Ein 
            sibirisches Märchen
            Im Andenken an sein Töchterchen Mascha 
            Michailowna erzählt von Kotofeij Kryisowitsch Bajun
            Erzählt für die kleine Christina aus Mittenwalde 
          Сибирский сказ
          In den unendlichen Weiten Rußlands, 
            inmitten der gewaltigen Taiga, der riesigen Ströme, ist eine 
            Insel, die heißt Kidan. 
            Auf ihr steht eine Esche, die Krone zerteilt die Wolken.
            In der Esche aber wohnt der Kater Bajun.
            Steigt er empor, so singt er ein Lied,
            steigt er herab, so erzählt er ein Märchen.
            Und die es hören, fallen in einen tiefen Schlaf…
          Es war einmal ein 
            kleiner Weiler jenseits des Uralgebirges, dort wo die Taiga beginnt. 
            Auf einem Hof des Kleinbauern Mitrofan Trifonowitsch lebte im Stall 
            das Ferkelfräulein Mascha Michailowna. Ihr Verschlag war eng 
            und dumpf und nur durch die Ritzen der Holzwand kam etwas frische 
            Luft und Sonnenschein. Mitunter kam eine kleine Rättin beim Schweinchen 
            vorbei und unterhielt sich mit ihm. Leise fiepste sie ihm Geschichten 
            ins Ohr, die sie auf ihren weiten Wegen erlebt hatte. Kam sie doch 
            von ferne, ferne, hinter den Bergen aus dem Königreich Norwegen, 
            wo sie als Tochter eines mächtigen Rattenkönigs am Königshof 
            aufgewachsen war. Eines Tages hatte sie ein Schiff bestiegen und war 
            ausgewandert – denn sie gehörte ja schließlich zum 
            Geschlecht der Wanderratten. Das Schicksal hatte sie zum Hofe Mitrofans 
            geführt. Hier wollte sie nun verschnaufen, denn sie war nicht 
            mehr die Jüngste und ihre Taperfüßchen wollten sie 
            nicht mehr recht tragen. In dem Schweinchen Mascha fand sie eine liebe 
            Gefährtin, die ihr mit ihren großen Schweineöhrchen 
            aufmerksam zuhörte und dabei aus gütigen Äuglein blinzelte. 
            Bei Mascha wartete auch immer ein gedeckter Tisch für die Rattendame 
            Zarewna, denn das Schweinemädchen schob mit seinem rosa Rüsselchen 
            die leckersten Stücke hinüber zur einzigen Freundin, die 
            es besaß. Und freute sich von ganzem Herzen, wenn sie sah, wie 
            es der betagten Zarewna schmeckte.
          
            Einer lebte noch mit ihnen auf dem Hofe. Das war der Kater Kotofeij. 
            Übel hatte ihm das Leben mitgespielt. Ein Holzbeinchen hatte 
            er, hinkte an einem Krückchen aus Weidenrute, das früher 
            mal ein Katapult gewesen war, mit dem der Muschkote Mitrofan die Stare 
            aus dem Kirschbaum trieb. Ein Auge war ihm nur geblieben aus seinem 
            kampfreichen Leben. Zerflaust waren die Ohren, struppig das Fell. 
            Anfangs hatte die Rattendame Zarewna den Kater Kotofeij gefürchtet. 
            Doch eines schönen Sommermorgens, als sie am Holzstoß vorbei 
            zwischen dem Gänsegatter und dem Taubenschlag hindurch zu Mascha 
            huschen wollte, lag der Kater faul vor ihr in der Sonne. Er schien 
            zu schlafen. Leise, unmerklich wollte sich die Rattenprinzessin vorüberschummeln. 
            Da sprach der Kater, ohne die Augen zu öffnen: “Zarentochter 
            Schönste, du Flinkfüßige mit dem grauen Fellchen, 
            gehst hinüber zu unserer Maschenka, was?“ Der Rattendame 
            blieb das heftig pochende Herzchen beinahe stehen vor Schreck. Wie 
            erstarrt blinzelte sie hinüber zum Kater Kotofeij. Dieser aber 
            maunzte leise, wieder mit geschlossenen Augen: “Zarentochter 
            Schönste, fürchtest Du Dich? Warum? Was ist zu fürchten 
            von einem halbblinden und halblahmen Kater? Sieh meinen löchrigen 
            Pelz, mein Holzbeinchen. Meine Zähnchen sehen nicht viel besser 
            aus. Bin zufrieden, wenn man mich in Ruhe läßt, die Bäuerin 
            nicht mit dem Besen nach mir schlägt, der Bauer nicht das Holzscheit 
            nach mir wirft.“ „Aber Eure Krallen sind noch scharf, 
            Väterchen Kotofeij“, fiepste das norwegische Fräulein 
            mit starkem Akzent. „Und käme ich ihnen zu nah, schnell 
            wär’s um mich geschehen.“ „Nein, Gevatterin, 
            Ihr irrt. Ich täte Euch nichts zuleide. Bin selbst ein armer 
            Teufel.“ Der Kater setzte sich mühsam auf und begann sein 
            linkes Vorderpfötchen zu lecken.
           Dann strich er es 
            über sein zerflaustes Ohr und sprach leise: „Gevatterin 
            Zarewna, Weitgereiste, Schönste Ihr, seht doch: Von weit her 
            seid Ihr zu uns gekommen und der russischen Erde ist das Gastrecht 
            heilig. Zudem aber seid Ihr die Freundin unseres Schweinchens. Und 
            nun merkt gut auf. Als ich der Bäuerin etwas Rahm stahl, letzte 
            Nacht, da hörte ich sie vom Ofen herunter reden. Sie stieß 
            den Alten in die Rippen und sagte: Alterchen, nun sind es noch vier 
            Monde, dann muß unser Schweinchen recht rund und feist sein, 
            denn schlachten wollen wir es dann. Also treib die Sau morgen in den 
            Eichenwald und mäste sie noch kräftig – sonst haben 
            wir im Winter nichts zu beißen. So sprach die Alte. Und nun 
            sieh: Bald wird der Alte kommen und das Gatter öffnen, das Schweinchen 
            herausführen an einem Seil und es zu den Eichen jenseits des 
            Baches bringen. Wir aber wollen ihm folgen. Ich werde ihn ablenken 
            und Ihr müsst das Seil durchnagen. Dann werden wir fliehen. Wohin 
            weiß Gott allein. Groß sind die sibirischen Wälder. 
            Doch gefährlich sind sie auch. Weit wird uns Mitrofan nicht folgen. 
            Er ist ein Säufer und ein Hasenfuß noch dazu. Kommt er 
            ohne die Mascha zurück, dann setzt es Hiebe für ihn. Diesmal 
            wird der Besen auf seinem krummen Rücken tanzen.“ Leise 
            kicherte der Kater. Dann wurde er ernst. „Also, Prinzessin aus 
            dem fernen Lande Norwegen, seid so gut und geht zu unserer Mascha 
            und erzählt, was Ihr wißt.“ 
          
