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Mit dem Motorrad im Elbe-Havelland

meinem Freunde Dr. Tom W. zugedacht

Michael L. Hübner
Der Landbote ist kein Bikerblatt. Gott bewahre! Aber er ist ein preußischer Landbote. Und so scheint es opportun, erstmals einen Reisereport abzudrucken, dessen Eindrücke dieser Landbote auf seinen Fahrten durch die preußischen Provinzen sammelte. Vielleicht werden andere folgen, vielleicht fühlt sich der ein oder andere Leser animiert, den Spuren zu folgen, von ihnen abweichend eigene Wege zu erkunden.


Mütterchen Elbe nach Süden hin

Von Plaue an der Havel bis an die Elbe
Der letzte Septembertag des 2007er Jahres war nun nicht eben sonnig. Die Wetterriesen ritten von Südwesten her schnelle Rosse. Dennoch verhieß die Vorhersage Regenfreiheit. Ein Blick zum Himmel aber prüfte das Vertrauen in die Kunst der Meteorologen ernsthaft.
Was soll’s – die Maschine – ein 600er Yamaha Diversion rollte aus der Garage. Beim Starten mit und ohne Choke zierte sie sie sich ein wenig, weshalb ich sie liebevoll meine Zicke nenne; doch dann brummte ihr tiefes, warmes Motorengeräusch an meine Ohren… Erster Gang rein, ein Ruck geht durch das Bike, langsam setzt sie sich in Bewegung. Ihr Stall steht direkt an der Bundesstraße 1. Was also liegt näher, als dieser Trasse nach Westen zu folgen. Ach, so ein Integralhelm ist doch ’was Schönes. Wie viele Insekten ein heruntergeklapptes Visier abhält, ist schon erstaunlich. Unversehens knallt es an der durchsichtigen Plastik-Scheibe – wird wohl eine späte Hummel gewesen sein. Das wäre einem Schuß aus dem Luftgewehr gleichgekommen.



Die Elbe gegen Tangermünde (im Hintergrund St. Stephan)

Die Straßen sind noch feucht vom gestrigen, reichlichen Regengusse – wir wollen es also in den Kurven nicht übertreiben. Genthin ist durchfahren. Jetzt wird es schön. Die schnurgerade B 1 verführt viele Zeitgenossen zum übermäßigen Rasen. Eine gefährliche Sache – das, und für den ruhigen Biker sehr unangenehm. Wir halten weiter auf Mütterchen Elbe zu, über Nielebock und Ferchland. Ruhig und schön ist die Landstraße. Jetzt, im Herbst, sind die Mischwälder erfüllt von Pilzduft. Die Landschaft öffnet sich gegen die Elbe. Wir erreichen die Motorfähre südlich von Ferchland und lassen uns für € 1,60 übersetzen auf die Griebener Seite. Wenn wir noch einmal zurückschauen, zum Ostufer der Elbe, das wir soeben verließen, dann grüßt der Derbensche Berg mit 56m Höhe zu uns hinüber. Eine pleistozänale Moräne, die sich über dem Elbstrom erhebt. Früher durch Ziegen und Schafhütung beinahe kahl gewesen, ist sie jetzt mit stattlichem Mischwald bewachsen. Glücklich, wer seine Behausung während der großen Elbehochwasser dort oben hatte…


Der Derbensche Berg

Vom Elbufer nach dem Wildpark Weißewarte
30 km sind wir jetzt unterwegs, eine gute halbe Stunde. Vor uns liegt eine kurvenreiche und sehr gut asphaltierte Landstraße über Grieben, Scheeren und Birkholz nach Tangerhütte. Vaethen hieß das Dorf an der Tanger, dem 1935 das Stadtrecht und damit der Name Tangerhütte verliehen wurden. Etwas verschlafen ruht das Städtchen an der Bahnstrecke von Magdeburg nach Stendal. Wir holpern uns vorsichtig durch das Zentrum, das sich sein altes Kopfsteinpflaster teilweise bewahrte und verlassen den Ort in Richtung Weißewarte.
Kurz hinter der Ortsausfahrt von Tangerhütte lädt der Lehrpfad und Geschiebegarten zu einer geologischen Exkursion ein.


Der Wildpark Weißewarte

In Weißewarte, beinahe am Ortsausgang in Richtung Demker liegt – in die bezauberndste, weite Landschaft eingebettet, teils unter alten Eichen gelegen – ein Wildpark von 15ha, den wir besuchen. Nach 50km Fahrt tut es ganz gut, abzusitzen und ein paar Schritte zu laufen und der Wildpark selbst ist wirklich jede Aufmerksamkeit wert. Liebevoll eingerichtet und ausgestattet zeigt der kleine Zoo Tiere unserer Heimat. Ich habe Glück: es ist Ende September, Brunftzeit. Der Hirsch röhrt sich die Seele aus dem Leib. Es gemahnt beinahe an das Brüllen eines Tigers. Seine Ricken indes sind davon nicht so beeindruckt und vermeiden vor den Augen der minderjährigen Besucher jeden engeren Kontakt mit ihrem Herdenchef.


