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Noël Martin

B. St. Fjøllfross
Einst teilten die Nationalsozialisten die Weltbevölkerung in Herrenmenschen und Untermenschen ein. Sehr selbstherrlich und wissenschaftlich vollkommen unhaltbar wiesen sie sich dabei als Vertretern einer „arisch-germanischen Rasse“, was immer das sein sollte, den Herrenmenschenteil zu. Das war nun völliger Blödsinn, kostete aber Millionen Menschen: Juden, Zigeunern, Slawen, Negern und vielen anderen das Leben.
Den Gedanken der Klassifikation von Menschen selbst aber wollen wir einmal gründlich beleuchten. Er scheint gar nicht mal so uninteressant zu sein.
Was macht denn einen Menschen wertvoll? Daß wir alle distinguieren, (selbst die Kommunisten tun das leidenschaftlich, wo sie doch alle Klassenunterschiede beseitigt wissen wollen), versteht sich von selbst. Wir setzten dem Philosophen Kant ein Denkmal, ehren Frau Dr. Rosa Luxemburg, deklarieren irgendwelche unsinnigen Kinder, die etwas mehr Medienrummel mit ihrem Gegröle auf sich gezogen haben als andere, zu „Stars“ und „Megastars“, glauben dem Prügelprinzen von Hannover, daß er kraft seiner welfischen Abstammung ein ganz Besonders Wichtiges Bürschchen (V.I.P.) wäre, für den die Polizei schon mal die Straße räumt. Warum?
Bei Kant und Luxemburg und Bach und Einstein wollen wir es einsehen: Die haben nämlich etwas geleistet, was vielen, wirklich vielen Menschen zugute kommt. Wenn das also das Kriterium ist, was einen Herrenmenschen vom Normalsterblichen unterscheidet, dann kann man die Naziführungsclique getrost als Antipoden, also als den Nadir des Untermenschentums betrachten.
Nun kann aber nicht jeder ein Leonardo da Vinci, Archimedes, Mozart oder Kopernikus sein. Was ist, fragen wir etwas spitzzüngiger weiter, mit denen, die zwar mit einem guten Herzen aber wenig Verstand begabt worden sind? Was ist mit den Geistesschwachen? Oder was ist mit denen Krüppeln und Invaliden, die vom Contergan verstümmelt, gehindert sind, alle die Fähigkeiten zur Entfaltung zu bringen, die ihnen bei einer „normalen“ Entwicklung eventuell zu Gebote gestanden hätten. Die Nazis hätten sie als „lebensunwertes Leben“ eingestuft. Sind sie das wirklich? Schulden wir einem Vertreter dieser Menschengruppe einen Deut weniger Respekt als einem Durchschnittsbürger oder einem von unserer Definition ernannten „Herrenmenschen“? Ganz klar: NEIN! Der durch irgendeine Eigenschaft privilegierte Zeitgenosse, der sich aufgrund dieses Vorzugs einen besonderen Respekt einfordert, hat sich schon selbst vom Olymp gestoßen, deklassiert, die Aureole genommen.
Und was die Behinderten betrifft, da gibt es einen, der fordert keinen Respekt ein, er wird ihm angetragen – mit allem Recht der Welt. Es ist der Bauunternehmer Noël Martin aus Edgbaston, Birmingham, Großbritannien, der am 16. Juno 1996 auf Grund eines feigen, rassistischen Attentates von unterbelichteten Nazis in Mahlow so schwer verletzt wurde, das er nunmehr bis zum Ende seines Lebens vom Kopfe abwärts gelähmt ist.
Was wir im Text theoretisch andachten, wollen wir einmal an diesem Falle durchspielen. Herr Martin ist schwarzer Hautfarbe. Die Nazis jagten ihn also, weil er von ihnen im Kontext ihrer Rassenidiotie als minderwertiger Neger eingestuft wurde. Wie sieht es wirklich aus? Kind armer Migranten aus Jamaika schuftete Herr Martin und lernte und arbeitete hart und brachte es zum Meister im Baugewerk. Hatte gar seine eigene kleine Firma. War tüchtig. Hatte Aufträge. Also der Leistung nach betrachtet schon per se ein wertvoller Mensch. Betrachten wir dagegen die Attentäter so sehen wir – Unrat, Kretins, üble Gesellen, bildungsferne Nichtskönner, Versager, Parasiten – also all das, was ihre Bande mit dem Attribut „lebensunwert“ belegt. Alles was diese Canaille je zuwege gebracht hat, ist, eine Familie zu zerstören. Jetzt hocken sie dem deutschen Staat, dessen Führungselite sie doch so gerne stellen würden, auf der Tasche und bejammern ihre Schulden und die vergeudeten Jahre im Knast. Wie viel Übereinstimmung mit der nationalsozialistischen Definition des Untermenschentums!
Herr Martin hatte auch Brandenburger Nazis eingeladen, im Rahmen eines Jugendaustausches nach England zu kommen und eine Zeit lang mit denen zu leben, die das Feindbild der Nazis ausmachen. Die Braunen kommen nicht! Herr Martin meinte lakonisch, sie hätten Angst. Natürlich haben sie das. Schauen wir doch mal rein in die Nazifilmpropaganda, die den deutschen Volksgenossen das jüdische Untermenschentum nachweisen wollte. Was finden wir denn da: … treten im Rudel auf, schlagen heimtückisch, feige und grausam zu, fern jeglicher Kultur, jeglicher Ethik, jeglicher moralischen Begrifflichkeit, herrsch- und raffsüchtig, parasitär…
Treffer, nicht wahr, meine Herren Nazis? Nein, ihr kommt nicht nach Birmingham. Das wäre ja furchtbar, wenn ihr sehen müßtet, wie euer verschrobenes Weltbild kollabiert – das einzige, was euer rudimentäres Hirn verarbeiten kann. Um nach Birmingham zu gehen müßtet ihr einen Arsch in euren braunen und schwarzen Hosen haben, Eier – wie der Hidalgo sagen würde! Aber genau daran gebricht es euch ja. Da ist nichts. Da ist gar nichts. Keine Eier, kein Arsch, kein Kreuz, kein Charakter, kein Anstand! Nur in der Meute seid ihr stark genug eure Minderwertigkeitskomplexe herauszubrüllen und Unterlegene anzugreifen!
Der geschlagene Mann Noël Martin, der ohne fremde Hilfe nicht überleben könnte, zeigt mit jedem Tage seines für uns wertvollen Lebens Heldentum, und – wenn wir diesen Begriff nicht selbst so unsäglich fänden – Herrenmenschentum. Denn er vertritt nun wirklich das Edelste, dessen die Menschheit fähig ist.
Wir wollen den Ausflug in die krude Philosophie des nationalsozialistischen Rassenwahns an dieser Stelle abbrechen. Weil es uns anwidert. Weil uns nichts bewegen kann, diesen Irrsinn für uns in irgendeiner Form zu adaptieren.
Wir wollten nur eines mit diesem Gedankenspiel erreichen: Die mit der großen Schnauze und dem kleinen Herzen sollten erkennen, wie schnell menschliche Dummheit den eigenen Herren beißt. Doch vergebens: Wir erreichen sie nicht. Weil man, wie Vater Tucholsky sagte, so tief nicht schießen kann.
Und wir wollten Herrn Martin sagen: Bevor der Preußische Landbote den Dreispitz vor der britischen Majestät zieht, die unseres Wissens nach jeden Faxenclown zum Ritter schlägt aber nicht einen wahren Edelmann, welcher der Insel zur Ehre gereicht, zieht er ihn vor dem Manne Noël Martin…und möglicherweise nur vor ihm!

11. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2008