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Ein sibirisches Märchen
Im Andenken an sein Töchterchen Mascha Michailowna erzählt von Kotofeij Kryisowitsch Bajun
Erzählt für die kleine Christina aus Mittenwalde

Сибирский сказ

In den unendlichen Weiten Rußlands, inmitten der gewaltigen Taiga, der riesigen Ströme, ist eine Insel, die heißt Kidan.
Auf ihr steht eine Esche, die Krone zerteilt die Wolken.
In der Esche aber wohnt der Kater Bajun.
Steigt er empor, so singt er ein Lied,
steigt er herab, so erzählt er ein Märchen.
Und die es hören, fallen in einen tiefen Schlaf…

Es war einmal ein kleiner Weiler jenseits des Uralgebirges, dort wo die Taiga beginnt. Auf einem Hof des Kleinbauern Mitrofan Trifonowitsch lebte im Stall das Ferkelfräulein Mascha Michailowna. Ihr Verschlag war eng und dumpf und nur durch die Ritzen der Holzwand kam etwas frische Luft und Sonnenschein. Mitunter kam eine kleine Rättin beim Schweinchen vorbei und unterhielt sich mit ihm. Leise fiepste sie ihm Geschichten ins Ohr, die sie auf ihren weiten Wegen erlebt hatte. Kam sie doch von ferne, ferne, hinter den Bergen aus dem Königreich Norwegen, wo sie als Tochter eines mächtigen Rattenkönigs am Königshof aufgewachsen war. Eines Tages hatte sie ein Schiff bestiegen und war ausgewandert – denn sie gehörte ja schließlich zum Geschlecht der Wanderratten. Das Schicksal hatte sie zum Hofe Mitrofans geführt. Hier wollte sie nun verschnaufen, denn sie war nicht mehr die Jüngste und ihre Taperfüßchen wollten sie nicht mehr recht tragen. In dem Schweinchen Mascha fand sie eine liebe Gefährtin, die ihr mit ihren großen Schweineöhrchen aufmerksam zuhörte und dabei aus gütigen Äuglein blinzelte. Bei Mascha wartete auch immer ein gedeckter Tisch für die Rattendame Zarewna, denn das Schweinemädchen schob mit seinem rosa Rüsselchen die leckersten Stücke hinüber zur einzigen Freundin, die es besaß. Und freute sich von ganzem Herzen, wenn sie sah, wie es der betagten Zarewna schmeckte.


Einer lebte noch mit ihnen auf dem Hofe. Das war der Kater Kotofeij. Übel hatte ihm das Leben mitgespielt. Ein Holzbeinchen hatte er, hinkte an einem Krückchen aus Weidenrute, das früher mal ein Katapult gewesen war, mit dem der Muschkote Mitrofan die Stare aus dem Kirschbaum trieb. Ein Auge war ihm nur geblieben aus seinem kampfreichen Leben. Zerflaust waren die Ohren, struppig das Fell. Anfangs hatte die Rattendame Zarewna den Kater Kotofeij gefürchtet. Doch eines schönen Sommermorgens, als sie am Holzstoß vorbei zwischen dem Gänsegatter und dem Taubenschlag hindurch zu Mascha huschen wollte, lag der Kater faul vor ihr in der Sonne. Er schien zu schlafen. Leise, unmerklich wollte sich die Rattenprinzessin vorüberschummeln. Da sprach der Kater, ohne die Augen zu öffnen: “Zarentochter Schönste, du Flinkfüßige mit dem grauen Fellchen, gehst hinüber zu unserer Maschenka, was?“ Der Rattendame blieb das heftig pochende Herzchen beinahe stehen vor Schreck. Wie erstarrt blinzelte sie hinüber zum Kater Kotofeij. Dieser aber maunzte leise, wieder mit geschlossenen Augen: “Zarentochter Schönste, fürchtest Du Dich? Warum? Was ist zu fürchten von einem halbblinden und halblahmen Kater? Sieh meinen löchrigen Pelz, mein Holzbeinchen. Meine Zähnchen sehen nicht viel besser aus. Bin zufrieden, wenn man mich in Ruhe läßt, die Bäuerin nicht mit dem Besen nach mir schlägt, der Bauer nicht das Holzscheit nach mir wirft.“ „Aber Eure Krallen sind noch scharf, Väterchen Kotofeij“, fiepste das norwegische Fräulein mit starkem Akzent. „Und käme ich ihnen zu nah, schnell wär’s um mich geschehen.“ „Nein, Gevatterin, Ihr irrt. Ich täte Euch nichts zuleide. Bin selbst ein armer Teufel.“ Der Kater setzte sich mühsam auf und begann sein linkes Vorderpfötchen zu lecken.

Dann strich er es über sein zerflaustes Ohr und sprach leise: „Gevatterin Zarewna, Weitgereiste, Schönste Ihr, seht doch: Von weit her seid Ihr zu uns gekommen und der russischen Erde ist das Gastrecht heilig. Zudem aber seid Ihr die Freundin unseres Schweinchens. Und nun merkt gut auf. Als ich der Bäuerin etwas Rahm stahl, letzte Nacht, da hörte ich sie vom Ofen herunter reden. Sie stieß den Alten in die Rippen und sagte: Alterchen, nun sind es noch vier Monde, dann muß unser Schweinchen recht rund und feist sein, denn schlachten wollen wir es dann. Also treib die Sau morgen in den Eichenwald und mäste sie noch kräftig – sonst haben wir im Winter nichts zu beißen. So sprach die Alte. Und nun sieh: Bald wird der Alte kommen und das Gatter öffnen, das Schweinchen herausführen an einem Seil und es zu den Eichen jenseits des Baches bringen. Wir aber wollen ihm folgen. Ich werde ihn ablenken und Ihr müsst das Seil durchnagen. Dann werden wir fliehen. Wohin weiß Gott allein. Groß sind die sibirischen Wälder. Doch gefährlich sind sie auch. Weit wird uns Mitrofan nicht folgen. Er ist ein Säufer und ein Hasenfuß noch dazu. Kommt er ohne die Mascha zurück, dann setzt es Hiebe für ihn. Diesmal wird der Besen auf seinem krummen Rücken tanzen.“ Leise kicherte der Kater. Dann wurde er ernst. „Also, Prinzessin aus dem fernen Lande Norwegen, seid so gut und geht zu unserer Mascha und erzählt, was Ihr wißt.“