Frau Schwarzkittel

Das gegenüberliegende Gehege beherbergt eine Rotte Wildschweine. Wer Schweine liebt, dem wird das Herz höher schlagen. Hier können sie im Modder wühlen, grubbeln, grunzen, quieken, sich suhlen – ach, die Schweineseelen werden sich wie im Paradiese fühlen. Scheu ist der Fuchs, die prächtige Wildkatze putzt sich ausgiebig das Pelzchen während der benachbarte Wildkater jede Bewegung seines Betrachters mit einem kurzen, aber kräftigen Fauchen begleitet. Kompakte Burschen! Alle Achtung! Die Waschbären beobachten ineinander geknäuelt neugierig den seltsamen Gast vor ihrem Gitter.


"illegaler" Immigrant

Die listigen Augen verkünden lebhaft, daß diese Gäste aus Nordamerika längst die Einreise nach Deutschland ohne Erlaubnis der Behörden ins Werk gesetzt haben. Nun sind se hier. Einheimische. Der Förster rauft sich die Haare.


hübsche Exoten

Das Stachelschwein und die bunten Vögel aus Fernost sind die einzigen Exoten, die uns begegnen. Die Zeit ist bemessen. Doch Lamas, Zebus, Wisente, Hängebauchschweine, Chinchillas, Wapitis, Nandus und Emus weist der Übersichtsplan ebenfalls aus. Eine Gans bemüht sich den Wildkater im Fauchen noch zu übertreffen, als ich zum Tor zurücklaufend an ihr vorübergehe.


Gänse und Kickelhahn

Am Tor selbst werde ich freundlicher verabschiedet. Ein Blick zurück auf die kleine Parkeisenbahn, die den jüngsten Besuchern eine zusätzliche Attraktion bietet, läßt den Wunsch aufkommen dieses Kleinod von einem Wildpark in die nächste Tour wieder irgendwie mit einzubinden.

Von Weißewarte nach Tangermünde
Weiter geht die Fahrt über Demker und Elversdorf nach Tangermünde. Schon von ferne grüßt der wuchtige Turm von St. Stephan. Die unverwechselbare Silhouette Tangermündes, der Stadt Kaiser Karls IV., allerdings, wie wir sie vom Ostufer der Elbe gewohnt sind, erschließt sich nicht sogleich. Ich lasse wieder einmal meine rote Zicke über urwüchsiges Kopfsteinpflaster aus dem vorletzten Jahrhundert zuckeln.


Tangermünder Stadtmauer am Tanger-Hafen

Fahre gleich hinunter zum Tangerhafen, dort bocke ich die Maschine auf und genieße den Blick rundum. Im Osten die Elbdeiche hinter dem Hafenbecken, an deren Ende das Pegelhäuschen, über mir im Westen die gigantischen Wehranlagen Tangermündes mit den Toren, Türmen, Wieckhäusern, versteckten Treppenaufgängen, den pittoresken Häuschen und dem besagten Turm St. Stephans. Von hier aus ist auch die Burg mit ihrem Museum und dem Hotel zu sehen. Sie ist nahebei. Gleich am Ende des Hafens erhebt sie sich auf einem Plateau über der Elbe.


Die Roßfurt, dahinter der Fachwerkgiebel des Wirtshauses "Zum Exempel" und die Stadtkirche St. Stephan

Die steil in die Stadt hinaufführende Roßfurt ist selbst für das Motorrad nicht zu passieren. Oben am Markt ist der Weg mit Steinen und einem Geländer verlegt. Schade! Denn genau an der Ecke der Roßfurt zum Platz vor St. Stephan befindet sich das kleine Gasthaus „Zum Exempel“. Wer hier kein Kuhschwanzbier getrunken hat, der war nicht in Tangermünde. Urig ist das Wirtshaus eingerichtet, original und originell. Man sitzt auf Plüschsofas, in Betten, an Bügelbrettern, in Holzverschlagen, die Speisen hervorragend, das Bier – wie gesagt: dunkles oder helles Kuhschwanz sollte es schon sein. Am besten sitzt es sich in der ersten Etage, am Ostgiebel des Hauses, mit malerischem Elbblick bis hinüber nach --> Jerichow.
Danach kann der verantwortungsbewußte Biker natürlich nicht gleich weiterfahren. Also die Maschine im Schatten St. Stephans stehengelassen und zunächst die große Kaufmannskirche besichtigt!


