft worden war.
Der Filius hatte in der zehnklassigen Polytechnischen Oberschule übrigens neben dem Neffen des Pfarrers gesessen, den sie ob seiner langen Haare, seines Parkas, der Schnürlatschen und seiner pazifistischen Gesinnung nur mit „Jesus“ ansprachen.
Johannes alias Jesus war nicht doof. Es lohnte schon von ihm abzuschreiben oder die Hausaufgaben von ihm machen zu lassen. Die beiden Jahre an der EOS ließen die Abwesenheit des geschaßten Johannes schmerzlich ins Bewußtsein des Funktionärs-Prinzlein rücken. Aber was soll’s? Ein Dreier Abitur ließ sich mit drei Jahren Wehrdienst, einem Nomenklatur-Vater und einem parteikonformen Studienwunsch lässig verschmerzen. Was einzig zählt, ist der Posten danach.
Auf dem saß er nun und entschied, daß aufgrund der üblichen Rationalisierungsmaßnahmen der rückenkranke Johannes aus dem Forstbetrieb entlassen werden sollte. Eine Abfindung von € 20.000,- sollte Johannes die Entscheidung für einen Aufhebungsvertrag erleichtern. Daß die Agentur für Arbeit diesen Betrag auf Johannes’ Unterstützung anrechnen würde, wurde nicht gesagt. Das brauchte man auch nicht. Trotz der jahrelangen schweren körperlichen Arbeit war Johannes noch immer nicht verblödet. Er hatte nämlich, wann immer er es sich nach den schweren Werktagen einrichten ließ, gelesen, was das Zeug hielt. Die Bibliothek seines Oheims war reichhaltig und bot vieles. Unter anderem die Schriften von Machiavelli, Gracian, Lorenz und Morris. Er wußte so ziemlich alles über den Homo Politicus. Also war ihm klar, daß er sich nicht an die vorgetragene und im Parteibuch wie im Parteinamen dokumentierte christliche Gesinnung seines ehemaligen Schulkameraden wenden brauchte, der seinen sozialen Absturz zumindest billigend in Kauf nahm.
Als er mit der Scheißnachricht seiner bevorstehenden Arbeitslosigkeit nach Hause kam, wandte er sich an den Gekreuzigten, der über dem Eßtisch an der Wand hing. „Wolltest Du das, Herr? Haben wir Dir dafür die Treue gehalten?"
Und der Herr blieb stumm. Wahrscheinlich hätte er auch nur geantwortet: „Ich wollte keine gewalttätigen Missionare, ich wollte keine Opportunisten und Verkünder von scheinheiligen Lippenbekenntnissen um der persönlichen Macht willen – ich wollte die Liebe.“
Jesus, Du magst die Menschen geliebt haben – gekannt hast Du sie mit Sicherheit nicht. Sonst hättest Du vielleicht ein friedliches Zimmermannsleben einem vollkommen sinnlosen Platz zur Rechten Deines himmlischen Vaters, erkauft mit einem brutalen Tod am Kreuz, vorgezogen. Amen.

11. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2008