Baaks

zurück zum Landboten

 

Brückenlos im freien Fall
Brandenburg an der Havel vor dem Verkehrsinfarkt

Scholcher M. Druckepennig. Havelsee. In einer marktorientierten Gesellschaft ist jegliche menschliche Gemeinschaft ein eigenes, kleines Wirtschaftsunternehmen, so unbedeutend es erscheinen mag. Das fängt mit der Familie an, die über ein Haushaltseinkommen verfügt und mit diesem über den Monat kommen muss und hört bei den Großkonzernen, ja sogar beim Staat selbst auf.

So gesehen ist auch jede Kommune ein eigener Wirtschaftsbetrieb. Im dritten Volumen der „Otto-Wels-Hauptredaktion Politik, Wirtschaft, Allgemeines“ des Preußischen Landboten wurde im Aufsatz „Wüste Dörfer, Industrieruinen - verlassene Gemarkungen im Lande Brandenburg“ dieser Umstand bereits herausgearbeitet. In diesem Beitrag ist nachzulesen, was Dörfern und Städten blüht, wenn es ihnen, aus welchen Gründen auch immer, nicht gelingen sollte, sich „am Markt“ zu halten: Sie gehen unter!

Entscheidend für die Marktfähigkeit sind einerseits die Standortfaktoren, welche auf die Anforderungen der jeweiligen Epoche optimal abgestimmt sein müssen und andererseits der Umgang mit ihnen. Man kann wie Hans im Glück auf einem Goldklumpen sitzen und trotzdem im nächsten Jahr schon aus allen Geschäftsregistern ausgetragen sein, weil man einfach mal zu blöde war … und wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, wie es der Genosse Generalsekretär Gorbatschow einst so treffend formulierte.

Die Zeiten ändern sich permanent und die für eine günstige Marktposition in der jeweiligen Epoche erforderlichen Standortfaktoren tun es dementsprechend auch. Was gestern gut war, kann heute das Aus bedeuten. Was sich gestern noch als suboptimal erwies, kann heute der Sechser im Lotto sein.

Als Beispiel dafür mag die Chur- und Hauptstadt Brandenburg an der Havel dienen.

Zu den harten Standortfaktoren zählt die Anbindung an die überregionale Verkehrsinfrastruktur und eine entsprechende Leistungsfähigkeit der Binnenverkehrsinfrastruktur. Straßen, Gleise, Kanäle, Flughäfen – das sind die Versorgungsadern einer modernen Industriegesellschaft – im Gemeindeinnern entscheiden sie über einen funktionalen oder eben dysfunktionalen Metabolismus der Kommune.

Brandenburg an der Havel ist diesbezüglich eine gesegnete Stadt im Osten der Bundesrepublik: Sie liegt in der Nähe zweier wichtiger nationaler Autobahnen, der BAB 9 von München nach Berlin und der BAB 2 von Hannover nach Berlin. Letztere führt ihre Trasse sogar ein kleines Stück durch den Süden das Brandenburger Stadtgebiets.

In der Stadt selbst kreuzen sich die wichtigste Ost-West-Fernverkehrsstraße Deutschlands, die heutige B 1, und die wichtigste Fernverkehrsstraße des Landes Brandenburg: die B 102.

Durch die Chur- und Hauptstadt hindurch verläuft eine wichtige Bahnverbindung von Ost nach West, früher von Paris nach Moskau, wenngleich der ICE, der in den Neunzigern sogar noch in der Havelmetropole hielt, grandios vergeigt wurde und nunmehr über das dreißig Kilometer nördlich liegende Rathenow und dann weiter über Stendal seinen Weg nach Westen sucht.

Ähnliches gilt für den ehemaligen Militärflughafen Briest „EDUB“, der bis 2009 noch eine Start- und Landegewichtszulassung bis 14 t hatte und nun eine Farm mit Sonnenkollektoren beherbergt. Entwidmet – aus und vorbei!