Die Tangermünder Roßfurt


Tangermündes St. Stephan ist zweitürmig. Von den beiden Türmen bekam aber nur der Südwestturm eine hochaufragende, barocke Spitze. Zwei Türme – das steht eigentlich nur Bischofskirchen, also Domen zu. Nun, Ausgangs des 12. Jahrhunderts wollte ein Enkel Albrechts des Bären hier auch ein Bistum etablieren. Daraus wurde dann aber nichts. Was blieb, ist die beeindruckende sakrale Anlage.
Über einen kleinen Umweg von einigen Metern erreichen wir durch das Hühnerdorfer Tor mit seinem schönen gotischen Torturm wiederum die Altstadt, schlendern die Lange Straße entlang, bewundern das Postgebäude und – auf dem Markt das Rathaus mit seiner Laube und seinem wunderschönen Maßwerkgiebel. Darinnen befindet sich ein kleines, aber feines Museum, das wir unbedingt besuchen sollten, wenn wir das Softeis aus einer der Eisdielen am Markte verputzt haben. Dann führt uns die Lange Straße nach Süden. Wir verlassen die Altstadt am Neustädter Tor mit seiner verwinkelten Toranlage, gehen am vor den Mauern der Stadt gelegenen Dominikanerkloster vorbei zum Hafen hinunter. Wem’s nicht zuviel ist, der mag noch ein wenig auf den lieblichen Elbdeichen spazieren gehen, hoch zum Pegelhäuschen, oder nach Süden, dem Radweg folgend unter großen Bäumen entlang. Ansonsten betreten wir die Altstadt wieder über eine Treppe, die neben dem gewaltigen Speichergebäude des Hafens in der Stadtmauer zu den sogenannten Putinnen empor führt. Diese Putinnen sind zwei Türme, wovon der eine die Treppe schützte und der andere die Bürger vor unsozialen Zeitgenossen.
Wir sollten jetzt kritisch überprüfen, ob das „Kuhschwanz“ noch Gewalt über uns hat, damit wir den Gefängnisturm nicht von innen kennenlernen. Man kann ja etwas verhaltener durch die Lange Fischerstraße und die Kirchstraße zum Gefährt zurückpilgern, die Schriftzüge an den alten Fachwerkhäusern lesen und sich daran freuen, daß Tangermünde der Stadt Rothenburg ob der Tauber nunmehr enge auf den Leib rückt. Mit klarem und alkoholfreiem Kopfe verlassen wir die Grete-Minde-Stadt Tangermünde nach Norden, am Hühnerdorfer Torturm vorbei, von dessen Zinnen noch im Sommer die Störche alle unvorsichtigen Einparker mit ihrem weißen Segen bedachten.


Die Türme des Prämonstratenserstifts zu Jerichow

Von Tangermünde nach Jerichow und Wust
Nach wenigen Kilometern erreichen wir die neue Elbbrücke, die sich kühn über den wendischen Strom spannt. Hier können wir uns überlegen, ob wir noch einen Abstecher von zehn Kilometern nach Nordwesten machen wollen, wo uns schon das Weichbild der askanisch-johanneischen Residenz Stendal lockt, mit seinen beiden großen, doppeltürmigen Hallenkirchen. Auch hier hat nie ein Bischof residiert. Was wir da sehen, ist der Steingewordene Stolz mächtiger Patriziergeschlechter einer der Metropolen entlang der mittelalterlichen Salzstraße.
Ich entschließe mich jedoch nicht für Stendal, überquere statt dessen die Elbe und strebe dem fünf Kilometer entfernten Jerichow zu.
Auf der B 188 und der B 107 aber ist wiederum Vorsicht geboten! Die auch hier über weite Strecken geradlinig führenden Trassen kommen just wie bei der B 1 vielen Kraftfahrern wie eine Einladung zum Tiefflug vor. Es scheint sich teilweise um eine Teststrecke für Kamikaze-Piloten zu handeln. 110 km/h aufwärts sind auf diesen Bundesstraßen keine Seltenheit. Für den ruhigen Biker können diese Geschosse, gelenkt von geistig und moralisch minderbemittelten Möchtegern-Schuhmachers, zum unkalkulierbaren Risiko werden. Darum freuen wir uns, wenn sich die Zwillingstürme der Jerichower Prämonstratenserabtei vor uns groß und majestätisch erheben. Dann können wir nämlich scharf nach rechts wegbiegen und befinden uns vor der legendären Stiftskirche.


