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Brandenburg an der Havel –
eine Stadt ruiniert sich

Notstand der Brücken

Don M. Barbagrigia
Brandenburg an der Havel. Der letzte Beitrag des Preußischen Landboten im Jahre 2019 muss sich mit einer Tragödie besonderen Ausmaßes befassen. Es geht um die geliebte Heimatmetropole, die Chur- und Hauptstadt der Mark, die Hanse-, Dom- und Dreistadt Brandenburg an der Havel.

Diese Stadt, die einst die vornehmste der Mark gewesen ist, eine Tochter des großen Magdeburgs, Mutter Berlins, taumelt ganz offensichtlich ihren letzten schweren Gang in die völlige Bedeutungslosigkeit. Dieser Gang aber wird mit stetig größer werdender Wahrscheinlichkeit kaum über eine der 58 Brücken der Havelstadt führen. Denn diese geben mit erschreckender Geschwindigkeit nacheinander den Geist auf, den Brandenburgs Stadtväter und -mütter offensichtlich schon vor Jahrzehnten haben dahin fahren lassen. Denn Brücken bedeuten Leben. Aber dazu kommen wir gleich ...

Die arme Havelstadt: Gesegnet mit einem unglaublichen Potential wurde dieses mit einer nahezu monströsen Energie kontinuierlich verspielt und verjubelt.

Was sind denn die gepriesenen Vorzüge dieser Stadt? Wenn man sich in Erinnerung ruft, dass die Verkehrsinfrastruktur eines Landes in seiner Bedeutung dem Blutadersystem eines menschlichen Körpers gleichkommt, so hatte die Havelmetropole eine geradezu gesegnete Lage inne: In unmittelbarer Nähe eines deutschen Schwerkraftzentrums gelegen, wird die Stadt quasi von vier der wichtigsten Bundesautobahnen Deutschlands eingekreist: Der A 2 zwischen Berlin und Hannover, der A 9 zwischen Berlin und München, dem westlichen Berliner Ring und der A 24 zwischen Berlin und Hamburg. Die A 2 durchzieht sogar für einige Kilometer das Stadtgebiet, wenn auch etwas peripher. Die wichtigste Fernverkehrsstraße von Ost nach West – die Bundesstraße 1 zieht mitten durch die Stadt und kreuzt dort eine der bedeutendsten Fernverkehrsstraßen des Landes Brandenburg – die B 102. Die uralte Via Regia, die B 2 von Stettin zum Brennerpass ist nur etwa fünf preußische Meilen entfernt. Durch die Stadt fließt eine Bundeswasserstraße der höchsten Kategorie IV, es gibt einen Reichsbahnanschluss, der vom Fernverkehr auf der Schiene genutzt wird und noch liegen etliche Gleise und Trassen ehemaliger Kleinbahnen, die davon zeugten, dass die Stadt Brandenburg ihren Platz auf deutschen Schulatlanten mit Fug und Recht behauptete.

Bis 2009 besaß die Stadt einen eigenen Regionalflughafen mit einer Zulassung für bis zu 14 Tonnen Landegewicht, nämlich Biest EDUB – heute ein Feld für Solarstromanlagen.

Und in der Stadt lag eines der mutmaßlich wertvollsten Industriegrundstücke Deutschlands – das 145 ha große Gelände des VEB Stahl und Walzwerkes Brandenburg/Havel. Dieses grenzte im Süden an die Fernverkehrsstraße B 1 und im Norden an den Silokanal – einen Teil eben jener vorgenannten wichtigsten Bundeswasserstraße des gesamten deutschen Ostens.

Die Stadt ist gesegnet mit einer herrlichen Umgebung. Sie hat alles, oder sollte man sagen: sie hatte alles, was man weiche Standortfaktoren nennt.

