19. August 2004 Eintrags ID: 0046 Plaue an der Havel, den 19. August 2004
Lieber Herr Kiehl,
Für Ihren aufschlußreichen Beitrag danken wir Ihnen. Ich habe mich beeilt, ihr Schreiben auf den Schreibtisch Herrn Druckepennigs zu legen und bin mir sicher, daß er sich dessen alsbald annehmen und sich dann bei Ihnen melden wird. Eines vorweg: Wenn Herr Druckepennig vom Rabbi oder Reb Joshua spricht, so meint er die Person des Gottessohnes Jesus aus Nazareth. Außer Zweifel steht auch schon dem Wortlaut des Parce mihi folgend, daß sich der Betende direkt an den Herrn (Gottvater, wenn Sie christlicherseits so wollen) gewandt hat. Alles weitere möchte ich denn doch Herrn Druckepennig überlassen. Mir fehlt da die Kompetenz. Es grüßt Sie freundlichst Ihr B.St.Fjöllfross -Schriftleiter- Sehr geehrter Herr Kiehl,
haben Sie zunächst Dank für Ihre Zuschrift. Unbestritten ist Ihr Verweis auf Hiob 7.16(1/2) ff. (Das Parce mihi beginnt ja erst im zweiten Satz des 16er Verses, wie Sie wissen.) Demzufolge ist Ihre Perspektive auf den Jammer des gepeinigten, oder soll ich sagen: geprüften Hiob nicht von der Hand zu weisen. Beide wissen wir auch, daß die etablierte Kirche Jesu Christi, oder unter uns Pastorentöchtern besser gesagt: die Kirche des Apostels Paulus, einen seltsamen Zwiespalt durchlitt. Mit ihrem Weltherrschaftsanspruch (gehet hinaus und prediget allen Völkern...) befand sie sich in einem gewissen Widerspruch zu dem als sich selbst als elitär begreifenden und jedem Missionsgedanken abholden Judentum. Dieser Antagonismus gipfelte in dem Pauschalvorwurf, die verbiesterten Juden hätten sich nicht nur als Gottesmörder hervorgetan, sie hätten mit dem „Cruzifige!“ gleichsam das neuerliche Angebot ihres Einen Gottes zurückgewiesen und den ihnen verheißenen Meschiach nicht anerkennen wollen. Fortan waren sie, die Vertriebenen, auch die Verworfenen. Zu blöd aber, daß man in der entstehenden paulinischen Kirche einer theologisch-mythischen, rechtfertigenden und legitimierenden Grundlage nicht entbehren konnte. So wurde denn das „Alte Testament“, das ja bekanntermaßen einzig den Juden gehörte, nahtlos übernommen, um ihm dann das „Neue“ ranzukleistern. Im großen und ganzen sollte das „Alte“, die Synagoge quasi, als Fundament für die relativ junge Lehre der Christensekte dienen, die darauf ihre Kirche zu setzen trachtete. Daher finden wir nun in den geistlichen Liedern, ja im ganzen liturgischen Canon immer wieder die Bezugnahme auf die Texte des „Alten Testaments“ – mit einem deutlichen „Hinweis“ auf das „Neue“. (Davids wichtigste Funktion war beispielsweise also in diesem Lichte besehen nicht die Reichseinigung, sondern die Zeugung von Nachkommen, aus denen auf wundersame Weise unser galiläischer Wanderrabbi Joshua entstammte.) Genau solch eine probate Textstelle erkor sich dann auch der Klerus, um sie unter anderem von Maestro Morales vertonen zu lassen. Mit einem Auge schielten die Initiatoren sicherlich auf Hiob und seine schuldlos begegnete Bewährungssituation. Mit dem anderen werden sie jedoch wahrscheinlich die von mir angedeutete Erbärmlichkeit des Menschen vor dem Herren (und damit nicht zuletzt vor ihnen selbst als geweihte Mittler zwischen dem Herren und den Menschen) anvisiert haben. Sie verstehen die gekonnt ins Spiel gebrachte Doppelsinnigkeit? Je mehr Zitate aus dem AT in die Neue Theologie eingepaßt werden konnten, desto fester standen die Mauern der Kirche, desto tiefer in der Zeit ließen sich im Nachhinein ihre Fundamente gründen. Sie, lieber Herr Kiehl, haben völlig recht: Ohne prophetische Gaben konnte Hiob schon rein zeitlich nichts von Reb Joshua wissen. Wenn er also vom custos hominum sprach, wird er schwerlich jenen Gottessohn im Sinne gehabt haben, abgesehen davon, daß für einen frommen Juden wie ihn allein die Vorstellung von einem leibhaftigen Sohn Gottes in Menschengestalt eine glasklare Blasphemie bedeutet hätte. Somit ist klar und erwiesen, daß Hiob sich an den Herren selbst wandte. Ob das aber die den canon ausbrütenden Kleriker ebenso sahen, sei dahingestellt: Ihnen war der alttestamentarische Gott suspekt. Natürlich ließen sie seinen Thron unangetastet und Gottsohn nur zur Rechten des Vaters thronen. Aber sicherheitshalber entrückten sie den Thron des Weltenschöpfers im Bewußtsein der Menschen etwas nach hinten, den des Rabbis etwas nach vorn und gaben dem alten Judengott vorsichtshalber noch ein christliches Täubchen bei, was ihn im Auge behalten würde und bei einem possiblen Triumvirat mitsamt dem die Dreieinigkeit vervollständigendem Sohn der neutestamentarischen Sicht der Dinge etwas mehr Gewicht verleihen würde. Insofern dürfen wir vermuten, daß unter dem nunmehrigen custos hominum, welcher da als Lamm Gottes die Sünden der Menschheit trägt oder auch nicht, in der christlichen Auslegung stillschweigend Gottsohn angesprochen wurde. Natürlich wagte es niemand, den Urtext dahingehend zu verändern. Wie bei einem guten japanischen Haiku wurden die Dinge knapp belassen, höchstens einige apokryphe Auslassungen als propagandistisches Mittel plaziert: Das eigentliche Bild sollte erst im Kopf des angesprochenen Christen entstehen. Die Rechnung ging auf, wie wir wissen. Ich nun habe mich in meinem Artikel auf das Parce mihi in der musikalischen Version des Herren de Morales bezogen (also im Kontext des frühen Barock) und daher der von Ihnen angedeuteten früheren, ursprünglicheren Sinngebung unentschuldbar keinen Raum belassen. Deshalb bittet um Nachsicht Ihr ergebener Scholcher
M. Druckepennig
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L 1. Volumen |
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2004 |