            Da merkte die Rattendame, daß der Kater ein gutes Herz hatte 
            und faßte Vertrauen. Doch was ihrer geliebten Freundin beschieden 
            war, erfüllte sie mit Entsetzen. Das sollte, das durfte nicht 
            geschehen. Mit zitternder Stimme wandte sie sich an den sich noch 
            immer putzenden Kater: „Und Ihr sagtet, Ihr würdet uns 
            helfen, lieber Gevatter?“ „So gut ich kann, dessen seid 
            gewiß, edle Dame. Doch nun eilt Euch. Und bedenkt: Vielleicht 
            gewährt das Verderben uns nur einen Aufschub. Würden wir 
            uns nicht einmischen, so könnten wir’s wohl überstehen, 
            das Schweinchen aber wäre des Todes. Wer wollte mit dieser Seelenlast 
            weiterleben! Wenn Ihr genauso denkt, dann tut, wie ich Euch geheißen. 
            Mein Rat und was von meiner einstigen Kraft noch übrig ist, sei 
            euch zu Diensten. Und nun, Gott befohlen!“ Darauf hinkte er 
            von dannen. Das Rattchen aber rief ihm hinterher: „Wohin aber 
            werden wir fliehen, Gevatter?“ Einen Augenblick verharrte der 
            Kater, dann wies er mit seinem Krückchen nach Osten und trottete 
            davon.
          
            Betrübt ging die Rattendame Zarewna weiter. Ganz dünn mußte 
            sie sich machen um unter der Stalltüre hindurch zu kriechen. 
            Das Schweinchen hörte die leisen Schritte und freudig rappelte 
            es sich auf. Das rosa Rüsselchen schob sich zwischen die Gitterstäbe 
            des Kobens und schnüffelte aufgeregt der Freundin entgegen. Diese 
            aber sagte: „Mascha, Maschenka, schlimme Neuigkeiten muß 
            ich bringen. Morden wollen sie dich, wenn der Mond das vierte Mal 
            voll geworden ist.“ Plumps, da lag das Schweinchen! Große 
            Tränen rannen ihm aus den Äuglein: „Aber was, liebste 
            Zarewna, was habe ich ihnen denn getan?“ „Essen wollen 
            sie dich – einen Winter lang.“ Bitterlich weinte das Schwein. 
            „War das nun mein Leben? Ein enger, dunkler Koben. Und wenn 
            ich draußen im Wald war, wo die Vögel so schön sangen, 
            dann zerrte ein Strick an mir und schubberte mir die Schwarte wund! 
            Gibt es kein Mitleid mehr?“ So klagte jammernd das Schweinemädchen.
          
            „Still jetzt!“, quiekste die Ratte, „ich habe Mitleid 
            mit Dir und der Kater Kotofeij hat es auch. Helfen wollen wir dir. 
            Heute wird dich der Bauer Mitrofan Trifonowitsch in den Eichenwald 
            führen, um dich zu mästen. Dorthin werden wir dir folgen. 
            Der Kater Kotofeij wird den Bauern ablenken, ich aber werde den Strick 
            durchnagen. Dann werden wir fliehen – tief in die sibirischen 
            Wälder. Der Gevatter versprach uns zu führen.“ Verunsichert 
            grunzte das Schweinchen. „Mut“, rief das Rattchen, „Mut, 
            Maschenka, das werden wir schaffen. Was passiert, passiert. Aber es 
            ist besser, unser Glück zu versuchen, als hier auf den Tod zu 
            warten. Es ist nun einmal so. Machen wir das Beste daraus!“
          
            Da quietschte auch schon die Türe des Kobens und herein trat 
            der Bauer Mitrofan. Betrunken war er, bald stank es nach Wodka in 
            dem kleinen Verschlag. „Maschenka, Maschenka, komm nur, komm! 
            In den Wald gehen wir heute. Die Alte hat’s befohlen. Mästen 
            sollst Du Dich. Rund werden sollst du und fett und feist. Was ist 
            nur heute mit dir?“
          
            Statt freudig zu grunzen wie sonst, wenn sie auf den Hof durfte oder 
            in den Wald hatte sich die arme Mascha in den letzten Winkel ihres 
            Verschlages zurückgezogen. Vor Angst zitternd stand sie da, als 
            gälte es heut schon das Leben. „Lauf zu, Maschenka!“, 
            wisperte die kleine Ratte und – obgleich sie vor dem Bauern 
            fliehen wollte, blieb sie bei der vor Furcht halbtoten Mascha. Der 
            Bauer sah sie und griff nach einer Forke: „Verfluchtes Rattenvieh, 
            der Kater, der Nichtsnutz hätte dich längst töten sollen. 
            Säuft unsere Milch und läßt dich am Leben. Der Teufel 
            lohn es ihm, dem alten Tunichtgut.“ Es war lächerlich: 
            Wann hätte der Kater je Milch zu schlecken bekommen? Stehlen 
            mußte er sie sich! Mitrofan schlug mit der Forke zu. Doch zu 
            betrunken war er, um die alte Dame zu treffen. Zarewna flüchtete 
            auf eine Holzleiter, wo der entmenschte Strolch sie herunterzuschütteln 
            versuchte. Doch da war sie schon auf der Tenne und versteckte sich 
            unter dem Stroh. Wütend brüllte der Bauer, daß er 
            das Katzenvieh gehörig durchprügeln wolle und versetzte 
            zunächst der armen Mascha einen Tritt in die Seite. Entsetzt 
            schrie das Schweinchen auf. Jetzt war klar, die Flucht mußte 
            gewagt werden. Sie ließ sich den Strick um den Hals legen, um 
            den betrunkenen Halunken nicht noch weiter zu reizen und folgte mit 
            traurig gesenktem Kopf.
          
            Bedrohlich schienen ihr die mächtigen Bäume heute zu rauschen 
            und nur lustlos fraß sie hier und da ein paar Eicheln. Wenn 
            der Bauer das sah, schlug er mit einer Haselnußgerte nach dem 
            armen Tier und brüllte sie an: “Friß du, Ungetüm, 
            oder meinst du, wir wollen um deinethalben verrecken im Winter?“
          
            Dann griff er wieder nach der Flasche, die er unter seinem Kittel 
            versteckt hatte, sah sich vorsichtig um, ob sein Weib ihn nicht sähe 
            und nahm einen langen Zug. Der Kater Kotofeij brauchte ihn nicht abzulenken 
            – zu betrunken war Mitrofan und schnarchte unter einer großen 
            Eiche, als sich ein kleiner verkrüppelter Katzenmann und eine 
            norwegische Rattendame daran machten, den festen Hanfstrick zu zernagen 
            und zerreißen.
           
          
            Das Ferkel Mashenka, der Kater Kotofeij 
            und die Rättin Zarewna
            in der gewaltigen Taiga.
            (Zeichnung K. K. Bajun, April 2007)
          
            
            Bald war es geschafft. „Nicht lange geschwätzt“, 
            rief der Kater, „folgt mir nach, so schnell es geht!“ 
            Er aber war es, der Mühe hatte, den beiden anderen zu folgen. 
            Mühsam war’s mit dem Holzbeinchen und der alten Krücke. 
            Da nahm ihn Mascha Michailowna auf ihren Rücken, setzte die Rattendame 
            hinzu und los ging’s im hurtigen Schweinsgalopp. Schon bald 
            war sie ganz außer Atem. Doch das Gebrüll Mitrofans, der 
            aus seinem Rausche erwacht war und den zerrissenen Strick vor sich 
            liegen sah, das hörten sie nicht mehr. Zu weit waren sie bereits 
            entfernt. Zu tief wanderten sie schon durch die endlose Taiga.
          