Und alles, alles geht seit drei Jahrzehnten beinahe ungebremst den Bach herunter. Es war wohl kein wohlbedachter Schelmenstreich, als sich Brandenburger Schüler das Motto "Die Stadt im Fluss" erdachten, das alte lateinische "in trinitate robur" ablösend.

Der Anlass dieses Beitrags ist die im Dezember 2019 buchstäblich von einer Minute auf die nächste erfolge Vollsperrung einer der beiden wichtigsten Brücken der Stadt – der "Brücke des 20. Jahrestages der DDR". Warum? Natürlich weil ihre Substanz in einem lebensbedrohlichen Zustand marode geworden ist. Das fiel einem Kontrolltrupp bei einer turnusmäßigen Besichtigung auf. Ist die Brücke über Nacht so fatal gealtert? I wo, bewahre! Das Problem war seit Anfang der Neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts bereits bekannt.

Nun muss man wissen, dass die letzte Epoche, in welcher in Brandenburg in infrastruktureller Hinsicht planerisch in die Zukunft gedacht und gearbeitet wurde, eintausend Jahre zurück liegt. Das ist die Zeit der Slawen und der deutschen Lokatoren, die exzellente Topographen waren und genau wussten, wo und wie man eine Stadt anlegt, die eine Zukunft haben soll.

Das Konzept lautete: Mach drei Straßen dicht – und kein Aas kommt mehr rein oder raus! Wie gesagt, das funktioniert bis heute! Ab der Gründung der DDR begann man noch einmal zu investieren. Immerhin erforderte das VEB Stahl-und Walzwerk als Stammbetrieb des überlebenswichtigen Edelstahlkombinats leistungsfähige Wegeverbindungen. Nach endlosem Ringen mit der Deutschen Reichsbahn wurde dieser eine Fläche abgetrotzt, die den Bau der Überbrückung der Reichsbahngleise in der Potsdamer Straße, ebenfalls eine Trassierung der Fernsverkehrsstraßen 1 und 102, möglich machte – vierspurig.

Die Fernverkehrsstraße – damals F 1, heute B 1 – wurde vom westlichen Stadtrand an im Jahre 1969 zu einer vierspurigen Magistrale erweitert und mit zwei modernen Brücken – der Quenzbrücke und ebenjener Brücke des 20. Jahrestages über Silokanal und Reichsbahngleise geführt.

Immer seltener ließ sich der Spottname "Schrankenburg/Havel" vernehmen. Die Zeiten, in denen man drei Stunden und länger an geschlossenen Bahnschranken stand und den Zügen beim Rangieren zusehen konnte, schienen passé zu sein.

Sicherlich: die Wuster Schranken, der Klingenberg, die Planeschranken, die Göttiner Schranken, die Gördenschranken, die Schlachthof-Schranken, die Schranken der ehemaligen Westhavelländischen Eisenbahnlinie in der August-Bebel-Straße und die Neuendorfer Schranken blieben ein Problem.

Ein Problem, das, wie man nach der Übernahme der Stadt durch die wirtschaftsmächtige Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1990 hoffen durfte, in wenigen Jahren gelöst sein würde.

Statt dessen: schrittweiser Verfall. Nun ist Brandenburg an der Havel beinahe wieder dort angekommen, wo es vor 1969 gewesen ist – abzüglich des Rangierverkehrs. Und auch an den anderen Schranken steht man nicht mehr so lange und häufig wie zu DDR-Zeiten – der Eisenbahnverkehr durch die Stadt hat doch erheblich nachgelassen. All dies sind symptomatische Zeichen eines wirtschaftlichen Niedergangs, der die ehemals über 100.000 Einwohner beherbergende Stadt ein Drittel ihrer Bevölkerung gekostet hat.

Die geplante Überbrückung der Wuster Schranken am Ostausgang der Stadt nach Berlin ist ein dreißigjähriges Drama ohne Licht am Ende des Tunnels.