Da merkte die Rattendame, daß der Kater ein gutes Herz hatte und faßte Vertrauen. Doch was ihrer geliebten Freundin beschieden war, erfüllte sie mit Entsetzen. Das sollte, das durfte nicht geschehen. Mit zitternder Stimme wandte sie sich an den sich noch immer putzenden Kater: „Und Ihr sagtet, Ihr würdet uns helfen, lieber Gevatter?“ „So gut ich kann, dessen seid gewiß, edle Dame. Doch nun eilt Euch. Und bedenkt: Vielleicht gewährt das Verderben uns nur einen Aufschub. Würden wir uns nicht einmischen, so könnten wir’s wohl überstehen, das Schweinchen aber wäre des Todes. Wer wollte mit dieser Seelenlast weiterleben! Wenn Ihr genauso denkt, dann tut, wie ich Euch geheißen. Mein Rat und was von meiner einstigen Kraft noch übrig ist, sei euch zu Diensten. Und nun, Gott befohlen!“ Darauf hinkte er von dannen. Das Rattchen aber rief ihm hinterher: „Wohin aber werden wir fliehen, Gevatter?“ Einen Augenblick verharrte der Kater, dann wies er mit seinem Krückchen nach Osten und trottete davon.


Betrübt ging die Rattendame Zarewna weiter. Ganz dünn mußte sie sich machen um unter der Stalltüre hindurch zu kriechen. Das Schweinchen hörte die leisen Schritte und freudig rappelte es sich auf. Das rosa Rüsselchen schob sich zwischen die Gitterstäbe des Kobens und schnüffelte aufgeregt der Freundin entgegen. Diese aber sagte: „Mascha, Maschenka, schlimme Neuigkeiten muß ich bringen. Morden wollen sie dich, wenn der Mond das vierte Mal voll geworden ist.“ Plumps, da lag das Schweinchen! Große Tränen rannen ihm aus den Äuglein: „Aber was, liebste Zarewna, was habe ich ihnen denn getan?“ „Essen wollen sie dich – einen Winter lang.“ Bitterlich weinte das Schwein. „War das nun mein Leben? Ein enger, dunkler Koben. Und wenn ich draußen im Wald war, wo die Vögel so schön sangen, dann zerrte ein Strick an mir und schubberte mir die Schwarte wund! Gibt es kein Mitleid mehr?“ So klagte jammernd das Schweinemädchen.


„Still jetzt!“, quiekste die Ratte, „ich habe Mitleid mit Dir und der Kater Kotofeij hat es auch. Helfen wollen wir dir. Heute wird dich der Bauer Mitrofan Trifonowitsch in den Eichenwald führen, um dich zu mästen. Dorthin werden wir dir folgen. Der Kater Kotofeij wird den Bauern ablenken, ich aber werde den Strick durchnagen. Dann werden wir fliehen – tief in die sibirischen Wälder. Der Gevatter versprach uns zu führen.“ Verunsichert grunzte das Schweinchen. „Mut“, rief das Rattchen, „Mut, Maschenka, das werden wir schaffen. Was passiert, passiert. Aber es ist besser, unser Glück zu versuchen, als hier auf den Tod zu warten. Es ist nun einmal so. Machen wir das Beste daraus!“


Da quietschte auch schon die Türe des Kobens und herein trat der Bauer Mitrofan. Betrunken war er, bald stank es nach Wodka in dem kleinen Verschlag. „Maschenka, Maschenka, komm nur, komm! In den Wald gehen wir heute. Die Alte hat’s befohlen. Mästen sollst Du Dich. Rund werden sollst du und fett und feist. Was ist nur heute mit dir?“


Statt freudig zu grunzen wie sonst, wenn sie auf den Hof durfte oder in den Wald hatte sich die arme Mascha in den letzten Winkel ihres Verschlages zurückgezogen. Vor Angst zitternd stand sie da, als gälte es heut schon das Leben. „Lauf zu, Maschenka!“, wisperte die kleine Ratte und – obgleich sie vor dem Bauern fliehen wollte, blieb sie bei der vor Furcht halbtoten Mascha. Der Bauer sah sie und griff nach einer Forke: „Verfluchtes Rattenvieh, der Kater, der Nichtsnutz hätte dich längst töten sollen. Säuft unsere Milch und läßt dich am Leben. Der Teufel lohn es ihm, dem alten Tunichtgut.“ Es war lächerlich: Wann hätte der Kater je Milch zu schlecken bekommen? Stehlen mußte er sie sich! Mitrofan schlug mit der Forke zu. Doch zu betrunken war er, um die alte Dame zu treffen. Zarewna flüchtete auf eine Holzleiter, wo der entmenschte Strolch sie herunterzuschütteln versuchte. Doch da war sie schon auf der Tenne und versteckte sich unter dem Stroh. Wütend brüllte der Bauer, daß er das Katzenvieh gehörig durchprügeln wolle und versetzte zunächst der armen Mascha einen Tritt in die Seite. Entsetzt schrie das Schweinchen auf. Jetzt war klar, die Flucht mußte gewagt werden. Sie ließ sich den Strick um den Hals legen, um den betrunkenen Halunken nicht noch weiter zu reizen und folgte mit traurig gesenktem Kopf.


Bedrohlich schienen ihr die mächtigen Bäume heute zu rauschen und nur lustlos fraß sie hier und da ein paar Eicheln. Wenn der Bauer das sah, schlug er mit einer Haselnußgerte nach dem armen Tier und brüllte sie an: “Friß du, Ungetüm, oder meinst du, wir wollen um deinethalben verrecken im Winter?“


Dann griff er wieder nach der Flasche, die er unter seinem Kittel versteckt hatte, sah sich vorsichtig um, ob sein Weib ihn nicht sähe und nahm einen langen Zug. Der Kater Kotofeij brauchte ihn nicht abzulenken – zu betrunken war Mitrofan und schnarchte unter einer großen Eiche, als sich ein kleiner verkrüppelter Katzenmann und eine norwegische Rattendame daran machten, den festen Hanfstrick zu zernagen und zerreißen.

 


Das Ferkel Mashenka, der Kater Kotofeij und die Rättin Zarewna
in der gewaltigen Taiga.
(Zeichnung K. K. Bajun, April 2007)



Bald war es geschafft. „Nicht lange geschwätzt“, rief der Kater, „folgt mir nach, so schnell es geht!“ Er aber war es, der Mühe hatte, den beiden anderen zu folgen. Mühsam war’s mit dem Holzbeinchen und der alten Krücke. Da nahm ihn Mascha Michailowna auf ihren Rücken, setzte die Rattendame hinzu und los ging’s im hurtigen Schweinsgalopp. Schon bald war sie ganz außer Atem. Doch das Gebrüll Mitrofans, der aus seinem Rausche erwacht war und den zerrissenen Strick vor sich liegen sah, das hörten sie nicht mehr. Zu weit waren sie bereits entfernt. Zu tief wanderten sie schon durch die endlose Taiga.