Geblieben ist der Hansestadt und Tripolis der Mark der Silokanal, ein Wasserweg der Bundeswasserstraßenkategorie IV. Das ist die höchste Einstufung, welche einem Binnenschifffahrtsweg zuteil werden kann. Berlin liegt nur sechzig Kilometer im Osten, die Landeshauptstadt Potsdam sogar nur vierzig Kilometer in derselben Richtung.

Alles in allem also sind die Voraussetzungen nicht schlecht.

Bis zu dessen gartenzwergiger Zerstückelung besaß die Domstadt auch noch eines der wertvollsten Industriegrundstücke Deutschlands – das 75 Hektar große, dreiecksförmige Gelände des VEB Stahl- und Walzwerks Brandenburg. Dessen Nordbegrenzung bildete besagter Silokanal mit eigenem leistungsfähigen Stadthafen, die Südbegrenzung ist die B1, die Kathete im Osten ist die B 102. Ein vielgleisiger Anschluss an den Bahnhof Brandenburg-Altstadt auf der anderen Straßenseite der B 1 war gegeben. Das hätte ein Paradies für jedes weitsichtige Wirtschaftsunternehmen sein können, welches in der Nachwendezeit nicht dem ideologischen Dogma verfallen ist, dass der Osten niemals Primärproduktionsstandort sein dürfe. Die Westunternehmen waren zu borniert, die damalige Stadtverwaltung zu dröge. Ein paar Grundstücke wurden saniert und erschlossen und boten hernach Inline-Skatern und Fahrschul-Eleven ideale Übungsbedingungen und die Aussicht auf wogende Brennnessel-Felder – sonst aber nicht viel.

Das Stahlwerksgelände wurde zerstückelt – der Wirtschaftsentwickler L. der Brandenburger Stadtverwaltung hatte nicht einmal Ahnung davon, wie viel Umschlags-Tonnage der vor seinem Büro liegende Stadthafen zu leisten imstande ist. Es wurden Möglichkeiten in steter Folge verdudelt, dass einem Hören und Sehen verging.

Das mochte man ja noch auf die Anfangsjahre der Nachwendezeit schieben. In Brandenburg an der Havel aber bekam das nach der Wende System.

Die Krux lag sicher tiefer begründet: Als die drei Teilsiedlungen der Havelmetropole, Neustadt, Altstadt und Dom, nach der Niederschlagung des Großen Slawenaufstands ab den 1180er Jahren vom Planungsbrett aus entwickelt wurden, machten sich die letzten Könner und Profis ans Werk, die Brandenburgs Struktur auf lange Zeit wirksam definieren sollten: Die wendischen Mütter und Väter der Stadt und die Lokatoren unseres Herrn Erzbischofs Wichmann von Magdeburg.

Die fragten: „Was brauchen wir?“ und antworteten: „Eine gute Infrastrukturanbindung bei gleichzeitiger Verteidigungsfähigkeit in unserer weitestgehend rechtsunsicheren Zeit.“ Sie sahen sich gründlich das Gelände an, die sumpfigen Ufer von Mütterchen Havel, die Wasser- und Torflinsen, den sandigen Untergrund, den Harlunger Berg und los ging’s! Das Ergebnis waren drei beieinander liegende Ansiedlungen, in denen man insgesamt nur drei Straße sperren musste und schon – kam keiner mehr rein oder raus.

Exakt dieses für die damalige Zeit revolutionäre Konstrukt trägt eins zu eins noch heute.

Doch Städte sind nun mal organische Gebilde. Sie wachsen. Ihre Umgebungsbedingungen, in welche sie eingebettet sind, verändern sich und damit die Anforderungen an die innere Struktur der Gemeinwesen.

Wer da nicht mithalten kann, ist ganz schnell weg vom Fenster.

Im Zuge der industriellen Revolution in Brandenburg nach dem gewonnenen Krieg gegen Frankreich 1870 /71 wuchs die Havelmetropole rasch über ihre drei mittelalterlichen Stadtkerne hinaus. Industrie siedelte sich an – sogar bedeutungsvolle wirtschaftliche Leuchttürme wie ein Stahlwerk, die Elisabethhütte, die damals weltbeste Fahrradindustrie mit Marken wie Brennabor, Corona und Excelsior, Autoindustrie, Flugzeugindustrie. Die älteste preußische Eisenbahnrelation berührte die Neustadt. Brandenburg selbst war ein Eisenbahnknotenpunkt mit regionalen Verbindungen nach Belzig, Rathenow und Nauen.

