Ein
grober Fratz*, den Bauern von einem Meßpfaffen gerissen
Michael Lindener
In einem Dorf, im Bayernland gelegen,
war ein trefflicher gelehrter Mann Pfarrer, der Tag und Nacht in der Weinkann
fleißig studierte. Wie er sich aber einstmals an einem Aposteltag
stick und wick vollgesoffen, nicht getrunken, daß er auch nicht
gehen konnte, und Zeit war, in die Kirche zu gehen, machte er sich auf
die Bahn und auf die Kirche zu. Fiel auch dreimal in den Kot, ehe er hinkam,
wie eine tolle volle Sau. Nachdem er aber in die Kirche kam, fiel er zur
Tür hinein, so lang er war, stand alsbald eilends auf und sprach:
„Liebe Bauern, wie so früh ohne Licht? Ist doch noch keiner
aufgeflogen? Bona dies, bona dies, liebe Bauern!“ Indem nahm ihn
der Mesner und führte ihn auf den Chor über den Altar, wo sie
pflegen ihre Präambel** zu machen. Wie nun der Pfaff das Buch nahm
und das Evangelium lesen wollte, konnte er es nicht finden, auch das andere
nicht lesen, denn er war ganz stockblind, daß er einen Mangel im
Gesicht hatte, und er hob an: „Liebe Bauern, ihr bösen Lauern,
es ist heut abend verloren, Gott hat mich gestraft auf dem Wege, daß
ich dreimal in den Dreck gefallen bin, wie den heiligen Zwölfboten
Paulus, und dann dazu, was das ärgste ist, nicht sehen, als wenn
es mir ein Leiden wäre. Aber nehmt so vorlieb mit eurem Pfarrherrn
und kommt morgen um die Weile wieder! Es muß sich predigen lassen
und solltet ihr die Pestilenz auf eure Köpfe haben.“ Darüber
waren die Bauern sehr froh.
* Posse
** Einführung in den Gottesdienst
zum Autor: Michael Lindener (* um 1520 in Leipzig;
† 7. März 1562 in Friedberg) war ein deutscher Schwankdichter.
Lindener studierte in Leipzig und führte danach ein unstetes Leben.
Unter anderem war er als Korrektor und schließlich Schulmeister
in Nürnberg, Ulm und Augsburg tätig. Er galt als ruhmsüchtig,
so legte er sich selbst den Titel "Doktor" und "poeta laureatus"
zu, gab eigene Werke unter den Namen berühmter Zeitgenossen heraus
und publizierte Fälschungen als Übersetzungen der Werke Savonarolas.
In seinen Schriften erweist er sich als scharfzüngiger Spötter,
zahlreiche Zitate und Anspielungen verraten seine gelehrte Bildung. Am
7. März 1562 wurde er wegen Totschlags hingerichtet. (Wikipedia) |