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Was macht die Brandenburger Jugend?
Neues von den Dreizehnjährigen

J.-F. S. Lemarcou
Ein echter Narr – das ist die wohl wichtigste Institution eines Gemeinwesens. Nota bene: es ist die Rede von einem Narren, nicht von einem Kasper oder Toren oder blödelnden Dummkopf. Der gute Narr birgt in sich meist mehr Weisheit und Verstand als der große Rest des Vaterlandes. Dieter Hildebrand ist so einer, oder Mathias Richling. Für Brandenburg an der Havel mag Herr René Paul-Peters ein sehr geeigneter Mann für diese Funktion sein. Er ist zwar kein Kabarettist, sondern ein Ritter des Federkiels, doch seine Tjoste sind oft von bestechender Treffsicherheit, Wortwitz und guter Komposition, zeugen von guter Kenntnis der Dinge und verbieten jeden Zweifel an der Aufrichtigkeit und Tüchtigkeit dieses wackeren Journalisten.
Am Mittwoch dem 20. Februar des Jahres 2008 nun legte Herr Paul-Peters die Lanze ein und ritt eine seiner gefürchteten Glossen, die in der Stadt mit großem Interesse gelesen werden. Der Hieb saß, doch diesmal erwischte es wohl den falschen Gegner.
Den Anlaß gab eine 13jährige Göre, die wie Generationen vor ihr, einfach mal durchknallte, einem Altersgenossen eine Flasche Hochprozentigen aus der Hand riß und sich dieses grobgeistige Getränk mit einem Hieb hinter die Kiemen goß. Es hätte ihr Tod sein können, aber was fragt das Gros der Jugend nach Risiken!
Natürlich macht uns, die wir uns für ausgereift und erwachsen halten, der Vorfall betroffen. Verhindern können wir ihn nicht. Eine Gesellschaft, die von Tag zu Tag unfähiger wird, humanistische Werte auf breiter Front zu etablieren und zu vermitteln, eine hilf- und haltlose Peer-group, die keine adäquaten Antworten auf die Herausforderungen ihres Lebensalters kennt, persönlicher Kummer – ach was weiß ich, was alles in dem Kopf dieses Mädchens zusammenkam und dieses kreuzgefährliche Komasaufen initiierte.
Daß man über Erziehungskonzepte geteilter Meinung sein kann und muß, versteht sich von selbst. Daß Frau Hübner keine Apologetin der Null-Toleranz-Thesen ist, dürfte bekannt sein. Auch wir stimmen nicht auf der ganzen Linie mit ihr überein und fordern auch der Jugend die ihr zukommende Bringschuld der Gesellschaft gegenüber ab, die eben nicht darin besteht, das Gemeinwesen zu schädigen und parasitäre Lebensformen zu kultivieren.
Wenn wir aber von einer der Jugend angemessenen Bringschuld reden, dann fließen die der Jugend immanenten Irrtümer, Versuche, Auflehnungen gegen etablierte Wertvorstellungen und das ganze hormongesteuerte Revoluzzertum gegen Gott und die Welt in diesen Kontext ein. Sich darüber aufzuregen ist so sinnlos wie der Ärger über das tägliche Wetter. Schon Sokrates beklagte den sittlichen Verfall der griechischen Jugend, die der Romantiker von heute seine glücklichen Hellenen nennt.
Ist das nun ein triftiger Grund Frau Hübner zu attackieren und im selben Atemzuge das Bürgerhaus Hohenstücken zu verhöhnen?
Man mag dieses Bürgerhaus, das im Arbeitsbereich Frau Hübners angedacht und umgesetzt wurde, bewerten, wie man will. Es bietet vielen, die sonst desperat in ihren Wohnungen sitzen würden, einen Anlaufpunkt für eine sinnvolle Gestaltung ihrer Freizeit.
