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Krabat
oder die Schwarze Mühle
von Herrn Otfried Preußler
K. K. Bajun
(zum Hexenabend 2004)
Zu Krabat: Er stammt dem
Vernehmen nach aus Eutrich (westlich von Kamenz, auf halbem Weg nach Bautzen)/
gestorben und begraben in Wittichenau (südlich von Hoyerswerda) und
lebte vermutlich im 16. Jahrhundert.
Die Mühle von Schwarzkollm im
Koselbruch
In der malerischen,
wendischen Lausitz, bei dem Dorfe Schwarzkollm zwischen Hoyerswerda und
Senftenberg gelegen, stand im Koselbruch die Schwarze Mühle. Kein
Korn wurde in ihr gemahlen, aus dem Mehl kein Brot gebacken. Das heißt
aber nicht, daß gar nichts gemahlen wurde. Denn auch menschliches
Gebein kann zermahlen werden...Einmal im Monat, in jeder Neumondnacht
kam ein einsames Fuhrwerk zum Schwarzen Müller. Dann wurde, was im
Monat zuvor von den zwölf Gesellen in den Mühlgängen unters
Mühlrad geschüttet wurde, in harter Knochenarbeit verladen.
Doch das Mahlen war nicht das einzige Gewerbe, das der unheimliche Müller
betrieb. Die Mühle war gleichzeitig eine Schwarze Schule, in der
die Mühlknappen in der Zauberkunst und Magie unterrichtet wurden.
Doch alles hat seinen Preis. So auch das Böse. Für die Überlassung
des Koraktor, so hieß das dicke Zauberbuch in den Händen des
Müllers, forderte es ein Leben in jeder Neujahrsnacht ein. Welches,
das war dem Bösen egal. Also rief an Silvester zu Mitternacht der
Müller einen Gesellen zu sich in die Stube und ein Kampf auf Leben
und Tod hub an. Wenn es dem Gesellen gelang, den Müller zu überwinden,
so war er der neue Müller. Der berühmteste, dem es gelang, und
der die Reihe der Schwarzen Müller definitiv beendete, war Krabat.
Wie andere Länder eine Nationalhymne, oder eine Nationalfahne besitzen,
so schmückt sich das Volk der Sorben, ein westslawischer Stamm, der
die Germanisierung der Gebiete zwischen Elbe und Oder bis auf den heutigen
Tag mehr schlecht als recht überlebt hat, mit einer Nationalsage.
Es ist die Sage um ebenjenen Krabat und seine Lehrzeit in der Schwarzen
Mühle.
Otfried Preußler, der deutsche Kinderbuchautor und Schriftsteller
von Format hat sich nun dieses Stoffes angenommen.
Mit ebenso einfachen und klaren wie bewegenden und fesselnden Worten schildert
er in seinem Buch "Krabat" (erschienen bei Thienemann und ausgezeichnet
mit dem Deutschen Jugendbuchpreis) das Leben seines Protagonisten von
der Zeit kurz vor dem Eintritt in die Geheime Bruderschaft bis zum Untergang
der Schwarzen Mühle.
Eine Sage? Ein Roman? Nein, es ist ein Stück nationales Kulturgut
der Wenden; es ist eine Sage mit Tiefgang. Natürlich wird auch hier
wieder das Urprinzip zwischen Gut und Böse thematisiert, der uralte
Widerstreit dieser beiden Urgewalten, in deren Spannungsfeld die menschliche
Existenz hin- und hergerissen wird. Nichts wird ausgelassen. Tiefe menschliche
Bindungen und das Gefühl endloser Verlassenheit. Es kriecht dem Leser
den Rücken hinauf: das langsam wachsende, stetig zunehmende Wissen
um das Geheimnis, das die Mühle umgab, das Bewußtsein, mit
Krabat in eine Falle getappt zu sein, aus der es kein Entrinnen mehr gab.
Gleich einer großen, schwarzen Spinne hockte der Müller in
seiner Mühle und lockte nach jeder Neujahrsnacht einen neuen Lehrbuben
in seine Fänge. Zwölfe mußten es sein, wie die zwölf
Apostel - denn die Zwölf ist einen magische Zahl. Die Mühle
stand still, wenn es weniger waren. Aber ist sie nicht auch eine heilige
Zahl? An diesem verrufenen Orte? Nun, die Rechnung geht erst auf, wenn
man den Müller mitzählt. Denn dann sind es dreizehn. Und dieser
Zahl hinwiderum wird Unglück zugeschrieben.
Etwas unglücklich ist dann auch die Zeitzuweisung, die Herr Preußler
seiner Handlung unterlegt. Wenn man alle Hinweise zusammenzählt,
so datiert man die Geschehnisse auf das anbrechende 18. Jahrhundert. Der
Volksmund aber beschreibt den historischen Krabat als einen Zeitgenossen
des 16. Jahrhunderts. Das war dann auch das Zeitalter der Reformation
und des Bauernkrieges, in die diese Geschichte von Zaubermacht und Hexenkunst
etwas stimmiger gepaßt hätte, als zu Beginn der Aufklärung.