            Die Nacht senkte sich über die Wipfel der Tannen. Hell funkelten 
            die Sterne, doch nur mäßig beleuchtete die schmale Sichel 
            des Mondes die Erde. Unheimlich rief das Käuzchen und ein Schuhuh 
            flatterte über den Dreien dahin. Das Schweinemädchen Mascha 
            hatte furchtbare Angst. Nie zuvor war sie in einem dunklen Walde gewesen. 
            Fast sehnte sie sich in ihren vertrauten Koben zurück. Doch das 
            Rattchen flüsterte ihr ins Ohr: „Hab keine Angst, Maschenka! 
            Dunkel ist’s, doch der Wald ist derselbe wie an einem lichten 
            Sonnentag. Freundlich ist er, und gibt uns Schutz. Und wenn wir nichts 
            sehen, so sehen uns andere doch genausowenig!“ „Ach, ach“, 
            flüsterte da die arme Maschenka, „Ihr habt gut reden, kleine 
            Freundin! Ihr seid mit einem Husch in einem Mauseloch. Der Gevatter 
            Kotofeij – auf einen Baum kann er sich flüchten. Aber ich 
            – was soll denn ich tun?“
          
            Da sprach der Kater: „Schweinefräulein, Liebliche, so sieh 
            doch auch das Gute an Deiner Größe! Dich wird der Schuhuh 
            nicht bedrohen und nicht der rote Fuchs. Die Ringelnatter im Grase 
            wird vor dir flüchten. Und selbst der Bruder Luchs wird lieber 
            einen Bogen um dich machen. So genießen wir auch deinen Schutz!“
          
            Da plötzlich schien der Wald zu sprechen. Eine tiefe, warme Stimme 
            trug sich aus dem Dunkel an die entsetzten Ohren der drei Wanderer: 
            „Recht habt Ihr, Gevatter Krallerich! Es sind derer nicht viele, 
            die sich einem Schwein in den Weg zu stellen wagen! Doch wer seid 
            ihr, woher kommt ihr und wohin seid Ihr so spät noch unterwegs?“ 
            Die drei verharrten regungslos. Selbst Kotofeij konnte sich noch so 
            anstrengen, sein eines Äugelchen vermochte nichts zu erkennen. 
            Da aber schob sich ein riesiger Schatten zwischen den Stämmen 
            der Föhren hervor. Im fahlen Licht blitzten zwei gewaltige Säbel. 
            Da glaubten die drei nicht anders, als sei es um sie geschehen. Mascha 
            stand mit dem Schwänzchen an einen Baum, den Kopf gesenkt und 
            machte: „gruff….gruff!“ Sie hoffte, daß das 
            dem Schatten Angst machen würde und bebte doch selbst. Mutig 
            aber trat die Rattendame Zarewna vor und sprach mit leiser Stimme: 
            “Wir sind drei arme Flüchtlinge, denen nach dem Leben getrachtet 
            wurde. Wir suchen das Land im Aufgang der Sonne, zwischen den großen 
            Strömen und dem unendlichen Meer, wo man uns eine Hütte 
            bauen läßt und nicht darauf sinnt, uns umzubringen. Seid 
            Ihr ein Räuber, großer Herr, so bitten wir, laßt 
            uns unserer Wege ziehen. Denn wir besitzen nichts als das Fell auf 
            unserer Haut.“
           
            „Nein, ein Räuber bin ich nicht“, sprach da der mächtige 
            Schatten, „man nennt mich den Keiler Grigorij Afernassjew. In 
            den Wäldern lebe ich und der Bär Medwed Iwanowitsch und 
            die grauen Wölfe achten mich. Sie meiden es, meinen Pfad zu kreuzen 
            und meine Suhle zu stören. Das Land, von dem Ihr spracht, kleine 
            Dame, ich habe als Frischling meinen Großvater davon sprechen 
            hören. Er sagte, es gäbe fern von hier, inmitten eines gewaltigen 
            Flusses eine Insel darauf ein Eschenbaum steht. In diesem lebte der 
            Fürst dieser Wälder – der Kater Bajun. Stieg er im 
            Geäst seines Baumes hinauf, so sang er ein Lied, kam er herunter, 
            so erzählte er ein Märchen. Und wer es hörte, der verfiel 
            dem Schlafe. Mächtig war der Herr der Sibirischen Wälder. 
            Unter ihm war der Frieden geboten und Bach und Flur, Baum und See 
            wurden geachtet. Dann aber kamen Menschen mit langen, schwarzen Röcken 
            auf die Insel, bauten ein Haus, das sie Kloster nannten, und wollten 
            die alten Götter nicht mehr ehren. Da war’s vorbei mit 
            dem Frieden in unseren Wäldern. Gejagt hat man den Bojaren Medwed 
            Iwanowitsch, gejagt hat man die grauen Wölfe und gejagt hat man 
            uns. Krachend und berstend fielen die großen Föhren und 
            andere Menschen zogen nach und bauten ihre Häuser. Und wo sie 
            wohnten, da stapelte sich schon bald der stinkende Müll, da wurde 
            unsereins eingesperrt und abgeschlachtet, da war es eng und muffig. 
            In dieser Zeit, so sagte mein Großvater, ist der Zar Bajun von 
            seinem Baume gestiegen, um zu suchen, wie er den Frieden zurückbrächte 
            in die russischen Wälder. Ach, Gevattern, schlimm ist es geworden! 
            Keiner hat mehr etwas gehört von unserem Zaren und drunter und 
            drüber geht’s seitdem. Du aber“, sagte er und blickte 
            auf Mascha, „scheinst mir eine Verwandte zu sein. Ein feines 
            Fräulein bist du, mit rosiger Schwarte. Doch wenig wehrhaft. 
            Da ist es nicht gut, wenn man so durch die Dunkelheit leuchtet. Nun, 
            ein wenig wollen wir Euch begleiten in die Richtung die Ihr angabt. 
            Denn dort soll die Insel liegen, von der mir mein Großvater 
            erzählte. Wer weiß, vielleicht hören wir unterwegs 
            neues vom verschollenen Herrn der Wälder.“
          
            Das Schweinchen Maschenka und der Keiler 
            Grigorij Afernassjew
           Beruhigt und 
            glücklich vertrauten sich die drei Flüchtlinge ihrem neuen 
            Führer an, der sie in die Mitte seiner Rotte nahm und mit ihnen 
            dem Morgenstern entgegenwanderte.
          