Die Nacht senkte sich über die Wipfel der Tannen. Hell funkelten die Sterne, doch nur mäßig beleuchtete die schmale Sichel des Mondes die Erde. Unheimlich rief das Käuzchen und ein Schuhuh flatterte über den Dreien dahin. Das Schweinemädchen Mascha hatte furchtbare Angst. Nie zuvor war sie in einem dunklen Walde gewesen. Fast sehnte sie sich in ihren vertrauten Koben zurück. Doch das Rattchen flüsterte ihr ins Ohr: „Hab keine Angst, Maschenka! Dunkel ist’s, doch der Wald ist derselbe wie an einem lichten Sonnentag. Freundlich ist er, und gibt uns Schutz. Und wenn wir nichts sehen, so sehen uns andere doch genausowenig!“ „Ach, ach“, flüsterte da die arme Maschenka, „Ihr habt gut reden, kleine Freundin! Ihr seid mit einem Husch in einem Mauseloch. Der Gevatter Kotofeij – auf einen Baum kann er sich flüchten. Aber ich – was soll denn ich tun?“


Da sprach der Kater: „Schweinefräulein, Liebliche, so sieh doch auch das Gute an Deiner Größe! Dich wird der Schuhuh nicht bedrohen und nicht der rote Fuchs. Die Ringelnatter im Grase wird vor dir flüchten. Und selbst der Bruder Luchs wird lieber einen Bogen um dich machen. So genießen wir auch deinen Schutz!“


Da plötzlich schien der Wald zu sprechen. Eine tiefe, warme Stimme trug sich aus dem Dunkel an die entsetzten Ohren der drei Wanderer: „Recht habt Ihr, Gevatter Krallerich! Es sind derer nicht viele, die sich einem Schwein in den Weg zu stellen wagen! Doch wer seid ihr, woher kommt ihr und wohin seid Ihr so spät noch unterwegs?“ Die drei verharrten regungslos. Selbst Kotofeij konnte sich noch so anstrengen, sein eines Äugelchen vermochte nichts zu erkennen. Da aber schob sich ein riesiger Schatten zwischen den Stämmen der Föhren hervor. Im fahlen Licht blitzten zwei gewaltige Säbel. Da glaubten die drei nicht anders, als sei es um sie geschehen. Mascha stand mit dem Schwänzchen an einen Baum, den Kopf gesenkt und machte: „gruff….gruff!“ Sie hoffte, daß das dem Schatten Angst machen würde und bebte doch selbst. Mutig aber trat die Rattendame Zarewna vor und sprach mit leiser Stimme: “Wir sind drei arme Flüchtlinge, denen nach dem Leben getrachtet wurde. Wir suchen das Land im Aufgang der Sonne, zwischen den großen Strömen und dem unendlichen Meer, wo man uns eine Hütte bauen läßt und nicht darauf sinnt, uns umzubringen. Seid Ihr ein Räuber, großer Herr, so bitten wir, laßt uns unserer Wege ziehen. Denn wir besitzen nichts als das Fell auf unserer Haut.“


„Nein, ein Räuber bin ich nicht“, sprach da der mächtige Schatten, „man nennt mich den Keiler Grigorij Afernassjew. In den Wäldern lebe ich und der Bär Medwed Iwanowitsch und die grauen Wölfe achten mich. Sie meiden es, meinen Pfad zu kreuzen und meine Suhle zu stören. Das Land, von dem Ihr spracht, kleine Dame, ich habe als Frischling meinen Großvater davon sprechen hören. Er sagte, es gäbe fern von hier, inmitten eines gewaltigen Flusses eine Insel darauf ein Eschenbaum steht. In diesem lebte der Fürst dieser Wälder – der Kater Bajun. Stieg er im Geäst seines Baumes hinauf, so sang er ein Lied, kam er herunter, so erzählte er ein Märchen. Und wer es hörte, der verfiel dem Schlafe. Mächtig war der Herr der Sibirischen Wälder. Unter ihm war der Frieden geboten und Bach und Flur, Baum und See wurden geachtet. Dann aber kamen Menschen mit langen, schwarzen Röcken auf die Insel, bauten ein Haus, das sie Kloster nannten, und wollten die alten Götter nicht mehr ehren. Da war’s vorbei mit dem Frieden in unseren Wäldern. Gejagt hat man den Bojaren Medwed Iwanowitsch, gejagt hat man die grauen Wölfe und gejagt hat man uns. Krachend und berstend fielen die großen Föhren und andere Menschen zogen nach und bauten ihre Häuser. Und wo sie wohnten, da stapelte sich schon bald der stinkende Müll, da wurde unsereins eingesperrt und abgeschlachtet, da war es eng und muffig. In dieser Zeit, so sagte mein Großvater, ist der Zar Bajun von seinem Baume gestiegen, um zu suchen, wie er den Frieden zurückbrächte in die russischen Wälder. Ach, Gevattern, schlimm ist es geworden! Keiner hat mehr etwas gehört von unserem Zaren und drunter und drüber geht’s seitdem. Du aber“, sagte er und blickte auf Mascha, „scheinst mir eine Verwandte zu sein. Ein feines Fräulein bist du, mit rosiger Schwarte. Doch wenig wehrhaft. Da ist es nicht gut, wenn man so durch die Dunkelheit leuchtet. Nun, ein wenig wollen wir Euch begleiten in die Richtung die Ihr angabt. Denn dort soll die Insel liegen, von der mir mein Großvater erzählte. Wer weiß, vielleicht hören wir unterwegs neues vom verschollenen Herrn der Wälder.“

Das Schweinchen Maschenka und der Keiler Grigorij Afernassjew
Das Schweinchen Maschenka und der Keiler Grigorij Afernassjew

Beruhigt und glücklich vertrauten sich die drei Flüchtlinge ihrem neuen Führer an, der sie in die Mitte seiner Rotte nahm und mit ihnen dem Morgenstern entgegenwanderte.