Der Schwung hielt sogar noch an, als Opel 1935 eine Ausschreibung für die Ansiedlung der damals modernsten Automobil-Produktionsstrecke Europas lancierte. Oberbürgermeister Kreutz, ein wilhelminischer Kraftkerl und Tatmensch, verlegte kurzerhand die heutige August-Bebel-Straße mit allen Medien und der Straßenbahn um hundert Meter nach Westen und schuf Platz für das Opel-Werk. Opel zeigte sich beeindruckt – Brandenburg erhielt den Zuschlag.

Noch in der DDR zählte Brandenburg/Havel zu den wichtigsten Industriestandorten des Arbeiter-und Bauernstaats. Das VEB Stahl-und Walzwerk war mit über zehntausend Beschäftigten der Leitbetrieb im Stahlkombinat, das Getriebewerk, das Metall-Leichtbaukombinat, das Tiefbaukombinat, Mechanische Spielwaren, KonSü, ALWO und BraKi … der Laden brummte.

Das war nicht ganz ohne. Da sich in der Havelstadt so wichtige Verkehrslinien kreuzten und die Bahn immer Vorrang genoss, bekam dieses Wirtschaftszentrum alsbald den wenig schmeichelhaften Spitznamen „Schrankenburg/Havel“. Wartezeiten an den Schranken auf dem Quenz, in der Potsdamer Straße und auf dem Klingenberg von einer bis drei Stunden waren keine Seltenheit, sondern die Regel. Damit war natürlich auch der Güteran- und Abtransport für die ortsansässigen Firmen gefährdet.

Die DDR-Führung erkannte die wachstumshemmende Wirkung dieser Verkehrswegkreuzungen und schuf mit grandiosen Projekten trotz schreiender Armut und Ressourcenknappheit Ende der sechziger Jahre Abhilfe. Der Abschnitt der B 1, damals F 1, der den südlichen Rand des Stahlwerksgeländes bildete, die Straße der Aktivisten – heutige Magdeburger Landstraße – wurde vierspurig ausgebaut. Im Westen wurde der Silokanal und im Osten die 180 Meter breiten Gleisanlagen des Altstadt Bahnhofs mit zukunftsweisenden Betonfachbrücken überspannt. Gerade die am Altstadt Bahnhof gelegene „Brücke des XX. Jahrestages der DDR“ mit ihrer „Europakurve“ war ihrer Zeit und den eigentlichen Möglichkeiten der DDR weit voraus.

Die planwirtschaftlich gelenkte DDR hatte das Potential der Havelstadt im Auge und wollte dieses in die Zukunft hinein entwickeln. Zu diesem Zwecke legte sie sich sogar mit der mächtigen Reichsbahn an – dem einzigen Staat im Staate in der DDR. Nach langwierigen Verhandlungen trotzte sie der Reichsbahn Gelände am Güterbahnhof ab und vollendete den Ring, den sie samt Brückenschlag über die Havel von der Brücke des XX. Jahrestages bis zur Potsdamer Straße selbstständig legte, um die Innenstadt zu entlasten.

Dann schuf sie den Überflieger über die Gleisanlagen an der Potsdamer Straße dort, wo B 1 und B 102 die Stadt im Osten verlassen. Vierspurig. Das war alles kühn und in die Zukunft gedacht.

Dann kam 1990 die Wende und mit ihr die Stagnation. Eines der reichsten Länder der Welt verpeilte zweiunddreißig Jahre lang die Entschärfung des Bahnübergangs Wust dort, wo die B 1 die Stadt im Osten erreicht. Der achthundert Meter westlich dieses Bahnübergangs liegende Konfluenz zwischen der B 1 und der B 102 müsste über einen großen Kreisverkehr fluid gemacht werden – er bleibt aber selbst nach seinem gegenwärtigen Umbau „Lichtsignalanlagen-gestützt“, wie es Frank Schmidt, der Leiter des Landesstraßenbaubetriebes West, einst mit gequältem Lächeln formulierte. Der Stau wird also nur etwas nach Westen verschoben.