Das alles ist zugegebenermaßen nicht einfach unter einen Hut zu
bringen. Sagen sind nun mal keine Beschreibungen von historischen Ereignissen.
Der wahre Krabat war wohl, wenn man dem Namen folgt, ein Mann kroatischer
Herkunft. Diese pflegte man bis weit in die Zeit des Dreißigjährigen
Krieges hinein als Krabaten zu bezeichnen, ähnlich wie man Italiener
Welsche nannte. Manche behaupten, der kroatische Obrist Joahann von Schadowitz,
der einst August den Starken vor der türkischen Gefangenschaft gerettet
hatte, sei das Urbild des Krabat gewesen.
Die Mär aber machte einen wendischen Jungen aus ihm, der durch geheime
Kräfte in die Schwarze Mühle gelockt wurde, dort zu einem Meisterschüler
avancierte, der letztendlich den eigenen Meister überwand. Dabei
aber immer sein Menschsein, seinen guten Charakter, sein freundliches
Naturell bewahrte. Die Sage berichtet, Krabat hätte seinen Meister
in einem metamorphischen Duell zur Strecke gebracht, in dessen Verlauf
der Meister sich dämlicherweise in einen Kickelhahn verwandelte,
worauf Krabat blitzschnell reagierte und dem Gockel in Fuchsgestalt die
Kehle durchbiß.
Herr Preußler gestaltet das Ende des Schwarzen Müllers hingegen
romantischer. Sein Krabat verliebt sich in eine junge Wendentochter, Kantorka
genannt. Im Preußler'schen Koraktor findet sich dann auch folgerichtig
der Passus, daß ein Mädchen einen Mühlknappen freibitten
könne. Diese Prozedur jedoch ist nicht ganz ungefährlich. Sollte
sie nämlich von Erflog gekrönt sein, hatte der Meister den "Schwarzen
Peter" gezogen. Denn dann wäre er derjenige, den der Teufel
holt, der ja - wir ahnen es bereits - von der Sage zum Vorstandsprecher
der Schwarze-Mühle-AG gewählt worden ist. Dann würde er
in einer der selbstgezimmerten Erdmöbel in einem der ausgegrabenen
Löcher liegen, die herzustellen und auf dem wüsten Plan auszuschaufeln
er den Todeskandidaten als letzte Arbeit auf der Mühle befahl. Der
Wüste Plan war eine recht traurige Liegenschaft in der näheren
Umgebung der Schwarzen Mühle, auf dem die unglücklichen Gesellen
ohne jeden christlichen Beistand verscharrt wurden, die die jährlichen
Auseinandersetzungen mit dem Müller nicht überstanden hatten.
Er war sozusagen ein Verfluchter Ort. Kein Grabstein, kein Kreuz - nur
Erdhügel. Wer hier lag, der war vergessen. Und sollte vergessen sein.
Vor Gott und den Menschen.
Denn das Böse kannte keine Sentimentalität. Es kannte nur das
eine Ziel - das Verderben des Menschen.
Diese Kantorka also, wir erinnern uns der Reinen Jungfrau bis hin zu Jeanne
d'Arc, die uns in so ziemlich jedem Kampf zwischen Gut und Böse als
Vorhut des guten Prinzips entgegentritt, wagt also den Neujahrsgang in
Höhle des Bösen. Die diesjährige List des Schwarzen Müllers
bestand nicht darin, daß er seine Mühlknappen unisono in Raben
verwandelte, was es dem betreffenden Mädchen bei einer Chance von
1:12 recht schwer machte, den Ihrigen zu erkennen. Diesmal verband er
ihre Augen und schloß somit jeden visuellen Abgleich aus. Doch die
reine Liebe überwand diese Gratwanderung und befreite nicht nur den
Geliebten sondern den Rest der Mühlknappen gleich mit.
Beide, Volksmund und Autor berichten gleichermaßen, daß die
Mühle, nachdem Krabat sie verlassen hatte, in Flammen aufging. Ja,
ja - die Hexen und das Feuer - ein pyropathologischer Dualismus in der
Volksseele, dem schon die alte Frau zum Opfer fiel, die zwei verirrten
Kindern namens Hänsel und Gretel Kost und Logis angedeihen ließ.
Aber vielleicht war es auch nur eine fahrlässige Beachtung der Brandschutzordnung.
Mühlen, auch wenn sie mit Wasserkraft betrieben wurden, waren schon
immer sehr feuergefährdet.
Wenn man das, was Herr Preußler zwischen die Zeilen schrieb, mit
einrechnet, so hat das 256 Seiten starke Buch eigentlich den Umfang des
legendären Koraktors. Und genau soviel ist auch darin zu lesen. Es
geht tief hinab in die menschliche Seele. Dieses kaum zu beschreibende
Etwas, das so zweigeteilt ist in seiner Ausdrucksform. Das Gutes wie Böses
in sich beherbergt - und beides zur gleichen Zeit. Selbst diese kleine
Gruppe von Verdammten kam nicht ohne Anschwärzer, Lumpenhunde und
Kameradenverräter aus. So, wie es keinen Hauseingang ohne Blockwart,
kein KZ ohne Kapo gab. Gerade der Kontrast zu diesen verachteten Mitmenschen
sollte uns helfen, den Anspruch an uns jeden Tag aufs Neue zu formulieren.