Lang liefen die drei, viele Tage und Nächte. Kälter wurden die Abende, fester schmiegte sich die Rattendame Zarewna zwischen den Kater und den Borstenpelz des Schweinchens. Doch erbärmlich fror der Katzenmann unter seinem löchrigen Pelz. „Der einzige Ort, wo mich die Kälte nicht beißt, ist mein Holzbeinchen“, pflegte er zu sagen.
So kamen sie eines Tages in ein weites Tal. „Nur bis hierher dürfen wir euch begleiten. Auf der anderen Seite beginnt das Reich der Grauen Wölfe. Auch Medwed Iwanowitsch ist hier zu Hause. Nicht ratsam ist es, ungebeten durch ihre Länder zu reisen. Darum bitten wir Euch, kleine Schwester und Euch, liebe Zarewna, lieber Kotofeij, bleibt bei uns. Wir wollen für Euch sorgen und ihr sollt ein Teil unserer Familie sein.“


Der Kater verneigte sich tief: „Dank sagen wir dir, Grigorij Afernassjew. Dank für alles, was du für uns tatest. Aber sieh, ihr seid immer unterwegs und die Knöchelchen der Dame Zarewna und die meinen sind alt und müde. Mein Stumpf plagt mich oft mit Schmerzen. Mein Krückchen vermag mich kaum zu tragen. So suchen wir denn ein Plätzchen zum Wohnen. Eines, das uns schützt und ernährt. Wir suchen die Insel Kidan, wo einst der mächtige Zar der Sibirischen Wälder lebte, der Kater Bajun. Und ist sein Palast, sein Baum auch verlassen. Leben wollen wir dort, oder, wenn es sein muß, auch sterben.“ Noch einmal verneigte sich der kleine, tapfere Invalide vor dem mächtigen Keiler. Dieser aber küßte ihn links und rechts mit dem Rüssel, küßte sodann ganz zart die rosa Pfötchen der Rattendame Zarewna und legte seinen gewaltigen Schädel sanft an das linke Ohr Mascha Michailownas. „Lebt wohl, kleine Schwester. Und die Herrinnen der Wälder, der Seen und Flüsse mögen euch schützen. Haltet euch fern von breiten Wegen, fern von den Häusern der Menschen. Und wenn ihr unseren Zaren trefft, so grüßt ihn von uns und bittet ihn, zurück möge er kommen und seine Herrschaft wieder antreten!“ Dann wandte er sich um und ging. Kurze Zeit später schlugen die Gerten von Weidensträuchern hinter ihm zusammen und er war nicht mehr zu sehen. Allein waren sie wieder. Vor ihnen lag ein unbekanntes Land, und wer darin wohnte, das hätte ihnen der Keiler Grigorij Afernassjew nicht einmal zu sagen brauchen. Als am Abend der volle, runde Mond aufging, der, der Maschas letzter hätte sein sollen, da hörten sie den schauerlichen Gesang der Kinder der Nacht. Ein Rudel Wölfe heulte mit gestreckter Kehle den stillen, gelben Wanderer am Nachthimmel an, den runden Mond, und dieser war der Einzige, der von den Tönen unberührt blieb. Der armen Mascha hingegen gefror das Blut in den Adern. Nicht viel besser ging es ihren beiden Begleitern. Doch was war zu tun? Gehen mußten sie. Und so setzten sie zaghaft Schritt vor Schritt.


Unter einer Birke sahen sie dann den Schatten eines riesigen Findlings. Hier beschlossen die drei zu rasten. Doch was war das? Der Stein schien sich zu bewegen, zu atmen. Zu spät erkannten sie, daß das kein Findling war, sondern der enorme Leib des Bären Medwed Iwanowitsch. Dieser hatte die drei Wanderer schon bemerkt. „Gruß euch, ihr drei, wer seid ihr und was führt euch durch mein Reich?“, dröhnte sein tiefer Baß. „Mächtiger Bojar!“, maunzte der Kater, „wir sind auf der Suche nach unserem Väterchen Zaren, finden wollen wir die Insel Kidan inmitten der Sibirischen Wälder. Seid so gut und helft uns!“


„Hmm…hmm“ brummte der Bär. „Zarenboten also seid ihr. Hmm. Lange müßt ihr unterwegs gewesen sein. Wißt ihr denn nicht, daß unser Väterchen uns verlassen hat? Verwaist ist die Insel, verlassen die Wälder, traurig fließen die großen Ströme durch das russische Land. Allerorten sind Menschen, mit denen ich schon so manchen bösen Tanz um einen Topf Honig hatte. Außer einen, sie nennen ihn den Hirten Iwan, geprügelt haben ihn die eigenen Leute, weil er heimlich die Geschichte von unserem Väterchen, dem Zaren Bajun, sang und weil er nie aufhören wollte, die Herrinnen der Wälder, Flüsse und Seen zu ehren. Selbst die Mönche, die sich ihr Kloster auf der heiligen Insel des Katers Bajun gebaut haben und die eine Welt voller Liebe predigten, sie haben dem armen Alten oft den Buckel krumm gedroschen. Wir waren beide Geprügelte. Und so hat er mich so manches Mal versteckt. Hat gesagt: Komm Bärchen, komm du Brauner, sie sollen dich nicht finden. Verstecken werde ich dich in einer Höhle oberhalb des Flusses. Und von dort habe ich die heilige Insel gesehen. Sie lag mitten im gewaltigen Strom. Wie flirrten die bunten Blätter ihrer Bäume im Herbstwind, den Fluß trug sie wie ein Diadem um die Stirne. Nun, weit ist es bis dorthin und der Weg ist voller Gefahren. Doch wenn ihr das wollt, so werde ich euch ein Stück begleiten. Lange wird es nicht gehen, denn der Winter bricht über uns herein und das ist die Zeit, in der ich schlafen muß. Doch mit jeder Werst ist euch gedient. Und Zarenboten muß man helfen, so gut man kann. Doch nun ist es Nacht, darum laßt uns ein wenig schlafen, der Morgen ist klüger als der Abend.“ So brummte der Bär.


Schweinchen, Rattchen und der kleine Kater schmiegten sich zwischen die gewaltigen Branten des Bojaren Medwed Iwanowitsch und fielen bald in einen tiefen Schlaf. Der leuchtend gestirnte Himmel deckte sie zu.