Nebenbei bemerkt: Die DDR war an der Quenzbrücke und an der Brücke des XX. Jahrestages mittels Unterführungen in der Lage, einen kreuzungsfreien Zu- und Abfluss des Straßenverkehrs zu gewährleisten.

Das schlimmste Desaster aber traf die Stadt im Jahre 2019. Obgleich die Stadtobrigkeit seit Mitte der Neunziger Jahre wusste, dass das Verfallsdatum der drei wichtigsten Brücken der Stadt, der Quenzbrücke, der Brücke des XX. Jahrestages und der Potsdamer Brücke, unaufhaltsam näher rückte und mit Anfang der Zweitausender erreicht sein sollte, tat sie – nichts!

Zunächst war die BUGA wichtig, um die sich die Stadt als Nachrücker von Osnabrück im Jahre 2006 bewarb. Die Idee dahinter war nicht schlecht: Brandenburg – die alte Chur- und Hauptstadt – sollte wieder in das Bewusstsein der gesamtdeutschen Bevölkerung rücken, ihr Ansiedlungs- und Standortmehrwert publik gemacht werden. Wer nicht auf eine U-Bahn spekulierte, wie sie München anlässlich der Olympischen Spiele von 1972 bekam, stattdessen aber mit einem BUGA-immanenten Defizit rechnete, lag auf der richtigen Seite. Einer Kristallkugel hingegen bedurfte es für so eine „Prophezeiung“ nicht. Nur zehn Finger zum Abzählen.

Trotzdem – der Gedankengang der BUGA war aller Ehren wert: Die Spiele der XX. Olympiade waren wohl der Hauptimpulsgeber für den wirtschaftlichen Durchstart Münchens und Bayerns, die sich beinahe über Nacht von einem Empfänger im Bundesfinanzausgleich zu einem der wichtigsten Nettogeber entwickelte.

Das hätte durchaus auch in Brandenburg klappen können. Tat es aber nicht. Der BUGA-Rummel war vorbei, die Johanniskirche war gerettet, der Marienberg wieder aufgehübscht, zwei neue Fußgängerbrücken überspannten die innerstädtischen Wasserwege – und ein Gesamtdefizit von € 11 Millionen gesellte sich zu dem eh schon permanent an der Zwangsverwaltung entlang schrammenden städtischen Etat von über 180 Millionen Miesen.

Was Wunder, dass die Stadtverwaltung die überfällige Sanierung der gefährdeten Brückenbauwerke nicht anpackte! Sie hatte einfach kein Geld. Obschon dort auch hätten Bundesmittel fließen müssen, da alle drei Brücken Bundesstraßen über andere Verkehrswege führen. Wie dem auch sei – es passierte nichts.

Folgerichtig kam es zum Desaster: Nein, die Brücken stürzten nicht ein. Noch nicht. Ehe dies geschehen konnte, wurde die Brücke des XX. Jahrestages komplett gesperrt und dann abgebaut, die Quenz- und die Potsdamer Brücke wurden auf zwei Spuren verengt und die Befahrungsgeschwindigkeit mit einer Obergrenze von 30 km/h versehen.

Ein paar Idioten schimpften auf die „Scheiß-DDR-Qualität“ und plakatierten damit die eigene völlige Abwesenheit von Geist und Verstand: Als diese Brücken anfangs der Sechziger gebaut wurden, wusste noch kein Aas, was ein Vierzigtonner ist. Solche schweren LKW aber donnerten dreißig und vierzig Jahre später in Kolonnen über diese Brücken. Die hielten und hielten und hielten – sogar noch fünfzehn Jahre über ihr „Ablaufdatum“ hinaus. Der unvermeidliche Tag eines sichernden Eingriffs oder Neubaus rückte jedoch unbarmherzig näher und näher.