            Lang liefen die drei, viele Tage und Nächte. Kälter wurden 
            die Abende, fester schmiegte sich die Rattendame Zarewna zwischen 
            den Kater und den Borstenpelz des Schweinchens. Doch erbärmlich 
            fror der Katzenmann unter seinem löchrigen Pelz. „Der einzige 
            Ort, wo mich die Kälte nicht beißt, ist mein Holzbeinchen“, 
            pflegte er zu sagen. 
            So kamen sie eines Tages in ein weites Tal. „Nur bis hierher 
            dürfen wir euch begleiten. Auf der anderen Seite beginnt das 
            Reich der Grauen Wölfe. Auch Medwed Iwanowitsch ist hier zu Hause. 
            Nicht ratsam ist es, ungebeten durch ihre Länder zu reisen. Darum 
            bitten wir Euch, kleine Schwester und Euch, liebe Zarewna, lieber 
            Kotofeij, bleibt bei uns. Wir wollen für Euch sorgen und ihr 
            sollt ein Teil unserer Familie sein.“
          
            Der Kater verneigte sich tief: „Dank sagen wir dir, Grigorij 
            Afernassjew. Dank für alles, was du für uns tatest. Aber 
            sieh, ihr seid immer unterwegs und die Knöchelchen der Dame Zarewna 
            und die meinen sind alt und müde. Mein Stumpf plagt mich oft 
            mit Schmerzen. Mein Krückchen vermag mich kaum zu tragen. So 
            suchen wir denn ein Plätzchen zum Wohnen. Eines, das uns schützt 
            und ernährt. Wir suchen die Insel Kidan, wo einst der mächtige 
            Zar der Sibirischen Wälder lebte, der Kater Bajun. Und ist sein 
            Palast, sein Baum auch verlassen. Leben wollen wir dort, oder, wenn 
            es sein muß, auch sterben.“ Noch einmal verneigte sich 
            der kleine, tapfere Invalide vor dem mächtigen Keiler. Dieser 
            aber küßte ihn links und rechts mit dem Rüssel, küßte 
            sodann ganz zart die rosa Pfötchen der Rattendame Zarewna und 
            legte seinen gewaltigen Schädel sanft an das linke Ohr Mascha 
            Michailownas. „Lebt wohl, kleine Schwester. Und die Herrinnen 
            der Wälder, der Seen und Flüsse mögen euch schützen. 
            Haltet euch fern von breiten Wegen, fern von den Häusern der 
            Menschen. Und wenn ihr unseren Zaren trefft, so grüßt ihn 
            von uns und bittet ihn, zurück möge er kommen und seine 
            Herrschaft wieder antreten!“ Dann wandte er sich um und ging. 
            Kurze Zeit später schlugen die Gerten von Weidensträuchern 
            hinter ihm zusammen und er war nicht mehr zu sehen. Allein waren sie 
            wieder. Vor ihnen lag ein unbekanntes Land, und wer darin wohnte, 
            das hätte ihnen der Keiler Grigorij Afernassjew nicht einmal 
            zu sagen brauchen. Als am Abend der volle, runde Mond aufging, der, 
            der Maschas letzter hätte sein sollen, da hörten sie den 
            schauerlichen Gesang der Kinder der Nacht. Ein Rudel Wölfe heulte 
            mit gestreckter Kehle den stillen, gelben Wanderer am Nachthimmel 
            an, den runden Mond, und dieser war der Einzige, der von den Tönen 
            unberührt blieb. Der armen Mascha hingegen gefror das Blut in 
            den Adern. Nicht viel besser ging es ihren beiden Begleitern. Doch 
            was war zu tun? Gehen mußten sie. Und so setzten sie zaghaft 
            Schritt vor Schritt.
          
            Unter einer Birke sahen sie dann den Schatten eines riesigen Findlings. 
            Hier beschlossen die drei zu rasten. Doch was war das? Der Stein schien 
            sich zu bewegen, zu atmen. Zu spät erkannten sie, daß das 
            kein Findling war, sondern der enorme Leib des Bären Medwed Iwanowitsch. 
            Dieser hatte die drei Wanderer schon bemerkt. „Gruß euch, 
            ihr drei, wer seid ihr und was führt euch durch mein Reich?“, 
            dröhnte sein tiefer Baß. „Mächtiger Bojar!“, 
            maunzte der Kater, „wir sind auf der Suche nach unserem Väterchen 
            Zaren, finden wollen wir die Insel Kidan inmitten der Sibirischen 
            Wälder. Seid so gut und helft uns!“
          
            „Hmm…hmm“ brummte der Bär. „Zarenboten 
            also seid ihr. Hmm. Lange müßt ihr unterwegs gewesen sein. 
            Wißt ihr denn nicht, daß unser Väterchen uns verlassen 
            hat? Verwaist ist die Insel, verlassen die Wälder, traurig fließen 
            die großen Ströme durch das russische Land. Allerorten 
            sind Menschen, mit denen ich schon so manchen bösen Tanz um einen 
            Topf Honig hatte. Außer einen, sie nennen ihn den Hirten Iwan, 
            geprügelt haben ihn die eigenen Leute, weil er heimlich die Geschichte 
            von unserem Väterchen, dem Zaren Bajun, sang und weil er nie 
            aufhören wollte, die Herrinnen der Wälder, Flüsse und 
            Seen zu ehren. Selbst die Mönche, die sich ihr Kloster auf der 
            heiligen Insel des Katers Bajun gebaut haben und die eine Welt voller 
            Liebe predigten, sie haben dem armen Alten oft den Buckel krumm gedroschen. 
            Wir waren beide Geprügelte. Und so hat er mich so manches Mal 
            versteckt. Hat gesagt: Komm Bärchen, komm du Brauner, sie sollen 
            dich nicht finden. Verstecken werde ich dich in einer Höhle oberhalb 
            des Flusses. Und von dort habe ich die heilige Insel gesehen. Sie 
            lag mitten im gewaltigen Strom. Wie flirrten die bunten Blätter 
            ihrer Bäume im Herbstwind, den Fluß trug sie wie ein Diadem 
            um die Stirne. Nun, weit ist es bis dorthin und der Weg ist voller 
            Gefahren. Doch wenn ihr das wollt, so werde ich euch ein Stück 
            begleiten. Lange wird es nicht gehen, denn der Winter bricht über 
            uns herein und das ist die Zeit, in der ich schlafen muß. Doch 
            mit jeder Werst ist euch gedient. Und Zarenboten muß man helfen, 
            so gut man kann. Doch nun ist es Nacht, darum laßt uns ein wenig 
            schlafen, der Morgen ist klüger als der Abend.“ So brummte 
            der Bär.
          
            Schweinchen, Rattchen und der kleine Kater schmiegten sich zwischen 
            die gewaltigen Branten des Bojaren Medwed Iwanowitsch und fielen bald 
            in einen tiefen Schlaf. Der leuchtend gestirnte Himmel deckte sie 
            zu.
          