Wach wurden sie, als noch immer die Sterne über sie herabfunkelten. Was für ein großer Schreck! Um sie herum saß schweigend das Rudel der Grauen Wölfe, in ihrer Mitte ein Weißer. Beinahe alle Wölfe starrten auf die drei Wanderer und leckten sich die Schnauzen. „Was ist das für eine Art, Väterchen Bojar“, redete einer der jüngeren Wölfe den mächtigen Bären an, „soviel Futter mit sich herumzuführen und den Nachbarn nichts davon zu gönnen!“ „Halt dein ungewaschenes Maul, Stjopka Sergeijewitsch!“, brüllte der Bär. „Von Zarenboten unseres Väterchens redest du in unverschämter Weise. Das lohne dir das Donnerwetter!“ Da erhoben sich knurrend viele der Wölfe. Man sah es ihnen an. Lange schon hatten ihre Kiefern nichts mehr zermahlen, lange waren ihre Mägen nicht mehr gefüllt worden. Der Hunger trieb ihnen die Rippen durchs Fell. „Ach was, Zarenboten, hin oder her, Rußland ist groß und der Zar ist weit! Wer weiß, ob er noch lebt. An dem Kater und der Ratte ist nicht viel. Bloß ein Happs! Aber das Schwein, das ist rosig und feist. Das könnte uns wohl eine Weile durchhelfen.“ „Fürchtest du nicht Gott, Serjoscha Pawlowitsch?!“, dröhnte der Bär und richtete sich vollends zu seiner ganzen Größe auf. Vorsichtig wich das Rudel einen Schritt zurück. So manche Rute verschwand zwischen den Hinterläufen ihres Besitzers, so manches Ohr klappte eng an den Schädel. Doch die Wölfe Stjopka und Serjoscha blieben fest stehen und blickten dem Bojaren unverwandt in Auge. „Ich fürchte den Hunger, Väterchen Bojar, und wenn ich dich so ansehe, so bist auch du nicht mehr der Jüngste. Du könntest uns über den Winter bringen.“ Der Bär wußte, daß sie recht hatten. Gegen das ganze Rudel konnte er nichts ausrichten. Wohl würden einige von ihnen dran glauben müssen, aber war es nicht besser, im Kampfe schnell zu sterben, statt Hungers langsam zu verrecken? Nur zu gut kannte er die vernichtende Kraft der Verzweiflung. Traurig maunzte der Kater Kotofeij und flüsterte zur Dame Zarewna: „Schnell, huscht unter den gefallenen Birkenstamm dort vorn. Dorthin können sie Euch nicht folgen. Überlebt wenigstens Ihr!“ „Und was ist mit Euch, Kotofeij?“, quipste die Rattendame. „Ich werde versuchen, die Tanne dort zu erklimmen. Dort bin auch ich sicher.“ „Und unser Schweinchen allein lassen!? Wem wollt Ihr erzählen, daß Ihr dazu in der Lage wärt? Täuschen wollt Ihr mich, auf daß ich gehe. Nein, wir bleiben bei unserer Mascha, im Leben wie im Tode.“ Sie war eine mutige kleine Dame!


Doch da erhob sich der weiße Wolf, der sich etwas abseits gelegt und geschwiegen hatte. „Auch ich bin nicht mehr der Jüngste, Stjopka, Serjoscha! Aber es langt noch, euch Schurken die Hälse zu brechen! Wer einem Zarenboten ein Leides tut, der ist des Todes! Wißt ihr das nicht, ihr heillosen Narren? Das ist das uralte Gesetz der russischen Wälder. Die Herrinnen der Wälder, Flüsse und Seen würden unser Pack verfluchen und wir würden den nächsten Mond nicht überleben, wo ihr Dummköpfe uns über den Winter bringen wolltet.“ Leise sprach er, doch in seinen Worten schwang die Kraft eines, der viele Jahre sein Rudel durch alle Fährnisse geführt hatte.


„Dummes Geschwätz eines zahnlosen Alten!“, schrie Stjopka Sergejewitsch, „verhungern lassen will er uns um eines alten Aberglaubens willen. Es wird Zeit, daß wir ihn zum Teufel jagen! Oder noch besser, wir fressen auch ihn. Dann brauchen wir uns bis in den nächsten Frühling überhaupt keine Sorgen mehr…“ Weiter kam er nicht. Rot färbte sich die Erde unter seinem Hals. Seine Mutter, die Erste des Rudels, hatte ihm mit einem einzigen Biß die Kehle durchtrennt. Das andere Großmaul zog sich eilends und winselnd zurück. Die Jungen, die begeistert Stjopkas Reden gelauscht hatten, glotzten entsetzt. „Schlimm ist, ein Kind zu verlieren, Schenja Makarowitsch“, wandte sie sich an den weißen Wolf. „Doch schlimmer ist, es, das Rudel ginge an der Dummheit eines Einzigen zu Grunde. Mit Eurer Erlaubnis werden wir den Bojaren Medwed Iwanowitsch und die Boten unseres Zaren geleiten, so weit sie es wünschen. Und der Henker hole denjenigen, der es wagt, einem von ihnen zu nahe zu treten!“ Der Weiße Wolf aber trat zu der weinenden Wölfin, legte ihr sachte die Tatze auf die Schulter und sagte leise: „Tanjuscha, mein Herz weint mit Euch um den Verlust des Sohnes. Doch glücklich bin ich, Euch bei mir zu wissen. Ihr nahmt dem Einen das Leben und schenktet es einem ganzen Rudel. Ihr seid fürwahr eine würdige Erste.“ Zum Bären gewandt aber sprach er: „Ihr habt es gehört, Medwed Iwanowitsch. Wenn es Euch und den Zarenboten genehm ist, so wollen wir Euch schützend begleiten. Denn fern noch ist die Insel des Zaren, weit ist die unendliche Taiga und voller Gefahren.“


„Dank sei Euch, würdiger Sohn des Makar Semjonowitsch!“, brummte mit tiefem Baß der mächtige Bär. „Lassen wir die edlen Boten unseres Väterchen Zaren entscheiden.“


Der kleine Katzenmann Kotofeij begriff als erster die wundersame Wandlung. Soeben noch vom unzeitigen Tode bedroht, waren sie nun geschützt von einer starken Streitmacht.