Die stinkreiche Bundesrepublik mit ihren dezentralisierten Finanzierungsmodellen, welche auch die globalen Peinlichkeiten des Pleite-Pech-und-Pannen-Flughafens Berlin BER, der sich ins Nirwana verabschiedenden Abschnitte der BAB 20, der Leverkusener Rheinbrücke, die Hamburger Philharmonie, Stuttgart 21 und der ewigen Baustelle BAB 14 – Lückenschluss Magdeburg-Schwerin – verantwortete, war nicht in der Lage, die überfällige Abhilfe zu gewährleisten.

Der saugefährliche S-förmige Bahnübergang an der Planebrücke war, ist und bleibt gefährlicher als eine Kletterpartie am Cerro Torre im patagonischen Winter. Nichts passiert. Nichts wird passieren. Sie können es einfach nicht.

Als übrigens die Brücke des XX. Jahrestages als Relikt der verhassten DDR geschleift wurde, begann zeitgleich das drei Jahre währende Sanierungsprojekt des Ringabschnitts zwischen der Brückenruine am Altstadt Bahnhof bis zum Buchhochhaus. Der Zeitpunkt hätte perfekter nicht gewählt werden können um der Stadt den Todesstoß zu versetzen. Wie erinnern uns des achthundert Jahre alten Verkehrswegekonzepts: Mach drei Straßen zu und keiner kommt mehr rein und keiner kommt mehr raus! Wie gesagt: Es funktioniert noch immer! Addiert man dazu noch die mit Exzellenz geplante, abstimmungsfreie und verkehrsbehindernde Fehlschaltung der Brandenburg Ampeln, an denen der gequälte Verkehrsteilnehmer schon mal die beste Zeit seines Lebens vergeudet, dann ist klar, wohin die Reise geht: Zielgerichtet in den Kollaps!

Bezüglich des Dramas um die verschwundene Brücke des XX. Jahrestages erhebt der Preußische Landbote folgenden schweren Vorwurf gegen die Stadtverwaltung und die anderen beteiligten und verantwortlichen Behörden: Seit das Verfallsdatum der Brücke bekannt war, wäre die Aufstellung eines Planfeststellungsverfahren für einen Neubau zwingend erforderlich gewesen, welches man dann im Bedarfsfall hätte aus der Schublade ziehen können um zügig mit den Arbeiten beginnen zu können. Das wurde offensichtlich versäumt, ebenso wie eine den Gegenwartserfordernissen angepasste Lösung der Entschärfung des Konfluenz B 1/B 102 im Osten. Dafür gab es zwar einmal eine Planfeststellung, welche einen Neubau der B 1-Trasse entlang der Reichsbahngleise vorsah um wenigstens eine Seite der B1 kreuzungsfrei an die B 102 heranführen zu können – diese scheiterte aber an dem sumpfigen Untergrund, der Pfähle „bis zum Erdmittelpunkt“ erforderlich gemacht hätte, wie sich Frank Schmidt seinerzeit ausdrückte. Nicht bezahlbar …

Eine kardinale Erfahrung aus der Wirtschaft aber lehrt: Wer die heute fälligen Investitionen in die Wirtschaft verweigert oder nicht zu leisten imstande ist, der ist morgen aus dem Rennen. Unbarmherzig.

Exakt dieser Vorgang lässt sich an Brandenburg an der Havel ablesen, deren wenige Ankerzentren bereits zu wanken beginnen. Der Rückzug des großen Postverteilerzentrums und des nationalen Vorzeige-Metallbaubetriebes Windeck aus der Stadt waren erst der Anfang.

Gesellschaften funktionieren hinsichtlich ihrer organischen Biografien nicht anders als einzelne Individuen: In jungen Jahren sind sie kühn, dynamisch, agil und leistungsfähig. Sie bauen eine Zukunft aus. Wenn sie meinen, diese erreicht zu haben, werden sie alt, träge, zäh und zögerlich in ihren Entscheidungen, geizig und vorsichtig abwägend, inert … All diese Altersattribute sind also zuverlässige Indikatoren dafür, in welchem „Lebensstadium“ sich eine Gesellschaft befindet.