            Wach wurden sie, als noch immer die Sterne über sie herabfunkelten. 
            Was für ein großer Schreck! Um sie herum saß schweigend 
            das Rudel der Grauen Wölfe, in ihrer Mitte ein Weißer. 
            Beinahe alle Wölfe starrten auf die drei Wanderer und leckten 
            sich die Schnauzen. „Was ist das für eine Art, Väterchen 
            Bojar“, redete einer der jüngeren Wölfe den mächtigen 
            Bären an, „soviel Futter mit sich herumzuführen und 
            den Nachbarn nichts davon zu gönnen!“ „Halt dein 
            ungewaschenes Maul, Stjopka Sergeijewitsch!“, brüllte der 
            Bär. „Von Zarenboten unseres Väterchens redest du 
            in unverschämter Weise. Das lohne dir das Donnerwetter!“ 
            Da erhoben sich knurrend viele der Wölfe. Man sah es ihnen an. 
            Lange schon hatten ihre Kiefern nichts mehr zermahlen, lange waren 
            ihre Mägen nicht mehr gefüllt worden. Der Hunger trieb ihnen 
            die Rippen durchs Fell. „Ach was, Zarenboten, hin oder her, 
            Rußland ist groß und der Zar ist weit! Wer weiß, 
            ob er noch lebt. An dem Kater und der Ratte ist nicht viel. Bloß 
            ein Happs! Aber das Schwein, das ist rosig und feist. Das könnte 
            uns wohl eine Weile durchhelfen.“ „Fürchtest du nicht 
            Gott, Serjoscha Pawlowitsch?!“, dröhnte der Bär und 
            richtete sich vollends zu seiner ganzen Größe auf. Vorsichtig 
            wich das Rudel einen Schritt zurück. So manche Rute verschwand 
            zwischen den Hinterläufen ihres Besitzers, so manches Ohr klappte 
            eng an den Schädel. Doch die Wölfe Stjopka und Serjoscha 
            blieben fest stehen und blickten dem Bojaren unverwandt in Auge. „Ich 
            fürchte den Hunger, Väterchen Bojar, und wenn ich dich so 
            ansehe, so bist auch du nicht mehr der Jüngste. Du könntest 
            uns über den Winter bringen.“ Der Bär wußte, 
            daß sie recht hatten. Gegen das ganze Rudel konnte er nichts 
            ausrichten. Wohl würden einige von ihnen dran glauben müssen, 
            aber war es nicht besser, im Kampfe schnell zu sterben, statt Hungers 
            langsam zu verrecken? Nur zu gut kannte er die vernichtende Kraft 
            der Verzweiflung. Traurig maunzte der Kater Kotofeij und flüsterte 
            zur Dame Zarewna: „Schnell, huscht unter den gefallenen Birkenstamm 
            dort vorn. Dorthin können sie Euch nicht folgen. Überlebt 
            wenigstens Ihr!“ „Und was ist mit Euch, Kotofeij?“, 
            quipste die Rattendame. „Ich werde versuchen, die Tanne dort 
            zu erklimmen. Dort bin auch ich sicher.“ „Und unser Schweinchen 
            allein lassen!? Wem wollt Ihr erzählen, daß Ihr dazu in 
            der Lage wärt? Täuschen wollt Ihr mich, auf daß ich 
            gehe. Nein, wir bleiben bei unserer Mascha, im Leben wie im Tode.“ 
            Sie war eine mutige kleine Dame!
          
            Doch da erhob sich der weiße Wolf, der sich etwas abseits gelegt 
            und geschwiegen hatte. „Auch ich bin nicht mehr der Jüngste, 
            Stjopka, Serjoscha! Aber es langt noch, euch Schurken die Hälse 
            zu brechen! Wer einem Zarenboten ein Leides tut, der ist des Todes! 
            Wißt ihr das nicht, ihr heillosen Narren? Das ist das uralte 
            Gesetz der russischen Wälder. Die Herrinnen der Wälder, 
            Flüsse und Seen würden unser Pack verfluchen und wir würden 
            den nächsten Mond nicht überleben, wo ihr Dummköpfe 
            uns über den Winter bringen wolltet.“ Leise sprach er, 
            doch in seinen Worten schwang die Kraft eines, der viele Jahre sein 
            Rudel durch alle Fährnisse geführt hatte.
          
            „Dummes Geschwätz eines zahnlosen Alten!“, schrie 
            Stjopka Sergejewitsch, „verhungern lassen will er uns um eines 
            alten Aberglaubens willen. Es wird Zeit, daß wir ihn zum Teufel 
            jagen! Oder noch besser, wir fressen auch ihn. Dann brauchen wir uns 
            bis in den nächsten Frühling überhaupt keine Sorgen 
            mehr…“ Weiter kam er nicht. Rot färbte sich die Erde 
            unter seinem Hals. Seine Mutter, die Erste des Rudels, hatte ihm mit 
            einem einzigen Biß die Kehle durchtrennt. Das andere Großmaul 
            zog sich eilends und winselnd zurück. Die Jungen, die begeistert 
            Stjopkas Reden gelauscht hatten, glotzten entsetzt. „Schlimm 
            ist, ein Kind zu verlieren, Schenja Makarowitsch“, wandte sie 
            sich an den weißen Wolf. „Doch schlimmer ist, es, das 
            Rudel ginge an der Dummheit eines Einzigen zu Grunde. Mit Eurer Erlaubnis 
            werden wir den Bojaren Medwed Iwanowitsch und die Boten unseres Zaren 
            geleiten, so weit sie es wünschen. Und der Henker hole denjenigen, 
            der es wagt, einem von ihnen zu nahe zu treten!“ Der Weiße 
            Wolf aber trat zu der weinenden Wölfin, legte ihr sachte die 
            Tatze auf die Schulter und sagte leise: „Tanjuscha, mein Herz 
            weint mit Euch um den Verlust des Sohnes. Doch glücklich bin 
            ich, Euch bei mir zu wissen. Ihr nahmt dem Einen das Leben und schenktet 
            es einem ganzen Rudel. Ihr seid fürwahr eine würdige Erste.“ 
            Zum Bären gewandt aber sprach er: „Ihr habt es gehört, 
            Medwed Iwanowitsch. Wenn es Euch und den Zarenboten genehm ist, so 
            wollen wir Euch schützend begleiten. Denn fern noch ist die Insel 
            des Zaren, weit ist die unendliche Taiga und voller Gefahren.“
          
            „Dank sei Euch, würdiger Sohn des Makar Semjonowitsch!“, 
            brummte mit tiefem Baß der mächtige Bär. „Lassen 
            wir die edlen Boten unseres Väterchen Zaren entscheiden.“
          
            Der kleine Katzenmann Kotofeij begriff als erster die wundersame Wandlung. 
            Soeben noch vom unzeitigen Tode bedroht, waren sie nun geschützt 
            von einer starken Streitmacht.
          
