Dadaist
stürmt die Provinz
Johann Manfred Kleber stellt in Brennabor-Halle
aus

Johann Manfred Kleber
Kotofeij. K. Bajun
Da steht man also in der Brennabor-Halle
und wird den Gedanken nicht los: Was hätte Champollion dazu gesagt?
Was wäre dem genialen Franzosen durch den Kopf gegangen, der die
ägyptischen Hieroglyphen nach Jahrtausenden wieder zum Sprechen brachte,
der sie erstmals fehlerfrei las, nachdem er den Stein von Rosetta entzifferte?
Ein Forscherleben hatte er darauf verwendet. Aber was sich ihm auch immer
in den Weg stellte - Jean-François Champollion wusste genau, dahinter
musste ein Sinn stecken, eine Information, eine Nachricht.
In Johann Manfred Kleber aber hätte er seinen Meister gefunden. Hier
wäre alle Wissenschaft zerschellt wie ein Schiff an der stürmischen
Klippe. Auf den Kunstwerken Klebers sähe er – nur Buchstaben.
Myriaden von Buchstaben. Sie tänzeln einher, manchmal geordnet, dann
wieder in wildem Reigen, wie die Ameisen krabbeln sie über die Leinwand,
wie die Irrwische verlieren sie sich in wilden Strudeln, geordneten geometrischen
Formen, fexieren, tauchen auf, lösen sich auf bei näherer Betrachtung,
fordern: Lies mich!
Und versucht man's,
dann entschwinden sie kryptisch im Nichts der Sinnlosigkeit. Selten erscheinen
die Lettern als Ganzes, oft nur als ineinander verschlungene Fragmente,
kein Maya-Codex könnte geheimnisvoller sein und auch nur ansatzweise
von solch grandios ernsthaftem Nonsens durchsetzt. Die deutsche Kunstgeschichte
kennt dafür seit den Zwanzigern des letzten Jahrhunderts einen Fachbegriff:
Dadaismus.
Kleber, der einstige Galerist und Wirt des legendären Berliner "Natubs",
Herausgeber der "Festschrift für Klschtakofta", stellt
zwischen dem 3.12.2011 und dem 13.01.2012 seine Spielart dieses Dadaismus
in der Kunsthalle Brennabor zur Schau. Und das muss man einfach gesehen
haben! Ursprünglich aus Bierdeckelnotizen in seiner Kneipe entstanden,
entwickelte der „Skriptopath“ Kleber eine eigene Kunstform,
wie sie die Welt noch nicht gesehen hat. Wer also eines Tages nicht für
ein Ticket des New Yorker MoMA tief in die Tasche greifen will –
hier hat er diese Werke sechs Wochen lang vor der Nase:kostenfrei und
gleich um die Ecke.
Faszinierend, wie der ursprünglich sinntragende Buchstabe zum ganz
eigenen Kunstwerk wird – auch japanische Kalligraphien spielen mit
dieser Idee – doch hier verlieren sich die selbst Kunst gewordenen
Schriftzeichen in endlosen Aneinanderreihungen, die sich dann in ihrer
Gesamtheit wiederum zu neuen szenischen Bildern lose oder strukturiert
zusammenfinden, ganze Landschaften formieren, Porträts gestalten
oder einfach nur ein Spottlied auf den Diskos von Phaistos anstimmen.
In allen Farben, in allen Techniken, manchmal sogar mattgrau vor tiefschwarz,
das Ganze hinter Glas: Was für ein wunderbarer Spiegel!, denkt sich
das Publikum und richtet sich der entdeckt geglaubten Interpretation gemäß
pflichtschuldig die Frisur vor dem Bilde.
Und sieht dabei
nicht, wie da noch jemand ist, hinter dem Spiegelbild, und kichert...
Ein genialischer Schalk namens Kleber hat den Weg in die so brav und bieder
geordnete Kunstlandschaft der Provinz gefunden und mischt sie gehörig
durcheinander. Am 11.11. feierte dieser Schalk seinen 70. Geburtstag.
Es hätte gar kein anderes Datum sein können. Eines bleibt gewiss:
Jean-François Champollion wäre mit seiner Kunst dort am Ende
gewesen, wo die des Johann Manfred Kleber gerade erst beginnt. Denn Ernst
und Logik sind keine gern gesehenen Gäste im Reich des verspielten,
des albernen und doch von Meisterhand gestalteten Dadaismus. |