Für die Bundesrepublik Deutschlands lässt sich zweifelsohne konstatieren, dass sie ihren Zenit lange überschritten hat, ihre besten Tage Vergangenheit sind, sie keine Zukunft mehr vor sich hat, das Tafelsilber verschubbert und unwiederbringlich über den Jordan ist und das ganze Getöse von der Überlegenheit der sozialen Marktwirtschaft über die kommunistische Planwirtschaft im Angesicht der Realität von Verfall und Stagnation schamvoll verebben sollte.

Diese Marktwirtschaft gründete sich zu ihrer Blütezeit eh nur auf drei Faktoren, die heute wohlweislich verschwiegen werden. Das war zum einen der Marshallplan, das war die Möglichkeit der enormen extensiven Reproduktion nach dem verlorenen Krieg auf von den Alliierten gründlich planierten Flächen und es war nicht zuletzt die gnadenlose postkoloniale Ausbeutung der Dritten Welt durch die Alte Welt, als deren Teil sich die Bundesrepublik in der Nachkriegsordnung wieder rasch zu etablieren verstand.

Wenn es für einen alten, mächtigen Baum zuende geht, dann merkt man das am intensiven Befall durch Parasiten wie Misteln und Baumpilze. Der Specht haut Löcher in den Stamm, der Borkenkäfer bohrt seine Tunnel … Ein Analogon zu diesen Prozessen lässt sich auch in der Bundesrepublik Deutschland beobachten.

Auf dem Kurznachrichtendienst WhatsApp formulierte es ein aufmerksamer Beobachter so: „Wir leben in einer offenen Psychiatrie: Die schweren Fälle sitzen auf der Regierungsbank, der Nachwuchs klebt auf den Straßen.“

Wir schließen uns dieser Einschätzung vorbehaltlos an. Ins Bild passt, dass eine gesättigte Finanzdecke nicht zu den hervorstechendsten Merkmalen von psychiatrischen Einrichtungen zählt.

Aus dem Bonmot allerdings lässt sich ableiten, warum es in Brandenburg an der Havel noch zu keinen Klebeaktionen auf den Straßen kam: Es wäre den Hirnis von der „Letzten Generation“ schlicht nicht möglich, die Verkehrsinfrastruktur der Havelmetropole über das jetzige Maß hinaus zu boykottieren. Sie würden ganz einfach nicht mehr auffallen.

Doch zurück zum rauen Ernst: Zieht man einen medizinisch-physiologischen Vergleich zur Beurteilung der Situation des Gemeinwesens Brandenburg an der Havel heran, dann steht die Diagnose „drohender Verkehrskollaps und -infarkt“ außer Frage. Eine Paralyse-Symptomatik manifestiert sich bereits akut.

Damit weist sich Brandenburg an der Havel jedoch als funktioneller Bestandteil des maroden Gesamtorganismus Bundesrepublik Deutschland aus, dessen desaströse Perspektive sie im kleineren Maßstab abbildet.

Ach, wenn das noch die Greise des verwichenen Politbüros des ZK der SED erleben könnten, die rund um Tapetenkutte Hager ihre Parolen vom unvermeidlichen Untergang des Kapitalismus brabbelten! Damals nahm sie keiner für voll. Damals lachten alle. Heute sieht das schon anders aus. Heute friert einem buchstäblich das Grinsen im Gesicht fest, seit wir für Gaucks Freiheit frieren und mit flächendeckenden Stromausfällen rechnen müssen.

Nehmen wir es sportlich: Obwohl die gestiegenen Sprit- und Dieselpreise das Heizen auch im Auto teurer machen, bleibt doch das Auto in naher Zukunft der einzige Ort, an dem einem im deutschen Winter noch warm wird – und das für längere Tagesabschnitte, da man diese doch in den vom Verkehrsinfarkt verursachten Staus verbringt. Wohl dem also, der trotz der Verkehrskatastrophe in Brandenburg an der Havel noch ein Automobil besitzt. Die Spinner von den Grünen müssen sich auf ihren Drahteseln ganz schön abstrampeln, ehe ihnen genauso warm wird.

28. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
20.11.2022