Schon einen Tag nach Herrn Paul-Peters Glosse richtete das Bürgerhaus einen sogenannten Seniorengeburtstag aus, dessen Einladung über 20 Damen und Herren, allesamt über 80 Jahre alt, folgten. Diese Leute saßen während dieses Nachmittags nicht allein in ihren Wohnungen, sondern beisammen im Multifunktionsraum des Bürgerhauses. Ihnen wurde Kaffee und Kuchen gereicht, Spenden allesamt, etwas Musik gemacht und – Kinder in dem Alter der 13jährigen Kampftrinkerin, Schülerinnen und Schüler der berufsvorbereitenden Gesamtschule Kirchmöser mit ihrer Lehrerin Frau Wolter führten ein Theaterstück des großen Brandenburger Reformpädagogen Otto Bernhard Wendler auf. „Der Stein des Glücks“ nannte OBW sein Werk, das in den Zwanzigern des letzten Jahrhunderts an der Kirchmöseraner Schule uraufgeführt wurde.
Paul Schulze, selbst Zeit seines Lebens ein engagierter Vollblutlehrer und exponierter Pädagoge setzte seinem pädagogischen Ziehvater OBW ein Denkmal, indem er die Klasse Frau Wolters dazu begeisterte sich dieses Stückes wieder anzunehmen. Diese Jugendlichen, deren laienhaftes Spiel sich natürlich der ernsthaften Bewertung eines Kunstkritikers entzieht, spielten für die Alten. Und die Alten hatten ihre Freude dran. Der Applaus war ehrlich und herzlich. Diese Jugendlichen hätten genausogut ebenfalls irgendwo am Straßenrand „abhängen“ und sich die Birnen zulöten können. Taten sie aber nicht. Trotz Examensvorbereitung, neben der Schulausbildung quasi studierten sie ihr Stück ein und brachten es zum Vortrag – die Mädchen teilweise sogar mit bemerkenswerter Professionalität und Dynamik. In just dieser Zeit haben sie keinen Joint geraucht, keinen Klaren kreisen lassen, keine 80jährige Dame um ihre Rente erleichtert. Auch das… nein, vielleicht sollten wir sagen: gerade das ist die heutige Jugend. Es ist wieder einmal bewiesen worden, daß wenn man auf diese Kinder und Jugendlichen zugeht, ihnen die Möglichkeit bietet, sich mit eigenem Schaffen Lob und Anerkennung zu verdienen, sie in der Mehrzahl diese Angebote begeistert annehmen. Darum geht es – und nur darum.
Es gibt immer einige Küken, die aus dem Nest fallen, es gibt immer ein paar Mädchen, die sich kaputt saufen, es gibt immer ein paar Knaben, die weder ihre Hormone noch ihre aufgemotzten Automobile zu steuern verstehen und ihr unausgereiftes Leben vorzeitig an einem Baum endigen. Das Leben und seine Gesetze fordern eine solche Quote unbarmherzig ein. Ob uns das paßt oder nicht, ist Mutter Natur herzlich scheißegal. Uns obliegt nur die Aufgabe diese Quote zu minimieren – und genau das tut Frau Hübner, genau das tun die Leute, die im und für das Bürgerhaus arbeiten. Mehr können sie nicht machen und mit weniger geben sie sich nicht zufrieden.
Deshalb denken wir, was Herrn Paul-Peters noch zur Vollendung eines guten Narren fehlt, ist der ausgefeilte Sinn für die gerechte und ausgewogene Beurteilung einer Sache. Es ist die zwingende Implikation einer großen Verantwortung, denn obschon der Narr und der Henker die einzigen im Staate sind, die umfassendste Freiheit genießen, stellen sie auch die einzigen beiden Berufsgruppen, die kraft der ihnen zugewiesenen Macht mit einem Schlag vernichten können, was zum Werden lange brauchte. Der gute Narr sollte auch immer ein guter Kyniker sein: er muß beißen um zu helfen und zu heilen.
Deshalb verliert er Status, Legitimation und Ansehen in dem Augenblick, da er sich einer fremden Sache annimmt, die die Seinige per se nicht sein kann. Herr Paul-Peters wird mit Sicherheit seinen Weg zu einem der achtbarsten Journalisten der Chur- und Hauptstadt fortsetzen. Dessen sind wir sicher. Dazu ist sein Potential einfach zu groß. Es würde uns freuen, wenn wir diesen Beitrag seinem Fortkommen widmen dürften.

11. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2008