Nachdem nun die vierspurige Brücke in der Potsdamer Straße – also ebenjenes Tor der Stadt von Osten und von den südöstlichen Autobahnanschlüssen her – dauerhaft auf zwei Spuren reduziert worden ist, aber niemand auf die Idee kommt, zügig mit der Sanierung des Bauwerks zu beginnen, ehe denn die nächste Vollsperrung über die Stadt kommt wie einst die Quitzow'schen Raubritter, schlug das Verderben also kontemporär an ihrem westlichen Ein- und Ausgang zu.

Schwätzer machen nun den den in der Brücke verbauten Hennigsdorfer Stahl verantwortlich, der angeblich minderwertig sei und nun innerhalb des Betons korrodiere.

Dieses hirnlose Geschwätz lässt dabei völlig außer Acht, dass sich dieser Stahl fünfzig Jahre lang tadellos bewährt hatte. Es sind nur wenige bundesdeutsche Bauwerke, von denen dem Landboten eine ähnliche Qualität bekannt ist. Obsoleszenz war in der DDR keineswegs ein Zauberwort.

Die Idiotie liegt ganz woanders. Die absichtlich geführte Vogel-Strauß-Politik der vergangenen dreißig Jahre, das Verschließen der Augen vor dem Unvermeidlichen – nämlich der Reparaturbedürftigkeit solcher Bauwerke – das ist die eigentliche Schurkerei.

Nun mehren sich Stimmen, die dafür plädieren, die überdimensionierte Magdeburger Straße wieder zurückzubauen und am Confluens der B 1 mit der B 102 unter gleichzeitigem Zusammentreffen mit der Bahntrasse zum Elektrostahlwerk, dem Hafen und dem Personenverkehr nach Rathenow einen Kreisverkehr mit Schranken zu errichten. Eine Konzession also an die klammen Kassen der Stadt, die mit einer € 200-Millionen-Verschuldung von Jahr zu Jahr an der Zwangsverwaltung durch Potsdam vorbeischrammt …

Das ist wieder diese Gartenzwerg-Mentalität, die diese Stadt mit bleiernen Gewichten in den Havelsümpfen festsaugt. Zurück in die Vergangenheit! Lasset uns die Hoffnung begraben, dass sich diese liebenswerte Stadt je wieder so weit erholt, dass derart suffiziente Wegeverbindungen lebensnotwendig sind! Machen wir eine märkische Kuhbläke aus der einstigen Hauptstadt der Mark!

Dieser Skandal wird die Stadt ein Weiteres an Attraktivität kosten, wird sie wieder bundesweitem Hohn und Gelächter preisgeben wie einst mit dem Loch am Neustädtischen Markt.

Und es wird Firmen verprellen, die noch mutig genug waren, über eine Ansiedlung nachzudenken. Es wird Arbeitsplätze kosten, die Abwärtsspirale kreist bereits unaufhaltsam.

Zur BUGA 2015 wurde der Brückenbestand der Havelmetropole auf 58 erhöht. Manche Zungen behaupten, das wären mehr Brücken, als deren sich die Serenissima rühmen könnte. Das ist alles gut und schön. Selbst die Bauchschmerzen- oder Gottfried-Krüger-Brücke wurde mit einem Beibauwerk für eine behindertengerechte Überquerung des Pumpergrabens ermöglicht.

Aber die Brücken, auf die es wirklich ankommt, die keine Spielerei sind, keine Toruistenumschmeichelei, die für das blanke Überleben der Stadt unabdingbar sind – die wurden gnadenlos dem Verfall überlassen. Es ist eine Schande und es ist kriminell!

Man nennt den Heiligen Vater in Rom den Pontifex Maximus – den obersten Brückenbauer. Die Chur – und Hauptstadt der Mark möge den Tag nicht erleben müssen, da man den Oberbürgermeister den Pontineglegtex Maximus nennt, den obersten Vernachlässiger der Brücken.

25. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
31.12.2019