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Lapsus Linguae
oder: worauf man in Kanzlerreden achten sollte

B. St. Fjøllfross
Der Landbote ist ein großer Bewunderer der ersten deutschen Kanzlerin. Eloquent und auch in spontanen Situationen rhetorisch sattelfest präsentiert die Regierungschefin ihren Gesprächspartnern, dem Reichstag und dem Volk ihre Ansichten und Argumente. Auch dieser Komponente ihrer Persönlichkeit ist sicher ein Großteil ihres Erfolges zuzumessen. Doch bei der Verwendung mancher, sicher unbedachter Worte, überkommt den Landboten ein Grausen. So geschehen mit der unglückseligen Vokabel „Schicksalsgemeinschaft“, verwendet bei der Bundestagserklärung der Kanzlerin zur Rettung des Euro am 19. Mai 2010. Frau Dr. Merkel, um Himmels Willen! Sie und wir wissen, wer dieser Wortschöpfung eine durch die kommenden Jahrhunderte hallende furchtbare Prägung eingebrannt hat. Als das letzte Mal in Deutschland eine Schicksalsgemeinschaft beschworen wurde, da war buchstäblich Holland in Not und Polen offen. Da stand dem Reich das Wasser zum allergrößten Teil selbst verschuldet bis zum Halse. Nun ist es die paneuropäische Idee, die um ihr Überleben ringt.
Insofern geben wir der Kanzlerin durchaus recht. Natürlich sitzt Europa vom Nordkap bis Palermo in einem lecken Kahn und schöpft und rudert ums liebe Seelenheil. Denn die Märkte und das Kapital haben sich bereits erfolgreich globalisiert. Kein Land des alten Kontinents wäre einzeln den orbitalen Kapitalströmen gewachsen. Die europäische Union konnte sich als ernstzunehmender Spieler am Tisch der Wirtschaftssupermächte etablieren, nicht zuletzt deshalb, weil sich der in den Anfangsjahren skeptisch betrachtete Euro zu einer harten und in der Welt geachteten Währung entwickelte.
Nun aber platzt die Blase. Länder, die nie und nimmer der Eurozone hätten beitreten dürfen, brechen nun unter ihrer jahrzehntelangen Misswirtschaft zusammen und ziehen den Rest der EU-Staaten mit in die Tiefe. Die Rettungspakete, die geschnürt wurden, um die maroden Staatsleichen vor den Aasfressern, den Spekulanten zu schützen, sind exorbitant.
Da aber die Aasfresser auch nicht eben dämlich sind, wissen sie um die wirtschaftliche Lage der europäischen Lokomotiven ganz gut Bescheid. Und da liegt der Hase im Pfeffer! Die Milliardenzusicherungen sind hohle Versprechungen, das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben sind. Denn niemand könnte für sie gerade stehen; das mit 1,5 Billionen Euro verschuldete Deutschland schon gleich gar nicht. Jetzt können die Spekulanten nicht nur auf die Zahlungsunfähigkeit eines kleinen Randmitglieds wie Griechenland wetten, sondern, was um Potenzen lohnenswerter ist, gleich auf den Untergang des Abendlandes. Ein halbtoter Riese mumifiziert den Kadaver einer Maus – das ist das Bild, was das Milliardenrettungspaket im Klartext abgibt. Und jetzt redet Frau Dr. Merkel von einer Schicksalsgemeinschaft. Natürlich hat sie recht! Nur ein Idiot würde das bestreiten. Aber diese Wortwahl – ohne das uns das Geringste daran liegt, blödsinnige Vergleiche zu ziehen – impliziert im historischen Kontext seiner Verwendung natürlich das sichere nahe Ende, das schon einmal dieser Beschwörungsformel auf dem Fuße folgte.
Man muss den Dämon beim Namen nennen, keine Frage – aber doch nicht bei diesem! Was kommt als nächstes? Ja, wir begrüßen den totalen Krieg gegen die Spekulanten, Profiteure und Aasfresser. Aber wir müssen ihn führen. Wir müssen handeln und nicht, nie und nimmer nicht, lediglich die Kampfhandlungen mit dieser, einer schwerst belasteten Phrase einfordern. Das wäre nicht nur eine vorweggenommene Kapitulation vor den raffgierigen Feinden, den Hedge-Fonds-Managern, den Leer-Verkäufern und Börsenzockern in Form eines verbalen Offenbarungseides. Das wäre auch eine unzulässige Referenz vor der LTI, der Lingua Tertii Imperii, zu der auch das Wort von der Schicksalsgemeinschaft zählt.
Jedem Profi rutscht mal ein Ball vom Fuß. Dennoch – etwas mehr Sorgfalt und Sensibilität bei Reden vor dem Deutschen Bundestag wäre durchaus angebracht.

16. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
19.05.2010