Das Kircheninnere - reine Backsteinromanik

Berühmt ist sie – die herrliche backsteinromanische Klosteranlage der Prämonstratenser. Norbert von Xanten, seit 1126 Erzbischof von Magdeburg, hatte einst seine Leute aus dem sicheren Magdeburger Liebfrauenkloster in die heiß umkämpften wendischen Gaue gesandt um dort Burgen des Christengottes zu errichten.


Kunst im Kreuzgang

Von 1149 an wurde die dreischiffige Pfeilerbasilika gebaut, die uns noch heute ein unvergleichliches Raumerlebnis schafft. Die Klausurgebäude beherbergen unter anderem ein Museum, welches sehr anschaulich und lehrreich den Werdegang der ostelbischen Kolonisation erläutert und mit der Geschichte des Klosters und seiner Besitztümer aufwartet.



romanische Säule vor der Krypta mit Erntedankfest-Schmuck

Unweit des Klosters befindet sich, wenn man Jerichow in Richtung Mangesldorf und Melkow verläßt, das Dörfchen Wust, das einst Stammsitz war derer von Katte. Der Fachwerkturm der Kirche läßt uns schon von weitem erkennen, wo wir den unglücklichen Hans Hermann finden, der seine Freundschaft mit dem Kronprinzen von Preußen und späteren Friedrich dem Großen einst grausam mit dem Leben bezahlte. Im Jahre 1730 zu Küstrin vom Scharfrichter Coblentz auf Geheiß des Soldatenkönigs mit einem Schwerte enthauptet, welches heute im Stadtmuseum im Frey-Haus der Brandenburger Altstadt besichtigt werden kann, ruhen seine Gebeine in der Gruft derer von Katte, die dem nordwestliche Ende des Kirchenschiffs angebaut ist.


Die Gruft derer von Katte in Wust bei Jerichow

Wer das Glück hat, die Gruft von innen zu sehen, wird auch Hans Hermanns Sarg finden. Ich sah das Skelett vor vielen Jahren selbst. Makaber die Stellen der Halswirbel, die vom Schwerte getrennt wurden.


Zurück
Weit weniger schaurig ist die abendliche Landschaft zwischen Elbe und Havel, welche ich nun, auf dem Heimweg begriffen, durchfahre. Die nun folgenden Chausseen sind schön, gut geteert und kurvenreich. Ideal für einen Biker. Aber, liebe Motorradfahrer, seid auf der Strecke nicht schneller als 60 bis maximal 70 km/h!
Zu eng sind manchmal Straßen und Kurven, oft queren Feldwege mit den entsprechenden Verschmutzungen die Straße – das kann gefährlich werden. Und – wer rast, hat nichts von der phantastischen Landschaft.
Von Wust zurück nach Melkow, dann aber geradeaus nach Briest, Sydow und Schmetzdorf. Vor Schmetzdorf biegt meine Straße ab nach Neuenklitsche. Von dort geht’s nach Klein-Wusterwitz, dessen westlicher Nachbarort Zabakuck ebenfalls einen wunderbaren kleinen Wildpark mit angeschlossenem Tierheim beherbergt. Dafür ist es aber heute schon zu spät. Ich wähle daher den Weg nach Nordosten, nach Schlagenthin und schleiche mich dann am Eichberg vorbei durch dunkle Wälder hinüber zum Genzhof. Ja, ja – Genzhof, nicht Grenzhof, wie der Verdacht nahelegt. Überfahre ich doch hier die Grenze zwischen Sachsen-Anhalt und dem Brandenburgischen. Hinter der unscheinbaren Landesgrenze, dort, wo die Wälder sich lichten und die Landschaft sich weit öffnet, erlebe ich den Sonnenuntergang. Hell bescheint das scheidende Taggestirn ein Maisfeld, in dessen Mitte sich – wie von Schischkin gemalt – eine einsame Eiche erhebt. Wieder daheim! Vehlen, Bensdorf, Woltersdorf – home at last!


...wie von Iwan Iwanowitsch Schischkin gemalt

130 km Tour – eine schöne Fahrt, ein wunderschöner Tag. Viel gesehen, entspannt, durchgeatmet… Herrgott – das märkische und anhaltinische Land, die Elbgauen, die Havelwiesen und ein Motorrad – schöner geht’s doch bald gar nicht. Was der Tag gekostet hat? Das hielt sich in Grenzen: Bei einem Spritverbrauch von 4,5l auf hundert Kilometer können wir mit 6l, entsprechend € 8,40 rechnen. Fähre € 1,60; Wildpark Weißewarte € 3,- + € 1,- Spende; 1 Kuhschwanz € 3,-; Eintritt in das Klostermuseum zu Jerichow € 3,-; macht summa summarum glatte € 20,-. Dafür einen wunderbaren Tag gehabt… Na dann, Hals- und Beinbruch!


heimwärts im Sonnenuntergang

10. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2007