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Berlin in Flammen
Zwölfter Langustier stürmt den Buchmarkt

Kotofeij K. Bajun
Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett. Und wenn das so sein sollte und Mimi ist eine echte, das heißt geistreiche Tochter Preußens, dann hat ihre Bett-Abstinenz nunmehr ein vorläufiges Ende. Mimi, freue dich – der neueste Tom Wolf ist da! "Glutorange – zehrende Flammen" heißt das jüngste Opus aus der Feder des genialsten Krimischreibers, den Preußen je besaß und dieser zieht wie gewohnt alle Register. Mimi, Mimi, um das volle Bukett dieses "Langustiers" zu genießen, welcher in der Belagerungszeit Berlins durch die Russen – erst vierzehn Monate nach dem Desaster von Kunersdorf – im Oktober 1760 angesiedelt ist, musst du schon über den brillanten Geist unserer Landesmutter Luise Henriette von Oranien verfügen – denn der Wahlpreuße Wolf verschießt seinen Witz, seine Sachkenntnis, seine feinsinnigen Pointen wie gewohnt aus allen Rohren, gerad so, wie General Tottleben in seinem Buch die Granaten gen Berlin schickt. Nebenbei keilt er wieder süffisant nach allen Seiten aus – Berlin hat ihn geärgert? Wehe, wehe, arme Hauptstadt: Du kriegst dein Fett! Aber man muss es lesen können. Denn – der Homburger Wolf ist einer der ganz, ganz wenigen Meister seines Fachs, welche die Kunst beherrschen, zwischen den Zeilen zu – schreiben! Das Lesen inter lineas wurde uns Ossis mit in die Wiege gegeben. Die Nazis und später die Bolschewisten haben uns nachgerade dazu erzogen. Wenn man aber etwas zwischen den Zeilen lesen kann, dann bedeutet das keineswegs und noch lange nicht, dass der Verfasser auch zwischen den Zeilen schrieb! Das ist ein himmelweiter Unterschied. Das können nur ganz wenige! Wer aber diese Fähigkeit beherrscht, der sollte schon um dieser feinen, den ganzen Geist fordernden Kunst willen die Glocken in Oslo läuten lassen!
Detektiv Langustier ermittelt also wieder. Diesmal in Sachen Gemälderaub und Malermord und wieder werden Erfindungen späterer Jahrhunderte so ganz nebenbei mit schalkhaftem Lächeln vorweg genommen. Der einzige, den das nicht freuen dürfte, wird wohl Hans Friedrich II. von Rochow auf Plessow gewesen sein, dem der feingeistige Wolf ein paar grobe Watschen gehauen hat. Selten wurde über einem Berliner Stadtkommandanten eine solche Häme verschüttet. Berechtigt mag sie immerhin sein – denn dieser Rochow hatte sich und die Truppenfahne als preußischer Soldat im Range eine Generalleutnants bitter blamiert. Vielleicht aber hat das adelige Weichei auch nur den unglücklichen Vetter Friedrich Eberhard auf Reckahn gerächt, dessen Güter beim Feldlager 1741 von 41.000 Soldaten regelrecht "verheert" wurden. Möglicherweise dachte der Invalide Hans Friedrich: Wollen doch mal sehen, wie sich das für den König so anfühlt, wenn Soldaten zur Abwechslung mal das Seinige in Grund und Boden stampfen, ohne, dass es dafür auch nur einen Kreuzer Regress gibt. Ach was, Bajun, da gehn' se wieder mit dir durch...! So weit hat kein Rochow gedacht und soviel verwandtschaftliche Loyalität zu unterstellen, wäre wohl auch etwas zu dick aufgetragen. Nein, Herr Wolf ist kein Mann fürs Grobe. Dieser Autor ficht mit dem ziselierten Florett. Fein und abgewogen die Stöße und Paraden und dann – mitten ins Herz! Nebenbei frönt er seiner gewohnt-kulinarischen Leidenschaft und macht haufenweise Schleichwerbung für erlesenste Delikatessen und Weine vergangener Epochen, deren Besitz auch nur einer Flasche ihren Besitzer zum Krösus machen würde. Uns macht etwas anderes reich: die geschlossene Reihe der "Wolfs" in unserer Redaktionsbibliothek – deren Genuss dem der so schmackhaft beschriebenen Delikatessen in nichts nachsteht. Liest man in einem "Langustier" – so auch in jenem – so ist man für diesen einen seligen Moment Teil der Gesellschaft, die unter Watteaus Pinselstrichen aufbricht nach der Insel der Seligen, nach Cythera. Die preußische Geschichte kannte zwei Waffen ungeheuren Kalibers: Da war die "Faule Grete", mit welcher der Nürnberg'sche Burggraf gemeinsam mit Erzbischof Günter die Festung Plaue niederlegte und Hannes Quitzow zu wilder Flucht übers Eis der Havel veranlasste – und da ist der "Schlaue Wolf", der mit derselben Feuerkraft namens des bebra-Verlages zu Berlin die Herzen eines jeden intellektuellen Preußen stürmt, der sein lukullisches Vergnügen an literarischen Gaumenfreuden nicht bezähmen kann.
So wie die eingangs beschriebene Mimi ging auch ich mit diesem Krimi zu Bette. Ob Mimi ihren Schlaf fand, weiß ich nicht – ich fand ihn nicht und der erste Hahnenschrei traf das Büchlein ausgelesen an. "Bajun, Bajun," höre ich den Chef von nebenan rufen, "Sie sind und bleiben ein ungeschlachter, kulturfreier Russe: Sowohl einen 1730er Tsarine von Jacques-Louis und Jean-Baptiste Chanoine als auch einen 2011er Jubiläums-Wolf (zehn Jahre Preußenkrimi) genießt man in kleinen, zarten Schlücken, lanciert ihn hin und her zwischen Zungenspitze und Gaumensegel, prüft Aroma und Bukett und den weichen Abgang – Sie aber, Sie ungehobelter Hund, Sie setzen die Pulle an den Hals und saufen das Zeug in einem Zuge weg. Wie ich schon sagte: Russe eben!" Mag sein, mag sein... Aber vorzüglich geschmeckt hat er trotzdem!

 

Tom Wolf
Blutorange - Zehrende Flammen
272 Seiten broschiert
berlin.krimi.verlag im be.bra verlag
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3898095235
EVP € 9,95

 
B
9. Volumen

© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2011
11.10.2011