Baaks

zurück zum Landboten

 

zurück zur Stammseite "BÜCHER"

 

Ein Jahr Knast – Familie im Eimer
Stadtmuseum zeigte den Film „Verriegelte Zeit“ von Sybille Schönemann


Museumsvolontär Marius Krohn und Regisseur Hannes Schönemann im Frey-Haus der Altstadt Brandenburg an der Havel

Michael. L. Hübner
"Komm' se!" "Gehn' se!" "Bleim' se stehn!" Mehr als dieses stumpfsinnige aber programmatische Gebell hörten Sybille und Hannes Schönemann ein Jahr lang kaum von ihren Kerkermeister. Wozu auch? Schönemanns waren in den Augen von Partei und Regierung Abschaum, Verräter, Klassenfeinde. Beide versuchten als Regisseure bei der DEFA in Potsdam zu arbeiten. Beide ließ man ihre rebellischen Projekte nicht durchgehen. Beide wollten die DDR verlassen und beide landeten dafür am 28.8.1984 im Gefängnis, sie in Hohenleuben, er in Bützow. Am 17.7.1985 dann endlich die gemeinsame Ausreise in den Westen. Doch damit war die Schreckenszeit nicht vorbei. Sicher, die beiden Töchter durften innerhalb der nächsten sechs Wochen nach Hamburg nachkommen, aber die Zeit als politische Gefangene der DDR – die gab es offiziell gar nicht – hatte gerade in der empfindsamen Seele der Sybille Schönemann tiefe Spuren hinterlassen. Und so versuchte sie ab Weihnachten 1989 bis in den Sommer des nächsten Jahres hinein, ihr Trauma mit den ihr gegebenen Mitteln aufzuarbeiten. Ein weltweit viel beachteter und hochdekorierter Film entstand: "Verriegelte Zeit", eine Spurensuche der Sybille Schönemann, fünf Jahre "danach". Was sind fünf Jahre? Das Stadtmuseum zeigte diesen Film am Abend des 25.November. Museumspädagogin Gudrun Bauer drückte mit der Regisseurin zu Neuruppin einst die Schulbank. Diesem Umstand verdankte ein 25köpfiges Publikum den Genuss einer der bedeutendsten und wichtigsten filmischen Dokumentationen der jungen Nachwendezeit. 1990 – die DDR war noch nicht ganz tot, der Westen stand noch an der Türschwelle, rechtsfreier Raum, nicht das erste Mal in der Mark. Es waren Dinge möglich, die sich heute jeder Phantasie entzögen: Täter wurden unverdeckt und mit Klarnamen vorgestellt. Da war die Gefängniswärterin Hauptmann Kirst, lakonisch "Erzieherin" genannt; da sagte der auf dem Wäscheplatz seiner Platte abgepasste Vernehmungsoffizier Hauptmann Hollwitz erst ein Interview zu, dann floh er vor der Kamera. DEFA-General Hans-Dieter Mäde reichte der auch von ihm maßgeblich ins Unglück gestürzten Sybille erst die Hand durchs Gartentor und flüchtete sich dann in eine Krankheit, seine Personalchefin Regine Buresch hatte nur unterschrieben, was man ihr vorgelegt hatte und wusste ansonsten von nichts: "...ich war gerade einen Tag da...". Stasi-Oberstleutnant Peter Gericke erklärte mir kühler Sachlichkeit den Aufbau eines operativen Vorgangs: "Zur Persönlichkeit des Täters und seinem Schicksal hatten wir keinerlei Beziehung" erklärt der Scherge mit festem Klassenstandpunkt, der nach der Wende als Baumpflanzer bei Friesack arbeitete. Er hielt das Filmteam für die getarnte Vorhut des BND, die ihn auf eine weitere Verwendung im Geheimdienst prüfen würde. Deshalb plauderte der noch immer bewaffnete Forstarbeiter mit brutaler Offenherzigkeit aus dem Nähkästchen. „Der versuchte sich professionell zu spreizen,“ lächelt Hannes Schönemann, der statt seiner geschiedenen und erkrankten Frau der Filmvorführung beiwohnte und dem Publikum hernach für Fragen zur Verfügung stand. Das Lächeln kommt matt rüber – die Familie ist an diesem Jahr zerbrochen. „Meine Jüngste glaubte, als wir sie im Westen am Bahnhof abholten, wir seien beide Schauspieler, die ihre Eltern spielen, damit ihr Leiden gelindert würde. Das dachte sie noch jahrelang.“ Die Ehe scheiterte. „Hätte ich gewusst, was da alles noch auf uns zukommt, ich glaube, ich hätte den Ausreiseantrag zurückgezogen.“ Hat es was gebracht? Nun ja, nicht zuletzt dieser Film richtete den Fokus auf den Potsdamer Richter Lutz Weide, seinerzeit kritikloser Erfüllungsgehilfe der Staatsmacht und Unterzeichner des Schönemann'schen Haftbefehls. Weide durfte nach der Wende ungestört als Arbeitsrichter in Potsdam mit weichgespültem Leumund weiterarbeiten. Der Fall beschäftigte am 31.05.2011 sogar den Landtag. Der linke Justizminister Volkmar Schöneburg geriet ins Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik. Dennoch, einen großen Teil seiner Bedeutung bezieht der vom Stadtmuseum gezeigte Film als Studie einer urdeutschen Krankheit, welche Personalchefin Buresch so grandios auf den Punkt gebracht hatte: „Ich sollte unterschreiben. Befehl von oben. Was auf dem Papier stand weiß ich nicht. Ich habe unterschrieben...!“

 
B
9. Volumen

© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
11.12.2011