Den Anspruch der nur lauten kann: Bleibe dir selbst treu, auch unter widrigsten
Bedingungen und bleibe den Idealen verpflichtet, die ein guter Mensch
einzig als Verhaltensgrundlage akzeptieren kann. Insofern ist die Preußler'sche
Interpretation der alten Krabat-Sage nicht nur ein Jugend- sondern auch
ein Lehrbuch.
Es dient aber nicht nur der moralischen Belehrung. Vermittels seines exzellenten
Hintergrundwissens entführt und der "Krabat" auch in eine
Welt, wie sie seit einem Drittel Jahrtausend nicht mehr existiert. In
die Welt einer Mühle nämlich. Eines kleinen Betriebes, auf den
die Bauern der Umgebung essentiell angewiesen waren. War sie doch der
erste weiterverarbeitende Betrieb, der das geerntete und gedroschene Korn
für den Bäcker verwertbar machte. Und doch befanden sich die
allermeisten Mühlen außerhalb der dörflichen Gemeinschaften.
Das hatte zum ersten den Grund, daß sie auf besondere Plätze
angewiesen waren. Windmüller beispielsweise benötigten oft kleine
Hügel, um den Wind besser nutzen zu können, Wassermüller
waren auf Bäche oder Flußläufe angewiesen. Zum Zweiten
waren solche Mühlen oft Anlaufpunkt für mehrere umliegende Gemeinden
und hatten bei zentraler Lage, die keinen Bauern über Gebühr
benachteiligte, einen gewissen Standortvorteil. Zum Dritten waren Mühlen
schon bedingt durch ihre Bau- und Funktionsweise und das in ihnen lagernde
entzündliche Gut sehr feuergefährdet und schon von daher aus
den Dörfern ausgegliedert. In jedem Falle aber waren diese Kleinbetriebe
durch ihre oft abseitige Lage der direkten Kontrolle durch die dörflichen
Gemeinschaften entzogen. Und was der Mensch nicht weiß, das macht
ihn sehr wohl ganz heiß! Köhler, Müller, Eigenbrötler
- alle diese Leute, über deren Treiben man nicht genau Bescheid wußte
bzw. man sich jederzeit ein Bild machen konnte - waren per se suspekt.
Man brauchte sie, aber man mißtraute ihnen. Rund um die Mühlen
und Meiler blühten für die Dörfler vor allem - Spekulationen.
Was Nachbar Hans machte? Man sah es ja. Was Muhme Grete gerade trieb?
Man brauchte nur durchs Fenster schauen oder in die Stube zu treten -
die Türen waren offen. Aber was zum Teufel trieb der Müller
so? Vor allem außerhalb der Erntezeit? Und an dessen Tor mußte
man erst anklopfen! Was ging dahinter vor?
Kein Museum könnte uns so anschaulichen Unterricht erteilen, wie
es auf einer solchen Mühle zuging, wie der harte Alltag der Mühlknappen
aussah und welche Arbeiten zu verrichten waren. Bis hin zum Wechsel des
Mühlrades erfahren wir so ganz nebenher den Aufbau und die Arbeitsweise
eines solchen Kleinbetriebes zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Wir verstehen
nicht viel vom Müllerhandwerk, können gerade mal so eine Windmühle
von einer Wassermühle auseinanderhalten, oder ein unterschlächtiges
von einem oberschlächtigen Wasserrad unterscheiden. Herrn Preußlers
aber danken wir Einsichten in ein Gewerbe, das auch uns vorher weitestgehend
fremd war. Es ist beim Lesen, als hätte Herr Preußler uns selbst
wie unsichtbare Zuschauer in die Mühle gesellt, währen die Mühlknechte,
die Gesellen und Lehrbuben um uns herum hasten und der Müller seine
Anweisungen blafft. Das nennen wir lebendige Sprache! Das bedeutet Lesegenuß.
Das erzwingt Hingabe an den Stoff.
Mit seinem "Krabat" hat also Herr Preußler dem schwindenden
Stamm der Sorben ein herausragendes, ein lebendiges und ein in die Zukunft
wirkendes literarisches Denkmal gesetzt. Ein Denkmal, nicht in Bronze,
sondern in Lettern gegossen. Nicht begeh- aber erlebbar. Herausragend?
In jedem Falle. Höher noch als der Fernsehturm von Toronto. Denn
durch die weltweite Verbreitung die Beliebtheit des Preußler'schen
Buches werden derer viele sein, die erst durch diese Lektüre vom
wendischen Stamm der Sorben erfahren haben. Dafür sollte die Domowina
Herrn Preußler zum Ehrenwenden küren. Denn, wie dem Krabat,
so haben sie auch dem Autor, der den Weißen Zauberer der drohenden
Vergessenheit entriß, viel zu danken.
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