            „Habt vielen Dank, Fürst der Wölfe, Weißer, 
            Weiser! Wenn wir unser Väterchen finden, so soll es Euren Ruhm 
            und Edelmut und Eure aufrechte Gesinnung vernehmen und hören 
            soll er, was eine Mutter für uns getan. Sein Dank sei Euch auf 
            ewig gewiß.“
          
            Über ihnen rauschten die Flügel der Gänse, die wärmeren 
            Gefilden schnatternd zustrebten. Doch die Tiere konnten nicht fliegen. 
            Bald schon fielen die ersten Flocken hernieder. Tiefverschneit lag 
            die Taiga vor den Wanderern. Schwer fiel jeder Schritt durch den hohen 
            Schnee. Mühsam war’s, etwas zu fressen zu finden. Das Schweinchen 
            Mascha magerte zusehends ab. Dem Rattchen Zarewna und dem Kater Kotofeij 
            ging es nicht anders. Am Ufer eines der gewaltigen sibirischen Ströme 
            hatte sich der Bär Medwed Iwanowitsch verabschieden müssen. 
            In eine Höhle mußte er sich zurückziehen und seinen 
            Winterschlaf halten. Man drückte sich, man herzte sich, man versprach, 
            sich nicht zu vergessen. „Wenn ihr an den großen Strom 
            kommt, der die heilige Insel Kidan umfließt, dann grüßt 
            mir den Hirten Iwan!“, trug er den Gefährten auf und trottete 
            von dannen.
          
            Von nun an mußten sie alleine weitergehen. Ein Teil des Wolfspacks 
            war unterwegs verschwunden. Es waren diejenigen, die so dachten, wie 
            der tote Stjopka und sich nicht halten wollten an die uralten Gesetze 
            des Waldes. Diese jungen und kräftigen Wölfe fehlten dem 
            Rudel sehr. Doch man kämpfte sich voran. Schritt um Schritt nach 
            Osten. Ein Gutes hatte der Winter. Leichter kam man über Sümpfe, 
            die Bäche und die großen Flüsse. Keine Furt brauchte 
            man mehr zu suchen. Manchmal begegneten ihnen Rentierherden, manchmal 
            ein einsam umherstreifender Dachs. Doch sonst war es still in der 
            eisigen Welt um sie her.
          
            Abends aber, wenn die Dämmerung hereinbrach, dann hörten 
            sie das Geheul der Abtrünnigen und wußten, daß sie 
            nicht alleine waren. Der einzige Schutz, auf den das Schweinchen Mascha, 
            die kleine Ratte Zarewna und der Kater Kotofeij hoffen durften, bestand 
            in ein paar alten, aber sehr erfahrenen und tapferen Wölfen. 
            Und weiter und weiter zogen sie. Hunderte Werst mochten sie schon 
            zwischen sich und den versoffenen Mitrofan gebracht haben, den seine 
            Alte wahrscheinlich fürchterlich verdroschen hatte. Ob die beiden 
            noch am Leben waren? Aber wen kümmerte das?
          
            Und so setzten sie Schritt um Schritt ihrem unbekannten Ziele entgegen. 
            Der Winter zog sich zurück und der Schnee begann zu schmelzen. 
            Der Frühling kam mit seinen Wiesen voller Schneeglöckchen, 
            Krokussen und Tulpen und er verging, desgleichen der Sommer, der die 
            Wiesen auf den Lichtungen mit Blumen übersäte und die Vögel 
            in den Bäumen singen ließ. Doch auch seine Zeit ging vorüber. 
            Wieder begann der Herbst, die Blätter zu bemalen. Ein ganzes 
            Jahr waren sie nun schon unterwegs. Ihr Ziel aber lag noch in weiter 
            Ferne. Einen weiteren Winter überstanden sie. Dann - endlich 
            - wurden die Tage wieder länger und wärmer wurden sie auch.
          
            An einem riesigen See kamen sie vorbei – kristallklar und unendlich 
            tief. Jäger hatten versucht, ihre Fährte aufzunehmen, aber 
            die konnten sie abschütteln. Bis auf zwei. Die waren sehr hartnäckig. 
            Boris Jefimowitsch und Pjotr Samuilowitsch, der Glatzköpfige, 
            waren ausdauernder. An den Spuren konnten sie erkennen, daß 
            ein Schwein mit von der Partie war und einige Wölfe. Das konnten 
            sie sich zwar nicht erklären, aber was scherte sie das! Sie witterten 
            das Fleisch und die Pelze. Es waren gottlose Menschen, die keine Liebe 
            kannten und keinen Respekt, nicht vor den Bäumen, nicht vor den 
            Flüssen, nicht vor den Tieren des Waldes. Alles, woran sie denken 
            konnten, waren Gold und Rubel. Mitleid war ihnen fremd.
          
            Daß sie verfolgt wurden, merkten die Tiere. Doch was tun? Bewaffnet 
            waren die Jäger. Schwer war es, an sie heranzukommen. Und mehr 
            und mehr holten die ausgeruhten Männer gegen die erschöpften 
            Tiere auf.
          
            Schließlich kam man in einen Sumpf, in dem ein kleiner, von 
            Buchen gesäumter Fluß in einen der sibirischen Ströme 
            mündete. Das Weiterkommen schien unmöglich. Die Jäger 
            frohlockten: „Nun sieh nur, Glatzkopf“, wisperte Boris 
            Jefimowitsch, „wir haben sie. Hier kommen sie nicht mehr heraus!“
          
            Angstvoll schnüffelten das Schweinchen, die Ratte, der Kater 
            und die Wölfe nach einem Ausweg. Es schien keinen zu geben. Bei 
            ihrer Suche stießen sie auf einen umgestürzten Baumstamm, 
            auf dem ein alter Mann saß, der sich leise mit einer wunderschönen 
            jungen Frau unterhielt. Ärmlich war der Alte gekleidet, während 
            das Mädchen ein weißes, dünnes und langes Kleid trug. 
            Die Frühlingskälte schien ihr nichts auszumachen. In den 
            langen blonden Haaren trug sie einen Kranz aus Gänseblümchen. 
            Die Tiere verhielten sich vorsichtig. Doch irgendwie schien von den 
            beiden keine Bedrohung auszugehen. Vielleicht konnten sie sogar helfen. 
            Der Weiße Wolf versprach das zu erkunden und hieß sein 
            Rudel und die drei Flüchtigen in einer geschützten Mulde 
            warten.
          
            Nach kurzer Zeit kehrte er wieder. Freude stand in sein Gesicht geschrieben, 
            spitz waren die Ohren und hoch trug er die Rute. „Ich kenne 
            die beiden“, sagte er nur kurz, „sie werden uns helfen, 
            so gut sie können. Also kommt. Die beiden Strolche sind dichtauf. 
            Lange kann es nicht mehr dauern bis sie hier sind.“ Zaghaft 
            folgten ihm die Tiere. Als sie aber auf die kleine Lichtung traten, 
            bot sich ihnen ein schrecklicher Anblick: Die beiden Gauner standen 
            vor dem Alten und dem Mädchen und lachten höhnisch, als 
            die Tiere zaghaft aus dem Dickicht heraustraten. „Sieh da, da 
            haben wir den Alten und seine kleine Hexe, einen Schweinebraten für 
            heute Abend und jede Menge Wolfspelze für den Kürschner. 
            Und als ob das noch nicht genug war, rennt uns noch ein weißer 
            Wolf ins Netz. Was der uns auf dem Markt bringen wird, das wage ich 
            mir nicht auszudenken! Aber laß uns erst das Schwein schlachten. 
            Beim Braten können wir darüber schwatzen.“ Angstvoll 
            quiekte das Schweinefräulein Mascha Michailowna, die Wölfe 
            scharten sich um sie, um sie mit ihrem Leben zu schützen.
          