„Habt vielen Dank, Fürst der Wölfe, Weißer, Weiser! Wenn wir unser Väterchen finden, so soll es Euren Ruhm und Edelmut und Eure aufrechte Gesinnung vernehmen und hören soll er, was eine Mutter für uns getan. Sein Dank sei Euch auf ewig gewiß.“


Über ihnen rauschten die Flügel der Gänse, die wärmeren Gefilden schnatternd zustrebten. Doch die Tiere konnten nicht fliegen. Bald schon fielen die ersten Flocken hernieder. Tiefverschneit lag die Taiga vor den Wanderern. Schwer fiel jeder Schritt durch den hohen Schnee. Mühsam war’s, etwas zu fressen zu finden. Das Schweinchen Mascha magerte zusehends ab. Dem Rattchen Zarewna und dem Kater Kotofeij ging es nicht anders. Am Ufer eines der gewaltigen sibirischen Ströme hatte sich der Bär Medwed Iwanowitsch verabschieden müssen. In eine Höhle mußte er sich zurückziehen und seinen Winterschlaf halten. Man drückte sich, man herzte sich, man versprach, sich nicht zu vergessen. „Wenn ihr an den großen Strom kommt, der die heilige Insel Kidan umfließt, dann grüßt mir den Hirten Iwan!“, trug er den Gefährten auf und trottete von dannen.


Von nun an mußten sie alleine weitergehen. Ein Teil des Wolfspacks war unterwegs verschwunden. Es waren diejenigen, die so dachten, wie der tote Stjopka und sich nicht halten wollten an die uralten Gesetze des Waldes. Diese jungen und kräftigen Wölfe fehlten dem Rudel sehr. Doch man kämpfte sich voran. Schritt um Schritt nach Osten. Ein Gutes hatte der Winter. Leichter kam man über Sümpfe, die Bäche und die großen Flüsse. Keine Furt brauchte man mehr zu suchen. Manchmal begegneten ihnen Rentierherden, manchmal ein einsam umherstreifender Dachs. Doch sonst war es still in der eisigen Welt um sie her.


Abends aber, wenn die Dämmerung hereinbrach, dann hörten sie das Geheul der Abtrünnigen und wußten, daß sie nicht alleine waren. Der einzige Schutz, auf den das Schweinchen Mascha, die kleine Ratte Zarewna und der Kater Kotofeij hoffen durften, bestand in ein paar alten, aber sehr erfahrenen und tapferen Wölfen. Und weiter und weiter zogen sie. Hunderte Werst mochten sie schon zwischen sich und den versoffenen Mitrofan gebracht haben, den seine Alte wahrscheinlich fürchterlich verdroschen hatte. Ob die beiden noch am Leben waren? Aber wen kümmerte das?


Und so setzten sie Schritt um Schritt ihrem unbekannten Ziele entgegen. Der Winter zog sich zurück und der Schnee begann zu schmelzen. Der Frühling kam mit seinen Wiesen voller Schneeglöckchen, Krokussen und Tulpen und er verging, desgleichen der Sommer, der die Wiesen auf den Lichtungen mit Blumen übersäte und die Vögel in den Bäumen singen ließ. Doch auch seine Zeit ging vorüber. Wieder begann der Herbst, die Blätter zu bemalen. Ein ganzes Jahr waren sie nun schon unterwegs. Ihr Ziel aber lag noch in weiter Ferne. Einen weiteren Winter überstanden sie. Dann - endlich - wurden die Tage wieder länger und wärmer wurden sie auch.


An einem riesigen See kamen sie vorbei – kristallklar und unendlich tief. Jäger hatten versucht, ihre Fährte aufzunehmen, aber die konnten sie abschütteln. Bis auf zwei. Die waren sehr hartnäckig. Boris Jefimowitsch und Pjotr Samuilowitsch, der Glatzköpfige, waren ausdauernder. An den Spuren konnten sie erkennen, daß ein Schwein mit von der Partie war und einige Wölfe. Das konnten sie sich zwar nicht erklären, aber was scherte sie das! Sie witterten das Fleisch und die Pelze. Es waren gottlose Menschen, die keine Liebe kannten und keinen Respekt, nicht vor den Bäumen, nicht vor den Flüssen, nicht vor den Tieren des Waldes. Alles, woran sie denken konnten, waren Gold und Rubel. Mitleid war ihnen fremd.


Daß sie verfolgt wurden, merkten die Tiere. Doch was tun? Bewaffnet waren die Jäger. Schwer war es, an sie heranzukommen. Und mehr und mehr holten die ausgeruhten Männer gegen die erschöpften Tiere auf.


Schließlich kam man in einen Sumpf, in dem ein kleiner, von Buchen gesäumter Fluß in einen der sibirischen Ströme mündete. Das Weiterkommen schien unmöglich. Die Jäger frohlockten: „Nun sieh nur, Glatzkopf“, wisperte Boris Jefimowitsch, „wir haben sie. Hier kommen sie nicht mehr heraus!“


Angstvoll schnüffelten das Schweinchen, die Ratte, der Kater und die Wölfe nach einem Ausweg. Es schien keinen zu geben. Bei ihrer Suche stießen sie auf einen umgestürzten Baumstamm, auf dem ein alter Mann saß, der sich leise mit einer wunderschönen jungen Frau unterhielt. Ärmlich war der Alte gekleidet, während das Mädchen ein weißes, dünnes und langes Kleid trug. Die Frühlingskälte schien ihr nichts auszumachen. In den langen blonden Haaren trug sie einen Kranz aus Gänseblümchen. Die Tiere verhielten sich vorsichtig. Doch irgendwie schien von den beiden keine Bedrohung auszugehen. Vielleicht konnten sie sogar helfen. Der Weiße Wolf versprach das zu erkunden und hieß sein Rudel und die drei Flüchtigen in einer geschützten Mulde warten.


Nach kurzer Zeit kehrte er wieder. Freude stand in sein Gesicht geschrieben, spitz waren die Ohren und hoch trug er die Rute. „Ich kenne die beiden“, sagte er nur kurz, „sie werden uns helfen, so gut sie können. Also kommt. Die beiden Strolche sind dichtauf. Lange kann es nicht mehr dauern bis sie hier sind.“ Zaghaft folgten ihm die Tiere. Als sie aber auf die kleine Lichtung traten, bot sich ihnen ein schrecklicher Anblick: Die beiden Gauner standen vor dem Alten und dem Mädchen und lachten höhnisch, als die Tiere zaghaft aus dem Dickicht heraustraten. „Sieh da, da haben wir den Alten und seine kleine Hexe, einen Schweinebraten für heute Abend und jede Menge Wolfspelze für den Kürschner. Und als ob das noch nicht genug war, rennt uns noch ein weißer Wolf ins Netz. Was der uns auf dem Markt bringen wird, das wage ich mir nicht auszudenken! Aber laß uns erst das Schwein schlachten. Beim Braten können wir darüber schwatzen.“ Angstvoll quiekte das Schweinefräulein Mascha Michailowna, die Wölfe scharten sich um sie, um sie mit ihrem Leben zu schützen.


