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Dafnis

von Arno Holz

K. K. Bajun

Doris / kleiner Hertzens=Dieb /
hastu mich auch würcklich lihb?
Würcklich? Gantz wahrhafftig?
Und sie küßt mich / daß es knallt
durch den dikken Dannen=Wald /
Himmel / war der safftig!
Deine aufgeblehten Brüste /
die ich dausendmahl beküsste /
denen hundret Hirten
Lihbes=Lider gierten /
deine Brüste sind mein Preiß /
Venus sälbst ist nicht so weiß!
Heute / heute strehlt ihr Sohn
die noch deine Hahre /
morgen / morgen ligstu schon
auff der Thoden=Bahre!
In das schwartze Grab
mußtu dan hinab!
Wenn dich erst die Würmer frässen /
wird dich keiner an sich prässen;
lihbe mich drümb gantz und gar
mit Haut und Hahr!

Es ist doch, als sänge eine Nachtigall. Eine aus der Zeit des Barocks. Alle Elemente dieser Epoche in sich vereinigend. Sie ruft zum Genießen des Lebens in vollen Zügen auf, diese Nachtigall. Und sie weiß um das unvermeidliche Ende in der Zukunft.
Wie sollte sie auch nicht? War doch diese Epoche gezeichnet von der bis dahin fürchterlichsten Katastrophe, die sich die abendländische „Christenheit“ bis dahin angetan hatte – dem Dreißigjährigen Kriege. Dieser Krieg machte aus dem Sterben eine Alltagserfahrung und viele konnten froh sein, wenn sie einem gnädigen Tod im heimischen Bett begegnen durften. Dieses Grauen zeichnete die Menschen schwer. Doch gerade das unbeschreibliche Elend brachte es auch mit sich, daß sich viele Menschen der Einmaligkeit des Lebens bewußt wurden. Sie wandten sich den wenigen schönen Augenblicken mit einer Intensität zu, die den meisten Zeitgenossen der Gegenwart befremdlich erscheinen mag. Dabei hätte ein jeder Grund genug, sich in die Befindlichkeiten dieser seiner Vorfahren hineinzudenken, um für die eigene Zeit zu profitieren, die einem geschenkt ist auf Erden.
Der Studiosus Dafnis, der sich selber in der Manier der Zeit als Schäfer sah, war so ein Vertreter dieser lebensfrohen Philosophie und nimmt so manches Mal Bezug auf sein philosophisches Vorbild Epikur.
Wer also war dieser Dafnis, der in so bezaubernden Versen mit dieser eigentümlichen und doch so kräftigen und barocken Sprache die Schönheiten des Daseins besang – allen voran die ungezählten Frauenzimmer, denen er so zierlich und niemals plump oder vulgär den Hof macht? Die Überraschung ist groß: Dafnis ist Arno Holz, der Autor des Büchleins. Und der lebte keineswegs im 17. Jahrhundert. Die Idee zu seinem „Dafnis“ kam ihm nach eigenem Bekunden im Herbst des Jahres 1900 und wurde anfangs kein großer Erfolg auf dem Buchmarkt. Erst die konsequente Umsetzung des Inhaltes auf das Erscheinungsbild des Buches und einige stilgerechte Anmerkungen verhalfen dem „Dafnis“ zum Durchbruch.
Die Täuschung war perfekt!
Mit welch überzeugender Treffsicherheit Herrn Holz die Ausdrucksweise und das Vokabular des Barock von der Zunge ging, ist für uns Anlaß zu ungläubigem Staunen. Selbst in den Themata und Gegenständen seiner Dichtungen beweist Herr Holz noch fünfzehn Generationen später ein zielsicheres Gespür und vergreift sich nicht ein einziges Mal in den Saiten seiner lyrischen Laute.
Hätte es den Dafnis als authentische Person gegeben, wir würden ihn mit Stolz den Villon der Deutschen nennen dürfen.
Insofern ist das Verdienst des Autors um die oft verkannte und geschmähte, weil als grobschlächtig und zügellos begriffene literarische Epoche des Barock nicht genug zu loben,
In der Zeit des Barock hallt noch die Renaissance nach, die ja die Antike zu neuem Leben zu erwecken versuchte. Die Mythen und Gestalten der Antike waren den gebildeteren Zeitgenossen durchaus geläufig. Schon bei der Lektüre des großen Geistes der Renaissance - Michel de Montaigne - fallen die häufigen Bezugnahmen auf Personen und Geschehnisse im Alten Griechenland oder Rom auf. Was uns den Schwab oder entsprechende Lexika zu Rate ziehen läßt, war in dieser Epoche den gebildeten Ständen allgemeines Wissensgut.
Dieses Wissen muß in staunenswertem Umfang auch dem Arno Holz zu Diensten gestanden haben. Denn im Kontext der Epoche zitiert sein Dafnis aus der „Großen Zeit“. Ein Beispiel sei an dieser Stelle angeführt:

Nichts als Liebe brachte um
Thisben sowie Pyramum /
Dido hat sich gantz durchstochen /
eine Wildtsau fraß Adon /
Pygmalion starb im Töpffer=Ton /
Leander ist ersoffen /
Dafne davongeloffen /
Pythia auff dem Dreyfuß-Sizze /
Pythia selber briet für Hizze /
ach / es fing für alle / alle
Amor deine Mausefalle!

Das sind keine Knittelverse! Das ist Kunst. Das lebt. Das kommt nicht so archaisch und erhaben daher, wie die großen Balladen des frühen 19.Jahrhunderts. Und trotzdem ist es keineswegs primitiv.
Man sieht ihn vor sich, den Schäfer – Studenten Dafnis: In lustiger Gesellschaft seiner Kommilitonen und Bauern in einer Schänke sitzend, der breitkrempige Hut über die hölzerne Bank drapiert, das Wams halbgeöffnet, vor ihm ein großer, schwerer, zinnerner Humpen voll rotblonden Bieres, dessen Schaum ihm in den Spitzen des gezwirbelten Schnurrbartes hängt, ein Mädchen auf seinen Knien, eine Laute in der Hand, auf dem Tisch qualmt eine tönerne Pfeife, etwas geschnittener Toback und ein Fidibus liegen zum Gebrauch bereit. Und dann - diese Lieder, die er mit klarer, tönender Stimme vorträgt, manchmal dem Diskante Raume gebend, manchmal diesen Raum mit brummendem Basse füllend. Dazu die zierlich angeschlagenen Saiten der Laute. Zwei bebende, sich wölbende Hügel unter der Bluse seines Mädchens, seiner Doris, Bellinde, Lohrchen, Drusilla oder Margritt, verheißen mit leichter Andeutung den Lohn für die dargebotenen Verse. Sie zwinkert ihm schelmisch zu und er – weiß, daß er diese Nacht nicht alleine verbringen muß. Und er singt vom Glück, in den Armen seiner Holden warm zu werden. Doch ist ihm dieser Genuß im Gegensatz zur heutigen Zeit keineswegs der Einzige, den zu besingen und zu bedichten sich lohnte.
Die Jahreszeiten können ihm nicht garstig genug einherkommen. Der Winter ist bitterkalt? Ihm ist der Wald „mit Eys bezukkert.“ Der Frühling hat ihn sowieso in seinen Zauberbann geschlagen und er wird nicht müde, die Vögel und die Blumen, den Himmel und die Bienen in seine Lieder aufzunehmen. Überall ein Grund zur Freude und zum Fröhlichsein, denn am Ende wartet – die schwarze Grube.
Sich in diese uns über die Abgründe der Zeit entschwundene Gedankenwelt so wunderbar hineinzufinden, ist das unbestrittene Meisterstück des Herrn Holz. Und es macht Spaß ihm zu folgen auf seiner nachempfundenen Reise durch die Zeit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts.
Verfällt man aus irgendeinem Grunde dem Trübsinn, man höre Vivaldis Dur-Konzerte oder lese den Dafnis! Es gibt kein Risiko und über schädliche Nebenwirkungen ist uns nichts bekannt.
Deshalb erheben wir abschließend den Becher voll glitzernden Weins auf den Sohn der Muse und des Bacchus, Dafnis, und seinen exzellenten Vater, Herrn Holz.

B 1. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2003