            Da aber erhob sich mühsam der Alte. „Gottlos bist du, Boris 
            Jefimowitsch und deine Schritte führen dich zum Tode. Kehr um 
            und bedenke, mit wem du redest. Das ist nicht Dein Wald. Nur ein Gast 
            bist Du hier und wie ein Gast solltet ihr euch benehmen!“ „Willst 
            Du wohl dein Maul halten, alter Narr. Wart, ich werd’ dir…!“, 
            brüllte der glatzköpfige Pjotr. Doch bevor er den Alten 
            packen konnte, stand zwischen ihnen die junge Maid und blickte den 
            Jäger ernst und traurig an: „Pjotr, Pjotr, was bist du 
            für ein schwacher Mensch, daß du einen alten Mann und ein 
            paar wehrlose Tiere bedrohst! Laß sie ziehen, Pjotr und ich 
            verspreche dir, daß ich dich heil nach Hause gelangen lasse. 
            Du aber, Iwan“, und sie wandte sich zum Alten um, „nimm 
            die Zarenboten mit dir in deinen Kahn und rudere sie ans Ufer der 
            Insel. Dort werde ich euch erwarten!“
          
            Von soviel Dreistigkeit verblüfft, hielt der Jäger einen 
            Augenblick inne: „Na sieh mal einer an, die kleine Hexe! Wie 
            frech sie ist. Nennt mich einen Schwächling. Will mich gar heil 
            nach Hause gelangen lassen. Wie lieb von ihr. Nun, Schätzchen, 
            du scheinst mir ja was ganz Besonderes zu sein. Ich werde heil nach 
            Hause kommen, verlaß dich drauf! Und ich sage dir was: dich 
            nehme ich mit. Mit dir habe ich noch ganz etwas Feines vor. Wundern 
            wirst du dich noch, du kleines Luder!“
          
            Boris Jefimowitsch grinste dazu über sein ganzes Gesicht. Doch 
            einen Moment später erstarrte das Grinsen zu einer verzerrten 
            Fratze. Urplötzlich hatte sich der Himmel über der kleinen 
            Sumpflichtung verdunkelt. Böse Wolken jagten über sie dahin 
            und der Strom warf wütende, schaumgekrönte Wellen ans Ufer. 
            Unheimlich knärzten die Föhren im Sturm. Ängstlich 
            duckten sich die Tiere und suchten beieinander Schutz. Doch fest stand 
            der alte Hirte Iwan. Ihn schien das Unwetter nicht zu schrecken. Entgeistert 
            blickten die beiden Bösewichte sich um: Hinter ihnen standen 
            mit einem Mal noch zwei andere Frauen und den Halunken wurde klar, 
            daß diese wenig gemein hatten mit den Mädchen des Dorfes. 
            Ihnen begann zu dämmern, wen sie verhöhnt hatten. Sie waren 
            in der Gewalt der Herrinnen des Flusses, der Seen und des Waldes.
          
            Das junge Mädchen aber redete nun, von ihrer Gestalt schienen 
            Flammen zu züngeln und furchtbar klang ihre Stimme: „Wundern 
            sollst du dich, Pjotr Samuilowitsch Scharinow! Denn du hast dich an 
            deinen Gastgebern vergangen. Du bist ein schlechter Mensch, darum 
            pack dich aus Unseren Augen. Fort mit dir und nimm den Lumpen an deiner 
            Seite mit und lauft, lauft wie die Häschen, denen ihr nachstellt. 
            Lauft so schnell euch eure Beine tragen wollen, ehe Wir es Uns anders 
            überlegen und euch das Schicksal zumessen, das ihr diesen armen 
            Tieren zugedacht habt!“ Der Glatzkopf sank auf die Knie, sein 
            Kamerad lag schon mit dem Gesicht im Schlamm des Sumpfes. „Fort, 
            habe ich gesagt. Euer Gewinsel beleidigt unsere Ohren. Verschwindet! 
            Es bleibt euch wenig Zeit!“ 
            Da stürzten die beiden Haderlumpen auf und davon. Immer wieder 
            peitschten ihnen Weidenzweige ins Gesicht. Sie verloren Weg und Richtung. 
            Neben ihnen brüllte wütend der kleine Bach und jagte sie 
            zurück in den Sumpf. Plötzlich gab der Boden unter ihnen 
            nach und sie begannen in dem schwarzen Moor zu versinken. Nie wurden 
            sie mehr gesehen.
          
            Der Hirte Iwan aber setzte den Kater Kotofeij, die Rattenprinzessin 
            Zarewna und das Schweinchen an das Ufer der Insel über, wie ihm 
            geheißen war. Zuvor aber hatten sich alle herzlichst vom Rudel 
            der Wölfe verabschiedet und versprochen, daß sie immer 
            für sie da sein wollten, wenn sie denn je ihrer Hilfe bedürften.
          
            Der Strom hatte sich wieder beruhigt, die Überfahrt war sanft. 
            Am anderen Ufer standen schon die drei Feen.
          
            Die Älteste von ihnen aber wandte sich an das Katzenkrüppelchen 
            Kotofeij: „Ich grüße Euch, Väterchen Kidanitsch, 
            willkommen seid Ihr daheim, mächtiger Fürst der sibirischen 
            Wälder!“ „Kidanitsch?“ Gott, wie lange war 
            das her, daß ihn jemand so gerufen hatte. Mühsam holte 
            er sich die Bilder hinter seinen Katzenohren hervor. Ja, die Gegend 
            hier kam ihm vertraut vor, nun, da wieder Ruhe eingekehrt war. Eine 
            bezaubernd schöne Fee stand vor ihm, angetan mit den roten und 
            goldenen Blättern ihres Herbstwaldes. Die zweite stand neben 
            ihr und auch noch die Dritte. Von ihrer Schönheit geblendet, 
            blinzelte der Kater. Mascha versuchte ängstlich, sich in einen 
            Laubhaufen einzuwühlen. Nur die Ratte Zarewna sah aufmerksam 
            und ruhig aus ihren tiefblauen Augen. Still standen ihre Schnurrhaare, 
            die Öhrchen nach vorne gerichtet. Der Kater verneigte sich tief: 
            „Herrinnen des Waldes, des Flusses und des Sees. Große 
            Ehre erweist ihr einem armen Unwürdigen und den Damen, die seinem 
            Schutze anbefohlen. Habt Dank für alles, was ihr für uns 
            tatet! Und gewährt uns ein Weilchen, uns zu verschnaufen! Denn 
            müde sind wir und weit war der Weg. Voller Gefahren und dunkler 
            Nächte. Sobald wir uns erholt haben, werden wir Euer Reich wieder 
            verlassen und Euch nicht weiter zur Last fallen.“
          