Da aber erhob sich mühsam der Alte. „Gottlos bist du, Boris Jefimowitsch und deine Schritte führen dich zum Tode. Kehr um und bedenke, mit wem du redest. Das ist nicht Dein Wald. Nur ein Gast bist Du hier und wie ein Gast solltet ihr euch benehmen!“ „Willst Du wohl dein Maul halten, alter Narr. Wart, ich werd’ dir…!“, brüllte der glatzköpfige Pjotr. Doch bevor er den Alten packen konnte, stand zwischen ihnen die junge Maid und blickte den Jäger ernst und traurig an: „Pjotr, Pjotr, was bist du für ein schwacher Mensch, daß du einen alten Mann und ein paar wehrlose Tiere bedrohst! Laß sie ziehen, Pjotr und ich verspreche dir, daß ich dich heil nach Hause gelangen lasse. Du aber, Iwan“, und sie wandte sich zum Alten um, „nimm die Zarenboten mit dir in deinen Kahn und rudere sie ans Ufer der Insel. Dort werde ich euch erwarten!“


Von soviel Dreistigkeit verblüfft, hielt der Jäger einen Augenblick inne: „Na sieh mal einer an, die kleine Hexe! Wie frech sie ist. Nennt mich einen Schwächling. Will mich gar heil nach Hause gelangen lassen. Wie lieb von ihr. Nun, Schätzchen, du scheinst mir ja was ganz Besonderes zu sein. Ich werde heil nach Hause kommen, verlaß dich drauf! Und ich sage dir was: dich nehme ich mit. Mit dir habe ich noch ganz etwas Feines vor. Wundern wirst du dich noch, du kleines Luder!“


Boris Jefimowitsch grinste dazu über sein ganzes Gesicht. Doch einen Moment später erstarrte das Grinsen zu einer verzerrten Fratze. Urplötzlich hatte sich der Himmel über der kleinen Sumpflichtung verdunkelt. Böse Wolken jagten über sie dahin und der Strom warf wütende, schaumgekrönte Wellen ans Ufer. Unheimlich knärzten die Föhren im Sturm. Ängstlich duckten sich die Tiere und suchten beieinander Schutz. Doch fest stand der alte Hirte Iwan. Ihn schien das Unwetter nicht zu schrecken. Entgeistert blickten die beiden Bösewichte sich um: Hinter ihnen standen mit einem Mal noch zwei andere Frauen und den Halunken wurde klar, daß diese wenig gemein hatten mit den Mädchen des Dorfes. Ihnen begann zu dämmern, wen sie verhöhnt hatten. Sie waren in der Gewalt der Herrinnen des Flusses, der Seen und des Waldes.


Das junge Mädchen aber redete nun, von ihrer Gestalt schienen Flammen zu züngeln und furchtbar klang ihre Stimme: „Wundern sollst du dich, Pjotr Samuilowitsch Scharinow! Denn du hast dich an deinen Gastgebern vergangen. Du bist ein schlechter Mensch, darum pack dich aus Unseren Augen. Fort mit dir und nimm den Lumpen an deiner Seite mit und lauft, lauft wie die Häschen, denen ihr nachstellt. Lauft so schnell euch eure Beine tragen wollen, ehe Wir es Uns anders überlegen und euch das Schicksal zumessen, das ihr diesen armen Tieren zugedacht habt!“ Der Glatzkopf sank auf die Knie, sein Kamerad lag schon mit dem Gesicht im Schlamm des Sumpfes. „Fort, habe ich gesagt. Euer Gewinsel beleidigt unsere Ohren. Verschwindet! Es bleibt euch wenig Zeit!“
Da stürzten die beiden Haderlumpen auf und davon. Immer wieder peitschten ihnen Weidenzweige ins Gesicht. Sie verloren Weg und Richtung. Neben ihnen brüllte wütend der kleine Bach und jagte sie zurück in den Sumpf. Plötzlich gab der Boden unter ihnen nach und sie begannen in dem schwarzen Moor zu versinken. Nie wurden sie mehr gesehen.


Der Hirte Iwan aber setzte den Kater Kotofeij, die Rattenprinzessin Zarewna und das Schweinchen an das Ufer der Insel über, wie ihm geheißen war. Zuvor aber hatten sich alle herzlichst vom Rudel der Wölfe verabschiedet und versprochen, daß sie immer für sie da sein wollten, wenn sie denn je ihrer Hilfe bedürften.


Der Strom hatte sich wieder beruhigt, die Überfahrt war sanft. Am anderen Ufer standen schon die drei Feen.


Die Älteste von ihnen aber wandte sich an das Katzenkrüppelchen Kotofeij: „Ich grüße Euch, Väterchen Kidanitsch, willkommen seid Ihr daheim, mächtiger Fürst der sibirischen Wälder!“ „Kidanitsch?“ Gott, wie lange war das her, daß ihn jemand so gerufen hatte. Mühsam holte er sich die Bilder hinter seinen Katzenohren hervor. Ja, die Gegend hier kam ihm vertraut vor, nun, da wieder Ruhe eingekehrt war. Eine bezaubernd schöne Fee stand vor ihm, angetan mit den roten und goldenen Blättern ihres Herbstwaldes. Die zweite stand neben ihr und auch noch die Dritte. Von ihrer Schönheit geblendet, blinzelte der Kater. Mascha versuchte ängstlich, sich in einen Laubhaufen einzuwühlen. Nur die Ratte Zarewna sah aufmerksam und ruhig aus ihren tiefblauen Augen. Still standen ihre Schnurrhaare, die Öhrchen nach vorne gerichtet. Der Kater verneigte sich tief: „Herrinnen des Waldes, des Flusses und des Sees. Große Ehre erweist ihr einem armen Unwürdigen und den Damen, die seinem Schutze anbefohlen. Habt Dank für alles, was ihr für uns tatet! Und gewährt uns ein Weilchen, uns zu verschnaufen! Denn müde sind wir und weit war der Weg. Voller Gefahren und dunkler Nächte. Sobald wir uns erholt haben, werden wir Euer Reich wieder verlassen und Euch nicht weiter zur Last fallen.“