            „Mächtiger Fürst“, erwiderte darauf hin die 
            Fee, „dieses Reich, von dem Ihr sprecht: Es ist doch das Eure! 
            Verlassen habt Ihr es vor langer Zeit. Herabgestiegen seid Ihr von 
            Eurem Baume, als die Glocken des neuen Klosters Euren Ohren schmerzten. 
            Die Mönche wollten uns nicht mehr achten und beteten zu einem, 
            den wir nicht kannten und dessen Kinder uns nicht mehr kennen wollten. 
            Wehe tat das uns und Ihr wolltet gehen und schauen, ob unsere Welt 
            nun wirklich untergegangen sei. Nun aber seid Ihr zurück und 
            die Glocken des Klosters schweigen schon lange. Eingefallen sind die 
            Mauern – die Mönche fortgezogen. Mit ihnen die Menschen, 
            bis auf den alten Hirten, der am Knie des Flusses eine Hütte 
            gebaut hat. Er achtet uns und weiß noch um Euch und Eure einstige 
            Herrschaft. Nun bitten wir Euch: Bleibt bei uns und seid wieder der 
            mächtige Herr Sibiriens!“ Da füllten sich des Katers 
            Augen mit Tränen. Nun wußte er, wo er war. Es war die Insel 
            Kidan, umströmt von mächtigen Wassern. In ihrer Mitte stand 
            sein Baum, von dem aus er einst die gewaltigen Weiten beherrschte. 
            „Ach, Ihr, Bojarinnen, gütig seid Ihr und freundlich zu 
            uns. Doch seht mich an! Wollt Ihr einen Zaren mit zerrissenem Pelz, 
            einäugig und mit einem Holzbein? Was kann Euch ein solcher Zar 
            helfen? Nicht verlassen hätte ich Euch dürfen. Hätte 
            bei Euch bleiben sollen.“ „Väterchen, Väterchen, 
            was Ihr nur redet?“ rief da die Herrin des Flusses. „So 
            seht Euch doch an! Wer wäre prachtvoller anzuschauen als Ihr.“ 
            
          Ungläubig 
            blickte der Kater die Fee an. Nein, sie sah nicht so aus, als wollte 
            sie seiner höhnen. Da hielt sie ihm einen Spiegel aus Wasser 
            entgegen, stillem, klarem Wasser. Und heraus sah der Kater Bajun! 
            Mächtig anzuschauen, schwarz und edel. Wie von bläulichem 
            Stahl blitzten die furchtbaren Krallen, aufgerichtet die Ohren, um 
            die Füße gerollt den stattlichen Schwanz. „Nun, Väterchen, 
            die heimatliche Erde scheint Euch Eure alte Kraft zurückgegeben 
            zu haben. Nun bitten wir Euch, seid uns ein gütiger und gerechter 
            Zar!“ Da verneigte sich der Kater tief und sagte: „So 
            Ihr mir helft, Bojarinnen, wollen wir unser Reich wieder errichten 
            und Friede soll herrschen in ihm. Der weiße Wolf möge sich 
            an meinen Hof begeben. Sein Rat und seine Weisheit sind mit teuer. 
            Du aber, Königstochter, Schönste, sollst Zarin sein in meinem 
            Reich!“ Galant bat er die Rattendame Zarewna um die rosigen 
            Pfötchen. Da beugte sie sich vor und küßte den Kater. 
            „Du aber, Herzenstochter“ – lächelte er und 
            wischte sanft die Blätter von der Schwarte des Schweinchens, 
            Du Töchterlein bleibe bei mir auf meiner Insel, denn hier bist 
            Du sicher. Geh hinunter zum Fluß, zum Hirten Iwan und leiste 
            ihm Gesellschaft. Freude wird er haben an Dir und seine Einsamkeit 
            sei zu Ende. Grüße Ihn vom Kater Bajun und sage ihm, der 
            Herr der Sibirischen Wälder habe seinen Thron wieder bestiegen. 
            Unter meinem Schutz soll er leben, solange ihm das Leben beschieden 
            ist. Oft besuchen soll er mich und ich werde zu ihm herabsteigen und 
            ihm ein Märchen erzählen und ihn trösten, wenn ihn 
            wieder ein Zahn verlassen hat.
          
            Er soll sich nicht mehr grämen und wenn er stirbt, wird die russische 
            Erde ihn aufnehmen. Liegen wird er unter meinem Baum und ich werde 
            ihm ein Lied singen, sooft der Mond durch die Äste hindurch seinen 
            Grabhügel bescheint.“
          
            Dann aber wandte er sich um und schritt auf seinen Baum zu, jene gewaltige 
            Esche, deren Krone die Wolken zerteilt und schärfte an ihrem 
            Stamm die furchtbaren Krallen.
          
            Die Feen aber, die Bojarinnen, huldigten der neuen Herrin und strichen 
            ihr sanft durch das duftende Fellchen. Vorbei waren in diesem Augenblick 
            all ihre Schmerzen. Jung war sie wieder und behende wie einst. Dann 
            küßten sie das Schweinchen Mascha Michailowna auf den Rüssel 
            und streichelten seine Schwarte. Nur wenige Schritte waren es bis 
            zur Hütte des Hirten. Tief verneigte sich der Alte, als er die 
            drei Feen kommen sah.
          
            „Herrinnen, wie schön, daß ihr mich verlassenen Greis 
            noch einmal besucht. Tretet ein und seid meine Gäste!“ 
            „Nicht verbeugen sollst du dich vor uns, Alterchen, dein Rücken 
            nimmt dir das übel. Mitgebracht haben wir dir das Schweinchen 
            Mascha Michailowna, die Tochter unseres großen Zaren. Zurück 
            ist der Herr der Sibirischen Wälder und grüßen läßt 
            er dich. Sein Töchterchen Mascha aber gibt er dir zur Gesellschaft, 
            auf daß du seiner freundlich gedenkest. Er sendet uns und läßt 
            sagen, er wolle dich morgen besuchen.“ Da fiel der Alte auf 
            die Knie und weinte vor Freude. „Daß ich das noch erleben 
            darf! Der mächtige Zar ist zurück. Nun kommt der Friede 
            wieder in den Wald und die Ströme und über den Großen 
            See.“ Er streichelte das Schweinchen und wies ihm einen warmen 
            Platz neben dem Ofen. Eine Schale Milch stellte er ihm hin und eine 
            Zuckerrübe. Und während es trank, kraulte er Maschas Ohren. 
            Fort waren die, die das Land zerstört hatten, der rechtmäßige 
            Herrscher zurückgekehrt. Die Feen geboten wieder über Flüsse 
            und Wälder – häufig kamen der Kater Bajun und die 
            Zarewna Zarewna zu Gast, die Feen verließen Iwan nie, ließen 
            Beeren und Pilze für ihn wachsen und das Gemüse im Garten 
            gedeihen und die Früchte an den Bäumen reifen. Glücklich 
            war der Hirte Iwan, glücklich war sein Schweinchen Mascha. Und 
            lange mußte die russische Erde auf den Hirten Iwan warten. Als 
            es dann soweit war, stieg der Kater Bajun herab von seiner Esche und 
            sang leise die schönsten Lieder für seinen toten Freund. 
            Der Wind trug sie hinunter zum Fluß und dort vermischte sich 
            sein Gesang mit dem Plätschern der Wellen. Mascha und die Rattendame 
            Zarewna aber lauschten, während sie sanft von den Herrinnen des 
            Waldes in den Schlaf gekrault wurden.
            
          
           
 
            
            Zeichnung von K.W. Kusnezow