„Mächtiger Fürst“, erwiderte darauf hin die Fee, „dieses Reich, von dem Ihr sprecht: Es ist doch das Eure! Verlassen habt Ihr es vor langer Zeit. Herabgestiegen seid Ihr von Eurem Baume, als die Glocken des neuen Klosters Euren Ohren schmerzten. Die Mönche wollten uns nicht mehr achten und beteten zu einem, den wir nicht kannten und dessen Kinder uns nicht mehr kennen wollten. Wehe tat das uns und Ihr wolltet gehen und schauen, ob unsere Welt nun wirklich untergegangen sei. Nun aber seid Ihr zurück und die Glocken des Klosters schweigen schon lange. Eingefallen sind die Mauern – die Mönche fortgezogen. Mit ihnen die Menschen, bis auf den alten Hirten, der am Knie des Flusses eine Hütte gebaut hat. Er achtet uns und weiß noch um Euch und Eure einstige Herrschaft. Nun bitten wir Euch: Bleibt bei uns und seid wieder der mächtige Herr Sibiriens!“ Da füllten sich des Katers Augen mit Tränen. Nun wußte er, wo er war. Es war die Insel Kidan, umströmt von mächtigen Wassern. In ihrer Mitte stand sein Baum, von dem aus er einst die gewaltigen Weiten beherrschte. „Ach, Ihr, Bojarinnen, gütig seid Ihr und freundlich zu uns. Doch seht mich an! Wollt Ihr einen Zaren mit zerrissenem Pelz, einäugig und mit einem Holzbein? Was kann Euch ein solcher Zar helfen? Nicht verlassen hätte ich Euch dürfen. Hätte bei Euch bleiben sollen.“ „Väterchen, Väterchen, was Ihr nur redet?“ rief da die Herrin des Flusses. „So seht Euch doch an! Wer wäre prachtvoller anzuschauen als Ihr.“

Ungläubig blickte der Kater die Fee an. Nein, sie sah nicht so aus, als wollte sie seiner höhnen. Da hielt sie ihm einen Spiegel aus Wasser entgegen, stillem, klarem Wasser. Und heraus sah der Kater Bajun! Mächtig anzuschauen, schwarz und edel. Wie von bläulichem Stahl blitzten die furchtbaren Krallen, aufgerichtet die Ohren, um die Füße gerollt den stattlichen Schwanz. „Nun, Väterchen, die heimatliche Erde scheint Euch Eure alte Kraft zurückgegeben zu haben. Nun bitten wir Euch, seid uns ein gütiger und gerechter Zar!“ Da verneigte sich der Kater tief und sagte: „So Ihr mir helft, Bojarinnen, wollen wir unser Reich wieder errichten und Friede soll herrschen in ihm. Der weiße Wolf möge sich an meinen Hof begeben. Sein Rat und seine Weisheit sind mit teuer. Du aber, Königstochter, Schönste, sollst Zarin sein in meinem Reich!“ Galant bat er die Rattendame Zarewna um die rosigen Pfötchen. Da beugte sie sich vor und küßte den Kater. „Du aber, Herzenstochter“ – lächelte er und wischte sanft die Blätter von der Schwarte des Schweinchens, Du Töchterlein bleibe bei mir auf meiner Insel, denn hier bist Du sicher. Geh hinunter zum Fluß, zum Hirten Iwan und leiste ihm Gesellschaft. Freude wird er haben an Dir und seine Einsamkeit sei zu Ende. Grüße Ihn vom Kater Bajun und sage ihm, der Herr der Sibirischen Wälder habe seinen Thron wieder bestiegen. Unter meinem Schutz soll er leben, solange ihm das Leben beschieden ist. Oft besuchen soll er mich und ich werde zu ihm herabsteigen und ihm ein Märchen erzählen und ihn trösten, wenn ihn wieder ein Zahn verlassen hat.


Er soll sich nicht mehr grämen und wenn er stirbt, wird die russische Erde ihn aufnehmen. Liegen wird er unter meinem Baum und ich werde ihm ein Lied singen, sooft der Mond durch die Äste hindurch seinen Grabhügel bescheint.“


Dann aber wandte er sich um und schritt auf seinen Baum zu, jene gewaltige Esche, deren Krone die Wolken zerteilt und schärfte an ihrem Stamm die furchtbaren Krallen.


Die Feen aber, die Bojarinnen, huldigten der neuen Herrin und strichen ihr sanft durch das duftende Fellchen. Vorbei waren in diesem Augenblick all ihre Schmerzen. Jung war sie wieder und behende wie einst. Dann küßten sie das Schweinchen Mascha Michailowna auf den Rüssel und streichelten seine Schwarte. Nur wenige Schritte waren es bis zur Hütte des Hirten. Tief verneigte sich der Alte, als er die drei Feen kommen sah.


„Herrinnen, wie schön, daß ihr mich verlassenen Greis noch einmal besucht. Tretet ein und seid meine Gäste!“ „Nicht verbeugen sollst du dich vor uns, Alterchen, dein Rücken nimmt dir das übel. Mitgebracht haben wir dir das Schweinchen Mascha Michailowna, die Tochter unseres großen Zaren. Zurück ist der Herr der Sibirischen Wälder und grüßen läßt er dich. Sein Töchterchen Mascha aber gibt er dir zur Gesellschaft, auf daß du seiner freundlich gedenkest. Er sendet uns und läßt sagen, er wolle dich morgen besuchen.“ Da fiel der Alte auf die Knie und weinte vor Freude. „Daß ich das noch erleben darf! Der mächtige Zar ist zurück. Nun kommt der Friede wieder in den Wald und die Ströme und über den Großen See.“ Er streichelte das Schweinchen und wies ihm einen warmen Platz neben dem Ofen. Eine Schale Milch stellte er ihm hin und eine Zuckerrübe. Und während es trank, kraulte er Maschas Ohren. Fort waren die, die das Land zerstört hatten, der rechtmäßige Herrscher zurückgekehrt. Die Feen geboten wieder über Flüsse und Wälder – häufig kamen der Kater Bajun und die Zarewna Zarewna zu Gast, die Feen verließen Iwan nie, ließen Beeren und Pilze für ihn wachsen und das Gemüse im Garten gedeihen und die Früchte an den Bäumen reifen. Glücklich war der Hirte Iwan, glücklich war sein Schweinchen Mascha. Und lange mußte die russische Erde auf den Hirten Iwan warten. Als es dann soweit war, stieg der Kater Bajun herab von seiner Esche und sang leise die schönsten Lieder für seinen toten Freund. Der Wind trug sie hinunter zum Fluß und dort vermischte sich sein Gesang mit dem Plätschern der Wellen. Mascha und die Rattendame Zarewna aber lauschten, während sie sanft von den Herrinnen des Waldes in den Schlaf gekrault wurden.


Der Kater Bajun
Zeichnung von K.W. Kusnezow

S 1. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2005